13. Kapitel
Von den Pflichten der Inhaber der Staatsgewalt

[212] 1. Nach dem Bisherigen sind die Pflichten der Bürger und Untertanen für die verschiedenen Staatsformen und die Macht der obersten Herrscher über sie ganz offenbar. Dagegen habe ich noch nichts von den Pflichten der Herrscher und von der Art und Weise, wie sie sich gegen die Untertanen benehmen sollten, gesagt. Hierbei muß zwischen dem Recht und der Ausübung der Staatsgewalt unterschieden werden; denn beides ist trennbar. Z.B. wenn der, der das Recht dazu hat, doch an der Entscheidung der Streitigkeiten oder an den Beratungen nicht selbst teilnehmen kann oder mag. Denn die Könige sind mitunter aus Altersgründen an der Führung ihrer Geschäfte gehindert; mitunter können sie es wohl, aber halten es für angebrachter, indem sie sich mit der Wahl ihrer Beamten und Räte begnügen, ihre Herrschervorrechte durch sie ausüben zu lassen. Wo das Recht so von der Ausübung getrennt ist, da gleicht die Regierung des Staates der gewöhnlichen Regierung der Welt, wo Gott, der erste Bewegende von allem, die natürlichen Wirkungen durch mittelbare Ursachen herbeiführt. Wenn dagegen der zur Regierung Berechtigte bei allen Urteilssprüchen, Beratungen und öffentlichen Unternehmungen selbst dabei ist, da gleicht die Verwaltung dem Fall, wo Gott, gegen die natürliche Ordnung, überall selbst allen Stoff in Bewegung setzt. Ich werde deshalb in diesem Kapitel kurz und auf die Hauptsache mich beschränkend von den Pflichten derer handeln, welche die Staatsgewalt teils aus eigenem Rechte, teils im Auftrage verwalten. Es ist nicht meine Absicht, über die Angelegenheiten mich zu verbreiten, die, im Unterschied von andern, einigen Fürsten gestattet sind, denn das muß[212] den politischen Gebräuchen in jedem Gemeinwesen überlassen bleiben.

2. Alle Pflichten der Herrschenden lassen sich in den einen Satz zusammenfassen, daß das Wohl des Staates das höchste Gesetz ist. Denn wenn auch die Inhaber der höchsten Gewalt unter den Menschen den sogenannten eigentlichen Gesetzen, d.h. dem Willen der Menschen nicht unterworfen werden können, weil es ein Widerspruch wäre, der oberste und dennoch andern untergeben zu sein, so ist es doch ihre Pflicht, der rechten Vernunft, welche das natürliche, moralische und göttliche Gesetz bildet, nach Möglichkeit in allem zu gehorchen. Nun ist die Herrschaft des Friedens wegen eingerichtet, und der Friede wird des Wohles wegen erstrebt; deshalb würde der mit der Herrschaft Ausgestattete gegen das Wesen des Friedens, d.h. gegen die natürlichen Gesetze verstoßen, wenn er seine Macht nicht lediglich zum Wohle des Volkes gebrauchte. So wie nun das Wohl des Volkes ein Gesetz vorschreibt, aus dem die Fürsten ihre Pflicht abnehmen können, so lehrt es auch die Kunst, durch welche diese Wohlfahrt gewonnen werden kann; denn die Macht der Bürger ist die Macht des Staats, d.h. dessen, der im Staate die höchste Gewalt hat.

3. Unter dem Volke wird hier nicht die eine bürgerliche Person, d.h. der regierende Staat selbst verstanden, sondern die Menge der Bürger, welche regiert werden. Der Staat ist nicht seinetwegen, sondern der Bürger wegen eingerichtet worden; aber man kann dabei nicht auf diesen oder jenen einzelnen Rücksicht nehmen. Denn der Herrscher als solcher sorgt nur durch Gesetze, die allgemein sind, für das Wohl seines Volkes; deshalb hat er völlig seine Pflicht erfüllt, wenn er nach Möglichkeit dafür gesorgt hat, daß durch heilsame Einrichtungen so viele wie möglich und so lange wie möglich sich Wohlbefinden, und daß es niemandem schlecht gehe, ausgenommen durch seine eigene Schuld oder durch einen Zufall, dem man nicht vorbeugen konnte. Auch erfordert es mitunter das Wohl der meisten, daß es denen, die schlecht sind, auch schlecht gehe.

4. Unter dem Wohle ist nicht bloß die notdürftige Erhaltung des Lebens irgendwie, sondern ein möglichst glückliches[213] Leben zu verstehen. Denn die Menschen haben sich nur deshalb aus freien Stücken zusammengefunden und zu einem vertragsmäßigen Staate verbunden, um so angenehm zu leben, als es die menschliche Natur gestattet. Deshalb würden die, welche die höchste Gewalt in einem solchen Staate übernommen haben, gegen das natürliche Gesetz verstoßen (weil sie das Vertrauen derer verletzten, die ihnen die Staatsgewalt übertragen haben), wenn sie nicht durch Gesetze, soweit dies dadurch möglich ist, dafür sorgen würden, daß die Bürger mit allen Gütern nicht bloß zum Leben, sondern auch zum Genusse reichlich versehen werden. Ebenso streben die, welche eine Herrschaft durch Waffen gewonnen haben, dahin, daß die Untertanen körperlich und geistig kräftig seien, damit sie ihnen um so besser dienen können. Sie würden deshalb gegen ihren eigenen Zweck und Ziel handeln, wenn sie nicht versuchen würden, Untertanen nicht nur mit dem zum Leben Nötigen, sondern auch mit dem, was sie stark und kräftig macht, zu versorgen.

5. Vor allem meinen die Fürsten, daß hinsichtlich des ewigen Heiles die Frage von hoher Bedeutung sei, welche Meinungen über Gott herrschen, und welcher Gottesdienst geübt werde. Nimmt man dies an, so entsteht die Frage, ob die Inhaber der höchsten Staatsgewalt, wer sie auch immer seien, ob einer oder mehrere, nicht gegen die natürlichen Gesetze verstoßen, wenn sie verabsäumen, die Lehre und den Gottesdienst, die sie selbst für das ewige Heil der Bürger für nötig halten, zu verbreiten und üben zu lassen, oder wenn sie gestatten, daß das Entgegengesetzte gelehrt und geübt werde. Es ist klar, daß sie letzternfalls gegen ihr Gewissen handeln und ewige Verdammnis ihrer Untertanen, soweit es von ihnen abhängt, beabsichtigen. Denn sonst sehe ich keinen Grund, weshalb sie, da sie als die Höchsten nicht gezwungen werden können, gestatten sollten, daß das gelehrt und getan werde, was nach ihrer Ansicht zur Verdammnis führen muß. Indes lasse ich diese schwierige Frage unentschieden.

6. Die Vorteile der Untertanen lassen sich, nur in bezug auf das diesseitige Leben, in vier Arten einteilen: 1. daß man gegen äußere Feinde verteidigt wird; 2. daß der innere[214] Frieden erhalten wird; 3. daß man sein Vermögen, soweit es sich mit der öffentlichen Sicherheit verträgt, vermehren kann; 4. daß man seine Freiheit so weit genießt, als kein Schaden daraus entsteht. Denn die Herrscher können für das Glück innerhalb des Staates nicht mehr tun, als daß die Bürger vor äußern und innern Kriegen gesichert werden und dadurch ihr durch eigenen Fleiß erworbenes Vermögen in Ruhe genießen können.

7. Zum Schutz des Volkes ist zweierlei nötig: zu warnen und im voraus sich zu wappnen. Denn unter den verschiedenen Staaten besteht der Natur-, d.h. der Kriegszustand; und wenn sie auch einmal keinen Krieg führen, so ist dies doch kein Friede, sondern nur ein Atemschöpfen, wobei die Feinde gegenseitig ihre Bewegungen und Haltung beobachten und ihre Sicherheit nicht nach den Verträgen, sondern nach den Kräften und Plänen des Gegners beurteilen. Dies folgt aus dem Naturrecht, wie in Kap. 2, Abschn. 10, gezeigt worden ist, da die Verträge in dem Naturzustande ihre Kraft verlieren, wenn eine gewisse Furcht dazwischentritt. Deshalb gehören zur Sicherheit des Staates erstens Personen, welche die Absichten und Handlungen aller, die dem Staate gefährlich werden können, möglichst erforschen und erspähen. Diese Späher sind für die Verwalter der Staatsgewalt dasselbe wie die Sonnenstrahlen für die menschliche Seele. Und man kann im politischen Sinne noch richtiger als im natürlichen Sinne sagen, daß das sensible und intelligible Bild der äußern Dinge, das von andern nicht viel bemerkt wird, der Seele, d.h. den Verwaltern der höchsten Staatsgewalt, durch die Luft zugeführt wird: deshalb sind diese Späher für das Wohl des Staates ebenso notwendig wie die Lichtstrahlen für das Wohl des Menschen. Auch kann man sie mit Spinngeweben vergleichen, die, nach allen Seiten mit feinsten Fäden ausgebreitet, der in ihrer kleinen Höhle sitzenden Spinne die äußern Vorgänge anzeigen; die Herrscher können ohne solche Späher so wenig wissen, was zum Schutz der Untertanen angeordnet werden muß, wie jene Spinnen ohne die Bewegung ihrer Fäden nicht wissen können, wann sie herauskommen und wohin sie eilen sollen.

8. Ferner gehört zur Verteidigung des Volkes, daß es[215] vorher bewaffnet wird. Bewaffnet sein heißt aber, schon vor Eintritt der Gefahr mit Soldaten, Waffen, Schiffen, Festungen und Geldmitteln versehen sein. Denn hat man erst eine Niederlage erlitten, so ist die Aushebung von Soldaten und ihre Waffenausbildung zu spät, wenn nicht unmöglich. Ebenso würde, wenn man Festungen und Kastelle an den passenden Orten nicht im voraus anlegen wollte, ehe der Feind die Grenzen überschritten, man es machen wie die der Fechtkunst unkundigen Bauern, die nach des Demosthenes Erzählung das Schild allemal auf der Seite vorhielten, wo sie einen Schlag bekommen hatten. Wenn man aber meint, es genüge, das Geld zur Ernährung der Soldaten und für die übrigen Kriegsunkosten dann einzuziehen wenn die Gefahr sich zeigt, so bedenkt man sicherlich nicht, wie schwer es fällt, von habgierigen Menschen plötzlich eine so große Summe Geldes beizutreiben. Denn fast jedermann pflegt das, was er einmal erworben hat, so sehr als sein Eigentum und sein eigen anzusehen, daß er es für ein großes Unrecht gegen sich hält, wenn er genötigt wird, auch nur einen kleinen Teil davon für das Allgemeine herzugeben. Nun kann aber aus den Einnahmen der Steuerabgaben und Zölle nicht plötzlich eine so große Summe herausgezogen werden, wie zur kriegerischen Verteidigung des Staates erforderlich ist. Deshalb müssen im Interesse der Staatssicherheit schon in den Friedenszeiten, mit Rücksicht auf künftige Kriege, genügende Geldmittel angesammelt werden. Wenn sonach die Herrscher um des Wohles der Untertanen willen die Pläne der Feinde erforschen, ein Heer und Festungen unterhalten und ständig Geld bereithalten müssen, und wenn die Fürsten nach dem Naturrecht für das Wohl der Bürger auf alle Weise zu sorgen verpflichtet sind, so muß ihnen nicht bloß erlaubt sein, Späher auszusenden, ein Heer zu unterhalten, Festungen zu bauen und Geld dafür einzufordern, sondern es wäre auch ein Unrecht, wenn sie dies verabsäumten. Dazu gehört noch weiter, daß alles, was zur Schwächung der Macht von Nachbarn, die ihnen gefährlich erscheinen, durch List oder Gewalt geschehen kann, von den Leitern des Staates geschehen muß. Denn sie sind infolge ihrer Macht verpflichtet, gefahrdrohenden Übeln entgegenzutreten,[216] damit diese nicht etwa durch ihre Nachlässigkeit eintreffen.

9 Zur Erhaltung des innern Friedens ist vielerlei nötig, weil vielerlei, wie in dem vorigen Kapitel gezeigt worden ist, zusammentrifft, was ihn stören kann. Ich habe dort nachgewiesen, daß manches die Gemüter zum Aufruhr geneigt macht und anderes die Bürger in solcher Stimmung zur Tat und Ausführung veranlaßt. Zur Erweckung seiner Neigung dienen, wie ich dort gezeigt, vor allem gewisse schlechte Lehren. Deshalb ist es die Pflicht derer, welche den Staat leiten, diese Lehren aus dem Gemüt der Bürger auszurotten, aber nicht durch Befehl, sondern durch Belehrung, nicht durch den Schrecken der Strafen, sondern durch einleuchtende Vernunftgründe. Die Gesetze, die diesem Übel begegnen sollen, müssen sich nicht gegen die Irrenden, sondern gegen die Irrtümer selbst richten. Diese Irrtümer, die, wie ich im vorigen Kapitel gezeigt habe, mit der Ruhe des Staates unvereinbar sind, gelangen in das Gemüt der unwissenden Untertanen teils durch die Katheder, teils durch das tägliche Geschwätz der Leute, die infolge geringer anderweitiger Beschäftigung Muße genug finden, Bücher zu lesen; und diese Personen nahmen ihre Ansichten von jenen Lehrern auf, die auf öffentlichen Universitäten die Jugend unterrichten. Deshalb muß man andrerseits, wenn man heilsame Lehren zur Geltung bringen will, bei den Universitäten beginnen. Dort müssen die wahren und als wahrhaft erwiesenen Grundlagen für eine Staatslehre gelegt werden; die darin unterrichteten jungen Leute werden dann später die Masse im einzelnen und öffentlich darüber belehren können. Und das werden sie um so bereitwilliger und erfolgreicher tun, je mehr sie selbst von der Wahrheit dessen überzeugt sind, was sie verkündigen und lehren. Sind doch heutzutage Urteile im Umlauf, die bloß durch das häufige Anhören dazu gelangt sind, obgleich sie falsch und so wenig verständlich sind, als wenn man eine Anzahl von Ausdrücken durch das Los aus der Urne gezogen hätte; wieviel mehr werden daher aus denselben Ursachen wahre Lehren angenommen werden, die der menschlichen Einsicht und der Natur der Dinge entsprechen. Deshalb halte ich es für die Pflicht der[217] Herrscher, daß sie Handbücher über die wahren Grundlehren des Staatsrechts anfertigen lassen, über die auf allen Universitäten des Staates gelesen werden muß.

10. An zweiter Stelle macht, wie ich gezeigt habe, die Not der Armut die Bürger zum Aufstande geneigt; denn wenn auch diese Armut aus eigener Verschwendung oder Trägheit kommt, so legen sie sie doch den Staatslenkern zur Last und meinen, durch die öffentlichen Abgaben erschöpft und erdrückt worden zu sein. Mitunter hat diese Klage einen gerechten Grund, wenn nämlich die Staatslasten ungleich auf die Bürger verteilt sind. Denn eine Last, die, wenn alle sie tragen, leicht ist, kann, wenn viele sich derselben entziehen, den übrigen schwer, ja unerträglich werden; auch schmerzt diese Ungleichheit noch mehr als die Last an sich. Mit großem Eifer kämpft darum jeder um die Steuerfreiheit, und die in diesem Kampfe weniger Glücklichen, d.h. die Besiegten, beneiden die Glücklicheren. Um daher gerechte Klagen zu beheben, verlangt es das Interesse der öffentlichen Ruhe und gehört folglich zur Pflicht der Verwaltung, daß die öffentlichen Lasten gleich verteilt werden. Überdies sind die Steuern der Bürger nur der Preis des erkämpften Friedens, und es ist deshalb nur billig, daß alle, die an diesem Frieden in gleicher Weise teilnehmen, auch gleiche Beiträge leisten, entweder an Geld oder an öffentlichen Leistungen. Es ist ein natürliches Gesetz (nach Kap. 3, Abschn. 15), daß jeder bei Austeilung des Rechts an andere sich gegen alle gleich verhalte. Deshalb sind die Herrscher durch das natürliche Gesetz verpflichtet, die Staatslasten gleichmäßig unter ihre Bürger zu verteilen.

11. Unter der Gleichheit ist indes hier nicht eine Gleichheit des Vermögens, sondern der Last zu verstehen, d.h. eine verständige Gleichheit zwischen den Lasten und den Vorteilen. Denn wenn auch alle den Frieden gleich genießen, so sind doch die Vorteile des Friedens nicht für alle die gleichen: der eine erwirbt mehr, andere weniger; und wiederum, einer verbraucht weniger, andere mehr. Es fragt sich daher: sollen die Bürger zu den öffentlichen Ausgaben nach Verhältnis ihres Einkommens oder nach Verhältnis ihres Verbrauchs beitragen? d.h. sollen die[218] Bürger die Steuern nach Verhältnis ihres Vermögens tragen, oder sollen es die Waren nach dem Maße dessen, was jeder davon verbraucht? Wenn die Steuern nach Verhältnis des Vermögens entrichtet werden, so besitzen doch die, welche gleiches Einkommen haben, noch nicht ein gleiches Vermögen, da der eine das Erworbene sparsam bewahrt, während der andere es in Luxusdingen vergeudet. Obgleich daher beide die Wohltaten des Friedens gleich genießen, tragen sie doch nicht gleich zu den Staatslasten bei. Werden dagegen die Waren mit Steuern belegt, so zahlt jeder, indem er sein Privatgut verbraucht, durch eben diese Handlung des Verbrauchens unterschiedslos den dem Staate schuldigen Teil nach Verhältnis dessen, nicht was er besitzt, sondern dessen, was er durch die Vorteile des Staates besessen hat. Es ist also zweifelsohne, daß die erstere Art der Steuererhebung gegen die Billigkeit und also auch gegen die Pflichten der Herrscher verstößt, während die letztere Art mit der Vernunft und der Ausübung ihrer Macht übereinstimmt.

12. Eine dritte Gefahr für den öffentlichen Frieden liegt, wie ich gezeigt habe, in der aus der Ehrsucht entspringenden Unzufriedenheit. Wer sich für weiser als die andern und zur Führung der Staatsgeschäfte für geschickter hält als die, welche zur Zeit sie verwalten, der zeigt, wenn er nicht auf andere Weise darlegen kann, wie sehr seine Tüchtigkeit dem Staate nützen würde, dies durch Beschädigung des Staates. Da Ehrsucht und die Gier nach Ehrenstellen aus den Menschen nicht ausgerottet werden können, so haben die Herrscher dazu auch keine Verpflichtung; wohl aber können sie durch ständige Anwendung von Belohnungen und Strafen den Menschen begreiflich machen, daß der Weg zu den Ämtern nicht durch Mißachtung der gegenwärtigen Regierung führt und auch nicht durch die Parteien und die Volksgunst, sondern durch das Entgegengesetzte. Die guten Bürger sind die, welche die Beschlüsse, die Gesetze und Rechte ihrer Vorfahren bewahren. Würden diese mit Ehren und Würden geschmückt, dagegen die Parteisüchtigen von den Inhabern der Staatsgewalt bestraft und mißachtet, so würde der Ehrgeiz mehr darauf gehen, zu gehorchen als Widerstand zu leisten. Indessen ist es wohl[219] zuzeiten nötig, so wie man ein Pferd seiner zu großen Wildheit wegen liebkosen muß, daß man einem halsstarrigen Bürger aus Furcht vor seiner Macht schmeichelnd begegnen muß; in solchen Fällen ist jedoch der Reiter wie auch der Herrscher bereits in der Gefahr zu fallen. Ich handle hier aber nur von solchen Fällen, wo die Macht und das Ansehen der Herrscher noch unerschüttert ist. Ihre Pflicht ist nach meiner Ansicht, die gehorsamen Bürger zu begünstigen und die unruhigen nach Möglichkeit zu unterdrücken; denn sonst kann weder die Staatsgewalt, noch die Ruhe der Bürger erhalten werden.

13. Wenn es den Herrschern obliegt, die Parteiführer im Zaume zu halten, so liegt ihnen noch mehr ob, die Parteiungen selbst aufzulösen und zu zerstreuen. Eine Parteiung nenne ich eine Anzahl Bürger, die sich durch gegenseitige Verträge untereinander oder durch die Macht eines einzelnen ohne Genehmigung des oder der Inhaber der Staatsgewalt verbunden haben. Die Parteiung ist also gleichsam ein Staat im Staate: denn so wie durch die Verbindung der Menschen in dem Naturzustande der Staat entsteht, so entsteht durch eine neue Verbindung der Bürger die Parteiung. Nach dieser Definition ist also eine Anzahl von Bürgern, welche sich verpflichtet haben, unbedingt einem auswärtigen Fürsten oder einem Bürger zu gehorchen oder welche Verträge oder Bündnisse unter sich behufs gegenseitiger Verteidigung gegen jedermann, ohne Ausnahme des Inhabers der höchsten Gewalt im Staate, eingegangen sind, eine Parteiung. Ebenso liegt in der Beliebtheit eines Bürgers bei der Masse, wenn sie so groß ist, daß er dadurch ein Heer aufstellen kann, eine Parteiung, solange er nicht durch Bürgen oder andere Pfänder dem Staate Sicherheit leistet. Dasselbe gilt von dem übermäßigen Reichtum einzelner Bürger, da jedermann dem Gelde gehorcht. Da es nun überdies richtig ist, daß die einzelnen Staaten gegeneinander sich in dem Natur- und Kriegszustande befinden, so handeln Fürsten, welche Parteiungen gestatten, ebenso als wenn sie den Feind in ihre Tore einließen: da dies gegen das Wohl der Bürger geht, geht es auch gegen die natürlichen Gesetze.

14. Damit die Bürger wohlhabend werden, ist zweierlei[220] nötig: Arbeit und Sparsamkeit; auch können die natürlichen Erträge des Landes und des Meeres als eine dritte Quelle angesehen werden. Auch eine vierte gibt es, die Heeresmacht, die mitunter das Vermögen der Bürger vermehrt, aber doch häufiger es vermindert. Jedenfalls sind nur die beiden ersten notwendig; denn ein Staat auf einer Insel im Meere, die nur Raum zum Wohnen bietet, kann auch ohne Säen und Fischen allein durch Handel und Gewerbe reich werden. Indes wird unzweifelhaft ein Staat mit einem ausgedehnten Landbesitz bei der gleichen Zahl Bürger reicher, oder bei gleichem Reichtume zahlreicher an Bürgern sein. Das vierte Mittel, die Heeresmacht, gehörte ehedem zu den gewinnbringenden Unternehmen, und zwar unter dem Namen des Plünderungs- oder Beutegeschäfts; es galt bei den Menschen, als sie vor Begründung der Staaten nur zerstreut als Familien lebten, für recht und ehrenvoll, da das Plündern nur eine Kriegführung im kleinen ist. Und große Staaten, wie Rom und Athen, haben durch Kriegsbeute, auswärtige Zölle und die durch Waffen erbeuteten Landstriche den allgemeinen Wohlstand gehoben, so daß die ärmeren Bürger nicht allein keine Abgaben zu zahlen brauchten, sondern der einzelne Mann noch Land und Geld zugeteilt erhielt. Indes darf diese Art, Reichtum zu erwerben, nicht zur Regel und Gewohnheit erhoben werden. Denn die Heeresmacht ist in betreff des Gewinnes wie das Würfelspiel: die meisten verlieren dabei ihr Vermögen, und nur wenige werden reich. Gibt es also nur drei Wege, auf denen die Bürger wohlhabend werden können, Land- und Seeerzeugnisse, Arbeit und Sparsamkeit, so hat sich auch die Pflicht der Herrscher nur auf diese zu richten. Dem ersten Weg nützen Gesetze, welche den Landbau und den Fischfang begünstigen, die also den Ertrag von Land und Meer vermehren. Dem zweiten sind alle Gesetze gegen die Trägheit und solche, die zum Fleiß anregen, von Vorteil, insbesondere gehört hierher die Schiffahrt, durch welche die Erzeugnisse der ganzen Welt beinahe nur mit Arbeit erkauft und in einem Staat zusammengebracht werden, ebenso die mechanischen Künste, worunter ich die Tätigkeit aller höheren Handwerker verstehe, und die Mathematik, die Quelle der Schiffs- und Gewerbekunst: deshalb[221] sind diese Wissenschaften und Beschäftigungen in Ehren zu halten. Für den dritten Weg nützen die Gesetze, die sich gegen die Verschwendung im Essen, in Kleidung und überhaupt in allem, was durch den Gebrauch zugrunde geht, richten. Da also dergleichen Gesetze für die obengenannten Zwecke zuträglich sind, so gehört es auch zur Pflicht der Herrscher, sie zu erlassen.

15. Die Freiheit der Bürger besteht nicht in der Freiheit von den Staatsgesetzen und auch nicht darin, daß die Inhaber der Staatsgewalt nicht Gesetze nach ihrem Ermessen geben können. Da aber die Bewegung und die Tätigkeit der Bürger durch Gesetze niemals fest umschrieben wird, noch bei ihrer Mannigfaltigkeit umschrieben werden kann, so kann notwendigerweise Unzähliges weder geboten noch verboten werden, sondern muß dem Urteil des einzelnen zur Entscheidung überlassen bleiben. In diesem Sinne versteht man den Genuß der Freiheit; und so ist sie hier zu nehmen, d.h. sie ist der Teil des natürlichen Rechts, den die Gesetze den Bürgern gestattet und übriggelassen haben. So wie das Wasser, wenn es überall eingeschlossen ist, stockt und verdirbt, und wenn es überall offen ist, sich nach allen Richtungen verbreitet und um so stärker abfließt, je mehr Ausgänge es findet, so würden auch die Bürger, wenn sie ohne Erlaubnis der Gesetze nichts unternehmen dürften, dumm und unbeholfen werden; wenn ihnen alles gestattet wäre, so würden sie sich zerstreuen; je mehr Dinge also die Gesetze unbestimmt lassen, um so größere Freiheit genießen die Bürger. Das Übermaß ist nach beiden Richtungen ein Fehler; denn die Gesetze sollen die Tätigkeit der Menschen nicht beseitigen, sondern nur leiten; so wie die Natur die Ufer der Flüsse nicht gemacht hat, um die Flüsse aufzuhalten, sondern um ihnen die Richtung zu geben. Das Maß für die Freiheit ist aus dem Wohle der Bürger und des Staates zu entnehmen. Deshalb widerstreitet es besonders der Pflicht der Herrscher und verantwortlichen Gesetzgeber, wenn der Gesetze mehr sind, als das Wohl der Bürger und des Staates erfordert. Denn man pflegt das, was man tut und nicht tun darf, mehr nach der natürlichen Einsicht als nach der Kenntnis der bürgerlichen Gesetze zu überlegen; sind also der Gesetze so viele, daß man sie nicht leicht im[222] Gedächtnis behalten kann, und verbieten sie Dinge, welche die Vernunft an sich nicht notwendig untersagt, so müssen viele lediglich aus Unkenntnis der Gesetze, ohne alle böse Absicht, über die Gesetze straucheln, sich in Fallstricke verwickeln, die gelegt sind, um die unschädliche Freiheit in Gefahr zu bringen; und diese müssen die Herrscher nach dem natürlichen Gesetz den Bürgern erhalten.

16. Zur Freiheit, die für den Staat unschädlich und zu einem glücklichen Leben der Bürger notwendig ist, gehört auch wesentlich, daß man keine andern Strafen zu fürchten habe als solche, die man voraussehen und erwarten kann. Dies findet da statt, wo die Gesetze überhaupt keine Strafen bestimmen, oder wo keine hartem vollstreckt werden, als bestimmt sind. Wo gar keine Strafen angedroht sind, da erwartet der erste Übertreter des Gesetzes eine unbestimmte oder willkürliche Strafe, und seine Furcht ist, da sie sich auf ein unbeschränktes Übel bezieht, auch notwendig. Nun fordert aber das natürliche Gesetz von denen, die den Staatsgesetzen nicht Untertan sind, d.h., nach dem in Kap. 3, Abschn. 11 Gesagten, von den höchsten Herrschern, bei der Festsetzung und der Vollstreckung der Strafen nicht das vergangene Übel, sondern das Gute in der Zukunft zu beachten; sie sündigen daher, wenn sie für die willkürlichen Strafen ein anderes Maß als das allgemeine Wohl anwenden. Ist dagegen die Strafe bestimmt, sei es durch ein vorgeschriebenes Gesetz, wenn z.B. festgesetzt ist: Wer dies und das tut, soll dies und das leiden, oder sei es durch den Gebrauch, insofern die Strafe, die das Gesetz nicht vorgeschrieben hat, sondern die von Anfang an willkürlich war, erst später durch die Bestrafung des ersten Übertreters ihre Bestimmtheit erhalten hat (denn die natürliche Billigkeit fordert, daß die Übertreter eines Gesetzes gleichmäßig bestraft werden müssen), so würde es dem natürlichen Gesetz widerstreiten, wenn die Strafe in härterer Weise vollstreckt würde, als das Gesetz bestimmt hat. Denn der Zweck der Strafe geht nicht auf gewaltsame Unterdrückung des menschlichen Willens aus, sondern auf seine Formung und Regelung in der Weise, wie der Gesetzgeber es wünscht. Und die Überlegung besteht nur in der gleichsam wie bei einer Wage stattfindenden Abwägung[223] der Vorteile und Nachteile der beabsichtigten Tat; die überwiegende Neigung ist dann die, welche notwendigerweise bei uns die Oberhand gewinnt. Bestimmt also der Gesetzgeber für ein Vergehen eine zu kleine Strafe, so daß die Furcht nicht das Übergewicht über die Begierde erhält, vielmehr der Überschuß der Begierde über die Furcht vor der Strafe das Vergehen veranlaßt, so trifft die Schuld den Gesetzgeber, d.h. den Herrscher; umgekehrt straft er, wenn er jemand mit einer hartem als der von ihm gesetzlich festgelegten Strafe belegt, an einem andern das, was er selbst versehen hat.

17. Zur unschädlichen und notwendigen bürgerlichen Freiheit gehört daher auch, daß ein jeder von dem ihm durch die Gesetze gestatteten Rechte ohne Furcht Gebrauch machen kann. Denn es hilft ihm nichts, wenn das Gesetz das Seine von dem eines andern unterscheidet, aber durch falsche Richtersprüche, Raub und Diebstahl beide wieder vermengt werden. Diese Übelstände treten da ein, wo die Richter bestechlich sind. Denn die Furcht, welche die Menschen von dem Unrechttun abschreckt, hängt nicht davon ab, daß Strafen festgesetzt sind, sondern daß sie auch vollstreckt werden. Das Kommende nämlich schätzt man nach dem Vergangenen, und was nur selten geschieht, erwartet man auch selten. Wenn also die Richter sich durch Geschenke, Vorliebe, oder wohl auch durch Mitleid bestechen lassen und von der Vollstreckung der durch das Gesetz festgelegten Strafen absehen und dadurch die Lasterhaften hoffen lassen, daß sie straflos wegkommen werden, so werden die guten Bürger von Mördern, Dieben und Schurken umgeben sein und weder untereinander frei sich bewegen, noch überhaupt ohne Gefahr ausgehen können; ja der Staat selbst löst sich dann auf, und jeder tritt wieder in das Recht ein, sich nach seinem Ermessen zu verteidigen. Deshalb gebietet das natürliche Gesetz den Herrschern, die Gerechtigkeit nicht allein selbst zu üben, sondern auch die von ihnen gesetzten Richter durch Strafen zu gleichem anzuhalten; d.h. die Herrscher haben die Klagen der Bürger anzuhören und, so oft es nötig wird, außerordentliche Richter zu ernennen, um die Geschäftsführung der ordentlichen Richter zu untersuchen.[224]

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 212-225.
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