V

[22] »Hier verweil' ich, geh zu Rādhā,

Bring' mein Werben, bring' sie hergeführet!«

So vom Madhu-Feind gesendet,

Eilte selbst und sprach zu Rādhā jene:

(1)


Wo malayische Lüfte wehn,

schwebend Anaṅga zu tragen,

Blühende Knospen aufgehn,

Herzen getrennter Verliebten zu nagen,

Freundin, wie schmachtet der Hainbekränzte,

getrennt von dir!

(2)


Glühend am tauigen Mondenstrahl,

stellt er sich an zu sterben;

Fühlend Madana's Pfeilqual,

klaget er laut das gedrohte Verderben.

Freundin, wie schmachtet der Hainbekränzte,

getrennt von dir!

(3)


Vor dem tönenden Bienenschwarm

hält er verstopft die Ohren;

Durch die Trennung an Lust arm,

siechet er nächtlich in Schmerzen verloren.

Freundin, wie schmachtet der Hainbekränzte,

getrennt von dir!

(4)


Wälder wählt er zum Aufenthalt,

glänzende Schlösser verlassend,[23]

Wälzt am Boden sich stumm bald,

bald bei dem Namen dich ruft er erblassend;

Freundin, wie schmachtet der Hainbekränzte,

getrennt von dir!

(5)


Wo schon eh'r des Wonneherren Lustziel er mit dir erreicht,

In derselben Laube, Kāma's hohem Tempel, harret er,

Mādhava, der dich nur denkend flüstert Huldbeschwörungen,

Wieder deiner Busenschal' Umarmungsnektar wünschet er.

(7)


Wo er zur Wohnung der Wonnebelohnung genaht ist im Schmucke der Liebe,

Stattlich gelendete, säume nicht, wende dich schnell zu dem Herrscher der Triebe!

Unter dem Duftstrauch an Yámunā's Lufthauch harret der Hainbekränzte.

(8)


Deinen bedungenen, töneverschlungenen Namen enthaucht er dem Rohre,

Neidet dem Winde den Staub, der gelinde dir, Zarte, gespielt hat am Flore;

Unter dem Duftstrauch an Yamunā's Lufthauch harret der Hainbekränzte.

(9)


Schwingt eine Taube sich, regt es im Laube sich, meinet er, daß du gekommen,

Schmücket das Lager dir, blicket mit zager Begier dir entgegen beklommen;[24]

Unter dem Duftstrauch an Yamunä's Lufthauch harret der Hainbekränzte.

(10)


Laß die umzingelnden, plauderhaft klingelnden, liebesverrätrischen Spangen,

Freundin, o husche zum dämmrigen Busche, von nächtlichen Schleiern umfangen!

Unter dem Duftstrauch an Yamunā's Lufthauch harret der Hainbekränzte.

(11)


Dort die geschmeidete, safranbekleidete Brust, wie die kranichumschweifte

Wolke, dem Blitze gleich wählst du zum Sitze, die heiß im Verlangen gereifte.

Unter dem Duftstrauch an Yamunā's Lufthauch harret der Hainbekränzte.

(12)


Schlag' die gelösete, schmuckesentblößete Lende gleich einem Gewande

Um den auf Sprossen gewiegten Genossen, o blüh'nde, zu wonnigem Pfande!

Unter dem Duftstrauch an Yamunā's Lufthauch harret der Hainbekränzte.

(13)


Mādhava's Sinn ist stolz, im Beginn ist die Nacht, bald ist sie vergangen,

Tu, was ich heiße, mit eilendem Fleiße, befriedige Hari's Verlangen!

Unter dem Duftstrauch an Yamunā's Lufthauch harret der Hainbekränzte,

(14)
[25]

Zugleich mit deiner Sprödigkeit hinunter ganz gegangen ist die Sonne,

Und mit Govinda's Sehnsucht hat die volle Dichtigkeit erlangt das Dunkel;

Dem Cakravāka-Rufe gleich tönt kläglich meine lange Liebesmahnung:

Leichtsinnige, was zauderst du? Die rechte Zeit ist da zum Nachtbesuche!

(17)


Unter Armverschränkung, unter Küssen, unter Nägelkampf,

Unter Wonn'erweckung, unter Liebeshast und Lustbeginn,

Zwei Entzweite, wieder eins gewordne, traulich kosende,

Welche Lust, o welche labt sie, schamgewürzt, nicht in der Nacht!

(18)


Scheuer Furcht, die Augen rings im Dunkel werfend auf den Pfad,

Oft an einem Baume stockend, langsam setzend Fuß vor Fuß,

Endlich heimlich angelangt mit Gliedern wonnewogenden,

Schöne, mag der Freund dich sehen und begehen seine Lust!

(19)

Quelle:
Gītagovinda: Das indische Hohelied des bengalischen Dichters Jayadeva. Leipzig [1920], S. 22-26.
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