Fünfter Einwand
Zur dritten Meditation: Von Gott

[170] »Einige davon« (nämlich den menschlichen Bewußtseinsinhalten) »sind gleichsam Bilder der Dinge, und ihnen allein gebührt der Name Idee; so wenn ich mir einen Menschen oder eine Chimäre oder den Himmel, einen Engel oder Gott denke.«

Denke ich mir einen Menschen, so habe ich eine Idee oder ein Bild, bestehend aus Gestalt und Farbe, in meinem Bewußtsein, wobei aber zweifelhaft sein kann, ob dieses dem Menschen ähnlich ist oder nicht. Ebenso verhält es sich mit dem Himmel. Denke ich mir eine Chimäre, so habe ich eine Idee oder ein Bild in meinem Bewußtsein, von welchem zweifelhaft ist, ob es einem existierenden Geschöpf oder einem, das möglicherweise existieren könnte oder existiert hat, ähnlich ist oder nicht.

Denke ich mir aber einen Engel, dann stellt sich der Geist bisweilen das Bild einer Flamme, bisweilen das eines wohlgestalteten geflügelten Knaben vor, von welchem Bild ich zu wissen glaube, daß es keinem Engel gleicht und daher auch nicht die Idee des Engels ist. Aber da wir glauben, daß es irgendwelche Gott untergebene unsichtbare und immaterielle Geschöpfe gibt, legen wir diesen nur geglaubten und vermuteten Gebilden den Namen Engel bei, obwohl die Vorstellung eines Engels sich für uns aus den Vorstellungen sichtbarer Dinge zusammensetzt.

Ebenso besitzen wir für den verehrungswürdigen Namen Gottes keine Vorstellung oder Idee Gottes. Daher uns geboten wird, Gott nicht unter einem Bilde anzubeten, auf daß es nicht den Anschein habe, als könnten wir ihn, den Unvorstellbaren, dennoch vorstellen und begreifen. So scheint mir eine Idee Gottes in uns überhaupt nicht vorhanden zu sein. Es verhält sich vielmehr hier ebenso wie[170] mit einem Blindgeborenen, den man öfter einem Feuer genähert hat; er fühlt, daß er warm wird, er bemerkt, daß es etwas gibt, wodurch er erwärmt wird; hört er nun, daß jenes Etwas Feuer genannt wird, so schließt er, daß es Feuer gibt, ohne daß er doch weiß, von welcher Gestalt oder Farbe das Feuer ist; ja er hat überhaupt keine Idee oder kein dem Geiste vorschwebendes Bild des Feuers. So erkennt der Mensch, daß es irgendeine Ursache für seine Bilder oder Ideen geben müßte und von dieser Ursache eine andere usw.; als das Ende dieser Reihe setzt er dann eine ewige Ursache, die, da sie niemals zu sein begann, eine vorangehende nicht mehr erfordert; so schließt er, daß irgend etwas Ewiges notwendig existiert; er besitzt aber keine Idee von jenem Ewigen, sondern mit dem Worte Gott bezeichnet und benennt er nur dieses geglaubte und anerkannte Ding.

Von der Darlegung des Satzes, daß wir in uns die Idee Gottes haben, schreitet Descartes sofort zu dem Beweis fort, daß Gott als der Allmächtige, Allweise und Schöpfer der Welt existiere; er hätte aber jene Idee Gottes besser erklären und von ihr aus nicht allein die Existenz Gottes, sondern auch die Schöpfung der Welt erweisen sollen.


Erwiderung

Hobbes will unter dem Wort Idee nur die Abbilder materieller Dinge, wie sie sich in der körperlichen Phantasie abzeichnen, verstanden wissen. Wird das zugegeben, so ist es für ihn leicht, zu beweisen, daß es Ideen von Gott oder Engeln nicht geben kann. Immer wieder aber und ganz besonders auch an dieser Stelle hebe ich hervor, daß ich unter Idee alles verstehe, was von dem Geist unmittelbar erfaßt wird; auch das Wollen und Fürchten rechne ich, da ich, während ich will und fürchte, dieses Wollen und Fürchten perzipiere, zu den Ideen. Ich bediente mich dieses Namens, weil er schon längst im Gebrauch der Philosophen ist, um die Form der Perzeption des göttlichen Verstandes zu bezeichnen, obwohl wir bei Gott keine Phantasie annehmen. Überdies wußte ich keinen passenderen Ausdruck. Ich glaube für diejenigen, die auf meine Begriffsbestimmung achten wollen, die Idee Gottes genügend erklärt zu haben;[171] für diejenigen aber, welche meine Worte durchaus anders als ich verstehen wollen, könnte ich niemals genug tun. Was Hobbes schließlich über die Schöpfung der Welt hinzufügt, hat offensichtlich mit der hier behandelten Frage nichts zu tun.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Erster Teil: Lehre vom Körper. Leipzig 1949, S. 170-172.
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