A. Philon

[418] Philon, ein gelehrter Jude zu Alexandrien, lebte um und nach Christi Geburt unter den ersten römischen Kaisern; er wurde nämlich zwanzig Jahre vor Christus geboren, war aber noch später als dieser am Leben. Er ist derjenige, in dem wir zuerst diese Wendung des allgemeinen Bewußtseins als philosophisches Bewußtsein aufgehen sehen. Unter Caligula, bei dem von Apion die Juden sehr übel angeschrieben worden, wurde er bei Jahren als Gesandter seines Volkes nach Rom geschickt, um den Römern eine bessere Vorstellung über die Juden beizubringen. Legendenhaft ist es, daß er auch unter dem Kaiser Claudius nach Rom gekommen sei und dort den Apostel Petrus kennengelernt habe. Er hat eine ganze Reihe von Werken verfaßt, noch viele sind vorhanden; z.B. Vom Bau der Welt (De opificio mundi); Von den Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis); [418] De victimas offerentibus; Vom Gesetz der Allegorien (Lex allegoriarum); De somniis; Daß Gott unveränderlich sei (Quod Deus sit immutabilis). Sie sind 1691 (in Folio) in Frankfurt herausgekommen; dann von Pfeiffer in Erlangen. Philon war wegen seiner polymatheia berühmt und mit den griechischen Philosophien sehr gut bekannt.

Ihn zeichnet besonders aus die platonische Philosophie und dann, daß er bemüht war, in den heiligen Schriften der Juden die Philosophie aufzuzeigen, dieselben spekulativ zu erklären. Die Geschichte des jüdischen Volks legt er zugrunde, kommentiert sie. Aber er hat dieses an ihm, daß die Erzählungen und Darstellungen darin die unmittelbare Bedeutung der Wirklichkeit für ihn verloren hatten und er aus eben den Worten einen mystischen und allegorischen Sinn allenthalben in sie hineinlegt, Platon in Moses findet, – dasselbe Streben, vermöge dessen die Alexandriner in der griechischen Mythologie Philosopheme erkannt haben. Einige seiner Schriften sind so nur allegorisch mystische Erklärungen, z.B. von der Schöpfungsgeschichte. Seine Ideen aber enthalten die Natur des Geistes, im Elemente des Denkens zwar eben nicht begriffen, aber doch ausgedrückt, – ein Ausdruck, der mit jenem vermischt zugleich noch höchst unrein [ist] und auf die mannigfaltigste Weise mit Gestalten der Einbildung sich vermengt. Durch den Geist der Philosophie sind die Juden genötigt worden, in ihren heiligen Büchern, ebenso die Heiden im Homer und in der Volksreligion, tiefere Bedeutung zu suchen und ihre religiösen Schriften als ein vollkommenes System göttlicher Weisheit darzustellen. Das ist der Charakter der Zeit; das Verständige in den Vorstellungen hat nicht mehr ausgehalten.

Das Hauptmoment ist, daß einerseits noch die Vorstellung von der Wirklichkeit gebunden ist an diese Formen und daß andererseits es nicht mehr genügt, was diese Formen nur unmittelbar aussprechen; so entsteht daher das Bestreben, diese Formen tiefer zu fassen. Jüdische, heidnische Religion[419] als äußerliche Geschichte hatte man als Autorität, Ausgangspunkt der Wahrheit vor sich; und doch faßt man den Gedanken, daß die Wahrheit nicht äußerlich gegeben sein könne. So hat man in das Geschichtliche den tiefen Gedanken hineininterpretiert, wie man sagt, oder herausinterpretiert, und das ist die wahrhaftere Vorstellung. Beim göttlichen Buch (dessen Urheber der Geist ist) kann man nicht sagen, daß dies nicht darin gewesen sei. Es kommt darauf an, ob diese Geistigkeit tiefer oder oberflächlicher ist; ein Mann hat das Buch geschrieben, er hatte diese Gedanken nicht, aber im Intensiven des Verhältnisses sind diese Gedanken an sich enthalten. Es ist überhaupt ein großer Unterschied zwischen dem, was darin liegt, und dem, was ausgesprochen ist. In der ganzen Geschichte, Kunst, Philosophie usf. kommt es darauf an, daß das, was darin ist, auch heraus sei; die Arbeit des Geistes ist ganz allein, das zum Bewußtsein zu bringen, was darin ist. Weiß man nur dies, so ist es schon an das Bewußtsein herausgebracht; dies Herausbringen ist also das Wesentliche. Das Andere ist, daß, wenn auch aus einer Gestaltung, Religion usf. das nicht herausgebracht wird vor das Bewußtsein, was darin gelegen hat, man doch nicht sagen kann, es habe nicht darin gelegen, es sei nicht im menschlichen Geist gewesen; im Bewußtsein war es nicht, in der Vorstellung auch nicht, aber darin ist es gewesen. Einerseits ist das Zum-bestimmten-Bewußtsein-Bringen des Gedankens ein Hineinlegen, aber andererseits, der Materie nach, ist es nicht ein Hineinlegen. Philons Manier hat vornehmlich diese Seite. Das Prosaische ist verschwunden; so sind bei Schriftstellern der folgenden Zeiten Wunder etwas Gewöhnliches; das Äußerliche wird nicht nach seiner Notwendigkeit aufgefaßt, der äußerliche Zusammenhang wird nicht mehr gefordert.

Die Grundvorstellungen des Philon (nur sie haben wir zu betrachten) sind etwa folgende:

1. Die Hauptsache ist, Gott zu erkennen. Erstens: Gott kann nur durch das Auge der Seele angeschaut werden, durch[420] die horasis. Dies nennt er Entzückung, Verzückung, Einwirkung Gottes; das finden wir jetzt oft. Zu diesem Behufe muß sich die Seele von dem Körper losreißen, das sinnliche Wesen aufgeben und sich zu dem reinen Gegenstande des Gedankens erheben, wo Gott näher ist und angeschaut wird. Wir können dies ein intelligibles Anschauen nennen. Das Andere aber ist, daß Gott von dem Auge der Seele auch nicht erkannt werden kann; sie kann nur wissen, daß er ist, nicht, was er ist. Sein Wesen ist das Urlichts, – ganz in morgenländischer Weise. Das Licht ist freilich das Einfache; dagegen erkennen heißt: Bestimmtes wissen, als ein Konkretes in sich selbst. Solange also die Bestimmung des Einfachen festgehalten wird, läßt sich dieses Urlicht allerdings nicht erkennen. Indem also Philon sagt, »dieses Eine ist Gott als solcher«, kann man nicht wissen, was Gott ist. Im Christentum ist dagegen das Einfache nur als Moment, und das Ganze ist Gott der Geist.

Zweitens: »Das Ebenbild und der Abglanz Gottes ist der logos, die denkende Vernunft, der erstgeborene Sohn, der die Welt regiert und in Ordnung hält.« Eigentlich ist dies schon ein Widerspruch; denn das Bild kann nur darstellen, was die Sache ist; ist also das Bild konkret, so ist auch das Ursprüngliche als konkret zu fassen. »Dieser logos ist der Inbegriff aller Ideen.« Gott selber dagegen als der Eine, als solcher, ist nur das on, das reine Sein (nach Platon).6 Das Urlicht kann nicht, nur der Sohn kann erkannt werden. Philon schränkt den Namen Gottes nur auf das Wesen ein, das reine Sein. Gott als solcher ist nichts als dies Sein; er[421] kann daher von der Seele nicht erkannt werden, was er ist, sondern nur, daß er ist, d.h. eben nur als Sein. Oder Gott als dieses Sein ist nur das abstrakte Wesen; es ist seine Idee. Was er ist, ist er nur als Geist, d.h. eben indem der logos, sein Sohn, zu seinem wahren Wesen selbst gerechnet wird, nicht jenem Sein der Name Gottes beigelegt wird, sondern nur der Einheit dieser Momente; diese Einheit enthält das, was er ist. Im Christlichen wird der Name nicht auf das Wesen eingeschränkt, sondern Gott ist Geist; der Sohn ist selbst Bestimmung in Gott. Es ist ganz richtig, daß Gott als Sein nicht erkannt werden könne; denn das Wesen ist die leere Abstraktion. Erkennen ist Wissen in konkreter Bestimmung; das Erkannte muß konkret in sich selbst sein. Was erkannt werden kann, ist, daß das reine Wesen nur eine leere Abstraktion ist, – so das Nichtige, nicht der wahrhafte Gott. Zum Sein ist also dies das andere Moment des Erkennens. Jenes ist ebenso abstrakt, als wenn wir sagen, »Gott der Vater«, d.h. der noch nicht geschaffen hat, dieser Eine, dieser Bestimmungslose in sich, unaufgeschlossen; das Andere aber ist das Bestimmen seiner in sich selbst, das Erzeugen. Und dies Erzeugte ist sein Anderes, was zugleich in ihm ist, ihm angehörig ist, Moment seiner selbst ist, wenn Gott konkret gedacht werden soll. Die Bestimmung des Einen ist das Erste, aber sie ist mangelhaft; Gott ist konkret, lebendig, d.h. er unterscheidet sich in sich, bestimmt sich: dies ist, was auch zu Gott gehört und was hier Logos genannt wird. Es kann also gesagt werden von Gott als Einem, daß er nicht erkannt wird; es kann nur gesehen werden, daß er ist. Das Erkennen ist das Wissen von dem bestimmten Gott, von seinem Insichselbstbestimmen, Lebendigsein.

Das Erste, das Wesen selbst ist also das Urlicht: »Es ist der Raum des Universums, das er umschließt und erfüllt.« Nach der Anschauung haben wir das All als Raum; das ist leer.[422]

Gott umschließt dieses All; dieses Wesen »ist sich selbst der Ort und ist von sich selbst erfüllt«. Warum hat er nötig, sich mit sich zu erfüllen? Eben das Subjektive, Abstrakte, bedarf auch eines Objekts. Die Fülle ist das Konkrete; man hat Erfüllendes, Erfülltes und das Dritte aus beiden. »Gott ist sich selbstgenügsam; alles andere ist dürftig, leer. Und alles dies erfüllt er dann und hält es zusammen, wird von Nichts umschlossen; er ist eins und alles«, die absolute Fülle. Das All ist, wie bei Parmenides, das Abstraktum, es ist nur die Substanz; es bleibt leer bei seiner Erfüllung, das Konkrete ist der Logos. Wie Gott der Raum des Universums ist, so »lebt er in dem Urbilde der Zeit«, in dem aiôn, d.h. in dem reinen Begriffe derselben.

2. Seine Unterschiede aber oder die Ideen machen den Verstand aus. Dieser Verstand (logos) ist dann der herrschende Engel (archangelos), das Bestimmende, was das Bestimmtsein enthält, ein Reich des Gedankens; er ist der Urmensch, erst dies ist tätig, das on noch nicht. Das ist der Mensch als himmlischer Mensch; er kommt auch unter dem Namen sophia, [...], Adam Kadmon, der Aufgang der Sonne vor, – der Mensch in Gott, Gott als Tätigkeit angesehen. Dieser Verstand teilt sich nun in Ideen, die von Philon auch Engel (angeloi, Boten) genannt werden. Diese Auffassungsweise ist noch nicht im reinen Gedanken; Gestalten der Einbildungskraft sind noch darin verwoben.

Dieser logos ist die erste ruhende Gedankenwelt, wenngleich schon unterschieden. Ein anderer logos aber ist der hervorbringende, tätige (logos prophorikos), als Rede. Das ist Wirksamkeit, das Schaffen der Welt, wie er ihre Erhaltung, ihr bleibender Verstand ist. Die Rede ist immer als Erscheinen Gottes angesehen worden, die Rede ist nicht körperlich; als Klang ist sie zeitlich und gleich verschwunden,[423] das Dasein ist so immateriell. »Gott sprechend schuf er sogleich, nichts zwischen beide setzend«; das Geschaffene bleibt ein Ideelles wie die Rede. »Wenn man ein wahrhafteres Dogma angeben will, so ist der Logos das Werk Gottes.« Dieser Logos ist zugleich für das Selbstbewußtsein der Lehrer der Weisheit. Die natürlichen Dinge nämlich werden nur in ihren Gesetzen gehalten; die selbstbewußten Wesen wissen aber auch von diesen Gesetzen, und das ist die Weisheit. Das ist der Hohepriester, der [zwischen] Gott und den Menschen vermittelt, der Geist der Gottheit, der die Men schen belehrt, eben die selbstbewußte Rückkehr Gottes in sich selbst, in jene erste Einheit, in das Urlicht. Das ist die reine intelligible Welt der Wahrheit selbst; sie ist nichts anderes als das Wort Gottes.

3. Der Gedanke zur Negativität gekommen. Dieser Idealwelt gegenüber steht die sinnliche, seiende Welt. Das Prinzip derselben ist bei Philon, wie bei Platon, das ouk on, die Materie, das Negative; wie Gott das Sein, so ihr Wesen das Nichtsein. Nicht das Nichts, wie wenn wir sagen, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen habe, sondern das Nichtsein, das Entgegengesetzte des Seins, ist selbst ein Positives, so gut als das Sein. Es existiert, insofern Gleichnis des an sich Wahren hineingelegt wird. Philon hatte die richtige Einsicht, daß das Entgegengesetzte des Seins ebenso positiv ist als das Sein. Wem dies ungereimt scheint, der braucht nur daran erinnert zu werden, daß eigentlich, wenn wir das Sein setzen, das Nichts des Seins das Denken ist etwas sehr Positives. Aber das Nähere, der Begriff dieses Gegensatzes, und der Übergang des Seins in Nichtsein findet sich nicht bei Philon. Überhaupt ist diese Philosophie weniger Metaphysik des Begriffes oder Denkens selbst, als daß der Geist nur im reinen Denken erscheint, nicht hier in der[424] Weise der Vorstellung ist und die Begriffe, Ideen als selbständige Gestalten vorgestellt sind.

»Das Wort Gottes hat im Anfang den Himmel er schaffen, der aus dem reinsten Sein besteht und der Aufenthalt der reinsten Engel ist, die nicht erscheinen und den Sinnen nicht offenbar werden«, nur dem Gedanken; das sind die ideai. »Der Schöpfer hat vor allem der intelligiblen Welt den unkörperlichen Himmel und die unsinnliche Erde gemacht und die Idee der Luft und des Leeren, hierauf die unkörperliche Essenz (ousia) des Wassers und ein unkörperliches Licht und ein unsinnliches Urbild (archetypos) der Sonne und aller Sterne«, und die sinnliche Welt ist das Gegenbild davon. Philon geht nun nach der mosaischen Urkunde fort. In der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments werden am dritten Tag Gras, Kraut, Bäume, am vierten Tag Lichter an der Veste des Himmels, Sonne und Mond geschaffen. Philon sagt, am vierten Tag habe den Himmel eine Zahl geschmückt, Vier, die Tetraktys, die vollkommenste usf. – Dies sind die Hauptmomente der Philosophie Philons.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 19, Frankfurt am Main 1979, S. 418-425.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
Universal-Bibliothek, Nr. 4881: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Nr. 612: Georg Wilhelm Friedrich Hegel Werke Band 12: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte
Werke in 20 Bänden mit Registerband: 18: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)
Werke in 20 Bänden mit Registerband: 19: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)
Werke in 20 Bänden mit Registerband: 20: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon