2. Anwendung der Zahlen aufs Universum

[256] Diese einfache Idee und die einfache Realität in derselben ist nun aber weiter zu entwickeln, um zu der zusammengesetzteren, entfalteteren Realität zu kommen. Wie benahmen sich nun die Pythagoreer dabei, von den abstrakt logischen Bestimmungen zu Formen überzugehen, die eine konkrete Anwendung von Zahlen bedeuten? Die Bestimmungen der konkreten Gegenstände durch die Zahlen, welche die Pythagoreer machten, haben im Räumlichen und Musikalischen noch eine nähere Beziehung; aber in den konkreteren Gegenständen der Natur und des Geistes werden sie zu etwas rein Formellem und Leerem.

a) Wie die Pythagoreer »aus den Zahlen den Weltorganismus konstruierten«, davon gibt Sextus ein Beispiel an den räumlichen Verhältnissen, und allerdings ist hier mit diesen ideellen Prinzipien auszukommen. Da gibt es dann leicht abstrakte Raumbestimmungen, und die Zahlen sind in der Tat vollendete Bestimmungen des Raums. Wenn man nämlich beim Raum mit dem Punkte, der ersten Negation des Leeren anfängt, so »entspricht der Punkt der Einheit; er ist ein Unteilbares (adiaireton) und das Prinzip der Linien, wie die Einheit das der Zahlen. Indem der Punkt sich als Monas verhält, so drückt die Linie die Dyas aus; denn beide werden durch den Übergang begriffen (kata metabasin noeitai), – die Linie ist die reine Beziehung zweier Punkte und ohne Breite. Die Fläche aus der Dreiheit. Die solide Figur aber, der Körper gehört zur Vierheit (tetras), und in ihr sind drei Dimensionen gesetzt. Andere sagen, der Körper bestehe (synistasthai) aus einem Punkte« (d.h.[256] sein Wesen sei ein Punkt), »denn der fließende Punkt mache die Linie, die fließende Linie aber die Fläche, diese Fläche aber den Körper. Sie unterscheiden sich von den ersten darin, daß jene die Zahlen zuerst aus der Monas und der unbestimmten Dyas entstehen lassen, alsdann aus den Zahlen die Punkte und Linien und Ebenen und körperlichen Figuren; diese aber erbauen aus einem Punkte alles Übrige.« Den einen ist der Unterschied der gesetzte Gegensatz, die gesetzte Form, als Zweiheit; die anderen haben die Form, als Tätigkeit. »So werde also das Körperliche gebildet unter Leitung der Zahlen (hêgoumenôn tôn arithmôn), aus ihnen aber die bestimmten Körper, Wasser, Luft, Feuer und überhaupt das ganze Universum, von dem sie sagen, daß es nach der Harmonie gebildet sei (dioikeisthai), – einer Harmonie, die wieder allein in Zahlenverhältnissen besteht, welche die verschiedenen Zusammenklänge der absoluten Harmonie konstituieren.«

Hierüber ist zu bemerken, daß der Fortgang vom Punkte zum wirklichen Raum (realen, denn Linien, Flächen sind nur Momente, Abstraktionen) die Bedeutung der Raumerfüllung zugleich hat. Denn Eins ist Wesen, Substanz, Materie; es ist nur Unterschied des Raums und des erfüllten Raums. Auch geht die Konstruktion einfach fort; es ist die Bewegung oder Beziehung. Der Begriff der Linie ist reine Beziehung des Punkts; Punkt ist reines Eins, – Eins als reine Tätigkeit, reine Beziehung: Linie. Ebenso Fläche: Beziehung der Linie, Sich-mit-sich-Multiplizieren, Produzieren, Tätigsein, Kontinuität, Allgemeinheit; und ebenso der körperliche Raum. Es ist mehr in der Form des Geschehens entwickelt: Bewegung oder äußerliche Konstruktion. Aber es geht noch gut; hingegen der Übergang von der Raumerfüllung überhaupt zur bestimmten – Wasser, Erde usw. -dies ist ein ander Ding und hält schwerer. Oder diesen Übergang haben die Pythagoreer vielmehr nicht gemacht,[257] sondern das Universum hat selbst bei ihnen diese spekulative einfache Form, – nämlich als ein System von Zahlenverhältnissen dargestellt zu werden. Damit ist aber das Physikalische noch nicht bestimmt.

b) Eine andere Anwendung oder Aufzeigen der Zahlenbestimmung als des Wesentlichen sind die musikalischen Verhältnisse, – das, wobei die Zahl vornehmlich das Bestimmende ausmacht. Hier zeigen sich die Unterschiede als verschiedene Verhältnisse von Zahlen; und diese Weise, das Musikalische zu bestimmen, ist die einzige. Das Verhältnis der Töne zueinander beruht auf quantitativen Unterschieden, die Harmonie bilden können, wogegen andere Disharmonien bilden. Die Pythagoreer behandelten daher die Musik als Psychagogisches, Pädagogisches. Pythagoras ist der erste gewesen, der es eingesehen hat, daß die musikalischen Verhältnisse, diese hörbaren Unterschiede, mathematisch bestimmbar sind, – daß unser Hören von Einklang und Dissonanz ein mathematisches Vergleichen ist. Das subjektive, im Hören einfache Gefühl, das aber an sich im Verhältnisse ist, hat Pythagoras dem Verstande vindiziert und durch feste Bestimmung für ihn erobert. Ihm wird die Erfindung der Grundtöne der Harmonie zugeschrieben, die auf den einfachsten Zahlenverhältnissen beruhen. Es wird erzählt, Pythagoras sei bei der Werkstätte eines Schmieds vorbeigegangen und durch die Schläge, die eine besondere Zusammenstimmung gaben, aufmerksam geworden. Er habe dann das Verhältnis der Schwere der Hämmer, die einen gewissen Einklang gaben, verglichen und danach das Verhältnis der Töne mathematisch bestimmt und endlich die Anwendung davon und den Versuch an Saiten gemacht. Und es boten sich ihm zunächst die Verhältnisse: Diapason, Diapente und Diatessaron dar. Es ist bekannt, daß der Ton einer Saite (oder, was dem gleich ist, der Luftsäule in einer[258] Röhre bei den Blasinstrumenten) von drei Umständen abhängt: von ihrer Länge, Dicke und dem Grade ihrer Spannung. Hat man nun zwei gleich dicke und gleich lange Saiten, so bringt ein Unterschied in der Spannung einen Unterschied des Klanges hervor. So vergleichen wir nur ihre Spannung; und diese läßt sich durch ein Gewicht messen, das an sie angehängt und wodurch sie gespannt wird. Pythagoras fand, daß, wenn die eine Saite mit einem Gewicht von zwölf Pfund, die andere mit sechs Pfund beschwert wurde (logos diplasis 1 : 2), dies den musikalischen Einklang der Oktave (dia pasôn) gab, das Verhältnis 8 : 12 oder 2 : 3 (logos hêmiolios) den Einklang der Quinte (diapente), das Verhältnis 9 : 12 oder 3 : 4 (logos epitritos) die Quarte (dia tessarôn). Eine verschiedene Anzahl von Schwingungen in gleichen Zeiten bestimmt Höhe und Tiefe des Tons; diese Anzahl ist im Verhältnis des Gewichts, wenn Dicke und Länge gleich sind. Im ersten Verhältnis macht die stärker gespannte Saite noch einmal soviel Schwingungen als die andere, im zweiten drei Schwingungen, während die andere zwei macht usf. Hier ist die Zahl das Wahrhafte, was den Unterschied bestimmt. Der Ton ist nur eine Erschütterung, Bewegung. Es gibt zwar auch qualitative Unterschiede, z.B. zwischen den Tönen von Metall und Darmsaiten, zwischen der Menschenstimme und Blasinstrumenten; aber das eigentliche musikalische Verhältnis der Töne eines Instruments zueinander – dies, worauf die Harmonie beruht – ist ein Verhältnis von Zahlen. Der Ton ist nichts als das Schwingen eines Körpers, – eine Bestimmung durch Raum und Zeit; da kann keine Bestimmung für den Unterschied vorhanden sein als die der Zahl, – die Menge der Schwingungen in einer Zeit. Nirgend ist eine Bestimmung durch Zahlen mehr an ihrem Orte als hier.[259]

Von hier aus ließen sich die Pythagoreer in weitere Ausführungen der musikalischen Theorie ein, wohin wir ihnen nicht folgen. Das Gesetz a priori des Fortschreitens und die Notwendigkeit der Bewegung in den Zahlenverhältnissen ist etwas, das ganz im Dunkeln liegt, als worin sich trübe Köpfe herumtreiben können, da überall Anspielungen auf Begriffe, oberflächliche Einstimmungen untereinander sich darbieten, aber wieder verschwinden.

Was die weitere Fortbildung des Universums als Zahlensystems betrifft, so tut sich hier die ganze Ausbreitung der Verworrenheit und Trübseligkeit der Gedanken der späteren Pythagoreer auf. Es ist unsäglich, wie sie sich abgemüht haben, ebensowohl philosophische Gedanken in einem Zahlensystem auszudrücken, als diejenigen Ausdrücke zu verstehen, die sie von anderen vorfanden, und darein allen möglichen Sinn zu legen, – abgeschmackte, oberflächliche Beziehungen, wenn der Begriff verlassen wird. Von den älteren Pythagoreern aber sind uns hierüber nur die Hauptmomente bekannt. Platon gibt uns eine Probe von solcher Vorstellung des Universums als eines Zahlensystems; aber Cicero und die Älteren nennen diese Zahlen immer die platonischen, und es scheint nicht, daß sie den Pythagoreern zugeschrieben werden. Es wird also nachher davon die Rede sein; sie waren schon zu Ciceros Zeiten zum Sprichwort geworden, als dunkel; es ist nur weniges, das alt ist.

c) Ferner haben die Pythagoreer die Himmelskörper des sichtbaren Universums durch Zahlen konstruiert. Wenn weiter auf das Konkretere übergegangen werden soll, so erhellt sogleich die Dürftigkeit, Abstraktion aus der Bestimmung der Zahlen. Aristoteles sagt: »Indem sie die Zahlen als die Prinzipien der ganzen Natur bestimmten, so brachten sie (synagontes) unter die Zahlen und ihre Verhältnisse alle Bestimmungen und Teile des Himmels und der ganzen Natur (pros tên holên diakosmêsin). Und wo etwas nicht[260] ganz paßte, so suchten sie diesen Mangel auf eine andere Weise zu ergänzen, um eine Übereinstimmung hervorzubringen. Z.B. da die Dekas ihnen als das Vollkommene erscheint und die ganze Natur der Zahlen zu umfassen, so sagten sie, auch der am Himmel sich bewegenden Sphären (ta pheromena) seien zehn; da nun aber ihrer nur neun sichtbar sind, so erfanden sie eine zehnte, die Gegenerde (tên antichthona).« Diese neun sind: die damals bekannten fünf (sieben) Planeten, 1. Merkur, 2. Venus, 3. Mars, 4. Jupiter, 5. Saturn, – auch 6. die Sonne, 7. der Mond, 8. die Erde und 9. die Milchstraße (Fixsterne). Die zehnte ist also die Gegenerde, von der man unentschieden lassen muß, ob sie sich dieselbe als die abgekehrte Erdseite oder als einen ganz anderen Erdkörper dachten.

Über die nähere physikalische Bestimmung dieser Sphären führt Aristoteles an: »In die Mitte haben die Pythagoreer das Feuer gesetzt, die Erde aber als einen Stern, der sich um diesen Zentralkörper herumbewegt in einem Kreise«; dieser ist dann eine Sphäre und ist die vollkommenste unter den Figuren, entsprechend der Dekas, – als runden Zahl. »Und sie setzen eine andere Erde dieser entgegen.« Dies entspricht unseren Vorstellungen; es findet sich hierbei eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Sonnensystem. Als jenes Feuer aber dachten sie sich nicht die Sonne. »Sie halten sich«, sagt Aristoteles, »dabei also nicht an den Schein der Sinne, sondern an Gründe«, wie auch wir nach Gründen gegen die sinnliche Erscheinung schließen. Dies pflegt auch an uns noch als das erste Beispiel zu kommen, daß die Dinge an sich anders sind, als sie erscheinen. »Dies Feuer, das in der Mitte ist, nannten sie die Wache des Zeus.« – »Diese zehn Sphären machen nun, wie alles Bewegte, ein Geräusch, -aber jede ein verschiedenes Getöne, nach der Verschiedenheit ihrer Größe und Geschwindigkeit, Diese ist bestimmt durch die verschiedenen Abstände, welche zueinander ein harmonisches[261] Verhältnis haben, nach den musikalischen Intervallen; hierdurch entsteht dann eine harmonische Stimme (Musik) der sich bewegenden Sphären (Welt)« – ein harmonischer Weltchoral.

Wir müssen das Grandiose dieser Idee anerkennen – eine Idee, die notwendig ist. Nämlich das System der himmlischen Sphären ist ein System, worin alles in Zahlenverhältnissen bestimmt ist, die unter sich Notwendigkeit haben und als Notwendigkeit zu begreifen sind, – und ein System von Verhältnissen, das im Hörbaren, in der Musik ebenso die Basis und das Wesen ausmachen muß. Es ist hier der Gedanke eines Systems des Weltgebäudes – des Sonnensystems – gefaßt; nur dies ist für uns vernünftig, – die anderen Sterne haben dagegen keine Würde. Daß nun die Sphären singen, diese Bewegungen als Töne seien, kann uns dem Verstande so nahezuliegen scheinen als die Ruhe der Sonne und die Bewegung der Erde, – gegen die Aussage der Sinne; wir hören es nicht, sehen aber auch nicht jene. Und es ist leicht – unmittelbarer Einwurf –, in diesen Räumen ein allgemeines Schweigen zu wähnen, weil wir von diesem Choral nichts hören; aber es ist schwerer, den Grund anzugeben, daß wir diese Musik nicht hören. Sie sagen: »Wir hören sie nicht, weil wir selbst darin leben«, weil sie zu unserer Substanz gehört, identisch mit uns ist, »nicht ein Anderes uns gegenübertritt«, wie wir ganz innerhalb dieser Bewegung begriffen sind. Diese Bewegung wird kein Ton, weil die himmlischen Körper nicht als Körper sich zueinander verhalten, weil der reine Raum und Zeit (die Momente der Bewegung) erst im beseelten Körper sich zur eigenen, unangeschlagenen Stimme erhebt und die Bewegung zu dieser fixierten, eigentümlichen Individualität erst im eigentlichen Tiere gelangt, Ton aber eine äußerliche Berührung, Anschlagen (Reibung) des Körpers erfordert, – ebenso eine momentane Individualität, Vernichtung der Besonderheit,[262] eigenen Individualität als Elastizität ertönt, die himmlischen Körper aber frei voneinander sind, – allgemeine, unindividuelle, freie Bewegung.

Das Tönen können wir weglassen; die Musik der Sphären ist eine große Vorstellung der Phantasie, – für uns ohne wahres Interesse. Die Idee aber, die Bewegung als Maß, notwendiges System von Zahlen und Zahlenverhältnissen darzustellen, ist notwendig. Denn der Unterschied, das Verhältnis ist hier allein als Zahl, Größe bestimmt, – dies die Weise der Existenz; denn die Bestimmungen sind in diesem idealen Elemente der Zeit und des Raumes. Der Gedanke ist, daß sie in notwendigen Verhältnissen stehen und diese harmonisch sind, – als vernünftig; es ist aber bis auf den heutigen Tag nichts weiter geschehen. In gewisser Rücksicht sind wir weiter als Pythagoras. Die Gesetze, die Exzentrizität, wie sich die Abstände und die Zeiten des Umlaufs zueinander verhalten, wissen wir durch Kepler; aber das Harmonische, wodurch sich die Abstände bestimmen, dafür hat alle Mathematik noch keinen Grund (das Gesetz des Fortgangs) angeben können. Die empirischen Zahlen kennt man genau; aber alles hat den Schein der Zufälligkeit, nicht der Notwendigkeit. Man kennt eine ungefähre Regelmäßigkeit der Abstände und hat so zwischen Mars und Jupiter mit Glück noch Planeten da geahnt, wo man später die Ceres, Vesta, Pallas usw. entdeckt hat; aber eine konsequente Reihe, worin Vernunft, Verstand ist, hat die Astronomie noch nicht darin gefunden. Sie sieht vielmehr mit Verachtung auf die regelmäßige Darstellung dieser Reihe; für sich ist es aber ein höchst wichtiger Punkt, der nicht aufzugeben ist.

d) Von ihrem Prinzip haben die Pythagoreer auch Anwendung auf die Seele gemacht, und sie haben so das Geistige als Zahl bestimmt. Aristoteles erzählt ferner, sie hätten gemeint, die Seele sei die Sonnenstäubchen; andere: das,[263] was dieselben bewegt. Sie seien darauf gekommen, weil diese sich immer bewegen, auch wenn vollkommene Windstille ist, und sie daher eigene Bewegung haben müßten. Dies will nicht viel bedeuten; aber man sieht doch daraus, daß sie »die Bestimmung des Selbstbewegens in der Seele« gesucht haben. Die nähere Anwendung der Zahlenbegriffe auf die Seele machten sie so: »Eine andere Darstellung ist folgende. Der Verstand, der Gedanke (nous) sei das Eins«, für sich, als das Sichselbstgleiche; »das Erkennen oder die Wissenschaft sei die Zwei, denn sie gehe allein (monachôs für sich) auf das Eins. Die Zahl der Fläche aber sei die Vorstellung, die Meinung« (drei); »die sinnliche Empfindung sei die Zahl des Körperlichen« (vier), – Potenzen heutzutage. »Alle Dinge werden beurteilt entweder durch den Verstand oder die Wissenschaft oder die Meinung oder die Empfindung.« In diesen Bestimmungen, die man jedoch wohl späteren Pythagoreern zuschreiben muß, kann man wohl etwas Entsprechendes finden, da der Gedanke die reine Allgemeinheit ist, das Erkennen es schon mehr mit anderem zu tun hat (das Wissen geht schon weiter, es gibt sich eine Bestimmung, einen Inhalt), die Empfindung das nach seiner Bestimmtheit Entwickeltste ist. »Indem die Seele nun zugleich sich selbst bewege, so sei sie die sich selbst bewegende Zahl.« Wir finden es in keiner Verbindung mit der Monas ausgesprochen.

Dies ist ein einfaches Verhältnis zu Zahlenbestimmungen. Ein verwickelteres führt Aristoteles von Timaios an (im Platonschen Timaios kommt diese Vorstellung ausgeführter vor): Die Seele bewege sich selbst und deswegen auch den Körper, weil sie mit ihm verflochten sei (dia to sympeplechthai pros auto). Sie bestehe aus den Elementen (synestêkyian ek tôn stoicheiôn Zahlen) und sei nach den harmonischen Zahlen geteilt ( [264] kai memerismenên kata tous harmonikous), damit sie Empfindung und eine ihr unmittelbar inwohnende Harmonie habe (symphyton harmonian). Er sagt ferner: »Und damit das Ganze einklingende Triebe (symphônous phoras Bewegungen, Richtungen) habe, so hat er (Timaios) die Geradheit (euthyôrian die Linie der Harmonie) in einen Kreis umgebogen und aus dem ganzen Kreise wieder zwei Kreise abgeteilt, die zweifach (an zwei Punkten, dissachê) zusammenhängen; und den einen von diesen Kreisen endlich wieder in sieben Kreise geteilt, damit, wie die Bewegungen des Himmels, so auch die der Seele seien.« Die Deutung hiervon hat leider Aristoteles nicht näher angegeben. Diese Vorstellungen haben tiefes Bewußtsein der Harmonie des Ganzen. Es sind aber Formen, die für sich dunkel bleiben, weil sie ungeschickt und unpassend sind; immer eine tiefe Anschauung und gewaltsame Wendung, in der Unterscheidung und Auseinanderhaltung wieder die Vereinigung festzuhalten und darzustellen, – ein Kampf mit dem Material der Darstellung, wie in mythischen Formen, Verzerrungen. Nichts hat die Weichheit des Gedankens als der Gedanke selbst. Merkwürdig ist es, daß sie die Seele als ein System gefaßt haben, was von dem Systeme des Himmels ein Gegenbild sei. Bei den Platonischen Zahlen findet sich dieselbe Vorstellung davon, daß die Reihe der Verhältnisse umgebogen sei in einen Kreis usf. Platon gibt auch die näheren Zahlenverhältnisse (aber auch nicht ihre Bedeutung) an; man hat bis auf den heutigen Tag noch nichts besonders Kluges daraus machen können. So ein Zahlenarrangement ist leicht; aber die Bedeutung mit Sinnigkeit anzugeben, ist schwierig und wird immer willkürlich bleiben. »Er hat nicht gut gesagt, daß die Seele eine Größe sei. Denn der Verstand (nous) ist Eins und identisch (heis kai synechês), wie das Denken (hôsper kai hê noêsis); das Denken aber ist die Gedanken (hê de noêsis ta noêmata).«

Merkwürdig ist noch eine Bestimmung der Pythagoreer in Rücksicht auf die Seele; dies ist die Seelenwanderung[265] (metempsychôsis). Cicero sagt, Pherekydes, der Lehrer des Pythagoras, habe zuerst gesagt, die Seelen der Menschen seien unsterblich. Die Lehre von der Seelenwanderung erstreckt sich auch weit nach Indien hinein, und ohne Zweifel hat Pythagoras sie von den Ägyptern geschöpft; und dies sagt Herodot (II, 123) ausdrücklich. Nachdem er von dem Mythischen der Ägypter in Ansehung der Unterwelt erzählt, fügt er hinzu: »Die Ägypter sind die ersten gewesen, welche gesagt haben, die Seele des Menschen ist unsterblich und geht«, nach seinem Tode, »wenn der Körper zugrunde geht, in ein anderes Lebendiges über. Und wenn sie« (nicht als Strafe) »alle Landtiere, Meertiere und Vögel durchgegangen sei« (Totalität der Metempsychose), »so nimmt sie wieder den Leib eines Menschen ein; in 3000 Jahren wird solch eine Periode vollendet.27 Diese Vorstellungen sind auch unter den Hellenen.28 Es gibt einige, die früher oder später sich dieser Lehre bedient und davon gesprochen haben, als sei sie ihnen eigentümlich (echrêsanto hôs idiô). Ich kenne deren Namen wohl, will ihn aber nicht schreiben.« Er meint damit unleugbar Pythagoras und seine Schüler.

Worüber in der Folge noch viel gefabelt worden, – alberne Geschichten: »Pythagoras selbst voll versichert haben daß er noch wisse, wer er früher gewesen sei, Hermes habe ihm das Bewußtsein seines Zustandes vor seiner Geburt verliehen. α) Er habe als des Hermes Sohn Aethalides gelebt; β) dann im Trojanischen Kriege als Euphorbos, Sohn des Panthoos, der den Patroklos getötet und von Menelaos getötet worden; γ) Hermotimos; δ) ein Pyrrhos, Fischer von Delos, – in allem über 207 Jahre. Jenen Schild habe Menelaos dem[266] Apollo geweiht und Pythagoras sich in den Tempel begeben und von dem vermoderten Schild Zeichen angegeben, die vorher unbekannt und woran sie ihn wiedererkannt.« Mit den sehr verschiedenen Fabeln wollen wir uns nicht aufhalten.

Es ist schon bemerkt, daß Pythagoras auch seinen Bund von den ägyptischen Priestern angenommen hat. Gleich abzuschneiden ist die eine und die andere dieser orientalischen, aus der Fremde genommenen, ungriechischen Vorstellungen, die von dem griechischen Geiste zu entfernt gewesen, als daß sie Bestand und Entwicklung haben konnten. Die Seelenwanderung war vorübergehend in Griechenland, hat kein philosophisches Interesse. Bei den Griechen ist das Bewußtsein höherer freier Individualität schon zu stark gewesen, als daß die Vorstellung hätte haften können, daß der freie Mensch, dies fürsichseiende Beisichsein übergehe in die Weise des Tieres. Sie haben zwar die Vorstellung von Menschen, die zu Quellen, Bäumen, Tieren usw. geworden sind, aber es liegt die Vorstellung der Degradation dabei zugrunde; es erscheint als eine Strafe, als Folge von Vergehen.

Das Bestimmtere über die sogenannte Seelenwanderung des Pythagoras führt Aristoteles an, bei Gelegenheit, daß, »da die Seele dem Körper inwohne, nichts bestimmt werde, aus welcher Ursache (dia tin' aitian) und wie der Körper sich verhalte (kai pôs echontos tou sômatos). Denn wegen der Gemeinschaft handelt die eine, der andere leidet: jene bewegt, dieser wird bewegt; nichts hiervon geschieht aber bei gegeneinander Zufälligen (toutôn d' ouden hyparchei pros allêla tois tychousin).« Aristoteles macht die Vorstellung von der Seelenwanderung auf kurze Weise, nach seiner Manier, zunichte. Er sagt: »Nach den pythagoreischen Mythen nehme die zufällige Seele den zufälligen Körper an (tên tychousan psychên eis tychon endyesthai sôma)«, so daß also die Organisation des Körpers für die Seele etwas[267] Zufälliges sei. »Es ist so gut, als ob sie sagten, daß die Baukunst Flöten annehme; denn Kunst muß Werkzeuge gebrauchen, die Seele des Körpers.« Jede Kunst hat aber ihre eigenen Werkzeuge: »Jedes muß seine Gestalt haben (eidos kai morphên).« Die Weise des Leibes ist nicht zufällig zu der Weise der Seele, und ebenso nicht umgekehrt. Diese Zufälligkeit liegt in der Seelenwanderung: die menschliche Seele ist auch tierische Seele. Aristoteles' Widerlegung ist genügend.

Die Idee der Metempsychose ist Totalität, der innere Begriff geht diese Formen durch, – ewige Metempsychose, orientalische Einheit in alles sich gestaltend; eben so ist sie philosophisch. Hier haben wir nicht diesen Sinn – etwa Dämmerung davon ist darin-, aber verständige, bestimmte Notwendigkeit: die bestimmte Seele, ein Ding, durchwandere alles. Die Seele ist das Selbstbewußte, Denkende, -jenes Ding gar nicht diese Seele. Die Seele ist eben nicht so ein Ding wie die Leibnizische Monade, daß das Bläschen in der Tasse Kaffee vielleicht eine empfindende, denkende Seele wird, – eine abstrakte, leere Identität. Es hätte kein Interesse in Ansehung der Unsterblichkeit.

27

Die Seele durchlaufe einen Kreis: Diogenes Laertios VIII, § 14

28

Auch die Geten hatten Glauben an Unsterblichkeit – athanatizontas nennt sie Herodot (IV, 93) – und deswegen Tapferkeit.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 256-268.
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