3. Melissos

[293] Es ist wenig von ihm zu sagen. Aristoteles, wo er seiner erwähnt, erwähnt ihn immer mit Parmenides zusammen, als ihm gleich in seinen Gedanken. Er wird Schüler des Parmenides genannt, allein dies Schüler-Sein ist etwas Unbestimmtes. Es wird ebenso von ihm angegeben, daß er mit Heraklit umgegangen. Er war ein Samier wie Pythagoras, sonst ein angesehener Staatsmann unter seinem Volke. Es wird von Plutarch angeführt, daß er als Admiral der[293] Samier in einer Schlacht über die Athenienser einen Sieg davongetragen habe. Er blühte um die 84. Olympiade (444 v. Chr.). Es ist in Ansehung der Philosophie wenig von ihm zu bemerken. Von seiner prosaischen Schrift über die Natur hat Simplicius (7) mehrere Fragmente erhalten, welche dieselben Gedanken und Argumentationen wie des Parmenides, nur zum Teil etwas ausgeführter, zeigen. Es wäre die Frage, ob das, was bei Aristoteles dem Xenophanes zugeschrieben wird, nicht ihm angehöre; in der Form sieht es zu gebildet, nicht nur für Xenophanes, sondern selbst für Parmenides aus.

Nur Aristoteles gibt dies Bestimmte in Ansehung des Unterschiedes seiner Philosophie von der des Parmenides an, daß nämlich α) Parmenides das Eins dem Begriffe nach (kata logon), Melissos der Materie nach (kath' hylên) aufzufassen scheine, – jener das Wesen als Wesen des Gedankens, dieser als Materie. Allein eben im reinen Wesen, Sein, Eins fällt dieser Unterschied hinweg; es ist sowohl reine Materie als reiner Gedanke (wenn ich von diesem Unterschiede spreche) für Parmenides und Melissos selbst nicht vorhanden, sondern aufgehoben, und es müßte nur in der Weise ihres Ausdrucks sein, wodurch der eine (mallon phortikos) es mehr so aufgefaßt zu haben scheinen könnte. Oder darin, daß β) Parmenides das Eine als begrenzt bestimmt habe, Melissos aber als unbegrenzt. Wenn Parmenides das Eins in der Tat als begrenzt bestimmt hätte, so widerspräche dies unmittelbar seiner Philosophie; denn die Grenze ist das Nichtsein des Seins, – er setzte das Nichtsein. Allein, wenn Parmenides von Grenze spricht, so sehen wir überhaupt, daß seine poetische Sprache nicht überall bestimmt ist; und dann Grenze, als reine Grenze, ist selbst einfach, absolute Negativität. Das Sein, als einfach, ist absolute Grenze von allem, was sonst gesagt und gesetzt wird; d.h. in ihm ist alles[294] andere aufgehoben. Die Notwendigkeit ist ebenso diese reine Negativität, reine Bewegung in sich selbst (obgleich unbewegt als Gedanke), – absolut das Gegenteil, an sein Gegenteil gebunden. γ) Oder darin, daß Parmenides eine Wissenschaft der Meinung (oder der Wirklichkeit) zugleich aufstellte, der also das Sein als Wesen für den Gedanken mehr entgegenstände.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 293-295.
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