XXIV

Colorit

[183] Denn was wir Colorit1 nennen (und es giebt in jeder Kunst etwas diesem Begriff Entsprechendes), ist, wenn wir es allgemein und philosophisch in seinen Gründen und seiner Wirkung untersuchen, nichts anders, als das, was die Thätigkeit der Einbildungskraft ohne einen bestimmten, geformten Gegenstand beschäftigt und was sie selbst wiederum fordert, so oft sie sich in einem solchen Zustand befindet. Wenn ihre Thätigkeit einmal rege ist und sie doch nicht,[183] bildend, ein bestimmtes Object erzeugt, so kann sie nichts, als gleichsam ihre eigne Kraft immer wieder von neuem hervorbringen; und ob sie gleich auch so immer ein Etwas haben muss, woran sie dieselbe übt, so wird diess, als unbedeutend und immer wechselnd, verschwinden und nur der Grad und der Rhythmus ihrer eignen Thätigkeit sichtbar bleiben.

Dass dieser Begriff des Colorits in der That der richtige ist, sehen wir, wenn wir ihn da aufsuchen, wo er ursprünglich[184] hingehört, in der Mahlerei. Die Farbe, wenn sie nicht bloss die Form besser heraushebt, (und wir reden hier vom Colorit nur insofern, als dasselbe sich allein und für sich hervordrängt), kann der Phantasie keinen bestimmten Gegenstand geben; sie kann nur einzeln ihre Stimmung determiniren und mit mehreren in harmonischer oder disharmonischer Folge dieselbe verändern und durch einen gewissen Rhythmus hindurchführen. Sie gleicht hierin dem Ton, nur dass dieser durch seine innige Verbindung mit unsrem Gemüth, ohne gerade bildend zu wirken, doch einen wirklichen Gegenstand, die Empfindung, hervorbringt, was die blosse Farbe wenigstens immer nur sehr unvollkommen zu thun im Stande ist.

In den Arbeiten mittelmässiger Mahler drängt sich das Colorit bloss hervor, um die Sinne zu ergötzen und das Auge zu blenden; aber es gäbe auch einen höheren Styl für die bloss auf das Colorit berechnete Mahlerei, die alsdann nach rhythmischen Gesetzen behandelt werden müsste, und noch weit mehr ist diess bei der Dichtkunst der Fall.[185]

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 2, Darmstadt 1963, S. 183-186.
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