6. Newton

[231] Das Andere ist, daß der Gedanke sich ebenso an die Natur gewendet hat; und hier ist Isaak Newton berühmt durch seine mathematischen Entdeckungen und physikalischen Bestimmungen. Er ist 1642 zu Cambridge geboren. Er studierte besonders Mathematik und wurde Professor derselben zu Cambridge. Später wurde er Präsident der Sozietät der Wissenschaften zu London und starb 1727.

Zur Verbreitung der Lockeschen Philosophie oder der englischen Manier des Philosophierens überhaupt und Anwendung auf alle physischen Wissenschaften besonders trug unstreitig Newton am meisten bei. Physik, hüte dich vor Metaphysik, war sein Wahlspruch: d.h. also, Wissenschaft, hüte dich vor dem Denken. Und er sowohl als alle diese physischen Wissenschaften bis diesen Tag haben treulich darauf gehalten, als sie sich nicht auf eine Untersuchung ihrer Begriffe, das Denken der Gedanken, eingelassen haben. Die Physik kann aber doch nichts machen ohne Denken; ihre Kategorien, Gesetze hat sie nur durch das Denken, – ohne dasselbe geht es nicht. Newton hat aber vorzüglich dazu beigetragen, die Reflexionsbestimmungen von Kräften in sie einzuführen; er hat die Wissenschaft auf den Standpunkt der Reflexion gehoben, statt der Gesetze der Phänomene die Gesetze der Kräfte aufgestellt. Dabei ist er nun ein so vollkommener Barbar an Begriffen, daß es ihm wie einem anderen seiner Landsleute gegangen ist, der sich höchlich verwunderte, als er erfuhr, daß er in seinem ganzen Leben Prosa gesprochen hatte, indem er sich nicht bewußt, daß er so geschickt sei; – dies erfuhr Newton nie, wußte nicht, daß er Begriffe hatte und mit Begriffen zu tun hatte, während er mit physischen Dingen zu tun zu haben meinte, und stellte das höchste Gegenteil zu Böhme auf, der die sinnlichen[231] Dinge als Begriffe handhabte und durch die Stärke seines Gemüts sich ihrer Wirklichkeit vollkommen bemächtigte und sie unterjochte, stattdessen Newton die Begriffe wie sinnliche Dinge handhabte und sie nahm, wie man Stein und Holz zu fassen pflegt.

Dies ist noch jetzt so. Am Anfang der physikalischen Wissenschaften liest man z.B. von der Kraft der Trägheit, beschleunigender Kraft, Molekülen, Zentripetal-, Zentrifugalkraft, als von festen Bestimmungen, – es gäbe solche; was die letzten Resultate der Reflexion sind, wird als erste Gründe hingestellt. Fragt man nach der Ursache, warum man in solchen Wissenschaften keine Fortschritte macht, so ist es, weil man nicht versteht, nicht mit Begriffen zu tun hat, sondern sie sich entschließen, ohne Sinn und Verstand diese Bestimmungen aufzunehmen. – Und seine Erfahrungswissenschaften, z.B. seine Optik, sowie die Schlüsse aus seinen Erfahrungen sind etwas so Unwahres, Begriffloses, daß, während sie als das erhabenste Beispiel aufgestellt werden, wie man die Natur durch Experimente und Schlüsse aus den Experimenten soll kennenlernen, es als ein Beispiel gelten kann, wie weder experimentiert noch geschlossen werden müsse, wie überhaupt gar nicht zu erkennen ist. Solche Elendigkeit des Erfahrens widerlegt sich durch die Natur; denn die Natur ist vortrefflicher, als sie in diesem elenden Erfahren erscheint, – sie selbst und das fortgesetzte Erfahren widerlegt es. So ist auch von den herrlichen Newtonischen Entdeckungen der Optik keine einzige mehr übrig als eine, – die Teilung des Lichts in sieben Farben: teils weil es auf den Begriff des Ganzen und der Teile ankommt, teils aus verstocktem Verschließen gegen das Entgegengesetzte.

Die experimentierenden Wissenschaften heißen bei den Engländern seit der Zeit Philosophie; Mathematik und Physik heißt Newtonsche Philosophie. Die Gesetze der Staatsökonomie, solche allgemeine Grundsätze, wie jetzt, den Handel freizugeben, heißen bei ihnen philosophische Grundsätze, heißen Philosophie. Chemie, Physik, rationelle Staatswissenschaft,[232] allgemeine Grundsätze, die auf denkender Erfahrung beruhen, Erkenntnisse dessen, was sich in diesem Kreise als das Notwendige und Nützliche zeigt, heißen überall bei den Engländern Philosophie. Von dieser empirischen Weise des Philosophierens – Locke ist die Metaphysik dieser empirischen Philosophie – gehen wir nun zu Leibniz über.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 231-233.
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