β). Der Unterschied
§ 116

[239] Das Wesen ist nur reine Identität und Schein in sich selbst, als es die sich auf sich beziehende Negativität, somit Abstoßen seiner von sich selbst ist; es enthält also wesentlich die Bestimmung des Unterschieds.

Das Anderssein ist hier nicht mehr das qualitative, die Bestimmtheit, Grenze; sondern als im Wesen, dem sich auf sich beziehenden, ist die Negation zugleich als Beziehung, Unterschied, Gesetztsein, Vermitteltsein.


§ 117

Der Unterschied ist 1. unmittelbarer Unterschied, die Verschiedenheit, in der die Unterschiedenen jedes für sich ist, was es ist, und gleichgültig gegen seine Beziehung auf das Andere, welche also eine ihm äußerliche ist. Um der Gleichgültigkeit der Verschiedenen gegen ihren Unterschied willen[239] fällt derselbe außer ihnen in ein Drittes, Vergleichendes. Dieser äußerliche Unterschied ist als Identität der Bezogenen die Gleichheit, als Nichtidentität derselben die Ungleichheit.

Diese Bestimmungen selbst läßt der Verstand so auseinanderfallen, daß, obschon die Vergleichung ein und dasselbe Substrat für die Gleichheit und Ungleichheit hat, dies verschiedene Seiten und Rücksichten an demselben sein sollen, aber die Gleichheit für sich ist nur das vorige, die Identität, und die Ungleichheit für sich ist der Unterschied.

Die Verschiedenheit ist gleichfalls in einen Satz verwandelt worden, in den, daß alles verschieden ist oder daß es nicht zwei Dinge gibt, die einander vollkommen gleich sind. Hier wird Allem das entgegengesetzte Prädikat von der ihm im ersten Satze beigelegten Identität gegeben, also ein dem ersten widersprechendes Gesetz gegeben. Jedoch aber soll, insofern die Verschiedenheit nur der äußeren Vergleichung angehörig sei, etwas für sich selbst nur identisch mit sich und so dieser zweite Satz nicht dem ersten widersprechend sein. Dann aber gehört auch die Verschiedenheit nicht dem Etwas oder Allem an, sie macht keine wesentliche Bestimmung dieses Subjekts aus; dieser zweite Satz kann auf diese Weise gar nicht gesagt werden. – Ist aber das Etwas selbst, nach dem Satze, verschieden, so ist es dies durch seine eigene Bestimmtheit; hiermit ist dann aber nicht mehr die Verschiedenheit als solche, sondern der bestimmte Unterschied gemeint. – Dies ist auch der Sinn des Leibnizischen Satzes.
[240]

§ 118

Die Gleichheit ist eine Identität nur solcher, die nicht dieselben, nicht identisch miteinander sind, – und die Ungleichheit ist Beziehung der Ungleichen. Beide fallen also nicht in verschiedene Seiten oder Rücksichten gleichgültig auseinander, sondern eine ist ein Scheinen in die andere. Die Verschiedenheit ist daher Unterschied der Reflexion oder Unterschied an sich selbst, bestimmter Unterschied.


§ 119

[242] 2. Der Unterschied an sich ist der wesentliche, das Positive und das Negative, so daß jenes so die identische Beziehung auf sich ist, daß es nicht das Negative, und dieses das Unterschiedene so für sich ist, daß es nicht das Positive ist. Indem jedes so für sich ist, als es nicht das Andere ist, scheint jedes in dem Anderen und ist nur, insofern das Andere ist. Der Unterschied des Wesens ist daher die Entgegensetzung, nach welcher das Unterschiedene nicht ein Anderes überhaupt, sondern sein Anderes sich gegenüber hat; d.h. jedes hat seine eigene Bestimmung nur in seiner Beziehung auf das Andere, ist nur in sich reflektiert, als es in das Andere reflektiert ist, und ebenso das Andere; jedes ist so des Anderen sein Anderes.

Der Unterschied an sich gibt den Satz: »Alles ist ein wesentlich Unterschiedenes«, – oder wie er auch ausgedrückt worden ist: »Von zwei entgegengesetzten Prädikaten kommt dem Etwas nur das eine zu, und es gibt kein Drittes«. – Dieser Satz des Gegensatzes widerspricht am ausdrücklichsten dem Satze der Identität, indem Etwas nach dem einen nur die Beziehung auf sich, nach dem anderen aber ein Entgegengesetztes, die Beziehung auf sein Anderes sein soll. Es ist die eigentümliche Gedankenlosigkeit der Abstraktion, zwei solche widersprechende[243] Sätze als Gesetze nebeneinanderzustellen, ohne sie auch nur zu vergleichen. – Der Satz des ausgeschlossenen Dritten ist der Satz des bestimmten Verstandes, der den Widerspruch von sich abhalten will und, indem er dies tut, denselben begeht. A soll entweder +A oder -A sein; damit ist schon das Dritte, das A ausgesprochen, welches weder + noch – ist, und das ebensowohl auch als +A und als -A gesetzt ist. Wenn +W 6 Meilen Richtung nach Westen, -W aber 6 Meilen Richtung nach Osten bedeutet und + und – sich aufheben, so bleiben die 6 Meilen Wegs oder Raums, was sie ohne und mit dem Gegensatz waren. Selbst das bloße plus und minus der Zahl oder der abstrakten Richtung haben, wenn man will, die Null zu ihrem Dritten; aber es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß der leere Verstandesgegensatz von + und – nicht auch seine Stelle habe bei ebensolchen Abstraktionen wie Zahl, Richtung usf.

In der Lehre von den kontradiktorischen Begriffen heißt der eine Begriff z.B. Blau (auch so etwas wie die sinnliche Vorstellung einer Farbe wird in solcher Lehre Begriff genannt), der andere Nichtblau, so daß dies Andere nicht ein Affirmatives, etwa Gelb wäre, sondern nur [als] das Abstrakt-Negative festgehalten werden soll. – Daß das Negative in ihm selbst ebensosehr positiv ist, s. folg. §; dies liegt auch schon in der Bestimmung, daß das einem Anderen Entgegengesetzte sein Anderes ist. – Die Leerheit des Gegensatzes von sogenannten kontradiktorischen Begriffen hatte ihre volle Darstellung in dem sozusagen grandiosen Ausdruck eines allgemeinen Gesetzes, daß jedem Dinge von allen so entgegengesetzten Prädikaten das eine zukomme und das andere nicht, so daß der Geist sei entweder weiß oder nicht weiß, gelb oder nicht gelb usf. ins Unendliche.

Indem vergessen wird, daß Identität und Entgegensetzung selbst entgegengesetzt sind, wird der Satz der Entgegensetzung auch für den der Identität in der Form des Satzes[244] des Widerspruchs genommen und ein Begriff, dem von zwei einander widersprechenden Merkmalen keins (s. vorhin) oder alle beide zukommen, für logisch falsch erklärt, wie z.B. ein viereckiger Zirkel. Ob nun gleich ein vieleckiger Zirkel und ein geradliniger Kreisbogen ebensosehr diesem Satze widerstreitet, haben die Geometer doch kein Bedenken, den Kreis als ein Vieleck von geradlinigen Seiten zu betrachten und zu behandeln. Aber so etwas wie ein Zirkel (seine bloße Bestimmtheit) ist noch kein Begriff, im Begriffe des Zirkels ist Mittelpunkt und Peripherie gleich wesentlich, beide Merkmale kommen ihm zu; und doch ist Peripherie und Mittelpunkt einander entgegengesetzt und widersprechend.

Die in der Physik so vielgeltende Vorstellung von Polarität enthält in sich die richtigere Bestimmung der Entgegensetzung, aber wenn die Physik sich in Ansehung der Gedanken an die gewöhnliche Logik hält, so würde sie leicht erschrecken, wenn sie sich die Polarität entwickelte und zu den Gedanken käme, die darin liegen.
[245]

§ 120

Das Positive ist jenes Verschiedene, welches für sich und zugleich nicht gleichgültig gegen seine Beziehung auf sein Anderes sein soll. Das Negative soll ebenso selbständig, die negative Beziehung auf sich, für sich sein, aber zugleich als Negatives schlechthin diese seine Beziehung auf sich, sein Positives, nur im Anderen haben. Beide sind somit der gesetzte Widerspruch, beide sind an sich dasselbe. Beide sind es auch für sich, indem jedes das Aufheben des Anderen und seiner selbst ist. Sie gehen hiermit zu Grunde. – Oder unmittelbar ist der wesentliche Unterschied, als Unterschied an und für sich, nur der Unterschied seiner von ihm selbst, enthält also das Identische; zum ganzen an und für sich seienden Unterschiede gehört also sowohl er selbst als die Identität. – Als sich auf sich beziehender Unterschied ist er gleichfalls schon als das mit sich Identische ausgesprochen, und das Entgegengesetzte ist überhaupt dasjenige, welches das Eine und sein Anderes, sich und sein Entgegengesetztes, in sich selbst enthält. Das Insichsein des Wesens, so bestimmt, ist der Grund.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 8, Frankfurt a. M. 1979, S. 239-247.
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