c. Verhältnis beider Seiten als Qualitäten

[402] 1. Die qualitative, an sich bestimmte Seite des Quantums ist nur als Beziehung auf das äußerlich Quantitative; als Spezifizieren desselben ist sie das Aufheben seiner Äußerlichkeit, durch welche das Quantum als solches ist; sie hat so dasselbe zu ihrer Voraussetzung und fängt von ihm an. Dieses aber ist von der Qualität selbst auch qualitativ unterschieden; dieser Unterschied beider ist in der Unmittelbarkeit des Seins überhaupt, in welcher das Maß noch ist, zu setzen; so sind beide Seiten qualitativ gegeneinander und jede für sich ein solches Dasein, und das eine, zunächst nur als [das] formelle, an ihm unbestimmte Quantum ist das Quantum eines Etwas und seiner Qualität und, wie sich deren Beziehung aufeinander nun zum Maße überhaupt bestimmt hat, gleichfalls die spezifische Größe dieser Qualitäten. Diese Qualitäten sind nach der Maßbestimmung im Verhältnis zueinander, – diese ist ihr Exponent; sie sind aber an sich schon im Fürsichsein des Maßes aufeinander bezogen, das Quantum ist in seinem Doppelsein als äußerliches und spezifisches, so daß jede der unterschiedenen Quantitäten diese zweifache Bestimmung an ihr hat und zugleich schlechthin[402] mit der anderen verschränkt ist; eben darin allein sind die Qualitäten be stimmt. Sie sind so nicht nur füreinander seiendes Dasein überhaupt, sondern untrennbar gesetzt, und die an sie geknüpfte Größenbestimmtheit ist eine qualitative Einheit, – eine Maßbestimmung, in der sie ihrem Begriffe nach, an sich zusammenhängen. Das Maß ist so das immanente quantitative Verhalten zweier Qualitäten zueinander.

2. Im Maß tritt die wesentliche Bestimmung der veränderlichen Größe ein, denn es ist das Quantum als aufgehoben, also nicht mehr als das, was es sein soll, um Quantum zu sein, sondern als Quantum und zugleich als etwas anderes; dies Andere ist das Qualitative und, wie bestimmt worden, nichts anderes als das Potenzenverhältnis desselben. Im unmittelbaren Maße ist diese Veränderung noch nicht gesetzt; es ist nur irgend und zwar ein einzelnes Quantum überhaupt, an das eine Qualität geknüpft ist. Im Spezifizieren des Maßes, der vorhergehenden Bestimmung, als einer Veränderung des bloß äußerlichen Quantums durch das Qualitative ist Unterschiedenheit beider Größenbestimmtheiten und damit überhaupt die Mehrheit von Maßen an einem gemeinschaftlichen äußerlichen Quantum gesetzt; das Quantum zeigt sich erst als daseiendes Maß in solcher Unterschiedenheit seiner von sich selbst, indem es, ein und dasselbe (z.B. dieselbe Temperatur des Mediums), zugleich als verschiedenes, und zwar quantitatives Dasein (in den verschiedenen Temperaturen der in jenem befindlichen Körper) hervortritt. Diese Unterschiedenheit des Quantums in den verschiedenen Qualitäten – den verschiedenen Körpern – gibt eine weitere, diejenige Form des Maßes, in welcher beide Seiten als qualitativ bestimmte Quanta sich zueinander verhalten, was das realisierte Maß genannt werden kann.

Die Größe ist als eine Größe überhaupt veränderlich, denn ihre Bestimmtheit ist als eine Grenze, die zugleich keine ist; die Veränderung betrifft insofern nur ein besonderes Quantum, an dessen Stelle ein anderes gesetzt wird; die wahrhafte[403] Veränderung aber ist die des Quantums als solchen; dies gibt die – so gefaßt – interessante Bestimmung der veränderlichen Große in der höheren Mathematik; wobei nicht bei dem Formellen der Veränderlichkeit überhaupt stehenzubleiben noch andere als die einfache Bestimmung des Begriffs herbeizunehmen ist, nach welcher das Andere des Quantums nur das Qualitative ist. Die wahrhafte Bestimmung also der reellen veränderlichen Größe ist, daß sie die qualitativ, hiermit, wie zur Genüge gezeigt worden, die durch ein Potenzenverhältnis bestimmte ist; in dieser veränderlichen Größe ist es gesetzt, daß das Quantum nicht als solches gilt, sondern nach seiner ihm anderen Bestimmung, der qualitativen.

Die Seiten dieses Verhaltens haben nach ihrer abstrakten Seite als Qualitäten überhaupt irgendeine besondere Bedeutung, z.B. Raum und Zeit. In ihrem Maßverhältnis als Größenbestimmtheiten zunächst überhaupt genommen, ist die eine davon Anzahl, die in äußerlicher, arithmetischer Progression auf- und abgeht, die andere eine Anzahl, die durch jene, welche Einheit für sie ist, spezifisch bestimmt wird. Insofern jede ebenso nur eine besondere Qualität überhaupt wäre, läge kein Unterschied in ihnen, welche von den beiden, in Rücksicht auf ihre Größenbestimmung, als die bloß äußerlich quantitative und welche als die in quantitativer Spezifikation sich verändernd genommen werde. Wenn sie sich z.B. als Wurzel und Quadrat verhalten, ist es gleichviel, an welcher die Vermehrung oder Verminderung als bloß äußerlich, in arithmetischer Progression fortgehend, und welche dagegen als an diesem Quantum sich spezifisch bestimmend angesehen wird.

Aber die Qualitäten sind nicht unbestimmt verschieden gegeneinander, denn in ihnen soll als Momenten des Maßes die Qualifikation desselben liegen. Die nächste Bestimmtheit der Qualitäten selbst ist: der einen, das Extensive, die Äußerlichkeit an ihr selbst zu sein, der anderen, das Intensive, das Insichseiende oder Negative gegen jene. Von den[404] quantitativen Momenten kommt hiernach jener die Anzahl, dieser die Einheit zu; im einfachen direkten Verhältnisse ist jene als der Dividend, diese als Divisor, im spezifizierenden Verhältnis jene als die Potenz oder das Anderswerden, diese als Wurzel zu nehmen. Insofern hier noch gezählt, d. i. auf das äußerliche Quantum (das so als die ganz zufällige, empirisch genannte Größenbestimmtheit ist) reflektiert, hiermit die Veränderung gleichfalls auch als in äußerlicher, arithmetischer Progression fortgehend genommen wird, so fällt dies auf die Seite der Einheit, der intensiven Qualität; die äußerliche, extensive Seite hingegen ist als in der spezifizierten Reihe sich verändernd darzustellen. Aber das direkte Verhältnis (wie die Geschwindigkeit überhaupt, s/t) ist hier zur formellen, nicht existierenden, sondern nur der abstrahierenden Reflexion angehörigen Bestimmung herabgesetzt; und wenn noch im Verhältnis von Wurzel und Quadrat (wie in s = at2) die Wurzel als empirisches Quantum und in arithmetischer Progression fortgehend, die andere Seite aber als spezifiziert zu nehmen ist, so ist die höhere, dem Begriffe entsprechendere Realisation der Qualifikation des Quantitativen diese, daß beide Seiten in höheren Potenzenbestimmungen (wie in s3 = at2 der Fall ist) sich verhalten.


Anmerkung

Das hier Erörterte in Rücksicht des Zusammenhangs der qualitativen Natur eines Daseins und seiner Quantitätsbestimmung im Maße hat seine Anwendung in dem schon angedeuteten Beispiel der Bewegung, zunächst daß in der Geschwindigkeit, als dem direkten Verhältnisse von durchlaufenem Räume und verflossener Zeit, die Größe der Zeit als Nenner, die Größe des Raums dagegen als Zähler angenommen wird. Wenn Geschwindigkeit überhaupt nur ein Verhältnis vom Raum und der Zeit einer Bewegung ist, so ist es gleichgültig, welches von beiden Momenten als die Anzahl oder als die Einheit betrachtet werden soll. Aber Raum, wie in der spezifischen Schwere das Gewicht, ist[405] äußerliches, reales Ganzes überhaupt, somit Anzahl; die Zeit hingegen, wie das Volumen, ist das Ideelle, das Negative, die Seite der Einheit. – Wesentlich aber gehört hierher das wichtigere Verhältnis, daß in der freien Bewegung, zuerst der noch bedingten des Falls, Zeit- und Raumquantität, jene als Wurzel, diese als Quadrat, oder, in der absolutfreien Bewegung der Himmelskörper, die Umlaufszeit und die Entfernung, jene um eine Potenz tiefer als diese, jene als Quadrat, diese als Kubus, gegeneinander bestimmt seien. Dergleichen Grundverhältnisse beruhen auf der Natur der im Verhältnis stehenden Qualitäten, des Raums und der Zeit, und [auf] der Art der Beziehung, in welcher sie stehen, entweder als mechanische Bewegung, d. i. als unfreie, durch den Begriff der Momente nicht bestimmte, oder als Fall, d. i. bedingtfreie, oder als absolutfreie himmlische Bewegung, – welche Arten der Bewegung ebensowohl als deren Gesetze auf der Entwicklung des Begriffs ihrer Momente, des Raums und der Zeit, beruhen, indem diese Qualitäten als solche, an sich, d. i. im Begriffe sich als untrennbar erweisen und ihr quantitatives Verhältnis das Fürsichsein des Maßes, nur eine Maßbestimmung ist.

In Rücksicht auf die absoluten Maßverhältnisse darf wohl erinnert werden, daß die Mathematik der Natur, wenn sie des Namens von Wissenschaft würdig sein will, wesentlich die Wissenschaft der Maße sein müsse – eine Wissenschaft, für welche empirisch wohl viel, aber eigentlich wissenschaftlich, d. i. philosophisch noch wenig getan ist. Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie – wie Newton sein Werk genannt hat –, wenn sie diese Bestimmung in einem tieferen Sinn erfüllen sollten, als er und das ganze Baconsche Geschlecht von Philosophie und Wissenschaft hatte, müßten ganz andere Dinge enthalten, um ein Licht In diese noch dunklen, aber höchst betrachtungswürdigen Regionen zu bringen. – Es ist ein großes Verdienst, die empirischen Zahlen der Natur kennenzulernen, z.B. Entfernungen der Planeten voneinander, aber ein unendlich größeres, die[406] empirischen Quanta verschwinden zu machen und sie in eine allgemeine Form von Quantitätsbestimmungen zu erheben, so daß sie Momente eines Gesetzes oder Maßes werden; – unsterbliche Verdienste, die sich z.B. Galilei in Rücksicht auf den Fall und Kepler in Rücksicht auf die Bewegung der himmlischen Körper erworben hat. Sie haben die Gesetze, die sie gefunden haben, so erwiesen, daß sie gezeigt haben, daß ihnen der Umfang der Einzelheiten der Wahrnehmung entspricht. Es muß aber noch ein höheres Beweisen dieser Gesetze gefordert werden, nämlich nichts anderes, als daß ihre Quantitätsbestimmungen aus den Qualitäten oder bestimmten Begriffen, die bezogen sind (wie Zeit und Raum), erkannt werden. Von dieser Art des Beweisens findet sich in jenen mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie sowie in den ferneren Arbeiten dieser Art noch keine Spur. Es ist oben bei Gelegenheit des Scheins mathematischer Beweise von Naturverhältnissen, der sich auf den Mißbrauch des Unendlichkleinen gründet, bemerkt worden, daß der Versuch, solche Beweise eigentlich mathematisch, d.h. weder aus der Empirie noch aus dem Begriffe zu führen, ein widersinniges Unternehmen ist. Diese Beweise setzen ihre Theoreme, eben jene Gesetze, aus der Erfahrung voraus; was sie leisten, besteht darin, sie auf abstrakte Ausdrücke und bequeme Formeln zu bringen. Das ganze reelle Verdienst, das Newton im Vorzug gegen Kepler in Beziehung auf die nämlichen Gegenstände zugeschrieben wird, wird – das Scheingerüst von Beweisen abgezogen – ohne Zweifel bei gereinigterer Reflexion über das, was die Mathematik zu leisten vermag und was sie geleistet hat, einst mit deutlicher Kenntnis auf jene Umformung des Ausdrucks15 und der den Anfängen nach eingeführten analytischen Behandlung eingeschränkt werden.[407]

15

S. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Anm. zu § 270 über die Umformung des Keplerschen s3/t2 in S2·S/T2 in das Newtonsche, indem der Teil S/t2 die Kraft der Schwere genannt worden ist.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 402-408.
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