C. Die Gattung

[484] Das lebendige Individuum, zuerst aus dem allgemeinen Begriffe des Lebens abgeschieden, ist eine Voraussetzung, die noch nicht durch sich selbst bewährt ist. Durch den Prozeß mit der zugleich damit vorausgesetzten Welt hat es sich selbst gesetzt für sich als die negative Einheit seines Andersseins, als die Grundlage seiner selbst; es ist so die Wirklichkeit der Idee, so daß das Individuum nun aus der Wirklichkeit sich hervorbringt, wie es vorher nur aus dem Begriffe hervorging, und daß seine Entstehung, die ein Voraussetzen war, nun seine Produktion wird.

Die weitere Bestimmung aber, welche es durch die Aufhebung des Gegensatzes erlangt hat, ist, Gattung zu sein als Identität seiner mit seinem vorherigen gleichgültigen Anderssein. Diese Idee des Individuums ist, da sie diese wesentliche Identität ist, wesentlich die Besonderung ihrer selbst. Diese ihre Diremtion ist nach der Totalität, aus der sie hervorgeht, die Verdopplung des Individuums, – ein Voraussetzen einer Objektivität, welche mit ihm identisch ist, und ein Verhalten des Lebendigen zu sich selbst als einem anderen Lebendigen.

Dies Allgemeine ist die dritte Stufe, die Wahrheit des Lebens, insofern es noch innerhalb seiner Sphäre eingeschlossen ist. Diese Stufe ist der sich auf sich beziehende Prozeß des Individuums, wo die Äußerlichkeit sein immanentes Moment ist; zweitens, diese Äußerlichkeit ist selbst als lebendige[484] Totalität eine Objektivität, die für das Individuum es selbst ist, in der es nicht als aufgehobener, sondern als bestehender die Gewißheit seiner selbst hat.

Weil nun das Verhältnis der Gattung die Identität des individuellen Selbstgefühls in einem solchen ist, welches zugleich ein anderes selbständiges Individuum ist, ist es der Widerspruch; das Lebendige ist somit wieder Trieb. – Die Gattung ist nun zwar die Vollendung der Idee des Lebens, aber zunächst ist sie noch innerhalb der Sphäre der Unmittelbarkeit; diese Allgemeinheit ist daher in einzelner Gestalt wirklich, – der Begriff, dessen Realität die Form unmittelbarer Objektivität hat. Das Individuum ist daher an sich zwar Gattung, aber es ist die Gattung nicht für sich, was für es ist, ist nur erst ein anderes lebendiges Individuum; der von sich unterschiedene Begriff hat zum Gegenstande, mit dem er identisch ist, nicht sich als Begriff, sondern einen Begriff, der als Lebendiges zugleich äußerliche Objektivität für ihn hat, eine Form, die daher unmittelbar gegenseitig ist.

Die Identität mit dem anderen, die Allgemeinheit des Individuums ist somit nur erst innerliche oder subjektive, es hat daher das Verlangen, dieselbe zu setzen und sich als Allgemeines zu realisieren. Dieser Trieb der Gattung aber kann sich nur realisieren durch Aufheben der noch gegeneinander besonderen, einzelnen Individualitäten. Zunächst insofern es diese sind, welche an sich allgemein die Spannung ihres Verlangens befriedigen und in ihre Gattungsallgemeinheit sich auflösen, so ist ihre realisierte Identität die negative Einheit der aus der Entzweiung sich in sich reflektierenden Gattung. Sie ist insofern die Individualität des Lebens selbst, nicht mehr aus seinem Begriffe, sondern aus der wirklichen Idee erzeugt. Zunächst ist sie selbst nur der Begriff, der erst sich zu objektivieren hat, aber der wirkliche Begriff, – der Keim eines lebendigen Individuums. In ihm ist es für die gemeine Wahrnehmung vorhanden, was der Begriff ist, und daß der subjektive Begriff äußerliche Wirklichkeit hat. Denn der Keim des Lebendigen ist die vollständige Konkretion[485] der Individualität, in welcher alle seine verschiedenen Seiten, Eigenschaften und gegliederten Unterschiede in ihrer ganzen Bestimmtheit enthalten [sind] und die zunächst immaterielle, subjektive Totalität unentwickelt, einfach und nicht-sinnlich ist; der Keim ist so das ganze Lebendige in der innerlichen Form des Begriffes.

Die Reflexion der Gattung in sich ist nach dieser Seite dies, wodurch sie Wirklichkeit erhält, indem das Moment der negativen Einheit und Individualität in ihr gesetzt wird, – die Fortpflanzung der lebenden Geschlechter. Die Idee, die als Leben noch in der Form der Unmittelbarkeit ist, fällt insofern in die Wirklichkeit zurück, und diese ihre Reflexion ist nur die Wiederholung und der unendliche Progreß, in welchem sie nicht aus der Endlichkeit ihrer Unmittelbarkeit heraustritt. Aber diese Rückkehr in ihren ersten Begriff hat auch die höhere Seite, daß die Idee nicht nur die Vermittlung ihrer Prozesse innerhalb der Unmittelbarkeit durchlaufen, sondern eben damit diese aufgehoben und sich dadurch in eine höhere Form ihres Daseins erhoben hat.

Der Prozeß der Gattung nämlich, in welchem die einzelnen Individuen ihre gleichgültige, unmittelbare Existenz ineinander aufheben und in dieser negativen Einheit ersterben, hat ferner zur ändern Seite seines Produkts die realisierte Gattung, welche mit dem Begriffe sich identisch gesetzt hat. – In dem Gattungsprozeß gehen die abgesonderten Einzelheiten des individuellen Lebens unter; die negative Identität, in der die Gattung in sich zurückkehrt, ist, wie einerseits das Erzeugen der Einzelheit, so andererseits das Aufheben derselben, ist somit mit sich zusammengehende Gattung, die für sich werdende Allgemeinheit der Idee. In der Begattung erstirbt die Unmittelbarkeit der lebendigen Individualität; der Tod dieses Lebens ist das Hervorgehen des Geistes. Die Idee, die als Gattung an sich ist, ist für sich, indem sie ihre Besonderheit, welche die lebendigen Geschlechter ausmachte, aufgehoben und damit sich eine Realität gegeben hat, welche selbst einfache Allgemeinheit ist; so ist sie die Idee, welche [486] sich zu sich als Idee verhält, das Allgemeine, das die Allgemeinheit zu seiner Bestimmtheit und Dasein hat, – die Idee des Erkennens.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 484-487.
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