a. Ding-an-sich und Existenz

[129] 1. Das Ding-an-sich ist das Existierende als das durch die aufgehobene Vermittlung vorhandene, wesentliche Unmittelbare. Darin ist dem Ding-an-sich die Vermittlung ebenso wesentlich; aber dieser Unterschied in dieser ersten oder unmittelbaren Existenz fällt in gleichgültige Bestimmungen auseinander. Die eine Seite, nämlich die Vermittlung des[129] Dinges, ist seine nicht reflektierte Unmittelbarkeit, also sein Sein überhaupt, das, weil es zugleich als Vermittlung bestimmt ist, ein sich selbst anderes, in sich mannigfaltiges und äußerliches Dasein ist. Es ist aber nicht nur Dasein, sondern in Beziehung auf die aufgehobene Vermittlung und wesentliche Unmittelbarkeit; es ist daher das Dasein als Unwesentliches, als Gesetztsein. – (Wenn das Ding von seiner Existenz unterschieden wird, so ist es das Mögliche, das Ding der Vorstellung oder das Gedankending, welches als solches nicht zugleich existieren soll. Die Bestimmung der Möglichkeit und der Gegensatz des Dings gegen seine Existenz ist jedoch später.) – Aber das Ding-an-sich und sein vermitteltes Sein sind beide in der Existenz enthalten und beide selbst Existenzen; das Ding-an-sich existiert und ist die wesentliche, das vermittelte Sein aber die unwesentliche Existenz des Dinges.

Das Ding-an-sich, als das einfache Reflektiertsein der Existenz in sich, ist nicht der Grund des unwesentlichen Daseins; es ist die unbewegte, unbestimmte Einheit, weil es eben die Bestimmung hat, die aufgehobene Vermittlung zu sein, und daher nur die Grundlage desselben. Darum fällt auch die Reflexion als das sich durch Anderes vermittelnde Dasein außer dem Dinge-an-sich. Dieses soll keine bestimmte Mannigfaltigkeit an ihm selbst haben und erhält sie deswegen erst an die äußerliche Reflexion gebracht, aber bleibt gleichgültig dagegen. (Das Ding-an-sich hat Farbe erst an das Auge gebracht, Geschmack an die Nase usf.) Seine Verschiedenheit sind Rücksichten, welche ein Anderes nimmt, bestimmte Beziehungen, die sich dieses auf das Ding-an-sich gibt und die nicht eigene Bestimmungen desselben sind.

2. Dies Andere ist nun die Reflexion, welche bestimmt als äußerlich erstens sich selbst äußerlich und die bestimmte Mannigfaltigkeit ist. Alsdann ist sie dem wesentlich Existierenden äußerlich und bezieht sich darauf als auf seine absolute Voraussetzung. Diese beiden Momente der äußerlichen Reflexion aber, ihre eigene Mannigfaltigkeit und ihre Beziehung[130] auf das ihr andere Ding-an-sich, sind ein und dasselbe. Denn diese Existenz ist nur äußerlich, insofern sie sich auf die wesentliche Identität als auf ein Anderes bezieht. Die Mannigfaltigkeit hat daher nicht jenseits des Dinges-an-sich ein eigenes selbständiges Bestehen, sondern ist erst als Schein gegen dieses, in ihrer notwendigen Beziehung darauf, als der sich an ihm brechende Reflex. Die Verschiedenheit ist also vorhanden als die Beziehung eines Anderen auf das Ding-an-sich; aber dieses Andere ist nichts für sich Bestehendes, sondern ist erst als Beziehung auf das Ding-an-sich; zugleich aber ist es nur als das Abstoßen von diesem; es ist so der haltlose Gegenstoß seiner in sich selbst.

Dem Ding-an-sich nun, da es die wesentliche Identität der Existenz ist, kommt daher diese wesenlose Reflexion nicht zu, sondern sie fällt ihm äußerlich in sich selbst zusammen. Sie geht zugrunde und wird damit selbst zur wesentlichen Identität oder zum Ding-an-sich. – Dies kann auch so betrachtet werden: Die wesenlose Existenz hat am Ding-an-sich ihre Reflexion-in-sich; sie bezieht sich darauf zunächst als auf ihr Anderes; aber als das Andere gegen das, was an sich ist, ist sie nur das Aufheben ihrer selbst und das Werden zum Ansichsein. Das Ding-an-sich ist somit identisch mit der äußerlichen Existenz.

Dies stellt sich am Ding-an-sich so dar. Das Ding-an-sich ist die sich auf sich beziehende, wesentliche Existenz; es ist nur insofern die Identität mit sich, als es die Negativität der Reflexion in sich selbst enthält; das, was als ihm äußerliche Existenz erschien, ist daher Moment in ihm selbst. Es ist deswegen auch sich von sich abstoßendes Ding-an-sich, das sich also zu sich als zu einem Anderen verhält. Somit sind nun mehrere Dinge-an-sich vorhanden, die in der Beziehung der äußerlichen Reflexion aufeinander stehen. Diese unwesentliche Existenz ist ihr Verhältnis zueinander als zu anderen; aber sie ist ihnen ferner selbst wesentlich, – oder diese unwesentliche Existenz, indem sie in sich zusammenfällt, ist Ding-an-sich, aber ein anderes als jenes erste; denn jenes[131] erste ist unmittelbare Wesentlichkeit, dieses aber das aus der unwesentlichen Existenz hervorgehende. Allein dieses andere Ding-an-sich ist nur ein anderes überhaupt, denn als mit sich identisches Ding hat es weiter keine Bestimmtheit gegen das erste; es ist die Reflexion der unwesentlichen Existenz in sich wie das erste. Die Bestimmtheit der verschiedenen Dinge-an-sich gegeneinander fällt daher in die äußerliche Reflexion.

3. Diese äußerliche Reflexion ist nunmehr ein Verhalten der Dinge-an-sich zueinander, ihre gegenseitige Vermittlung als anderer. Die Dinge-an-sich sind so die Extreme eines Schlusses, dessen Mitte ihre äußerliche Existenz ausmacht, die Existenz, durch welche sie andere füreinander und unterschiedene sind. Dieser ihr Unterschied fällt nur in ihre Beziehung; sie schicken gleichsam nur von ihrer Oberfläche Bestimmungen in die Beziehung, gegen welche sie als absolut in sich reflektierte gleichgültig bleiben. – Dieses Verhältnis macht nun die Totalität der Existenz aus. Das Ding-an-sich steht in Beziehung auf eine ihm äußerliche Reflexion, worin es mannigfaltige Bestimmungen hat; es ist dies das Abstoßen seiner von sich selbst in ein anderes Ding-an-sich. Dies Abstoßen ist der Gegenstoß seiner in sich selbst, indem jedes nur ein Anderes ist als sich aus dem Anderen widerscheinend; es hat sein Gesetztsein nicht an ihm selbst, sondern an dem Anderen, ist bestimmt nur durch die Bestimmtheit des Anderen; dies Andere ist ebenso bestimmt nur durch die Bestimmtheit des ersten. Aber die beiden Dinge-an-sich, da sie hiermit nicht die Verschiedenheit an ihnen selbst haben, sondern jedes nur an dem anderen, sind keine unterschiedenen; das Ding-an-sich verhält sich, indem es sich auf das andere Extrem als ein anderes Ding-an-sich verhalten soll, zu einem von ihm Ununterschiedenen, und die äußerliche Reflexion, welche die vermittelnde Beziehung zwischen Extremen ausmachen sollte, ist ein Verhalten des Dings-an-sich nur zu sich selbst oder wesentlich seine Reflexion-in-sich; sie ist somit an sich seiende Bestimmtheit oder die Bestimmtheit[132] des Dings-an-sich. Dieses hat dieselbe also nicht in einer ihm äußerlichen Beziehung auf ein anderes Ding-an-sich und des anderen auf es; die Bestimmtheit ist nicht nur eine Oberfläche desselben, sondern ist die wesentliche Vermittlung seiner mit sich als mit einem Anderen. – Die beiden Dinge-an-sich, welche die Extreme der Beziehung ausmachen sollen, fallen in der Tat in eins zusammen; es ist nur ein Ding-an-sich, das in der äußerlichen Reflexion sich zu sich selbst verhält, und es ist dessen eigene Beziehung auf sich als auf ein Anderes, was dessen Bestimmtheit ausmacht.

Diese Bestimmtheit des Dings-an-sich ist die Eigenschaft des Dings.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 129-133.
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