α). Anschauung
§ 446

[246] Der Geist, der als Seele natürlich bestimmt, als Bewußtsein im Verhältnis zu dieser Bestimmtheit als zu einem äußeren Objekte ist, als Intelligenz aber 1. sich selbst so bestimmt findet, ist sein dumpfes Weben in sich, worin er sich stoffartig ist und den ganzen Stoff seines Wissens hat. Um der Unmittelbarkeit willen, in welcher er so zunächst ist, ist er darin schlechthin nur als ein einzelner und gemein-subjektiver und erscheint so als fühlender.

Wenn schon früher (§ 399 ff.) das Gefühl als eine Existenzweise der Seele vorkam, so hat das Finden oder die Unmittelbarkeit daselbst wesentlich die Bestimmung des natürlichen Seins oder der Leiblichkeit, hier aber nur abstrakt der Unmittelbarkeit überhaupt.
[246]


§ 447

Die Form des Gefühls ist, daß es zwar eine bestimmte Affektion, aber diese Bestimmtheit einfach ist. Darum hat ein Gefühl, wenn sein Inhalt doch der gediegenste und wahrste ist, die Form zufälliger Partikularität, außerdem daß der Inhalt ebensowohl der dürftigste und unwahrste sein kann.

Daß der Geist in seinem Gefühle den Stoff seiner Vorstellungen hat, ist eine sehr allgemeine Voraussetzung, aber gewöhnlicher in dem entgegengesetzten Sinne von dem, den dieser Satz hier hat. Gegen die Einfachheit des Gefühls pflegt vielmehr das Urteil überhaupt, die Unterscheidung des Bewußtseins in ein Subjekt und Objekt, als das Ursprüngliche vorausgesetzt zu werden; so wird dann die Bestimmtheit der Empfindung von einem selbständigen äußerlichen oder innerlichen Gegenstande abgeleitet. Hier in der Wahrheit des Geistes ist dieser seinem Idealismus entgegengesetzte Standpunkt des Bewußtseins untergegangen und der Stoff des Gefühls vielmehr bereits als dem Geiste immanent gesetzt. In betreff des Inhalts ist es gewöhnliches Vorurteil, daß im Gefühl mehr sei als im Denken, insbesondere wird dies in Ansehung der moralischen und religiösen Gefühle statuiert. Der Stoff, der sich der Geist als fühlend ist, hat sich auch hier als das an und für sich Bestimmtsein der Vernunft ergeben; es tritt darum aller vernünftige und näher auch aller geistige Inhalt in das Gefühl ein. Aber die Form der selbstischen Einzelheit, die der Geist im Gefühle hat, ist die unterste und schlechteste, in der er nicht als Freies, als unendliche Allgemeinheit, – sein Gehalt und Inhalt vielmehr als ein Zufälliges, Subjektives, Partikuläres ist. Gebildete, wahrhafte Empfindung ist die Empfindung eines gebildeten Geistes,[247] der sich das Bewußtsein von bestimmten Unterschieden, wesentlichen Verhältnissen, wahrhaften Bestimmungen usf. erworben [hat] und bei dem dieser berichtigte Stoff es ist, der in sein Gefühl tritt, d.i. diese Form erhält. Das Gefühl ist die unmittelbare, gleichsam präsenteste Form, in der sich das Subjekt zu einem gegebenen Inhalt verhält; es reagiert zuerst mit seinem besonderen Selbstgefühle dagegen, welches wohl gediegener und umfassender sein kann als ein einseitiger Verstandesgesichtspunkt, aber ebensosehr auch beschränkt und schlecht; auf allen Fall ist es die Form des Partikulären und Subjektiven. Wenn ein Mensch sich über etwas nicht auf die Natur und den Begriff der Sache oder wenigstens auf Gründe, die Verstandesallgemeinheit, sondern auf sein Gefühl beruft, so ist nichts anderes zu tun, als ihn stehenzulassen, weil er sich dadurch der Gemeinschaft der Vernünftigkeit verweigert, sich in seine isolierte Subjektivität, die Partikularität, einschließt.


§ 448

[248] 2. In der Diremtion dieses unmittelbaren Findens ist das eine Moment die abstrakte identische Richtung des Geistes im Gefühle wie in allen anderen seiner weiteren Bestimmungen, die Aufmerksamkeit, ohne welche nichts für ihn ist; – die tätige Erinnerung, das Moment des Seinigen, aber als die noch formelle Selbstbestimmung der Intelligenz. Das andere Moment ist, daß sie gegen diese ihre Innerlichkeit die Gefühlsbestimmtheit als ein Seiendes, aber als ein Negatives, als das abstrakte Anderssein seiner selbst setzt. Die Intelligenz bestimmt hiermit den Inhalt der Empfindung als außer sich Seiendes, wirft ihn in Raum und Zeit hinaus, welches die Formen sind, worin sie anschauend ist. Nach dem Bewußtsein ist der Stoff nur Gegenstand desselben, relatives Anderes; von dem Geiste aber erhält er die vernünftige Bestimmung, das Andere seiner selbst zu sein (vgl. § 247, 254).
[249]

§ 449

3. Die Intelligenz als diese konkrete Einheit der beiden Momente, und zwar unmittelbar in diesem äußerlich-seienden Stoffe in sich erinnert und in ihrer Erinnerung-in-sich in das Außersichsein versenkt zu sein, ist Anschauung.
[253]

§ 450

Auf und gegen dies eigene Außersichsein richtet die Intelligenz ebenso wesentlich ihre Aufmerksamkeit und ist das Erwachen zu sich selbst in dieser ihrer Unmittelbarkeit, ihre Erinnerung-in-sich in derselben; so ist die Anschauung dies Konkrete des Stoffs und Ihrer selbst, das Ihrige, so daß sie diese Unmittelbarkeit und das Finden des Inhalts nicht mehr nötig hat.[256]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 10, Frankfurt a. M. 1979, S. 246-250,253-254,256-257.
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