A. Die Auslegung des Absoluten

[187] Das Absolute ist nicht nur das Sein, noch auch das Wesen. Jene ist die erste unreflektierie Unmittelbarkeit, diese die reflektierte; jedes ist ferner Totalität an ihm selbst, aber eine bestimmte. Am Wesen tritt das Sein als Existenz hervor,[187] und die Beziehung von Sein und Wesen hat sich bis zum Verhältnisse des Inneren und Äußeren fortgebildet. Das Innere ist das Wesen, aber als die Totalität, welche wesentlich die Bestimmung hat, auf das Sein bezogen und unmittelbar Sein zu sein. Das Äußere ist das Sein, aber mit der wesentlichen Bestimmung, auf die Reflexion bezogen, unmittelbar ebenso verhältnislose Identität mit dem Wesen zu sein. Das Absolute selbst ist die absolute Einheit beider; es ist dasjenige, was überhaupt den Grund des wesentlichen Verhältnisses ausmacht, das als Verhältnis nur noch nicht in diese seine Identität zurückgegangen und dessen Grund noch nicht gesetzt ist.

Hieraus ergibt sich, daß die Bestimmung des Absoluten ist, die absolute Form zu sein, aber zugleich nicht als die Identität, deren Momente nur einfache Bestimmtheiten sind, – sondern [als] die Identität, deren Momente jedes an ihm selbst die Totalität und somit, als gleichgültig gegen die Form, der vollständige Inhalt des Ganzen ist. Aber umgekehrt ist das Absolute so der absolute Inhalt, daß der Inhalt, der als solcher gleichgültige Mannigfaltigkeit ist, die negative Formbeziehung an ihm hat, wodurch seine Mannigfaltigkeit nur eine gediegene Identität ist.

Die Identität des Absoluten ist somit dadurch die absolute, daß jeder seiner Teile selbst das Ganze oder jede Bestimmtheit die Totalität ist, d.h. daß die Bestimmtheit überhaupt ein schlechthin durchsichtiger Schein, ein in seinem Gesetztsein verschwundener Unterschied geworden ist. Wesen, Existenz, an sich seiende Welt, Ganzes, Teile, Kraft, – diese reflektierten Bestimmungen erscheinen dem Vorstellen als an und für sich geltendes, wahres Sein; das Absolute aber ist gegen sie der Grund, in dem sie untergegangen sind. – Weil nun im Absoluten die Form nur die einfache Identität mit sich ist, so bestimmt sich das Absolute nicht; denn die Bestimmung ist ein Formunterschied, der zunächst als solcher gilt. Weil es aber zugleich allen Unterschied und Formbestimmung überhaupt enthält oder weil es selbst die absolute[188] Form und Reflexion ist, so muß auch die Verschiedenheit des Inhalts an ihm hervortreten. Aber das Absolute selbst ist die absolute Identität; dies ist seine Bestimmung, indem alle Mannigfaltigkeit der an sich seienden und der erscheinenden Welt oder der innerlichen und äußerlichen Totalität in ihm aufgehoben ist. – In ihm selbst ist kein Werden, denn es ist nicht das Sein, noch ist es das sich reflektierende Bestimmen; denn es ist nicht das sich nur in sich bestimmende Wesen; es ist auch nicht ein Sich-Äußern, denn es ist als die Identität des Inneren und Äußeren. – Aber so steht die Bewegung der Reflexion seiner absoluten Identität gegenüber. Sie ist in dieser aufgehoben, so ist sie nur deren Innereres; hiermit aber ist sie ihr äußerlich. – Sie besteht daher zunächst nur darin, ihr Tun im Absoluten aufzuheben. Sie ist das Jenseits der mannigfaltigen Unterschiede und Bestimmungen und deren Bewegung, welches dem Absoluten im Rücken liegt; sie ist daher zwar das Aufnehmen derselben, aber zugleich ihr Untergehen; so ist sie die negative Auslegung des Absoluten, die vorhin erwähnt wurde. – In ihrer wahrhaften Darstellung ist diese Auslegung das bisherige Ganze der logischen Bewegung der Sphäre des Seins und des Wesens, deren Inhalt nicht von außen als ein gegebener und zufälliger aufgerafft, noch durch eine ihm äußere Reflexion in den Abgrund des Absoluten versenkt worden [ist], sondern sich an ihm durch seine innere Notwendigkeit bestimmt [hat] und als eigenes Werden des Seins und als Reflexion des Wesens in das Absolute als in seinen Grund zurückgegangen ist.

Diese Auslegung hat aber selbst zugleich eine positive Seite; insofern nämlich das Endliche darin, daß es zugrunde geht, diese Natur beweist, auf das Absolute bezogen zu sein oder das Absolute an ihm selbst zu enthalten. Aber diese Seite ist nicht sosehr die positive Auslegung des Absoluten selbst als vielmehr die Auslegung der Bestimmungen, daß sie nämlich das Absolute zu ihrem Abgrunde, aber auch zu ihrem Grunde haben oder daß das, was ihnen, dem Schein,[189] ein Bestehen gibt, das Absolute selbst ist. – Der Schein ist nicht das Nichts, sondern er ist Reflexion, Beziehung auf das Absolute; oder er ist Schein, insofern das Absolute in ihm scheint. Diese positive Auslegung hält so noch das Endliche vor seinem Verschwinden auf und betrachtet es als einen Ausdruck und Abbild des Absoluten. Aber die Durchsichtigkeit des Endlichen, das nur das Absolute durch sich hindurchblicken läßt, endigt in gänzliches Verschwinden; denn es ist nichts am Endlichen, was ihm einen Unterschied gegen das Absolute erhalten könnte; es ist ein Medium, das von dem, was durch es scheint, absorbiert wird.

Diese positive Auslegung des Absoluten ist daher selbst nur ein Scheinen; denn das wahrhaft Positive, was sie und der ausgelegte Inhalt enthält, ist das Absolute selbst. Was für weitere Bestimmungen vorkommen, die Form, worin das Absolute scheint, ist ein Nichtiges, das die Auslegung von außenher aufnimmt und woran sie einen Anfang zu ihrem Tun gewinnt. Eine solche Bestimmung hat nicht im Absoluten ihren Anfang, sondern nur ihr Ende. Dieses Auslegen ist daher zwar absolutes Tun durch seine Beziehung auf das Absolute, in das es zurückgeht, aber nicht nach seinem Ausgangspunkte, der eine dem Absoluten äußerliche Bestimmung ist.

In der Tat aber ist das Auslegen des Absoluten sein eigenes Tun, und das bei sich anfängt, wie es bei sich ankommt. Das Absolute, nur als absolute Identität, ist es bestimmt, nämlich als Identisches; es ist durch die Reflexion so gesetzt gegen die Entgegensetzung und Mannigfaltigkeit; oder es ist nur das Negative der Reflexion und des Bestimmens überhaupt. – Nicht nur jenes Auslegen des Absoluten ist daher ein Unvollkommenes, sondern auch dies Absolute selbst, bei welchem nur angekommen wird. Oder jenes Absolute, das nur als absolute Identität ist, ist nur das Absolute einer äußeren Reflexion. Es ist daher nicht das Absolut-Absolute, sondern das Absolute in einer Bestimmtheit, oder es ist Attribut.[190]

Aber das Absolute ist nicht nur Attribut, weil es Gegenstand einer äußeren Reflexion und somit ein durch sie Bestimmtes ist. – Oder die Reflexion ist nicht nur ihm äußerlich; sondern unmittelbar darum, weil sie ihm äußerlich ist, ist sie ihm innerlich. Das Absolute ist nur das Absolute, weil es nicht die abstrakte Identität, sondern die Identität des Seins und Wesens oder die Identität des Inneren und Äußeren ist. Es ist also selbst die absolute Form, welche es in sich scheinen macht und es zum Attribut bestimmt.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 187-191.
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