c. Abscheidung der Philosophie von der Populärphilosophie

[113] Von den zwei mit der Philosophie verwandten Sphären hatte die eine (die besonderen Wissenschaften), um zur Philosophie gezählt zu werden, für uns den Mangel gehabt daß sie, als Selbstsehen, Selbstdenken im endlichen Stoffe versenkt, als Regsamkeit, das Endliche zu erkennen, nicht den Inhalt, nur das formelle, subjektive Moment, – die zweite Sphäre, die Religion, daß sie nur den Inhalt, das objektive Moment mit der Philosophie gemein hatte, das Selbstdenken nicht wesentliches Moment, sondern der Gegenstand in bildlicher Form oder geschichtlich ist. Die Philosophie[113] fordert die Einheit, Durchdringung beider Momente; sie vereinigt diese beiden Seiten in eins: den Sonntag des Lebens, wo der Mensch demütig auf sich selbst verzichtet, und den Werktag, wo der Mensch auf seinen Beinen steht Herr ist und nach seinen Interessen handelt. Ein Drittes scheint beide Momente zu vereinen; das ist die Popularphilosophie. Sie hat es mit allgemeinen Gegenständen zu tun, philosophiert über Gott und Welt; und dann ist das Denken auch tätig, solche Gegenstände zu erkennen. Doch auch diese Philosophie müssen wir noch auf die Seite stellen. Die Schriften des Cicero können hierher gerechnet werden. Es ist ein Philosophieren, das seine Stelle hat, es wird Vortreffliches gesagt. Er hat vielfache Erfahrungen des Lebens gemacht und seines Gemütes, daraus sich das Wahrhafte genommen, nachdem er gesehen, wie es zugeht in der Welt. Mit gebildetem Geiste drückt er sich über die größten Angelegenheiten des Menschen aus; er wird so sehr beliebt sein. Schwärmer, Mystiker werden nach einer anderen Seite hierher gerechnet werden können. Ihre tiefe Andacht sprechen sie aus, haben hier in den höheren Regionen Erfahrungen gemacht; den höchsten Inhalt werden sie ausdrücken können, die Darstellung wird anziehend sein. So die Schriften eines Pascal; in seinen Pensées finden sich die tiefsten Blicke.

Dieser Philosophie klebt aber noch ein Mangel in Ansehung der Philosophie an. Das Letzte, woran appelliert wird (wie auch in neueren Zeiten), ist, daß den Menschen dies von Natur eingepflanzt sei. Damit ist Cicero sehr freigebig. Jetzt wird vom Moralinstinkt geredet, man nennt es aber Gefühl. So soll jetzt die Religion nicht auf Objektivem beruhen, sondern auf religiösem Gefühl; das unmittelbare Bewußtsein des Menschen von Gott sei der letzte Grund Cicero gebraucht häufig den consensus gentium; diese Berufung wird in der neueren Manier mehr oder weniger weggelassen, da das Subjekt auf sich beruhen soll. Die Empfindung wird zuerst in Anspruch genommen, dann kommen Gründe, Räsonnement[114] darüber; diese können aber selbst nur an Unmittelbares appellieren. Selbstdenken wird hier freilich gefordert, auch der Inhalt ist aus dem Selbst geschöpft; aber wir müssen diese Weise gleichfalls aus der Philosophie ausschließen. Denn die Quelle, woraus der Inhalt geschöpft wird, ist von gleicher Art wie bei jenen ersten Sphären. Bei der ersten ist die Quelle die Natur; bei der zweiten der Geist, die Quelle ist aber Autorität, der Inhalt gegeben, die Andacht hebt nur momentan diese Äußerlichkeit auf. Die Quelle ist Herz, Triebe, Anlagen, unser natürliches Sein, mein Gefühl für Recht, von Gott. Der Inhalt ist in Gestalt, welche nur eine natürliche ist. Im Gefühl habe ich alles, aber auch in der Mythologie ist aller Inhalt; in beiden ist er aber nicht in wahrhafter Weise. Die Gesetze, die Lehren der Religion sind das, wo dieser Inhalt auf eine bestimmtere Weise zum Bewußtsein kommt; im Gefühle ist die Willkür des Subjektiven noch dem Inhalt beigemischt.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 113-115.
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