c. Die Philosophie als Erkenntnis der Entwicklung des Konkreten

[46] Nachdem ich auf diese Weise die Natur des Konkreten überhaupt erläutert [habe], so setze ich über seine Bedeutung nun hinzu, daß das Wahre, so in sich selbst bestimmt, den Trieb hat, sich zu entwickeln. Nur das Lebendige, das Geistige rührt sich in sich, entwickelt sich. Die Idee ist so – konkret an sich und sich entwickelnd – ein organisches System, eine Totalität, welche einen Reichtum von Stufen und Momenten in sich enthält.

Die Philosophie ist nun für sich das Erkennen dieser Entwicklung und ist als begreifendes Denken selbst diese denkende Entwicklung. Je weiter diese Entwicklung gediehen, desto vollkommener ist die Philosophie.

Ferner geht diese Entwicklung nicht nach außen als in die Äußerlichkeit, sondern das Auseinandergehen der Entwicklung ist ebenso ein Gehen nach innen; d. i. die allgemeine Idee bleibt zugrunde liegen und bleibt das Allumfassende und Unveränderliche.[46]

Indem das Hinausgehen der philosophischen Idee in ihrer Entwicklung nicht eine Veränderung, ein Werden zu einem Anderen, sondern ebenso ein Insichhineingehen, ein Sichinsichvertiefen ist, so macht das Fortschreiten die vorher allgemeine unbestimmtere Idee in sich bestimmter; weitere Entwicklung der Idee oder ihre größere Bestimmtheit ist ein und dasselbe. Hier ist das Extensivste auch das Intensivste. Die Extension als Entwicklung ist nicht eine Zerstreuung und Auseinanderfallen, sondern ebenso ein Zusammenhalt, der eben um so kräftiger und intensiver, als die Ausdehnung, das Zusammengehaltene reicher und weiter ist.

Dies sind die abstrakten Sätze über die Natur der Idee und ihrer Entwicklung. So ist die gebildete Philosophie in ihr selber beschaffen; es ist eine Idee im Ganzen und in allen ihren Gliedern, wie in einem lebendigen Individuum ein Leben, ein Puls durch alle Glieder schlägt. Alle in ihr hervortretenden Teile und die Systematisation derselben geht aus der einen Idee hervor; alle diese Besonderen sind nur Spiegel und Abbilder dieser einen Lebendigkeit; sie haben ihre Wirklichkeit nur in dieser Einheit, und ihre Unterschiede, ihre verschiedenen Bestimmtheiten zusammen sind selbst nur der Ausdruck und die in der Idee enthaltene Form. So ist die Idee der Mittelpunkt, der zugleich die Peripherie ist, der Lichtquell, der in allen seinen Expansionen nicht außer sich kommt, sondern gegenwärtig und immanent in sich bleibt; – so ist sie das System der Notwendigkeit und ihrer eigenen Notwendigkeit, die damit ebenso ihre Freiheit ist.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 46-47.
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