3. Die kynische Schule

[551] Von derselben ist nichts Besonderes zu bemerken. Die Kyniker haben wenig philosophische Ausbildung, und zu einem System, zu einer Wissenschaft haben sie es nicht gebracht; später wurde es erst durch die Stoiker zu einer philosophischen Disziplin. Bei den Kynikern wie bei den Kyrenaikern war die Richtung: zu bestimmen, was für das Bewußt sein sowohl für seine Erkenntnis als für seine Handlungen das Prinzip sein sollte. Die Kyniker haben auch das Gute als allgemeinen Zweck gesetzt: Worin ist es zu suchen für den individuellen Menschen? Wenn die Kyrenaiker ihrem bestimmten[551] Prinzip nach das Bewußtsein seiner als eines Einzelnen oder das Gefühl zum Wesen für das Bewußtsein machten, so dagegen die Kyniker diese Einzelheit, insofern sie unmittelbar für mich die Form der Allgemeinheit hat, d.h. insofern ich ein gegen alle Einzelheit gleichgültiges, freies Bewußtsein bin. Sie stehen zunächst den Kyrenaikern entgegen; denn während diesen das Gefühl als Prinzip erscheint, das freilich, indem es durch den Gedanken bestimmt werden soll, zur Allgemeinheit und vollkommenen Freiheit erweitert wird, fangen jene mit der vollkommenen Freiheit und Unabhängigkeit als Bestimmung des Menschen an. Es ist dieselbe Gleichgültigkeit des Selbstbewußtseins, welche Hegesias als das Wesen ausgesprochen hatte; diese Extreme in der Konsequenz ihres Satzes heben sich selbst auf und gehen ineinander über. Bei den Kyrenaikern ist die rückkehrende Bewegung der Dinge ins Bewußtsein: es ist nichts für mich das Wesen. Den Kynikern ist es ebenso um sich selbst zu tun; das einzelne Selbstbewußtsein war gleichfalls Prinzip. Die Kyniker haben, wenigstens im Anfang, den Grundsatz für die Bestimmung des Menschen aufgestellt: Freiheit und Gleichgültigkeit sowohl des Gedankens als des wirklichen Lebens gegen alle äußere Einzelheit, besonderen Zwecke, Bedürfnisse und Genüsse, so daß die Bildung nicht nur zur Unabhängigkeit in sich, zur Gleichgültigkeit dagegen fortgehe wie bei den Kyrenaikern, sondern zur ausdrücklichen Entbehrung, Beschränkung der Bedürfnisse auf das Notwendige, was die Natur unmittelbar fordert. Die Kyniker haben als den Inhalt des Guten die höchste Unabhängigkeit von der Natur gesetzt, d.h. die wenigsten Bedürfnisse; es ist eine Flucht vor dem Genusse, eine Flucht vor dem Angenehmen der Empfindung. Das Negative dagegen ist hier das Bestimmende, wie auch später dieser Gegensatz zwischen Kynikern und Kyrenaikern, ebenso zwischen den Stoikern und Epikureern hervortritt. Es zeigt sich hier schon, wie die Kyniker das Negative zum Prinzip machten, – dieselbe Negation, die sich auch findet[552] in der weiteren Ausbildung, die die kyrenaische Philosophie genommen hat.

Eine wissenschaftliche Wichtigkeit hat die kynische Schule nicht; sie macht nur ein Moment aus, das notwendig im Bewußtsein des Allgemeinen vorkommen muß: das Bewußtsein muß sich in seiner Einzelheit frei wissen von aller Abhängigkeit der Dinge und Genusses. (Wer am Reichtume oder dem Vergnügen hängt, dem ist als reales Bewußtsein in der Tat solche Dinglichkeit oder seine Einzelheit das Wesen.) Allein die Kyniker fixierten dies Moment so, daß sie die Freiheit in die wirkliche Entsagung des sogenannten Überflüssigen setzten; sie erkannten nur diese abstrakte bewegungslose Selbständigkeit, die sich mit Genuß, Interesse für das allgemeine Leben und in demselben nicht einläßt. Allein die wahrhafte Freiheit besteht nicht in dieser Flucht des Genusses und der Beschäftigung, die auf andere Menschen, andere Lebenszwecke geht, sondern daß das Bewußtsein in dieser Verwicklung in alle Realität über ihr steht und frei von ihr ist.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 551-553.
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