2. Die äußere Reflexion

[28] Die Reflexion als absolute Reflexion ist das in ihm selbst scheinende Wesen und setzt sich nur den Schein, das Gesetztsein voraus; sie ist als voraussetzende unmittelbar nur setzende Reflexion. Aber die äußerliche oder reale Reflexion setzt sich als aufgehoben, als das Negative ihrer voraus. Sie ist in dieser Bestimmung verdoppelt, das eine Mal als das Vorausgesetzte oder die Reflexion-in-sich, die das Unmittelbare ist. Das andere Mal ist sie die als negativ sich auf sich beziehende Reflexion; sie bezieht sich auf sich als auf jenes ihr Nichtsein.

Die äußerliche Reflexion setzt also ein Sein voraus, erstens nicht in dem Sinne, daß seine Unmittelbarkeit nur Gesetztsein oder Moment ist, sondern vielmehr, daß diese Unmittelbarkeit die Beziehung auf sich und die Bestimmtheit nur als Moment ist. Sie bezieht sich auf ihre Voraussetzung so, daß[28] diese das Negative der Reflexion ist, aber so, daß dieses Negative als Negatives aufgehoben ist. – Die Reflexion in ihrem Setzen hebt unmittelbar ihr Setzen auf, so hat sie eine unmittelbare Voraussetzung. Sie findet also dasselbe vor als ein solches, von dem sie anfängt und von dem aus sie erst das Zurückgehen in sich, das Negieren dieses ihres Negativen ist. Aber daß dies Vorausgesetzte ein Negatives oder Gesetztes ist, geht dasselbe nichts an; diese Bestimmtheit gehört nur der setzenden Reflexion an, aber in dem Voraussetzen ist das Gesetztsein nur als aufgehobenes. Was die äußerliche Reflexion an dem Unmittelbaren bestimmt und setzt, sind insofern demselben äußerliche Bestimmungen. – Sie war das Unendliche in der Sphäre des Seins; das Endliche gilt als das Erste, als das Reale; von ihm wird als dem zugrunde Liegenden und zugrunde Liegenbleibenden angefangen, und das Unendliche ist die gegenüberstehende Reflexion-in-sich.

Diese äußere Reflexion ist der Schluß, in welchem die beiden Extreme, das Unmittelbare und die Reflexion-in-sich, sind; die Mitte desselben ist die Beziehung beider, das bestimmte Unmittelbare, so daß der eine Teil derselben, die Unmittelbarkeit, nur dem einen Extreme, die andere, die Bestimmtheit oder Negation, nur dem anderen Extreme zukommt.

Aber das Tun der äußeren Reflexion näher betrachtet, so ist sie zweitens Setzen des Unmittelbaren, das insofern das Negative oder Bestimmte wird; aber sie ist unmittelbar auch das Aufheben dieses ihres Setzens; denn sie setzt das Unmittelbare voraus; sie ist im Negieren das Negieren dieses ihres Negierens. Sie ist aber unmittelbar damit ebenso Setzen, Aufheben des ihr negativen Unmittelbaren; und dieses, von dem sie als von einem Fremden anzufangen schien, ist erst in diesem ihrem Anfangen. Das Unmittelbare ist auf diese Weise nicht nur an sich, das hieße für uns oder in der äußeren Reflexion, dasselbe, was die Reflexion ist, sondern es ist gesetzt, daß es dasselbe ist. Es ist nämlich durch die Reflexion als ihr Negatives oder als ihr Anderes bestimmt, aber sie ist es selbst, welche dieses Bestimmen[29] negiert. – Es ist damit die Äußerlichkeit der Reflexion gegen das Unmittelbare aufgehoben; ihr sich selbst negierendes Setzen ist das Zusammengehen ihrer mit ihrem Negativen, mit dem Unmittelbaren, und dieses Zusammengehen ist die wesentliche Unmittelbarkeit selbst. – Es ist also vorhanden, daß die äußere Reflexion nicht äußere, sondern ebensosehr immanente Reflexion der Unmittelbarkeit selbst ist oder daß das, was durch die setzende Reflexion ist, das an und für sich seiende Wesen ist. So ist sie bestimmende Reflexion.


Anmerkung

Die Reflexion wird gewöhnlicherweise in subjektivem Sinne genommen als die Bewegung der Urteilskraft, die über eine gegebene unmittelbare Vorstellung hinausgeht und allgemeine Bestimmungen für dieselbe sucht oder damit vergleicht. Kant setzt die reflektierende Urteilskraft der bestimmenden Urteilskraft entgegen. (Kritik der Urteilskraft, Einleitung, S. XXIII f.) Er definiert die Urteilskraft überhaupt als das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken. Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert, bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft bloß reflektierend. Die Reflexion ist somit hier gleichfalls das Hinausgehen über ein Unmittelbares zum Allgemeinen. Das Unmittelbare wird teils erst durch diese Beziehung desselben auf sein Allgemeines bestimmt als Besonderes; für sich ist es nur ein Einzelnes oder ein unmittelbares Seiendes. Teils aber ist das, worauf es bezogen wird, sein Allgemeines, seine Regel, Prinzip, Gesetz, überhaupt das in sich Reflektierte, sich auf sich selbst Beziehende, das Wesen oder das Wesentliche.

Es ist aber hier nicht, weder von der Reflexion des Bewußtseins noch von der bestimmteren Reflexion des Verstandes,[30] die das Besondere und Allgemeine zu ihren Bestimmungen hat, sondern von der Reflexion überhaupt die Rede. Jene Reflexion, der Kant das Aufsuchen des Allgemeinen zum gegebenen Besonderen zuschreibt, ist, wie erhellt, gleichfalls nur die äußere Reflexion, die sich auf das Unmittelbare als auf ein Gegebenes bezieht. – Aber es liegt darin auch der Begriff der absoluten Reflexion; denn das Allgemeine, das Prinzip oder Regel und Gesetz, zu dem sie in ihrem Bestimmen fortgeht, gilt als das Wesen jenes Unmittelbaren, von dem angefangen wird, somit dieses als ein Nichtiges, und die Rückkehr aus demselben, das Bestimmen der Reflexion, erst als das Setzen des Unmittelbaren nach seinem wahrhaften Sein, also das, was die Reflexion an ihm tut, und die Bestimmungen, die von ihr herkommen, nicht als ein jenem Unmittelbaren Äußerliches, sondern als dessen eigentliches Sein.

Die äußerliche Reflexion war auch gemeint, wenn der Reflexion überhaupt, wie es eine Zeitlang Ton in der neueren Philosophie war, alles Üble nachgesagt und sie mit ihrem Bestimmen als der Antipode und Erbfeind der absoluten Betrachtungsweise angesehen wurde. In der Tat geht auch die denkende Reflexion, insofern sie sich als äußerliche verhält, schlechthin von einem gegebenen, ihr fremden Unmittelbaren aus und betrachtet sich als ein bloß formelles Tun, das Inhalt und Stoff von außen empfange und für sich nur die durch ihn bedingte Bewegung sei. – Ferner, wie sich sogleich bei der bestimmenden Reflexion näher ergeben wird, sind die reflektierten Bestimmungen anderer Art als die bloß unmittelbaren Bestimmungen des Seins. Letztere werden leichter als vorübergehende, bloß relative, in der Beziehung auf Anderes stehende zugegeben; aber die reflektierten Bestimmungen haben die Form des Anundfürsichseins; sie machen sich daher als die wesentlichen geltend, und statt übergehend in ihre entgegengesetzten zu sein, erscheinen sie vielmehr als absolut, frei und gleichgültig gegeneinander. Sie widersetzen sich daher hartnäckig ihrer Bewegung; das [31] Sein derselben ist ihre Identität mit sich in ihrer Bestimmtheit, nach welcher sie, ob sie sich zwar gegenseitig voraussetzen, in dieser Beziehung sich schlechthin getrennt erhalten.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 28-32.
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