b. Das Eins und das Leere

[184] Das Eins ist das Leere als die abstrakte Beziehung der Negation auf sich selbst. Aber von der einfachen Unmittelbarkeit, dem auch affirmativen Sein des Eins, ist das Leere als das Nichts schlechthin verschieden, und indem sie in einer Beziehung, des Eins selbst nämlich, stehen, ist ihre Verschiedenheit gesetzt, verschieden aber vom Seienden ist das Nichts als Leeres außer dem seienden Eins.

Das Fürsichsein, indem es sich auf diese Weise als das Eins und das Leere bestimmt, hat wieder ein Dasein erlangt. – Das Eins und das Leere haben die negative Beziehung auf sich zu ihrem gemeinschaftlichen, einfachen Boden. Die Momente des Fürsichseins treten aus dieser Einheit, werden sich Äußerliche; indem durch die einfache Einheit der Momente die Bestimmung des Seins hereinkommt, so setzt sie sich selbst zu einer Seite, damit zum Dasein herab, und darin stellt sich ihre andere Bestimmung, die Negation überhaupt, gleichfalls als Dasein des Nichts, als das Leere gegenüber.


Anmerkung

Das Eins in dieser Form von Dasein ist die Stufe der Kategorie, die bei den Alten als das atomistische Prinzip vorgekommen[184] ist, nach welchem das Wesen der Dinge ist – das Atome und das Leere (to atomon oder ta atoma kai to kenon). Die Abstraktion, zu dieser Form gediehen, hat eine größere Bestimmtheit gewonnen als das Sein des Parmenides und das Werden des Heraklit. So hoch sie sich stellt, indem sie diese einfache Bestimmtheit des Eins und des Leeren zum Prinzip aller Dinge macht, die unendliche Mannigfaltigkeit der Welt auf diesen einfachen Gegensatz zurückführt und sie aus ihm zu erkennen sich erkühnt, ebenso leicht ist es für das vorstellende Reflektieren, sich hier Atome und daneben das Leere vorzustellen. Es ist daher kein Wunder, daß das atomistische Prinzip sich jederzeit erhalten hat; das gleich triviale und äußerliche Verhältnis der Zusammensetzung, das noch hinzukommen muß, um zum Scheine eines Konkreten und einer Mannigfaltigkeit zu gelangen, ist ebenso populär als die Atome selbst und das Leere. Das Eins und das Leere ist das Fürsichsein, das höchste qualitative Insichsein zur völligen Äußerlichkeit herabgesunken; die Unmittelbarkeit oder das Sein des Eins, weil es die Negation alles Andersseins ist, ist gesetzt, nicht mehr bestimmbar und veränderlich zu sein; für dessen absolute Sprödigkeit bleibt also alle Bestimmung, Mannigfaltigkeit, Verknüpfung schlechthin äußerliche Beziehung.

In dieser Äußerlichkeit ist jedoch das atomistische Prinzip nicht bei den ersten Denkern desselben geblieben, sondern es hatte außer seiner Abstraktion auch eine spekulative Bestimmung darin, daß das Leere als der Quell der Bewegung erkannt worden ist; was eine ganz andere Beziehung des Atomen und des Leeren ist als das bloße Nebeneinander und die Gleichgültigkeit dieser beiden Bestimmungen gegeneinander. Daß das Leere der Quell der Bewegung ist, hat nicht den geringfügigen Sinn, daß sich Etwas nur in ein Leeres hineinbewegen könne und nicht in einen schon erfüllten Raum, denn in einem solchen fände es keinen Platz mehr offen; in welchem Verstande das Leere nur die Voraussetzung oder Bedingung, nicht der Grund der Bewegung wäre, so[185] wie auch die Bewegung selbst als vorhanden vorausgesetzt und das Wesentliche, ein Grund derselben, vergessen ist. Die Ansicht, daß das Leere den Grund der Bewegung ausmache, enthält den tieferen Gedanken, daß im Negativen überhaupt der Grund des Werdens, der Unruhe der Selbstbewegung liegt; in welchem Sinne aber das Negative als die wahrhafte Negativität des Unendlichen zu nehmen ist. -Das Leere ist Grund der Bewegung nur als die negative Beziehung des Eins auf sein Negatives, auf das Eins, d. i. auf sich selbst, das jedoch als Daseiendes gesetzt ist.

Sonst aber sind weitere Bestimmungen der Alten über eine Gestalt, Stellung der Atome, die Richtung ihrer Bewegung willkürlich und äußerlich genug und stehen dabei in direktem Widerspruch mit der Grundbestimmung des Atomen. An den Atomen, dem Prinzip der höchsten Äußerlichkeit und damit der höchsten Begrifflosigkeit, leidet die Physik in den Molekülen, Partikeln ebensosehr als die Staatswissenschaft, die von dem einzelnen Willen der Individuen ausgeht.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 184-186.
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