Zwölftes Kapitel

Das Substanzgesetz

[218] Monistische Studien über das kosmologische Grundgesetz.

Erhaltung der Materie und der Energie.

Kinetischer und pyknotischer Substanzbegriff.


Als dasoberste und allumfassende Naturgesetz betrachte ich das Substanzgesetz, das wahre und das einzige kosmologische Grundgesetz; seine Entdeckung und Feststellung ist die größte Geistestat des neunzehnten Jahrhunderts, insofern alle anderen erkannten Naturgesetze sich ihm unterordnen. Unter dem Begriffe »Substanzgesetz« fasse ich zwei höchste allgemeine Gesetze verschiedenen Ursprungs und Alters zusammen, das ältere chemische Gesetz von der »Erhaltung des Stoffes« und das jüngere physikalische Gesetz von der »Erhaltung der Kraft« (Monismus, 1892, S. 14, 39). Daß diese beiden Grundgesetze der exakten Naturwissenschaft im Wesen unzertrennlich sind, wird vielen Lesern wohl selbstverständlich erscheinen und ist von den meisten Naturforschern der Gegenwart anerkannt. Indessen wird diese fundamentale Überzeugung doch von anderer Seite noch heute vielfach bestritten und muß jedenfalls erst bewiesen werden. Wir müssen daher zunächst einen kurzen Blick auf beide Gesetze gesondert werfen.

Gesetz von der Erhaltung des Stoffes (oder der »Konstanz der Materie«, Lavoisier, 1789): Die Summe des Stoffes, welche den unendlichen Weltraum erfüllt, ist unveränderlich. Wenn ein Körper zu verschwinden scheint, wechselt er nur seine Form;[218] wenn die Kohle verbrennt, verwandelt sie sich durch Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft in gasförmige Kohlensäure; wenn ein Zuckerstück sich im Wasser löst, geht seine feste Form in die tropfbarflüssige über. Ebenso wechselt die Materie nur ihre Form, wenn ein neuer Naturkörper zu entstehen scheint; wenn es regnet, wird der Wasserdampf der Luft in Tropfenform niedergeschlagen; wenn das Eisen rostet, verbindet sich die oberflächliche Schicht des Metalles mit Wasser und dem Sauerstoff der Luft und bildet so Rost oder Eisenoxydhydrat. Nirgends in der Natur sehen wir, daß neue Materie entsteht oder »geschaffen« wird; nirgends finden wir, daß vorhandene Materie verschwindet oder in nichts zerfällt. Dieser Erfahrungssatz gilt heute als erster und unerschütterlicher Grundsatz der Chemie und kann jederzeit mittelst der Wage unmittelbar bewiesen werden. Es war aber das unsterbliche Verdienst des großen französischen Chemikers Lavoisier, diesen Beweis durch die Wage zuerst geführt zu haben. Heute sind alle Naturforscher, welche sich jahrelang mit dem denkenden Studium der Naturerscheinungen beschäftigt haben, so fest von der absoluten Konstanz der Materie überzeugt, daß sie sich das Gegenteil gar nicht mehr vorstellen können.

Gesetz von der Erhaltung der Kraft (oder der »Konstanz der Energie«, Robert Mayer, 1842): Die Summe der Kraft, welche in dem unendlichen Weltraum tätig ist und alle Erscheinungen bewirkt, ist unveränderlich. Wenn die Lokomotive den Eisenbahnzug fortführt, verwandelt sich die Spannkraft des erhitzten Wasserdampfes in die lebendige Kraft der mechanischen Bewegung; wenn wir die Pfeife der Lokomotive hören, werden die Schallschwingungen der bewegten Luft durch unser Trommelfell und die Kette der Gehörknochen zum Labyrinth unseres inneren Ohres fortgeleitet und von da durch den Hörnerv zu den akustischen Ganglienzellen, welche die Hörsphäre im Schläfenlappen unserer Großhirnrinde bilden. Die ganze wunderbare Gestaltenfülle,[219] welche unseren Erdball belebt, ist in letzter Instanz umgewandeltes Sonnenlicht. Allbekannt ist, wie gegenwärtig die bewunderungswürdigen Fortschritte der Technik dazu geführt haben, die verschiedenen Naturkräfte ineinander zu verwandeln: Wärme wird in Massenbewegung, diese wieder in Licht oder Schall, diese wiederum in Elektrizität übergeführt oder umgekehrt. Die genaue Messung der Kraftmenge, welche bei dieser Verwandlung tätig ist, hat ergeben, daß auch sie konstant bleibt. Kein Teilchen der bewegenden Kraft im Weltall geht je verloren; kein Teilchen kommt neu hinzu. Der großen Entdeckung dieser fundamentalen Tatsache hatte sich schon 1837 Friedrich Mohr in Bonn sehr genähert; sie geschah 1842 durch den geistreichen schwäbischen Arzt Robert Mayer in Heilbronn; unabhängig von ihm kam fast gleichzeitig der berühmte Physiologe Hermann Helmholtz auf die Erkenntnis desselben Prinzips; er wies fünf Jahre später seine allgemeine Anwendbarkeit und Fruchtbarkeit auf allen Gebieten der Physik nach. Wir würden heute sagen müssen, daß es auch das gesamte Gebiet der Physiologie – d.h. der »organischen Physik!« – beherrsche, wenn dagegen nicht entschiedener Widerspruch von seiten der vitalistischen Biologen sowie der dualistischen und spiritualistischen Philosophen erhoben würde. Diese erblicken in den eigentümlichen »Geisteskräften« des Menschen eine Gruppe von »freien«, dem Energiegesetz nicht unterworfenen Krafterscheinungen. Besonders gestützt wird diese dualistische Auffassung durch das Dogma von der Willensfreiheit. Wir haben schon bei deren Besprechung gesehen, daß dieselbe völlig unhaltbar ist. In neuerer Zeit hat die Physik den Begriff der »Kraft« und der »Energie« getrennt; für unsere vorliegende allgemeine Betrachtung ist diese Unterscheidung jedoch unwesentlich und gleichgültig.

Von größter Wichtigkeit für unsere monistische Weltanschauung ist die feste Überzeugung, daß die beiden großen kosmologischen Grundlehren, das chemische[220] Grundgesetz von der Erhaltung des Stoffes und das physikalische Grundgesetz von der Erhaltung der Kraft, untrennbar zusammengehören; beide Theorien sind ebenso innig verknüpft wie ihre beiden Objekte, Stoff und Kraft, oder Materie und Energie. Vielen monistisch denkenden Naturforschern und Philosophen wird diese fundamentale Einheit beider Gesetze selbstverständlich erscheinen, da ja beide nur zwei verschiedene Seiten eines und desselben Objektes, des »Kosmos«, betreffen; indessen ist diese naturgemäße Überzeugung weit entfernt, sich allgemeiner Anerkennung zu erfreuen. Sie wird vielmehr energisch bekämpft von der gesamten dualistischen Philosophie, von der vitalistischen Biologie, der parallelistischen Psychologie, ja sogar von manchen angeblichen Monisten, welche im »Bewußtsein« oder in der höheren Geistestätigkeit des Menschen oder auch in anderen Erscheinungen des »freien Geisteslebens« einen Gegenbeweis zu finden glauben.

Ich betone daher ganz besonders die fundamentale Bedeutung des einheitlichen Substanzgesetzes, als Ausdruck des untrennbaren Zusammenhanges jener beiden begrifflich getrennten Gesetze. Daß dieselben ursprünglich nicht zusammengefaßt und nicht in dieser Einheit erkannt wurden, ergibt sich ja schon aus der Tatsache ihrer verschiedenen Entdeckungszeit. Das ältere und näherliegende chemische Grundgesetz von der »Konstanz der Materie« wurde von Lavoisier schon 1789 erkannt und durch allgemeine Anwendung der Wage zur Basis der exakten Chemie erhoben. Hingegen wurde das jüngere und viel verborgenere Grundgesetz von der »Konstanz der Energie« erst 1842 von Robert Mayer entdeckt und erst von Helmholtz als Grundlage der exakten Physik hingestellt. Die Einheit beider Grundgesetze, welche noch heute vielfach bestritten wird, drücken viele überzeugte Naturforscher in der Benennung aus: »Gesetz von der Erhaltung der Kraft und des Stoffes«. Um einen kürzeren und bequemeren[221] Ausdruck für diesen fundamentalen, aus neun Worten zusammengesetzten Begriff zu haben, habe ich schon vor längerer Zeit vorgeschlagen, dasselbe das »Substanzgesetz« oder das »kosmologische Grundgesetz« zu nennen; man könnte es auch das Universalgesetz oder Konstanzgesetz nennen oder auch das »Axiom von der Konstanz des Universum«; im Grunde genommen folgt dasselbe notwendig aus dem allgemein gültigen Prinzip der Kausalität (Monismus, 1892).

Der erste Denker, der den reinen monistischen »Substanzbegriff« in die Wissenschaft einführte und seine fundamentale Bedeutung erkannte, war der große Philosoph Baruch Spinoza; sein Hauptwerk erschien kurz nach seinem frühzeitigen Tode, 1677, gerade hundert Jahre bevor Lavoisier vermittelst des chemischen Hauptinstruments, der Wage, die Konstanz der Materie experimentell bewies. In seiner großartigen pantheistischen Weltanschauung fällt der Begriff der Welt (Universum, Kosmos) zusammen mit dem allumfassenden Begriff Gott; sie ist gleichzeitig der reinste und vernünftigste Monismus und der geklärteste und abstrakteste Monotheismus. Diese Universalsubstanz oder dieses »göttliche Weltwesen« zeigt uns zwei verschiedene Seiten seines wahren Wesens, zwei fundamentale Attribute: die Materie (der unendlich ausgedehnte Substanzstoff) und der Geist (die allumfassende denkende Substanzenergie). Alle Wandlungen, die später der Substanzbegriff gemacht hat, kommen bei konsequenter Analyse auf diesen höchsten Grundbegriff von Spinoza zurück, den ich mit Goethe für einen der erhabensten, tiefsten und wahrsten Gedanken aller Zeiten halte. Alle einzelnen Objekte der Welt, die unserer Erkenntnis zugänglich sind, alle individuellen Formen des Daseins sind nur besondere vergängliche Formen der Substanz, Akzi denzen oder Moden. Diese Modi sind körperliche Dinge, materielle Körper, wenn wir sie unter dem Attribut der Ausdehnung (der »Raumerfüllung«) betrachten, dagegen Kräfte oder Ideen,[222] wenn wir sie unter dem Attribut des Denkens (der »Energie«) betrachten. Auf diese Grundvorstellung von Spinoza kommt auch unser gereinigter Monismus nach 200 Jahren zurück; auch für uns sind Materie (der raumerfüllende Stoff) und Energie (die bewegende Kraft) nur zwei untrennbare Attribute der einen Substanz – der »Gottnatur« von Goethe.

Unter den verschiedenen Modifikationen, welche der fundamentale Substanzbegriff in der neueren Physik, in Verbindung mit der herrschenden Atomistik, angenommen hat, mögen hier nur zwei extrem divergierende Theorien kurz beleuchtet werden, die kinetische und pyknotische. Beide Substanztheorien stimmen darin überein, daß es gelungen ist, alle verschiedenen Naturkräfte auf eine gemeinsame Urkraft zurückzuführen; Schwere und Chemismus, Elektrizität und Magnetismus, Licht und Wärme sind nur verschiedene Äußerungsweisen, Kraftformen oder Dynamoden einer einzigen Urkraft (Prodynamis). Diese gemeinsame alleinige Urkraft wird meistens als schwingende Bewegung der kleinsten Massenteilchen gedacht, als eine Vibration der Atome. Die Atome selbst sind dem gewöhnlichen »kinetischen Substanzbegriff« zufolge tote diskrete Körperteilchen, welche im leeren Raum schwingen und in die Ferne wirken. Der eigentliche Begründer und angesehenste Vertreter dieser kinetischen Substanztheorie ist der große Mathematiker Newton, der berühmte Entdecker des Gravitationsgesetzes. In seinem Hauptwerke »Philosophiae naturalis principia mathematica« (1687) wies er nach, daß im ganzen Weltall ein und dasselbe Grundgesetz der Massenanziehung, dieselbe unveränderliche Gravitationskonstante herrscht; die Anziehung von je zwei Massenteilchen steht im geraden Verhältnis ihrer Massen und im umgekehrten Verhältnis des Quadrats ihrer Entfernungen. Diese allgemeine »Schwerkraft« bewirkt ebenso die Bewegung des fallenden Apfels und die Flutwelle des Meeres wie den Umlauf der Planeten um die Sonne und die kosmischen Bewegungen[223] aller Weltkörper. Das unsterbliche Verdienst von Newton war, dieses Gravitationsgesetz endgültig festzustellen und dafür eine unanfechtbare mathematische Formel zu finden. Aber diese tote mathematische Formel, auf welche die meisten Naturforscher hier, wie in vielen anderen Fällen, das größte Gewicht legen, gibt uns bloß die quantitative Beweisführung für die Theorie, sie gewährt uns nicht die mindeste Einsicht in das qualitative Wesen der Erscheinungen. Die unvermittelte Fernwirkung, welche Newton aus seinem Gravitationsgesetz ableitete, und welche zu einem der wichtigsten und gefährlichsten Dogmen der späteren Physik wurde, gibt uns nicht den mindesten Aufschluß über die eigentlichen Ursachen der Massenanziehung; vielmehr versperrt sie uns den Weg zu deren Erkenntnis. Ich vermute, daß die fortgesetzten Spekulationen über seine mysteriöse Fernwirkung nicht wenig dazu beigetragen haben, den scharfsinnigen englischen Mathematiker später in das dunkle Labyrinth mystischer Träumerei und theistischen Aberglaubens zu verführen, in dem er die letzten 34 Jahre seines Lebens wandelte; er stellte zuletzt sogar metaphysische Hypothesen über die Wahrsagerei des Propheten Daniel auf und über die widersinnigen Phantastereien der Offenbarung Sankt Johannis.

In prinzipiellem Gegensatz zu der herrschenden Vibrationslehre oder der kinetischen Substanztheorie steht die moderne Densationslehre oder die pyknotische Substanztheorie. Dieselbe ist am eingehendsten von J. G. Vogt (in Leipzig) begründet in seinem ideenreichen Werke über »Das Wesen der Elektrizität und des Magnetismus auf Grund eines einheitlichen Substanzbegriffes« (1891). Vogt nimmt als die gemeinsame Urkraft des Weltalls, als die universelle Prodynamis, nicht die Schwingung oder Vibration der bewegten Massenteilchen im leeren Raume an, sondern die individuelle Verdichtung oder Densation einer einheitlichen Substanz, welche den ganzen unendlichen Weltraum kontinuierlich, d.h. lückenlos[224] und ununterbrochen erfüllt; die einzige derselben innewohnende mechanische Wirkungsform (Agens) besteht darin, daß durch das Verdichtungs- oder Kontraktionsbestreben unendlich kleine Verdichtungszentren entstehen, die zwar ihren Dichtegrad und damit ihr Volumen ändern können, aber an und für sich beständig sind. Diese individuellen kleinsten Teilchen der universalen Substanz, die Verdichtungszentren, die man Pyknatome nennen könnte, entsprechen im allgemeinen den Uratomen oder letzten diskreten Massenteilchen des kinetischen Substanzbegriffes; sie unterscheiden sich aber sehr wesentlich dadurch, daß sie Empfindung und Streben (oder Willensbewegung einfachster Art) besitzen, also im gewissen Sinne beseelt sind – ein Anklang an des alten Empedokles Lehre vom »Lieben und Hassender Elemente«. Auch schweben diese »beseelten Atome« nicht im leeren Raume, sondern in der kontinuierlichen, äußerst dünnen Zwischensubstanz, welche den nicht verdichteten Teil der Ursubstanz darstellt. Durch gewisse »Konstellationen, Störungszentren oder Deformierungssysteme«, treten große Massen von Verdichtungszentren rasch in gewaltiger Ausdehnung zusammen und erlangen ein Übergewicht über die umlagernden Massen. Dadurch scheidet oder differenziert sich die Substanz, die im ursprünglichen Ruhezustand überall die gleiche mittlere Dichte besitzt, in zwei Hauptteile: die Störungszentren, welche die mittlere Dichte durch Pyknose positiv überschreiten, bilden die wägbaren Massen der Weltkörper (die sogenannte »ponderable Materie«); die dünnere Zwischensubstanz dagegen, welche zwischen ihnen den Raum erfüllt und die mittlere Dichte negativ überschreitet, bildet den Äther (die »imponderable Materie«). Die Folge dieser Scheidung zwischen Masse und Äther ist ein ununterbrochener Kampf dieser beiden antagonistischen Substanzteile, und dieser Kampf ist die Ursache aller physikalischen Prozesse. Die positive Masse, der Träger des Lustgefühls, strebt immer mehr, den begonnenen[225] Verdichtungsprozeß zu vollenden, und sammelt die höchsten Werte potentieller Energie; der negative Äther umgekehrt sträubt sich in gleichem Maße gegen jede weitere Steigerung seiner Spannung und des damit verknüpften Unlustgefühls; er sammelt die höchsten Werte aktueller Energie.

Es würde hier viel zu weit führen, wollte ich näher auf die sinnreiche Verdichtungstheorie von J. G. Vogt eingehen; der Leser, der sich dafür interessiert, muß die Vorstellungsgruppen, deren Schwierigkeit im Gegenstande selbst liegt, in dem klar geschriebenen, populären Auszug aus dem zweiten Bande des zitierten Werkes zu erfassen suchen. Ich selbst bin zu wenig mit Physik und Mathematik vertraut, um die Licht- und Schattenseiten derselben kritisch sondern zu können; ich glaube jedoch, daß dieser pyknotische Substanzbegriff für jeden Biologen, der von der Einheit der Natur überzeugt ist, in mancher Hinsicht annehmbarer erscheint als der gegenwärtig in der Physik herrschende kinetische Substanzbegriff. Ein Mißverständnis kann leicht dadurch entstehen, daß Vogt seinen Weltprozeß der Verdichtung in prinzipiellen Gegensatz stellt zu dem allgemeinen Vorgang der Bewegung – er meint damit die Schwingung im Sinne der modernen Physik. Auch seine hypothetische »Verdichtung« (Pyknosis) ist ebenso durch Bewegung der Substanz bedingt wie die hypothetische »Schwingung« (Vibration); nur ist die Art der Bewegung und das Verhalten der bewegten Substanzteilchen nach der ersteren Hypothese ganz anders als nach der letzteren. Übrigens wird durch die Verdichtungslehre keineswegs die gesamte Schwingungslehre beseitigt, sondern nur ein wichtiger Teil derselben.

Die moderne Physik hält gegenwärtig zum größten Teile noch an der älteren Vibrationstheorie fest, an der Vorstellung der unvermittelten Fernwirkung und der ewigen Schwingung toter Atome im leeren Raume; sie verwirft daher die Pyknosetheorie. Wenn diese letztere nun auch keineswegs vollendet sein mag, und wenn Vogts originelle Spekulationen auch[226] mehrfach irre gehen, so erblicke ich doch ein großes Verdienst dieses Naturphilosophen darin, daß er jene unhaltbaren Prinzipien der kinetischen Substanztheorie eliminiert. Für meine eigene Vorstellung, wie für diejenige vieler anderer denkender Naturforscher, muß ich die folgenden, in Vogts pyknotischer Substanztheorie enthaltenen Grundsätze als unentbehrlich für eine wirklich monistische, das ganze organische und anorganische Naturgebiet umfassende Substanzansicht hinstellen: I. Die beiden Hauptbestandteile der Substanz, Masse und Äther, sind nicht tot und nur durch äußere Kräfte beweglich, sondern sie besitzen Empfindung und Willen (natürlich niedersten Grades!); sie empfinden Lust bei Verdichtung, Unlust bei Spannung; sie streben nach der ersteren und kämpfen gegen letztere. II. Es gibt keinen leeren Raum; der Teil des unendlichen Raumes, welchen nicht die Massenatome einnehmen, ist von Äther erfüllt. III. Es gibt keine unvermittelte Fernwirkung durch den leeren Raum; alle Wirkung der Körpermassen aufeinander ist entweder durch unmittelbare Berührung, durch Kontakt der Massen bedingt, oder sie wird durch den Äther vermittelt.

Die beiden Substanztheorien, die wir vorstehend einander gegenübergestellt haben, sind beide im Prinzip monistisch, da der Gegensatz zwischen den beiden Hauptbestandteilen der Substanz, Masse und Äther, kein ursprünglicher ist; auch muß eine beständige direkte Berührung und Wechselwirkung beider Substanzen aufeinander angenommen werden. Ganz anders verhält es sich mit den dualistischen Substanztheorien, welche noch heute in der dualistischen und spiritualistischen Philosophie herrschend sind; diese werden auch von der einflußreichen Theologie gestützt, soweit sich dieselbe überhaupt auf solche metaphysische Spekulationen einläßt. Hiernach sind zwei ganz verschiedene Hauptbestandteile der Substanz zu unterscheiden, materielle und immaterielle. Die materielle Substanz bildet die »Körperwelt«, deren Erforschung Objekt der Physik und[227] Chemie ist; hier allein gilt das Gesetz von der Erhaltung der Materie und Energie (soweit man nicht überhaupt an deren »Erschaffung aus Nichts« und andere Wunder glaubt!). Die immaterielle Substanz hingegen bildet die »Geisterwelt«, in welcher jenes Gesetz nicht gilt; hier gelten die Gesetze der Physik und Chemie entweder gar nicht, oder sie sind der »Lebenskraft« unterworfen, oder dem »freien Willen«, oder der »göttlichen Allmacht«, oder anderen solchen Gespenstern, von denen die kritische Wissenschaft nichts weiß. Eigentlich bedürfen diese prinzipiellen Irrtümer heute keiner Widerlegung mehr; denn die Erfahrung hat uns bis auf den heutigen Tag keine einzige immaterielle Substanz kennen gelehrt, keine einzige Kraft, welche nicht an den Stoff gebunden ist, keine einzige Form der Energie, welche nicht durch Bewegungen der Materie vermittelt wird, sei es nun der Masse oder des Äthers oder beider Bestandteile. Auch die kompliziertesten und vollkommensten Energieformen, welche wir kennen, das Seelenleben der höheren Tiere, Denken und Vernunft des Menschen, beruhen auf materiellen Vorgängen, auf Veränderungen im Neuroplasma der Ganglienzellen; sie sind ohne dieselben nicht möglich. Daß die physiologische Hypothese einer besonderen immateriellen »Seelensubstanz« unhaltbar ist, habe ich schon früher nachgewiesen.

Die Erkenntnis dieses wägbaren Teiles der Materie ist in erster Linie Gegenstand der Chemie. Allbekannt sind die erstaunlichen theoretischen Fortschritte, welche die Wissenschaft im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, und der ungeheure Einfluß, welchen sie auf alle Seiten des praktischen Kulturlebens gewonnen hat. Wir begnügen uns daher mit wenigen Bemerkungen über die wichtigsten prinzipiellen Fragen von der Natur der Masse. Der analytischen Chemie ist es bekanntlich gelungen, alle die unzähligen verschiedenen Naturkörper durch Zerteilung auf eine geringe Anzahl von Urstoffen oder Elementen zurückzuführen, d.h. auf einfache Körper,[228] welche nicht weiter zerlegt werden können. Die Zahl dieser Elemente beträgt ungefähr achtzig. Nur der kleinere Teil derselben (eigentlich nur vierzehn) ist allgemein auf der Erde verbreitet und von hoher Bedeutung; die größere Hälfte besteht aus seltenen und weniger wichtigen Elementen (meistens Metallen). Die gruppenweise Verwandtschaft dieser Elemente und die merkwürdigen Beziehungen ihrer Atomgewichte, welche Lothar Meyer und Mendelejeff in ihrem »Periodischen System der Elemente« nachgewiesen haben, machen es sehr wahrscheinlich, daß dieselben keine absoluten Spezies der Masse, keine ewig unveränderlichen Größen sind. Man hat nach jenem System die 90 Elemente auf acht Hauptgruppen verteilt und innerhalb derselben nach der Größe ihrer Atomgewichte geordnet, so daß die chemisch ähnlichen Elemente Familienreihen bilden. Die gruppenweisen Beziehungen im natürlichen System der Elemente erinnern einerseits an ähnliche Verhältnisse der mannigfach zusammengesetzten Kohlenstoffverbindungen, andererseits an die Beziehungen paralleler Gruppen, wie sie im natürlichen System der Tier- und Pflanzenarten sich zeigen. Wie nun in diesen letzteren Fällen die »Verwandtschaft« der ähnlichen Gestalten auf Abstammung von gemeinsamen einfachen Stammformen beruht, so ist es sehr wahrscheinlich, daß auch dasselbe für die Familien und Ordnungen der Elemente gilt. Wir dürfen daher annehmen, daß die jetzigen »empirischen Elemente« keine wirklich einfachen und unveränderlichen »Spezies der Masse« sind, sondern ursprünglich zusammengesetzt aus gleichartigen einfachen Uratomen in verschiedener Zahl und Lagerung. Neuerdings haben die Spekulationen von Gustav Wendt, Wilhelm Preyer, W. Crookes u. a. gezeigt, in welcher Weise man sich die Sonderung der Elemente aus einem einzigen ursprünglichen Urstoff, dem Prothyl, vorstellen kann. (In neuester Zeit haben die berühmten Radiumforschungen ergeben, daß gewisse Elemente in andere übergeführt werden können.)[229]

Die moderne Atomlehre, wie sie heute der Chemie als unentbehrliches Hilfsmittel erscheint, ist wohl zu unterscheiden von dem alten philosophischen Atomismus, wie er schon vor mehr als zweitausend Jahren von hervorragenden monistischen Philosophen des Altertums gelehrt wurde, von Leukippos, Demokritos und Lucretius; später fand derselbe eine weitere und mannigfach verschiedene Ausbildung durch Descartes, Hobbes, Leibniz und andere hervorragende Philosophen. Eine bestimmte annehmbare Fassung und empirische Begründung fand aber der moderne Atomismus erst 1808 durch den englischen Chemiker Dalton, welcher das »Gesetz der einfachen und multiplen Proportionen« bei der Bildung chemischer Verbindungen aufstellte. Er bestimmte zuerst die Atomgewichte der einzelnen Elemente und schuf damit die unerschütterliche, exakte Basis, auf welcher die neueren chemischen Theorien ruhen; diese sind sämtlich atomistisch, insofern sie die Elemente aus gleichartigen, kleinsten, diskreten Teilchen zusammengesetzt annehmen, die nicht weiter zerlegt werden können. Dabei bleibt die Frage nach dem eigentlichen Wesen der Atome, ihrer Gestalt, Größe, Beseelung usw. ganz außer Spiele; denn diese Qualitäten derselben sind hypothetisch, ebenso wie die moderne Elektronentheorie. Empirisch dagegen ist der Chemismus der Atome oder ihre »chemische Affinität«, d.h. die konstante Proportion, in der sie sich mit den Atomen anderer Elemente verbinden.

Das verschiedene Verhalten der einzelnen Elemente gegeneinander, das die Chemie als »Affinität oder Verwandtschaft« bezeichnet, ist eine der wichtigsten Eigenschaften der Masse und äußert sich in den verschiedenen Mengenverhältnissen oder Proportionen, in denen ihre Verbindung stattfindet, und in der Intensität, mit der dieselbe erfolgt. Alle Grade der Zuneigung, von der vollkommenen Gleichgültigkeit bis zur heftigsten Leidenschaft, finden sich in dem chemischen Verhalten der verschiedenen Elemente gegeneinander ebenso wieder, wie sie in der[230] Psychologie des Menschen und namentlich in der Zuneigung der beiden Geschlechter die größte Rolle spielen. Goethe hat bekanntlich in seinem klassischen Roman »Die Wahlverwandtschaften« die Verhältnisse der Liebespaare in eine Reihe gestellt mit der gleichnamigen Erscheinung bei Bildung chemischer Verbindungen. Die unwiderstehliche Leidenschaft, welche Eduard zu der sympathischen Ottilie, Paris zu Helena hinzieht und alle Hindernisse der Vernunft und Moral überwindet, ist dieselbe mächtige »unbewußte« Attraktionskraft, welche bei der Befruchtung der Tier- und Pflanzeneier den lebendigen Samenfaden zum Eindringen in die Eizelle (aber auch zur Äpfelsäure!) antreibt; dieselbe heftige Bewegung, durch welche zwei Atome Wasserstoff und ein Atom Sauerstoff sich zur Bildung von einem Molekül Wasser vereinigen. Diese prinzipielle Einheit der Wahlverwandtschaft in der ganzen Natur, vom einfachsten chemischen Prozeß bis zu dem verwickeltsten Liebesroman hinauf, hat schon der große griechische Naturphilosoph Empedokles im fünften Jahrhundert v. Chr. erkannt, in seiner Lehre vom »Lieben und Hassender Elemente«. Sie findet ihre empirische Bestätigung durch die interessanten Fortschritte der Zellularpsychologie, deren hohe Bedeutung wir erst in den letzten vierzig Jahren gewürdigt haben. Wir gründen darauf unsere Überzeugung, daß auch schon den Atomen die einfachste Form der Empfindung und des Willens innewohnt – oder besser gesagt: der Fühlung (Aesthesis) und Strebung (Tropesis) - , also eine universale »Seele« von primitivster Art (noch ohne Bewußtsein! -). Dasselbe gilt auch von den Molekülen oder Massenteilchen, welche aus zwei oder mehreren Atomen sich zusammensetzen. Aus der weiteren Verbindung verschiedener solcher individueller Moleküle entstehen dann die einfachen und weiterhin die zusammengesetzten chemischen Verbindungen, in deren Aktion sich dasselbe Spiel in verwickelterer Form wiederholt.

Die Erkenntnis dieses unwägbaren Teiles der Materie[231] ist in erster Linie Gegenstand der Physik. Nachdem man schon lange die Existenz eines äußerst feinen, den Raum außerhalb der Masse erfüllenden Mediums angenommen und diesen »Äther« zur Erklärung verschiedener Erscheinungen (vor allem des Lichtes) verwendet hatte, ist uns die nähere Bekanntschaft mit diesem wunderbaren Stoffe erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gelungen, und zwar im Zusammenhange mit den erstaunlichen empirischen Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrizität, mit ihrer experimentellen Erkenntnis, ihrem theoretischen Verständnis und ihrer praktischen Verwertung. Vor allem sind hier bahnbrechend geworden die berühmten Untersuchungen von Heinrich Hertz in Bonn (1888). Der frühzeitige Tod dieses genialen jungen Physikers, der das Größte zu erreichen versprach, ist nicht genug zu beklagen; er gehört ebenso wie der allzu frühe Tod von Spinoza, von Raffael, von Schubert und vielen anderen genialen Jünglingen zu jenen brutalen Tatsachen der menschlichen Geschichte, welche für sich allein schon den unhaltbaren Mythus von einer »weisen Vorsehung« und von einem »all-liebenden Vater im Himmel« gründlich widerlegen.

Die Existenz des Äthers oder »Weltäthers« (Kosmoäthers) als realer Materie gilt gegenwärtig als positive Tatsache. Man kann allerdings auch heute noch vielfach lesen, daß der Äther eine »bloße Hypothese« sei; diese irrtümliche Behauptung wird nicht nur von unkundigen Philosophen und populären Schriftstellern wiederholt, sondern auch von einzelnen »vorsichtigen exakten Physikern«. Mit demselben Rechte müßte man aber auch die Existenz der ponderablen Materie, der Masse, leugnen. Freilich gibt es heute noch Metaphysiker, die auch dieses Kunststück zustande bringen, und deren höchste Weisheit darin besteht, die Realität der Außenwelt zu leugnen oder doch zu bezweifeln; nach ihnen existiert eigentlich nur ein einziges reales Wesen, nämlich ihre eigene teure Person oder vielmehr deren[232] unsterbliche Seele. Neuerdings haben sogar einige hervorragende Physiologen diesen ultra-idealistischen Standpunkt akzeptiert, der schon in der Metaphysik von Descartes, Berkeley, Fichte u. a. ausgebildet war; ihr »Psychomonismus« behauptet: »Es existiert nur eins, und das ist meine Psyche«. Uns scheint diese kühne, spiritualistische Behauptung auf einer irrtümlichen Schlußfolgerung aus der kritischen Erkenntnis zu beruhen, daß wir die umgebende Außenwelt nur in derjenigen Erscheinung erkennen können, welche uns durch unsere menschlichen Erkenntnisorgane zugänglich ist, durch das Gehirn und die Sinnesorgane. Wenn wir aber durch deren Funktion nur eine unvollkommene und beschränkte Kenntnis von der Körperwelt erlangen können, so dürfen wir daraus nicht das Recht entnehmen, ihre Existenz zu leugnen. In meiner Vorstellung wenigstens existiert der Äther ebenso sicher wie die Masse; ebenso sicher wie ich selbst, wenn ich jetzt darüber nachdenke und schreibe. Wie wir uns von der Realität der ponderablen Materie durch Maß und Gewicht, durch chemische und mechanische Experimente überzeugen, so von denjenigen des imponderablen Äthers durch die optischen und elektrischen Erfahrungen und Versuche.

Wenn nun auch heute von fast allen Physikern die reale Existenz des Äthers als eine positive Tatsache betrachtet wird, und wenn uns auch viele Wirkungen dieser wunderbaren Materie durch unzählige Erfahrungen, besonders optische und elektrische Versuche, genau bekannt sind, so ist es doch bisher nicht gelungen, Klarheit und Sicherheit über ihr eigentliches Wesen zu gewinnen. Vielmehr gehen auch heute noch die Ansichten der hervorragendsten Physiker, die sie speziell studiert haben, sehr weit auseinander; ja, sie widersprechen sich sogar in den wichtigsten Punkten. Es steht daher jedem frei, sich bei der Wahl zwischen den widersprechendsten Hypothesen seine eigene Meinung zu bilden, entsprechend dem Grade seiner Sachkenntnis und Urteilskraft (die ja beide immer unvollkommen bleiben!). Die Meinung,[233] die ich persönlich (als bloßer Dilettant auf diesem Gebiete!) mir durch reifliches Nachdenken gebildet habe, fasse ich in folgenden acht Sätzen zusammen:

I. Der Äther erfüllt als kontinuierliche Materie den ganzen Weltraum, soweit dieser nicht von der Masse (oder der ponderablen Materie) eingenommen ist; er füllt auch alle Zwischenräume zwischen den Atomen der letzteren vollständig aus. II. Der Äther besitzt wahrscheinlich noch keinen Chemismus und ist noch nicht aus Atomen zusammengesetzt wie die Masse; wenn man annimmt, derselbe sei aus äußerst kleinen, gleichartigen Atomen zusammengesetzt (z.B. unteilbaren Ätherkugeln von gleicher Größe), so muß man weiterhin auch annehmen, daß zwischen denselben noch etwas anderes existiert, entweder der »leere Raum« oder ein drittes (ganz unbekanntes) Medium, ein völlig hypothetischer »Interäther«; bei der Frage nach dessen Wesen würde sich dann dieselbe Schwierigkeit wie beim Äther erheben (in infinitum!). III. Da die Annahme des leeren Raumes und der unvermittelten Fernwirkung beim jetzigen Stande unseres Natur kennens kaum mehr möglich ist (wenigstens zu keiner klaren monistischen Vorstellung führt), so nehme ich eine eigentümliche Struktur des Äthers an, die nicht atomistisch ist wie diejenige der ponderablen Masse, und die man vorläufig (ohne weitere Bestimmung) als ätherische oder dynamische Struktur bezeichnen kann. IV. Der Aggregatzustand des Äthers ist, dieser Hypothese zufolge, ebenfalls eigentümlich und von demjenigen der Masse verschieden; er ist weder gasförmig, wie einige, noch fest, wie andere Physiker annehmen; die beste Vorstellung gewinnt man vielleicht durch den Vergleich mit einer äußerst feinen, elastischen und leichten Gallerte. V. Der Äther ist imponderable Materie in dem Sinne, daß wir kein Mittel besitzen, sein Gewicht experimentell zu bestimmen; wenn er wirklich Gewicht besitzt, was sehr wahrscheinlich ist, so ist dasselbe äußerst gering und für unsere feinsten Wagen unwägbar. Einige Physiker haben versucht, aus[234] der Energie der Lichtwellen das Gewicht des Äthers zu berechnen; sie haben gefunden, daß es etwa 15 Trillionen mal geringer sei als das der atmosphärischen Luft; immerhin soll eine Ätherkugel vom Volumen unserer Erde mindestens 250 Pfund wiegen (?). VI. Der ätherische Aggregatzustand kann wahrscheinlich (der Pyknosetheorie entsprechend) unter bestimmten Bedingungen durch fortschreitende Verdichtung in den gasförmigen Zustand der Masse übergehen, ebenso wie dieser letztere durch Abkühlung in den flüssigen und weiterhin in den festen übergeht. VII. Diese Aggregatzustände der Materie ordnen sich demnach (was für die monistische Kosmogenie sehr wichtig ist) in eine genetische, kontinuierliche Reihe; wir unterscheiden fünf Stufen derselben: 1. der ätherische, 2. der gasförmige, 3. der flüssige, 4. der festflüssige (im lebenden Plasma), 5. der feste Zustand. VIII. Der Äther ist ebenso unendlich und unermeßlich wie der Raum, den er ausfüllt; er befindet sich in ununterbrochener Bewegung; dieser eigentümliche Äthermotus (gleichviel, ob als Schwingung, Spannung, Verdichtung usw. aufgefaßt), in Wechselwirkung mit den Massenbewegungen (Gravitation), ist die letzte Ursache aller Erscheinungen. (Thesen von 1899, nur von provisorischer Bedeutung.)

»Die gewaltige Hauptfrage nach dem Wesen des Äthers«, wie sie Hertz mit Recht nennt, schließt auch diejenige seiner Beziehungen zur Masse ein; denn beide Hauptbestandteile der Materie befinden sich nicht nur überall in innigster äußerer Berührung, sondern auch in ewiger dynamischer Wechselwirkung. Man könnte die allgemeinsten Naturerscheinungen, welche die Physik als Naturkräfte oder als »Funktionen der Materie« unterscheidet, in zwei Gruppen teilen, von denen die eine vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) Funktion des Äthers, die andere ebenso Funktion der Masse ist, etwa nach folgendem Schema, das ich (1892) im »Monismus« aufgestellt habe:


Welt

[235] (= Natur = Substanz = Kosmos = Universum = Gott)


I. ÄTHER

II. MASSE

(= Imponderabile,

(= Ponderabile,

gespannte Substanz)

verdichtete Substanz)


1. Aggregatzustand:

ätherisch

nicht ätherisch

(weder gasförmig,

(sondern gasförmig,

noch flüssig

flüssig

noch fest).

oder fest).


2. Struktur:

nicht atomistisch,

atomistisch,

kontinuierlich,

diskontinuierlich,

nicht aus diskreten

aus kleinsten diskreten

Teilchen (Atomen)

Teilchen (Atomen)

zusammengesetzt.

zusammengesetzt.


3. Hauptfunktionen:

Licht, Strahlwärme,

Schwere, Trägheit,

Elektrizität,

Massenwärme

Magnetismus.

Chemismus.


Die beiden Gruppen von Funktionen der Materie, welche in diesem Schema gegenübergestellt sind, könnten gewissermaßen als Folgen der ersten Arbeitsteilung des Stoffes betrachtet werden, als primäre Ergonomie der Materie. Diese Unterscheidung bedeutet aber keine absolute Trennung der beiden entgegengesetzten Gruppen; vielmehr bleiben beide trotzdem vereinigt, behalten ihren Zusammenhang und stehen überall in beständiger Wechselwirkung. Wie bekannt, sind optische und elektrische Vorgänge des Äthers eng verknüpft mit mechanischen und chemischen Veränderungen der Masse; die strahlende Wärme des ersteren geht direkt über in die Massenwärme oder mechanische Wärme der letzteren; die Gravitation kann nicht wirken, ohne daß der Äther die Massenanziehung der getrennten Atome vermittelt, da wir keine Fernwirkung annehmen können. Die Verwandlung einer Energieform in die andere, wie sie das Gesetz von der Erhaltung der Kraft nachweist, bestätigt zugleich die beständige Wechselwirkung zwischen den beiden Hauptteilen der Substanz, Äther und Masse.

Das große Grundgesetz der Natur, welches wir als Substanzgesetz an die Spitze aller physikalischen Betrachtungen stellen, wurde ursprünglich von Robert Mayer, der es aufstellte (1842), und von Helmholtz, der es ausführte (1847), als das Gesetz von der Erhaltung[236] der Kraft bezeichnet. Schon zehn Jahre früher hatte ein anderer deutscher Naturforscher, Friedrich Mohr in Bonn, die wesentlichen Grundgedanken desselben klar entwickelt (1837). Später wurde der alte Begriff der Kraft durch die moderne Physik von demjenigen der Energie getrennt, der ursprünglich gleichbedeutend war. Demnach wird jetzt dasselbe Gesetz gewöhnlich als das »Gesetz von der Konstanz der Energie« bezeichnet. Für die allgemeine Betrachtung desselben, mit der ich mich hier begnügen muß, und für das große Prinzip von der »Erhaltung der Substanz« kommt dieser feinere Unterschied nicht in Betracht. Der Leser, der sich dafür interessiert, findet eine sehr klare Auseinandersetzung darüber z.B. in dem ausgezeichneten Aufsatz des englischen Physikers Tyndall über »Das Grundgesetz der Natur« (Braunschweig 1898). Dort ist auch eingehend die universale Bedeutung dieses kosmologischen Grundgesetzes erläutert, sowie seine Anwendung auf die wichtigsten Probleme sehr verschiedener Gebiete. Wir begnügen uns hier mit der wichtigen Tatsache, daß gegenwärtig das »Energieprinzip« und die damit verknüpfte Überzeugung von der Einheit der Naturkräfte, von ihrem gemeinsamen Ursprung, durch alle kompetenten Physiker anerkannt und als der wichtigste Fortschritt im neunzehnten Jahrhundert gewürdigt wird. Wir wissen jetzt, daß Wärme ebensogut eine Form der Bewegung ist wie Schall, Elektrizität ebenso wie Licht, Chemismus ebenso wie Magnetismus. Wir können durch geeignete Vorrichtungen eine dieser Kräfte in die andere verwandeln, und überzeugen uns dabei durch genaueste Messung, daß von ihrer Gesamtsumme niemals das kleinste Teilchen verloren geht.

Die Gesamtsumme der Kraft oder Energie im Weltall bleibt beständig, gleichviel, welche Veränderungen uns erscheinen; sie ist ewig und unendlich wie die Materie, an die sie untrennbar gebunden ist. Das ganze Spiel der Natur beruht auf dem Wechsel von scheinbarer Ruhe und Bewegung; die ruhenden[237] Körper besitzen aber ebenso eine unverlierbare Größe von Kraft wie die bewegten. Bei der Bewegung selbst verwandelt sich die Spannkraft der ersteren in die lebendige Kraft der letzteren. »Indem das Prinzip der Erhaltung der Kraft sowohl die Abstoßung als die Anziehung in Betracht zieht, behauptet es, daß der mechanische Wert der Spannkräfte und der lebendigen Kräfte in der materiellen Welt eine konstante Quantität ist. Kurz gesagt, zerfällt der Kraftbesitz des Universums in zwei Teile, die nach einem bestimmten Wertverhältnis ineinander verwandelt werden können. Die Verminderung des einen bringt die Vergrößerung des anderen mit sich; der Gesamtwert seines Besitzes bleibt jedoch unverändert.« Die Spannkraft oder die potentielle Energie und die lebendige Kraft oder die aktuelle Energie (- auch Triebkraft genannt -) werden beständig ineinander umgewandelt, ohne daß die unendliche Gesamtsumme der Kraft im unendlichen Weltall jemals den geringsten Verlust erleidet.

Nachdem die moderne Physik das Substanzgesetz zunächst für die einfacheren Beziehungen der anorganischen Körper festgestellt hatte, wies die Physiologie dessen allgemeine Geltung auch im Gesamtbereiche der organischen Natur nach. Sie zeigte, daß alle Lebenstätigkeiten der Organismen – ohne Ausnahme! – ebenso auf einem beständigen »Kraftwechsel« und einem damit verknüpften »Stoffwechsel« beruhen wie die einfachsten Vorgänge in der sogenannten »leblosen Natur«. Nicht nur das Wachstum und die Ernährung der Pflanzen und Tiere, sondern auch die Funktionen ihrer Empfindung und Bewegung, ihrer Sinnestätigkeit und ihres Seelenlebens, beruhen auf der Verwandlung von Spannkraft in lebendige Kraft und umgekehrt. Dieses höchste Gesetz beherrscht auch diejenigen vollkommensten Leistungen des Nervensystems, welche man bei den höheren Tieren und beim Menschen als das »Geistesleben« bezeichnet. Somit gilt dasselbe Gesetz auch für die gesamte Psychologie.[238]

Unsere feste und klare monistische Überzeugung, daß das kosmologische Grundgesetz allgemeine Geltung für die gesamte Natur besitzt, nimmt die höchste Bedeutung in Anspruch. Denn dadurch wird nicht nur positiv die prinzipielle Einheit des Kosmos und der kausale Zusammenhang aller uns erkennbaren Erscheinungen bewiesen, sondern es wird dadurch zugleich negativ der höchste intellektuelle Fortschritt erzielt, der definitive Sturz der drei Zentraldogmen der Metaphysik: »Gott, Freiheit und Unsterblichkeit«. Der persönliche Anthropismus dieser drei Dichtungsgebilde wird offenbar. Indem das Substanzgesetz überall mechanische Ursachen in den Erscheinungen nachweist, verknüpft es sich mit dem »allgemeinen Kausalgesetz«.[239]

Quelle:
Ernst Haeckel: Gemeinverständliche Werke. Band 3, Leipzig und Berlin [o.J.], S. 218-240.
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