A. Die Idee des Wahren

[498] Die subjektive Idee ist zunächst Trieb. Denn sie ist der Widerspruch des Begriffs, sich zum Gegenstand zu haben und sich die Realität zu sein, ohne daß doch der Gegenstand als Anderes, gegen ihn Selbständiges wäre oder ohne daß der Unterschied seiner selbst von sich zugleich die wesentliche Bestimmung der Verschiedenheit und des gleichgültigen Daseins hätte. Der Trieb hat daher die Bestimmtheit, seine eigene Subjektivität aufzuheben, seine erst abstrakte Realität zur konkreten zu machen und sie mit dem Inhalte der von seiner Subjektivität vorausgesetzten Welt zu erfüllen. – Von der anderen Seite bestimmt er sich hierdurch so: der Begriff ist zwar die absolute Gewißheit seiner selbst; seinem Fürsichsein steht aber seine Voraussetzung einer an sich seienden Welt gegenüber, deren gleichgültiges Anderssein aber für die Gewißheit seiner selbst den Wert nur eines Unwesentlichen hat; er ist insofern der Trieb, dies Anderssein aufzuheben und in dem Objekte die Identität mit sich selbst anzuschauen. Insofern diese Reflexion-in-sich der aufgehobene Gegensatz und die gesetzte, für das Subjekt bewirkte Einzelheit ist, welche zunächst als das vorausgesetzte Ansichsein erscheint, ist es die aus dem Gegensatz hergestellte Identität der Form mit sich selbst – eine Identität, welche damit als gleichgültig gegen die Form in deren Unterschiedenheit bestimmt und Inhalt ist.

Dieser Trieb ist daher der Trieb der Wahrheit, insofern sie im Erkennen ist, also der Wahrheit als theoretischer Idee in[498] ihrem eigentlichen Sinne. – Wenn die objektive Wahrheit zwar die Idee selbst ist als die dem Begriffe entsprechende Realität und ein Gegenstand insofern an ihm Wahrheit haben kann oder nicht, so ist dagegen der bestimmtere Sinn der Wahrheit dieser, daß sie es für oder im subjektiven Begriff, im Wissen sei. Sie ist das Verhältnis des Begriffsurteils, welches als das formelle Urteil der Wahrheit sich gezeigt hat; in demselben ist nämlich das Prädikat nicht nur die Objektivität des Begriffes, sondern die beziehende Vergleichung des Begriffs der Sache und der Wirklichkeit derselben. – Theoretisch ist diese Realisierung des Begriffs, insofern er als Form noch die Bestimmung eines subjektiven oder die Bestimmung für das Subjekt hat, die seinige zu sein. Weil das Erkennen die Idee als Zweck oder als subjektive ist, so ist die Negation der als an sich seiend vorausgesetzten Welt die erste; der Schlußsatz, worin das Objektive in das Subjektive gesetzt ist, hat daher zunächst auch nur die Bedeutung, daß das Ansichseiende nur als ein Subjektives oder in der Begriffsbestimmung nur gesetzt, darum aber nicht so an und für sich sei. Der Schlußsatz kommt insofern nur zu einer neutralen Einheit oder einer Synthesis, d.h. einer Einheit von solchen, die ursprünglich geschieden, nur äußerlich so verbunden seien. – Indem daher in diesem Erkennen der Begriff das Objekt als das seinige setzt, gibt sich die Idee zunächst nur einen Inhalt, dessen Grundlage gegeben und an dem nur die Form der Äußerlichkeit aufgehoben worden. Dies Erkennen behält insofern in seinem ausgeführten Zwecke noch seine Endlichkeit; es hat in ihm denselben zugleich nicht erreicht und ist in seiner Wahrheit noch nicht zur Wahrheit gekommen. Denn insofern im Resultate der Inhalt noch die Bestimmung eines gegebenen hat, so ist das vorausgesetzte Ansichsein gegen den Begriff nicht aufgehoben; die Einheit des Begriffs und der Realität, die Wahrheit, ist somit ebensosehr auch nicht darin enthalten. – Sonderbarerweise ist in neueren Zeiten diese Seite der Endlichkeit festgehalten und als das absolute Verhältnis[499] des Erkennens angenommen worden, – als ob das Endliche als solches das Absolute sein sollte! Auf diesem Standpunkte wird dem Objekte eine unbekannte Dingheit-an-sich hinter dem Erkennen zugeschrieben und dieselbe und damit auch die Wahrheit als ein absolutes Jenseits für das Erkennen betrachtet. Die Denkbestimmungen überhaupt, die Kategorien, die Reflexionsbestimmungen sowie der formale Begriff und dessen Momente erhalten darin die Stellung, nicht daß sie an und für sich endliche Bestimmungen, sondern daß sie es in dem Sinne sind, als sie ein Subjektives gegen jene leere Dingheit-an-sich sind; dies Verhältnis der Unwahrheit des Erkennens als das wahrhafte anzunehmen, ist der zur allgemeinen Meinung neuerer Zeit gewordene Irrtum.

Aus dieser Bestimmung des endlichen Erkennens erhellt unmittelbar, daß es ein Widerspruch ist, der sich selbst aufhebt, – der Widerspruch einer Wahrheit, die zugleich nicht Wahrheit sein soll, – eines Erkennens dessen, was ist, welches zugleich das Ding-an-sich nicht erkennt. In dem Zusammenfallen dieses Widerspruchs fällt sein Inhalt, das subjektive Erkennen und das Ding-an-sich zusammen, d.h. erweist sich als ein Unwahres, Aber das Erkennen hat durch seinen eigenen Gang seine Endlichkeit und damit seinen Widerspruch aufzulösen; jene Betrachtung, welche wir über dasselbe machen, ist eine äußerliche Reflexion; es ist aber selbst der Begriff, der sich Zweck ist, der also durch seine Realisierung sich ausführt und eben in dieser Ausführung seine Subjektivität und das vorausgesetzte Ansichsein aufhebt. – Es ist daher an ihm selbst in seiner positiven Tätigkeit zu betrachten. Da diese Idee, wie gezeigt, der Trieb des Begriffes ist, sich für sich selbst zu realisieren, so ist seine Tätigkeit, das Objekt zu bestimmen und durch dies Bestimmen sich in ihm identisch auf sich zu beziehen. Das Objekt ist überhaupt das schlechthin Bestimmbare, und in der Idee hat es diese wesentliche Seite, nicht an und für sich gegen den Begriff zu sein. Weil dies Erkennen noch das endliche, nicht spekulative ist, so hat die vorausgesetzte Objektivität[500] noch nicht die Gestalt für dasselbe, daß sie schlechthin nur der Begriff an ihr selbst ist und nichts Besonderes für sich gegen ihn enthält. Aber damit, daß sie als ein an sich seiendes Jenseits gilt, hat sie die Bestimmung der Bestimmbarkeit durch den Begriff darum wesentlich, weil die Idee der für sich seiende Begriff und das schlechthin in sich Unendliche ist, worin das Objekt an sich aufgehoben und der Zweck nur noch ist, es für sich aufzuheben; das Objekt ist daher zwar von der Idee des Erkennens als an sich seiend vorausgesetzt, aber wesentlich in dem Verhältnis, daß sie, ihrer selbst und der Nichtigkeit dieses Gegensatzes gewiß, zu[r] Realisierung ihres Begriffes in ihm komme.

In dem Schlusse, wodurch sich die subjektive Idee nun mit der Objektivität zusammenschließt, ist die erste Prämisse dieselbe Form der unmittelbaren Bemächtigung und Beziehung des Begriffs auf das Objekt, als wir in der Zweckbeziehung sahen. Die bestimmende Tätigkeit des Begriffs auf das Objekt ist eine unmittelbare Mitteilung und widerstandslose Verbreitung seiner auf dasselbe. Der Begriff bleibt hierin in der reinen Identität mit sich selbst; aber diese seine unmittelbare Reflexion-in-sich hat ebenso die Bestimmung der objektiven Unmittelbarkeit; das was für ihn seine eigene Bestimmung ist, ist ebensosehr ein Sein, denn es ist die erste Negation der Voraussetzung. Die gesetzte Bestimmung gilt daher ebensosehr als eine nur gefundene Voraussetzung, als ein Auffassen eines Gegebenen, worin die Tätigkeit des Begriffs vielmehr nur darin bestehe, negativ gegen sich selbst zu sein, sich gegen das Vorhandene zurückzuhalten und passiv zu machen, damit dasselbe nicht bestimmt vom Subjekte, sondern wie es in sich selbst ist, sich zeigen könne.

Dies Erkennen erscheint daher in dieser Prämisse nicht einmal als eine Anwendung der logischen Bestimmungen, sondern als ein Empfangen und Auffassen derselben als Vorgefundener, und seine Tätigkeit erscheint als darauf beschränkt, nur ein subjektives Hindernis, eine äußerliche Schale von[501] dem Gegenstande zu entfernen. Dies Erkennen ist das analytische.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 6, Frankfurt a. M. 1979, S. 498-502.
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