C. Auflösung der Erscheinung

[161] Die an und für sich seiende Welt ist der bestimmte Grund der erscheinenden Welt und ist dies nur, insofern sie an ihr selbst das negative Moment und damit die Totalität der Inhaltsbestimmungen und ihrer Veränderungen ist, welche der erscheinenden Welt entspricht, aber zugleich ihre durchaus entgegengesetzte Seite ausmacht. Beide Welten verhalten sich also so zueinander, daß, was in der erscheinenden Welt positiv, in der an und für sich seienden Welt negativ, [und] umgekehrt, was in jener negativ, in dieser positiv ist. Der Nordpol in der erscheinenden Welt ist an und für sich der Südpol und umgekehrt; die positive Elektrizität ist an sich negative usf. Was im erscheinenden Dasein böse, Unglück usf. ist, ist an und für sich gut und ein Glück.16[161]

In der Tat ist gerade in diesem Gegensatz beider Welten ihr Unterschied verschwunden, und was an und für sich seiende Welt sein sollte, ist selbst erscheinende Welt und diese umgekehrt an ihr selbst wesentliche Welt. – Die erscheinende Welt ist zunächst bestimmt als die Reflexion in das Anderssein, so daß ihre Bestimmungen und Existenzen in einem Anderen ihren Grund und Bestehen haben; aber indem dies Andere gleichfalls ein solches in ein Anderes reflektiertes ist, so beziehen sie sich darin nur auf ein sich aufhebendes Anderes, somit auf sich selbst; die erscheinende Welt ist hiermit an ihr selbst sich selbst gleiches Gesetz. – Umgekehrt, die an und für sich seiende Welt ist zunächst der mit sich identische, dem Anderssein und Wechsel entnommene Inhalt; aber dieser, als vollständige Reflexion der erscheinenden Welt in sich selbst, oder weil seine Verschiedenheit in sich reflektierter und absoluter Unterschied ist, so enthält er das negative Moment und die Beziehung auf sich als auf das Anderssein; er wird dadurch sich selbst entgegengesetzter, sich verkehrender, wesenloser Inhalt. Ferner hat dieser Inhalt der an und für sich seienden Welt damit auch die Form unmittelbarer Existenz erhalten. Denn sie ist zunächst Grund der erscheinenden; aber indem sie die Entgegensetzung an ihr selbst hat, ist sie ebensosehr aufgehobener Grund und unmittelbare Existenz.

Die erscheinende und die wesentliche Welt sind hiermit jede an ihr selbst die Totalität der mit sich identischen Reflexion und der Reflexion-in-Anderes oder des Anundfürsichseins und des Erscheinens. Sie sind beide die selbständigen Ganzen der Existenz; die eine sollte nur die reflektierte Existenz, die andere die unmittelbare Existenz sein; aber jede kontinuiert sich in ihrer anderen und ist daher an ihr selbst die Identität dieser beiden Momente. Was also vorhanden ist, ist diese Totalität, welche sich von sich selbst in zwei Totalitäten abstößt, die eine die reflektierte Totalität und die andere die unmittelbare. Beide sind erstlich Selbständige, aber sie sind dies nur als Totalitäten, und dies sind sie insofern, daß jede[162] wesentlich das Moment der anderen an ihr hat. Die unterschiedene Selbständigkeit einer jeden, der als unmittelbar und der als reflektiert bestimmten, ist daher nunmehr so gesetzt, nur als wesentliche Beziehung auf die andere zu sein und ihre Selbständigkeit in dieser Einheit beider zu haben.

Es wurde vom Gesetz der Erscheinung ausgegangen; dieses ist die Identität eines verschiedenen Inhalts mit einem anderen Inhalte, so daß das Gesetztsein des einen das Gesetztsein des anderen ist. Im Gesetze ist noch dieser Unterschied vorhanden, daß die Identität seiner Seiten nur erst eine innere ist und diese Seiten sie noch nicht an ihnen selbst haben; damit ist einesteils jene Identität nicht realisiert; der Inhalt des Gesetzes ist nicht als identischer, sondern ein gleichgültiger, verschiedener Inhalt; – andernteils ist er damit nur an sich so bestimmt, daß das Gesetztsein des einen das Gesetztsein des anderen ist; dies ist noch nicht an ihm vorhanden. Nunmehr aber ist das Gesetz realisiert, seine innere Identität ist zugleich daseiende, und umgekehrt ist der Inhalt des Gesetzes in die Idealität erhoben; denn er ist an ihm selbst aufgehobener, in sich reflektierter, indem jede Seite an ihr ihre andere hat und damit wahrhaft mit ihr und mit sich identisch ist.

So ist das Gesetz wesentliches Verhältnis. Die Wahrheit der unwesentlichen Welt ist zunächst eine ihr andere an und für sich seiende Welt; aber diese ist die Totalität, indem sie sie selbst und jene erste ist; so sind beide unmittelbare Existenzen und damit Reflexionen in ihr Anderssein als auch eben damit wahrhaft in sich reflektierte. Welt drückt überhaupt die formlose Totalität der Mannigfaltigkeit aus; diese Welt, sowohl als wesentliche wie als erscheinende, ist zugrunde gegangen, indem die Mannigfaltigkeit aufgehört hat, eine bloß verschiedene zu sein; so ist sie noch Totalität oder Universum, aber als wesentliches Verhältnis. Es sind zwei Totalitäten des Inhalts in der Erscheinung entstanden; zunächst sind sie als gleichgültige Selbständige gegeneinander[163] bestimmt und haben zwar die Form jede an ihr selbst, aber nicht gegeneinander; diese aber hat sich auch als ihre Beziehung gezeigt, und das wesentliche Verhältnis ist die Vollendung ihrer Formeinheit.

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Vgl. Phänomenologie des Geistes, S. 121 ff.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 161-164.
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