1. Berkeley

[270] Dieser Idealismus hat den Lockeschen Standpunkt vor sich, geht unmittelbar von Locke aus. Bei Locke hatten wir nämlich gesehen, daß die Quelle der Wahrheit ihm die Erfahrung ist oder das wahrgenommene Sein. Da nun dies sinnliche Sein, als Sein, die Bestimmtheit an ihm hat, für das Bewußtsein zu sein, so sahen wir notwendig dies daran hervortreten, daß wenigstens einiges von Locke so bestimmt wurde, daß es nicht an sich sei, sondern nur für Anderes sei, Farbe, Figur usw. nur im Subjekt, in seiner besonderen Organisation seinen Grund habe. Dies Sein-für-Anderes aber wurde von ihm ebenso nicht als Begriff aufgenommen, sondern so, daß es in das Selbstbewußtsein fiel, in das Selbstbewußtsein nicht als allgemeines, in den Geist, sondern das dem Ansich entgegengesetzte.

Berkeley nun war 1684 geboren zu Kilcrin bei Thomastown[270] in der Grafschaft Kilkenny in Irland; 1754 starb er als englischer Bischof. – Er schrieb: Theory of vision, 1709; Treatise concerning the principles of human knowledge, 1710; Three Dialogues between Hylas and Philonous, 1713; The Works of George Berkeley, London 1784, II Vol.

Er trug einen Idealismus vor, der dem Malebrancheschen sehr nahekam. Der Verstandesmetaphysik gegenüber tritt die Ansicht auf, daß alles Seiende und dessen Bestimmungen ein Empfundenes und vom Selbstbewußtsein Gebildetes ist. Sein origineller Hauptgedanke ist der: »Das Sein von allem, was wir ein Ding nennen, ist sein Wahrgenommenwerden.« Das, von dem wir wissen, sind unsere Bestimmungen. »Alle Gegenstände der menschlichen Erkenntnis sind Ideen«, wie er es mit Locke nennt, »die entweder aus Eindrücken der äußeren Sinne entspringen oder die aus Wahrnehmungen der inneren Zustände und Tätigkeiten des Geistes hervorgehen, oder endlich solche, die mittels des Gedächtnisses und der Imagination durch Trennung und neue Zusammensetzung jener gebildet werden. Eine Vereinigung verschiedener Empfindungen der Sinne erscheint uns ein besonderes Ding, z.B. Empfindung der Farbe, des Geschmacks, Geruchs, der Figur usf.«

Dies ist der Stoff, Gegenstand der Erkenntnis; das Erkennende ist das Wahrnehmende, Tätige, Ich, das sich in Beziehung auf jene Empfindungen in verschiedenen Tätigkeiten, Einbilden, Erinnern, Wollen, äußert. Er gibt den Unterschied zu des Fürsichseins und Andersseins, der aber selbst ins Ich fällt. Von diesem Stoffe, worauf das Tätige gerichtet ist, ist es in Ansehung eines Teils wohl zugegeben, daß sie außer dem Geiste nicht existieren, unsere Gedanken, inneren Gefühle und Zustände oder Erzeugnisse der Einbildungskraft. Aber ebenso die mannigfaltigen sinnlichen Vorstellungen, Empfindungen können nur in einem Geiste existieren.[271]

Unter Farben, Gerüchen, Tönen versteht man immer nur das Empfundene. Es wird nur von der Beziehung der Dinge auf das Bewußtsein gesprochen, sie kommen nicht daraus heraus; das, was von ihnen als das Seiende ausgesagt wird, ist allein das Wahrgenommene.

Es folgt nun hieraus: nur das Selbstbewußtsein hat sie; denn eine Wahrnehmung, die nicht in einem Vorstellenden ist, ist nichts, ist unmittelbarer Widerspruch. Es kann keine nicht vorstellende, nicht wahrnehmende Substanz sein, welche das Substrat von Wahrnehmungen und Vorstellungen wäre. -Wenn sich vorgestellt wird, daß etwas außer dem Bewußtsein sei, das den Vorstellungen ähnlich sei, so ist dies ebenso widersprechend; eine Vorstellung kann nur einer Vorstellung, Idee nur der Idee ähnlich sein.

Locke hatte z.B. Ausdehnung und Bewegung als Grundeigenschaften unterschieden, als solche, die den Gegenständen an sich zukommen. Berkeley bemerkt sehr gut die Inkonsequenz von dieser Seite, daß groß und klein, schnell und langsam als etwas Relatives gelten; sollen also Ausdehnung und Bewegung an sich sein, so können sie weder groß noch klein, weder schnell noch langsam sein, d.h. gar nicht; denn diese Bestimmungen liegen im Begriffe jener Eigenschaften. – Das Letzte, worauf es ankommt, ist die abstrakte Substanz, das Sein überhaupt, mit der realen Bestimmung eines Substrats der Akzidenzen. Aber Berkeley erklärt sie für das Unverständlichste von allem; aber die Unverständlichkeit macht es nicht zu einem absolut Nichtigen oder an sich Unverständlichen.

Die äußere Realität verschwindet so einerseits; das ist Idealismus. Berkeley hält dem Dasein äußerer Gegenstände auch die Unbegreiflichkeit der Beziehung eines Seins auf den Geist entgegen, – eben nicht den Begriff, denn dieser ist das Negative; was ihn und Leibniz bewog, beide Seiten in sich[272] einzuschließen. Dann ist aber Verhältnis von Anderem zu uns vorhanden; diese Empfindungen entwickeln sich nicht aus uns, wie Leibniz es vorstellt, sondern es ist durch Anderes bestimmt. Es ist leerer Name, wenn Leibniz von der Entwicklung innerhalb der Monade spricht; die Reihen haben in sich keinen Zusammenhang. Jedes Einzelne ist also durch ein Anderes bestimmt, nicht durch uns; es ist gleich, was dieses Äußere ist, es ist Zufälligkeit. In Beziehung auf das Leibnizische Gedoppelte, das gleichgültig gegeneinander ist, sagt Berkeley, daß ein solches Anderes ganz überflüssig ist. Berkeley nennt das Andere Objekte: diese können aber nicht das sein, was wir Materielles nennen, Geist und Materie können nicht zusammenkommen.

Unmittelbar widerspricht diesem Insichselbstsein des Vorstellenden die Notwendigkeit der Vorstellungen; denn das Insichsein ist die Freiheit des Vorstellenden, das sie aber nicht mit Freiheit erzeugt, sondern dem sie die Gestalt und Bestimmtheit eines Anderen für es haben. Berkeley nimmt auch den Idealismus nicht in diesem subjektiven Sinne, sondern nur, daß Geister es sind, die sich mitteilen (das Andere ist selbst vorstellend), und so, daß nur Gott es ist, welcher solche Vorstellungen hervorbringe; so daß ebenso die Einbildungen oder Vorstellungen, die mit Selbsttätigkeit überhaupt aus uns erzeugt sind, unterschieden bleiben von jenen, – dem Ansich. Diese Vorstellung ist eine Einsicht der Schwierigkeiten, die bei dieser Frage vorkommen und denen Berkeley auf originelle Weise abhelfen wollte. Die Inkonsequenz in diesem System hat wieder Gott zu übernehmen, die Gosse; wir stellen es Gott anheim.

Kurz, bei diesem Idealismus behält das ganze empirische Dasein, die Vereinzelung der Wirklichkeit vollkommen dieselbe Ansicht, die sie sonst hat. Die sinnliche Ansicht des Universums und die Vorstellungen sowie das System der[273] Gedanken, der begrifflosen Urteile bleibt dasselbe nach wie vorher; es ändert sich schlechthin nichts an dem Inhalt als jene abstrakte Form, daß alles nur Wahrnehmungen sind. Es ist von diesem Inhalt nichts sonst erkannt und begriffen; oder in diesem formalen Idealismus hat die Vernunft keinen eigentümlichen Inhalt. Das Selbstbewußtsein bleibt, wie vorhin, ein mit Endlichkeiten Erfülltes; den Inhalt empfängt es auf die gewöhnliche Weise, und er ist von der gewöhnlichen Beschaffenheit. Die Ansicht ist nicht eine Ansicht von Dingen, sondern von Wahrnehmungen, aber eine so gemeine Ansicht als vorher. Solcher Idealismus betrifft bloß den Gegensatz des Bewußtseins und seines Objekts und läßt übrigens die Ausbreitung der Vorstellungen und die Gegensätze des empirischen und mannigfaltigen Inhalts ganz unberührt. Und wenn nun gefragt wird, was ist denn nun das Wahre dieser Wahrnehmungen und Vorstellungen, wie vorhin der Dinge, so ist keine Antwort darauf. Es ist ziemlich gleichgültig, ein Selbstbewußtsein zu haben, das herumtaumelt in aller Empirie, ganz der gemeinen Ansicht der Welt, demselben Inhalt statt des Erkennens; alle Einzelheit des Selbstbewußtseins bleibt, erkennt nichts davon.

Auf was sich nun in Ansehung dieses Inhalts Berkeley weiter einläßt, woher der Gegenstand seiner Untersuchung ganz empirisch psychologisch ist, bezieht sich vornehmlich auf den Unterschied der Empfindungen des Gesichts und Gefühls, auszumitteln, welche Art von Empfindungen dem einem und dem anderen angehören. Untersuchungen der Art, die sich ganz an das Erscheinende halten und nur darin mancherlei unterscheiden, oder das Begreifen kommt bloß bis zu Unterschieden. Es ist allein interessant, daß sie dabei vornehmlich auf den Raum verfallen sind und sich darüber herumstritten, ob wir die Vorstellung der Entfernung und so fort, was sich für Vorstellungen auf den Raum beziehen, durchs Gesicht oder Gefühl erhalten. – Der Raum ist eben dies sinnliche Allgemeine, dies in der Einzelheit selbst Allgemeine, was bei empirischer Betrachtung der empirischen[274] Zerstreuung zum Denken einlädt und führt (denn es ist selbst der Gedanke) und womit eben dies sinnliche Wahrnehmen und Räsonieren über die Wahrnehmung in seinem Tun verwirrt wird und, da es hier einen gegenständlichen Gedanken hat, eigentlich zum Denken oder Haben eines Gedankens eingeladen würde, aber damit nicht fertig werden kann, weil es ihm um den Gedanken oder Begriff nicht zu tun ist, es schlechthin nicht zum Bewußtsein des Wesens kommen kann; als einen Gedanken denken sie nichts, sondern als ein Äußeres, dem Gedanken Fremdes.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 270-275.
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