C. Die Eleatische Schule

[275] Die pythagoreische Philosophie hat noch nicht die spekulative Form des Ausdrucks für den Begriff. Zahlen sind der Begriff, aber in der Weise der Vorstellung, der Anschauung, – Unterschiede in der Form des Quantitativen, nicht als reine Begriffe ausgedrückt; eine Vermischung von beidem. Dieser Ausdruck des absoluten Wesens in einem solchen, das ein reiner Begriff ist, oder einem Gedachten, und die Bewegung des Begriffs oder des Denkens ist das Nächste, was wir sehen, daß es notwendig eintritt; und dies finden wir in der eleatischen Schule. In ihr sehen wir den Gedanken sich selbst frei für sich selbst werden, – in dem, was die Eleaten als das absolute Wesen aussprechen, den Gedanken sich selbst rein ergreifen, und die Bewegung des Gedankens in Begriffen. Wir finden hier den Anfang der Dialektik, d.h. eben der reinen Bewegung des Denkens in Begriffen; damit den Gegensatz des Denkens gegen die Erscheinung oder das sinnliche Sein, – dessen was an sich ist gegen das Für-ein-Anderes-Sein dieses Ansich, und an dem gegenständlichen Wesen den Widerspruch, den es an ihm selbst hat (die eigentliche Dialektik). Wenn wir zum voraus darüber reflektieren, wie der Gang des reinen Gedankens beschaffen sein müsse, so ergibt sich, daß α) der reine Gedanke (das reine Sein, das Eins, als nooumenon) in seiner starren Einfachheit und Sichselbstgleicheit sich unmittelbar setzt -und alles andere als das Nichtige; β) der zuerst schüchterne Gedanke – welcher, nachdem er erstarkt, das Andere gelten läßt und sich daran macht – erklärt, daß er alsdann das Andere ebenso in seiner Einfachheit auffaßt und an diesem selbst seine Nichtigkeit aufzeigt, γ) er das Andere in der Mannigfaltigkeit seiner Bestimmungen überhaupt setzt. So werden wir die Ausbildung der Eleaten in der Geschichte sehen. Diese eleatischen Sätze interessieren noch jetzt die Philosophie, sind notwendige Momente, die in ihr vorkommen müssen.[275]

Es ist zu dieser Schule Xenophanes, Parmenides, Melissos und Zenon zu rechnen. Xenophanes ist als der Stifter derselben anzusehen, Parmenides wird als sein Schüler angegeben und Melissos, vorzüglich aber Zenon als Schüler des Parmenides. Sie sind in der Tat als eleatische Schule zusammenzufassen. Später verliert sie ihren Namen, heißt Sophistik, und auch ihr Lokal geht nach dem eigentlichen Griechenland über. Was Xenophanes angefangen, hat Parmenides und Melissos weiter ausgebildet, und ebenso was diese gelehrt, hat dann Zenon vervollkommnet. Aristoteles charakterisiert die drei ersten so: »Parmenides scheint das Eins dem Begriffe nach (tou kata ton logon henos) aufzufassen, Melissos der Materie nach (tou kata tên hylên); deshalb sagt auch jener, es sei begrenzt, dieser, es sei unbegrenzt. Xenophanes aber, der zuerst unter ihnen den Satz des Einen ausgesprochen (denn Parmenides wird als sein Schüler angegeben), hat nichts deutlich dargestellt«, über dies Eine nichts weiter bestimmt »und keine dieser Bestimmungen berührt (oude tês physeôs toutôn eoike oudeteras thigein), sondern in den ganzen Himmel« (wie wir sagen, ins Blaue hinein) »sehend gesagt, Gott sei das Eine. Xenophanes und Melissos sind überhaupt etwas roher (mikron agroikoteroi); Parmenides aber dringt tiefer ein (mallon blepôn)«, und er kommt zu bestimmteren Begriffen. Von Xenophanes und Melissos ist uns überhaupt weniger zu sagen; besonders, was von diesem noch in Fragmenten und in Nachrichten anderer auf uns gekommen, ist noch in trüber Gärung, und es ist weniger Bewußtsein über seine Begriffe vorhanden. Überhaupt waren die philosophische Sprache und Begriffe noch arm, und die Philosophie hat erst in Zenon ein reineres Aussprechen ihrer selbst erlangt.[276]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 275-277.
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