[337] 1. Zur Einleitung zu diesem Sûtra bemerkt die Vivriti: Das Gemeinschaftliche in der Ursache und Wirkung ist im vorigen Abschnitte aufgezeigt. Wie aber ist dies möglich? Das Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung ist nicht bewiesen, und ohne einen Beweis desselben ist es gleich dem Horne eines Haasen. Um diesem Einwurfe zu begegnen, wird das Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung festgestellt.
Zur Erklärung des Upaskâra. Nämlich, selbst wenn Erde, Rad, Wasser, Töpfer, Faden u.s.w. (Alles Mitursachen zur Hervorbringung eines Topfes) zusammen sind, so wird bei der Nicht-Existenz des Stockes die Nicht-Existenz des Topfes, und ebenso, wenngleich Erde, Wasser u.s.w. zusammen sind, bei der Nicht-Existenz des Samens die Nicht-Existenz des Schösslings wahrgenommen. Und dies (Verhältniss) zwischen dem Stocke und dem Topfe so wie zwischen dem Samen und dem Schössling ist ohne das Verhältniss zwischen Wirkung und Ursache unmöglich; sonst würde auch bei der Nicht-Existenz des Webestuhls u.s.w. der Topf, oder bei dem Nicht-Existiren eines Steines u.s.w., der Schössling nicht existiren. Ferner, es wird das Dann- und Wann- Vorhandensein [327] eines Topfes, Gewebes u.s.w. wahrgenommen; dies wäre ebenfalls ohne das Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung unmöglich; denn das Dann und Wann von existirenden Dingen, welches darin besteht, dass sie einige Zeit vorhanden, und eine andere Zeit nicht vorhanden sind, ist ohne Abhängigkeit von einer Ursache widersprechend. In diesem Falle nämlich (wenn das Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung nicht da wäre), würde etwas sein oder nicht sein, nicht aber dann und wann sein; denn ein Existirendes kann nicht nicht existiren, noch (ein Nicht-Existirendes) ohne Ursache existiren, noch kann es zufällig, noch auch durch etwas, das nicht wahrnehmbar ist, gleich dem Horn eines Haasen, existiren, sondern durch eine wahrnehmbare Grenze, sei sie ein Stock, ein Webstuhl u.s.w.; denn sie wird in der Wirkung, dem Topfe, Gewebe u.s.w. beobachtet. Die Gränze nun ist die Ursache. Ferner bei der Nicht-Existenz des Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkung würde weder Handeln noch eine Enthaltung vom Handeln Statt finden, demgemäss die Welt ohne Bestrebung sein; denn weder geschieht ein Handeln ohne ein Wissen der Mittel, das Gewünschte zu erreichen, noch Enthaltung vom Handeln ohne ein Wissen der Mittel, das Verabscheute zu vermeiden.
Die Vivriti fasst dies so zusammen: Von der Vorstellung, dass bei der Nicht-Existenz des Stockes der Topf nicht vorhanden ist, folgt die Nothwendigkeit der Nicht-Existenz des Topfes bei der Nicht-Existenz des Stockes; diese aber ist ohne ein Verhältniss der Ursache und Wirkung zwischen Stock und Topf unmöglich; sonst würde bei der Nicht-Existenz des Stockes auch die Vorstellung der Nicht-Existenz des Gewebes möglich sein. Eben so wird das Dann- und Wann-Vorhandensein der Wirkungen, wie eines Topfes, wahrgenommen, indem sie einige Zeit vorhanden, eine andre Zeit nicht vorhanden sind; dies ist ebenfalls ohne die Abhängigkeit des Topfes u.s.w. von einer Ursache unmöglich; sonst würde der Topf u.s.w. entweder immer sein, oder immer nicht sein, nicht aber dann und wann sein. Noch mehr: ohne das Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung würde weder ein Handeln, noch eine Enthaltung davon Statt finden, die Welt würde demnach ohne Bestrebung sein aus den von dem Upaskâra angeführten Gründen. Die Anhänger der Sânkhya aber behaupten, dass ein Topf, der vorher in der Erde (seiner Ursache) verborgen war, offenbar werde, und wiederum durch den Schlag eines Hammers u.s.w. verborgen werdend in der Erde bestehe; demgemäss seien Offenbarwerden und Verbergen eben Entstehen und Vergehen. Man dürfe aber nicht sagen: dieses (Offenbar-Werden und Verbergen) sei nicht wirklich; denn wäre es so, warum entstände nicht ein Topf aus einem Faden? Eben so wenig dürfe man sagen, dass es keinen Beweis gäbe von dem Dasein der Wirkungen in der Ursache vor ihrer Entstehung; denn der Beweis wäre in dem Texte der Veda gegeben, »seiend war dies eben, o [328] Guter, zuvor (vor der Schöpfung).« Dies ist zu überlegen. Weil man beim Offenbarwerden des Offenbarwerdens einen Rückschritt in's Unendliche annehmen müsste; – denn wäre das Offenbarwerden vorher nicht da, so wäre Entstehung aus einem Nicht-Seienden zuzugeben; – so ist die Annahme eines früheren Seins von Töpfen u.s.w. nicht zulässig. Der Begriff der Ursache ist aber der Begriff einer Gattung von etwas, welches unabänderlich der Wirkung vorhergeht, und nicht den Fehler der falschen Beziehung hat, oder auch.
2. Gäbe es nicht ein Gesetz mit Rücksicht auf das Verhältniss zwischen Wirkung und Ursache, so würde auch bei der Nicht-Existenz der Wirkung die Ursache nicht existiren. (Aber) die Nicht-Existenz der Wirkung hat nicht die Nicht-Existenz der Ursache zur Folge, während die Nicht-Existenz der Ursache die Nicht-Existenz der Wirkung zur Folge hat.
In diesem Sûtra wird die Regel des Verhältnisses zwischen Wirkung und Ursache erklärt. Wenn ein Gesetz des Verhältnisses zwischen Wirkung und Ursache nicht existirte, so wäre es nicht nothwendig, dass bei der Nicht-Existenz der Wirkung die Ursache nicht existirte; die Nicht-Existenz der Ursache aber zieht die Nicht-Existenz der Wirkung nothwendig nach sich.
In Gautama's Nyâya Sûtra ist das Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung auf ähnliche Weise festgestellt. Zur Vergleichung der Ansichten beider Schulen stelle ich die hauptsächlichsten Sûtra von Gautama, welche sich auf dieses Verhältniss beziehen, hier zusammen.
Das Sûtra (4, 3, 11), in welchem das Verhältniss zuerst ausgesprochen wird, lautet: (Entstehung) des Bestimmten (findet Statt) vom Bestimmten; denn so wird es durch Wahrnehmung bewiesen. Das Bestimmte meint nach dem Kommentar, irgend eine bestimmte Gattung, z.B. Erde, als ein Produkt, entsteht aus Erde, als Ursache. Das Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung ist also ein wirkliches, und der Beweis dafür ist die Wahrnehmung. Eigentlich ist nun kein anderer Beweis mehr nöthig; indessen kam es dem Verfasser der Nyâya darauf an, die widersprechenden Ansichten der übrigen Schulen bei diesem wichtigen Punkte als ungegründet nachzuweisen.
Angenommen denn, das Verhältniss, wie es in jenem Sûtra aufgestellt, sei nicht richtig, so liegt seine Unrichtigkeit entweder in der Auffassung der Ursache, oder der Wirkung.
1. Liege die unrichtige Auffassung in der Ursache.
Die Ursache ist entweder ein Seiendes, oder ein Nicht-Seiendes, oder es giebt gar keine Ursache.
[329] Die Ursache wurde als ein Seiendes angenommen; aber sie ist vielmehr, so behauptet ein Bauddha, ein Nicht-Seiendes; denn Offenbarung (was sonst Wirkung genannt wird) findet nicht Statt ohne eine vorangegangene Vernichtung1. So z.B. wird ein Schössling (d.h. ein Seiendes) nicht offenbar ohne Vernichtung des Samens, und diese Vernichtung ist demnach die materielle Ursache des Schösslings. Die Widerlegung geschieht durch ein Trilemma, indem der Begriff der Vernichtung nach seinen verschiedenen Seiten untersucht wird. Was ist nun unter Vernichtung gemeint? Meint es das Vernichtende, oder Vernichtete, oder die Vernichtung selbst?
Meint es das Vernichtende, so ist dies ein widersprechender Begriff2. Wenn nämlich das Vernichtende nicht vorher existirte, so hat man nicht den Begriff eines Vernichtenden; existirt es aber vorher, so ist es falsch, dass es nachher offenbar wurde.
Oder Vernichtung meint das Vernichtete. Es giebt aber keine Entstehung aus vernichteten Dingen3. So ist der Same, wenn er vernichtet ist, nicht die Ursache des Schösslings.
Oder es meint Vernichtung selbst. Es ist aber unmöglich, dass sie die inhärente Ursache eines existirenden Produktes sei, weil ein solches durch den Begriff der Substanz als seiner inhärenten Ursache bestimmt wird4.
Es ist demnach unmöglich, dass ein Nicht-Seiendes die Ursache eines Seienden ist. Wohl denn; nehme man an, es gäbe gar keine Ursache; diese Annahme schliesst zwei andere in sich; es giebt keine Ursache, weil das Seiende zufällig entspringt, oder weil es überhaupt nur Seiendes giebt.
Die Ansicht, dass Alles zufällig entsteht, begnügt sich Gautama nur aufzustellen, und ihrem Begriffe nach zu bestimmen, ohne sie einer Widerlegung zu würdigen5.
Die zweite Ansicht wird von der Sânkhya aufgestellt. Nach ihr ist alles Seiende ewig. Giebt es nur Seiendes in diesem Sinne, so giebt es auch keine Ursache und Wirkung, wie beides gewöhnlich verstanden wird. Das Entstehen ist ein Offenbarwerden dessen, [330] was ursprünglich ist; eben so ist das Zerstörte nicht wirklich zerstört, nur verdunkelt, und beharrt in seinem ursprünglichen Sein6.
Wäre diese Ansicht richtig, so müssten (schliesst Gautama) auch keine Ursachen des Entstehens und Vergehens wahrgenommen werden; nun werden sie aber wahrgenommen, folglich ist sie nicht richtig.
Alle Annahmen, den Begriff der Ursache anders als im obigen Sûtra (4, 3, 11) zu bestimmen, haben sich als falsch erwiesen. Demnach, giebt es eine Unrichtigkeit in dem Verhältnisse zwischen Ursache und Wirkung, so kann diese nur in der Wirkung liegen.
2. Die unrichtige Auffassung liege denn in der Wirkung.
Wirkung kann überhaupt nicht existiren; denn:
N.S. 4. 11. 48. (Eine Wirkung ist vor ihrer Hervorbringung) weder ein Nicht-Seiendes, noch ein Seiendes, noch auch ein (zugleich) Seiendes und Nichtseiendes, weil Sein und Nicht-Sein sich widersprechen.
Sie ist, nach der Erklärung des Kommentares, kein Nicht-Seiendes, weil, wenn ein Nicht-Seiendes seiend werden könnte, auch die Hörner eines Haasen u.s.w. zum Dasein kommen, und Oel im Sand u.s.w. gefunden werden könnte. Sie ist auch kein Seiendes; denn es widerspricht sich, dass das Seiende zum Sein kommen soll; aus demselben Grunde ist sie nicht Seiendes und Nicht-Seiendes zugleich, weil Seiendes und Nicht-Seiendes im Begriffe des Seins und Nicht-Seins sich widersprechen.
Dass die Wirkung vor ihrer Entstehung nicht ein Seiendes, noch auch ein Seiendes und Nicht-Seiendes zugleich sein könne, wird nun von Gautama zugegeben, dagegen behauptet, dass sie vorher nicht-seiend sei.
N.S. 4. 11. 49. »Vor seiner Entstehung ist das, was den Charakter hat zum Sein zu kommen, in der That ein Nicht-Seiendes; denn wir beobachten beides, Entstehen und Vernichtung.«
Oder nach dem Kommentare. Das, welches betrachtet wird als etwas, was zum Dasein kommt, z.B. ein Gewebe u.s.w., ist vor seiner Hervorbringung kein Seiendes, weil Hervorbringung und Zerstörung erwiesen sind; denn wir haben die Vorstellung, dass jetzt der Topf hervorgebracht, und jetzt der Topf vernichtet wird; aber was in Wahrheit ist, kann nicht hervorgebracht werden, weil wir dann den Fall hätten, dass ein Hervorgebrachtes wiederum hervorgebracht würde.
[331] Die Uebereinstimmung, mit welcher beide Systeme den Begriff der Ursache und Wirkung auffassen, ist nicht zu verkennen. Beide entlehnen ihn aus der Erfahrung; beiden ist die Wirkung ein vor ihrer Entstehung Nicht-Seiendes, denn auch Kaṇâda erklärt (IX. 1. 1.): »(eine Wirkung ist) vorher nichtseiend, weil Bewegungen und Eigenschaften nicht darauf bezogen werden.« Ware die Wirkung nämlich etwas Seiendes (eine Substanz), so müsste sie auch Eigenschaften und Bewegungen haben. Kaṇâda bestimmt den Begriff der Ursache unstreitig schärfer, indem er den Satz aufstellt, wenn die Ursache nicht da ist, so ist auch die Wirkung nicht da.
Weder Kaṇâda noch Guatama erklären den Begriff der Ursache ausdrücklich. Der Upaskâra bestimmt die Ursache als etwas, welches der Wirkung unabänderlich vorangeht. Diese Erklärung schien jedoch der Schule nicht befriedigend, indem ja die sogenannten unendlichen Substanzen, wie Raum, Zeit u.s.w. (und man kann hinzufügen, alle Substanzen, welche nach der Ansicht der Schule ewig sind) einer Wirkung vorangehen. Um nun den Begriff der Ursache vor einer solchen Verwechselung zu hüten, wurde später der Zusatz gemacht, dass das der Wirkung unabänderlich Vorangehende nicht den Fehler der falschen Kausalität haben dürfe. Es giebt aber fünf Arten derselben (vid. Bhâshâ-pariccheda 18-20)
1. Der Begriff, unter welchem die Ursache aufgefasst wird, wie z.B. wenn man den Begriff, unter welchem der Stock, der den Topf hervorbringt, aufgefasst wird, als die Ursache des Topfes ansieht.
2. Das, welches mit der Ursache nur zufällig verbunden ist, z.B. die Form des Stockes, ob er gerade oder schief u.s.w. ist.
3. Die Beziehung der Wirkung auf eine Ursache, welche schon als Ursache einer andern Wirkung anerkannt war, wie wenn der Aether als Ursache des Topfes betrachtet wird. Hier wird der Aether als Ursache des Topfes angesehen, weil er den Begriff des Aethers hat, während er dadurch die inhärente Ursache des Tons ist.
4. Die Annahme, dass der Urheber der Ursache die Ursache der Wirkung ist, wie wenn der Vater des Töpfers als die Ursache des Topfes angenommen wird.
5. Alles von der nothwendigen früheren Existenz Verschiedene, wie wenn man den Esel, welcher die Erde trägt, woraus der Topf gemacht wird, als die Ursache des Topfes ansieht.
Die letzte Art wird vom Verfasser der Bhâshâ-pariccheda als die allein nothwendige angenommen, weil sie die übrigen in sich schliesst.
Nach den spätern Schulen giebt es drei Arten von Ursachen:
1. Die inhärente, oder materielle Ursache; sie ist die Ursache, welche durch die Wirkung nicht aufgehoben wird, sondern in ihr bleibt. Sie gehört nur der Substanz an, und ist dreifach, indem erstens mehrere Substanzen als Theile eine neue Substanz als ein[332] Ganzes bilden, wie der Topf aus seinen beiden Hälften entsteht, oder zweitens eine Substanz eine Eigenschaft hervorbringt, wie der Aether den Ton, oder drittens eine Substanz die Ursache einer Bewegung ist.
2. Die nicht-inhärente Ursache; sie kommt den Eigenschaften und Bewegungen zu, indem Eigenschaften die nicht-inhärenten Ursachen von Substanzen und Bewegungen, und Bewegungen die nicht-inhärente Ursache von Eigenschaften sind.
3. Die Mittel-Ursache, oder die Ursache, welche von den beiden ersten verschieden ist.
Unter diesen drei Ursachen ist eine die Haupt-Ursache, oder die, welche am meisten dazu beitragt, eine bestimmte Wirkung hervorzubringen. (Tarka-Sangraha, und Müller, Beiträge z. Kenntniss d. ind. Phil. Zeitschr. d.D.M.G. VI. S. 221)
Dies ist, was inhärente und nicht-inhärente Ursachen betrifft, ganz die Lehre Kaṇâda's, die er, nicht ohne Aufwand von Mühe in Sûtra 9-31 der ersten Abtheilung des ersten Buches auseinandergesetzt hat. Zwar unterscheidet er hier nicht ausdrücklich zwischen inhärenter und nicht-inhärenter Ursache (wenn man nicht das 15te Sûtra als diese Eintheilung enthaltend ansehen will); doch holt er dies im 10ten Buche nach, wo (10. 2. 1-6) die Begriffe der inhärenten und nicht-inhärenten Ursache festgestellt werden. Ob Kaṇâda selbst den Begriff der Mittelursache bestimmt habe, scheint mir zweifelhaft. Der Kommentar behauptet zwar, dass es geschehen sei in (10. 2. 7.) »Die Besonderheit des Feuers ist durch Inhärenz in dem Verbundenen«, wo er ergänzt »die Mittelursache der Farbe u.s.w., welche durch Reife hervorgebracht wird.« Allein es ist fraglich, ob Kaṇâda hieran gedacht habe.
3. Das Allgemeine, bemerkt der Upaskâra, ist zwiefach, das Höchste und das Nicht-Höchste, das Höchste das Sein, das Nicht-Höchste der Begriff der Substanz u.s.w., welcher im Sein enthalten ist. Hier ist das Kennzeichen von dem Allgemeinen und dem von diesem Besondern das Wissen, von dem Allgemeinen das umfassende Wissen, von dem Besondern das ausschliessende Wissen. Es hängt vom Wissen ab, meint, das Wissen ist das Kennzeichen, das Merkmal davon Das Allgemeine dann ist das Beständige, welches in vielen Individuen vorhanden ist, oder auch das, welches beim Vorhandensein des Beständigen die allgemeine Beziehung der gegenseitigen Nicht-Existenzen auf ihr Substrat ist. Auf diese Weise erhält das Nicht-Höchste (der Text hat tathâ param [das Höchste], welches keinen Sinn giebt, es muss heissen tathâparam) einen besondern Namen, wie mit der umfassenden Vorstellung »dies ist eine Substanz« zugleich die besondere Vorstellung, »dies ist keine Eigenschaft, dies ist keine Bewegung«, vorhanden ist. Demgemäss giebt [333] es eine Besonderheit der allgemeinen Begriffe, wie Substanzialität u.s.w.
Die Vivriti fasst dies schärfer: Es giebt ein doppeltes Allgemeines, das Allgemeine ist das Höchste, das Besondere das Nicht-Höchste. Es hängt vom Wissen ab, heisst, das Wissen ist das Merkmal desselben. Demnach ist das Allgemeine zwiefach, das Höchste und das Nicht-Höchste. Hier ist das Merkmal von dem Allgemeinen und dem Besondern, von dem Höchsten und Nicht-Höchsten das Wissen, von dem Allgemeinen das umfassende Wissen, von dem Besondern das ausschliessende Wissen. Umfassend ist das, was an vielen Orten, ausschliessend das, was an wenigen Orten vorhanden ist. Demnach ist das Sein das höchste Allgemeine, weil es an mehreren Orten vorhanden ist als jedes andere Allgemeine, der Begriff der Substanz u.s.w. ein nicht-höchstes Allgemeines, weil es an wenigern Orten ist als das Sein, zugleich aber auch ein Höchstes, weil es an mehreren Orten ist als das Erdige u.s.w. So als ein Höchstes, d.h. Allgemeines, und als ein Nicht-Höchstes, d.h. Besonderes, ist es nicht beständig, sondern vom Wissen abhängig.
Folgende Hindernisse der Klasse werden von den Lehrern der Nyâya aufgezählt: 1. Untheilbarkeit des Individuums. 2. Aehnlichkeit. 3. Verwirrung. 4. Rückgang in's Unendliche. 5. Fehlen des Begriffs und 6. Nicht-Vorhandensein der Verbindung. Demgemäss ist der Begriff des Aethers keine Klasse, weil nur ein solches Individuum existirt; die Begriffe von Ghata und Kalasa (beides bedeutet Topf) nicht zwei Gattungen, weil der Individuen nicht mehr und nicht weniger sind, der Begriff des Materiellen und der Form nicht eine Klasse wegen der Verwirrung, welche eintritt in die Individuen durch das allgemeine Substrat der gegenseitigen und absoluten Nicht-Existenz, der Begriff des Allgemeinen ist keine Klasse, weil ein Rückgang in's Unendliche Statt fände, der Begriff des Besondern nicht, weil seine Natur ausschliessend ist, und dadurch der Begriff (des Allgemeinen) verloren ginge. Der Begriff der Inhärenz ist keine Gattung, weil (hier) die Inhärenz-Verbindung nicht vorhanden ist. V.
4. Existenz (bhâva) ist dasselbe mit dem Sein (sattâ). Das umfassende Wissen, das Wissen, welches an vielen Orten ist, ist Allgemeines, und nicht irgendwie Besonderes, da es nichts Umfassenderes als das Sein giebt.
5. Das »Und« soll hier bedeuten, dass auch das Erdige u.s.w., das Farbige u.s.w., das Aufwerfen u.s.w. Gattungen sind, welche [334] in den Begriffen der Substanz, der Eigenschaft und der Bewegung enthalten sind.
6. Nach der bisherigen Darstellung konnte man mit Recht zweifeln, dass der Begriff des Besondern von dem des Allgemeinen verschieden sei, indem beide höchstens Arten des Allgemeinen bezeichneten. Mit Rücksicht hierauf bemerkt die Vivriti: Der Zweifel, ob mit der Auffassung des Besondern als eines Allgemeinen, die Zahl von sechs positiven Kategorien aufgehoben wäre (denn sind Allgemeines und Besonderes dasselbe, so bleiben nur fünf), wird in dem gegenwärtigen Sûtra gelöst. Mit Ausnahme von dem letzten Besondern, welches in den ewigen Substanzen sich findet. Und der vollständige Sinn ist, die Unterschiede, welche zuletzt, am Ende (der Theilung eines materiellen Ganzen) zurückbleiben, über welche hinaus es kein Besonderes mehr giebt, welche nur in Einem (in einer Substanz nämlich) vorhanden sind. Demnach bezieht sich der Ausdruck des Besondern im vorhergehenden Sûtra nicht auf die Kategorie des Besondern, welche nur in Einem sich findet, sondern auf das Allgemeine, welches (in einem Andern) eingeschlossen ist (während das Besondere in diesem Sûtra die selbständige Kategorie des Besondern bedeutet), und so (steht das vorangehende Sûtra) nicht im Widerspruche mit (der Annahme von) sechs Kategorien. – Ob Kaṇâda unter den letzten Unterschieden die Unterschiede, welche in den ewigen Substanzen sich finden, gemeint habe, lässt sich bezweifeln. Ausdrücklich wenigstens hat er diese Lehre nicht ausgesprochen.
8. Hier könnte man einwenden, das Sein wird nicht als ein von der Substanz, Eigenschaft und Bewegung Verschiedenes aufgefasst; deshalb ist es eines von den dreien; denn das, was von einem Andern verschieden ist, wird auch durch eine Verschiedenheit aufgefasst, wie das Gewebe vom Topfe. Sein aber wird nicht durch eine Theilung von jenem aufgefasst; deshalb ist es mit ihnen dasselbe. Die Antwort darauf giebt unser Sûtra. Die Substanz u.s.w. ist nicht umfassend, das Sein aber ist es; demnach ist sein Unterschied von jenen durch die Anwendung des Merkmals des Umfassenden und Nicht-Umfassenden bewiesen. U.
9. Angabe eines zweiten Unterschieds: Hier geschieht die Bestimmung durch den Gegensatz, nicht eine Eigenschaft, nicht eine Bewegung. Noch eine Substanz ist nach der Absicht des Kaṇâda [335] zu ergänzen; denn weder ist eine Bewegung in einer Bewegung, noch eine Eigenschaft in einer Eigenschaft, noch eine Substanz in einer Eigenschaft oder Bewegung; das Sein aber ist sowohl in Eigenschaften und Bewegungen; deshalb ist es von den dreien verschieden. U.
10. Wäre das Sein eine Substanz, eine Eigenschaft, oder eine Bewegung, so müsste es sowohl Allgemeines als auch Besonderes sein (siehe I. 2. 5.); dies ist aber nicht der Fall, denn es ist eben nur Allgemeines. U.
Das obige Sûtra kann auch übersetzt werden: Auch weil Allgemeines und Besonderes nicht (im Sein) existirt (ist dieses weder Eigenschaft, noch Bewegung).
11. Der Ausdruck »viele« meint hier »alle«. Dadurch (dass er allen Substanzen einwohnt) ist der Begriff der Substanz von dem Erdigen u.s.w.; durch den Begriff des Beständigen aber, als eines Merkmals des Allgemeinen, wie aller Substanzen, welche aus Theilen bestehen, durch den Begriff des Einwohnens in vielen Substanzen, nämlich des Inhärirens lediglich in vielen Substanzen, unterschieden. Der Begriff der Substanz bedeutet daher das Beständige, welches allein vielen Substanzen inhärirt. Daher, wird gesagt, ist Verbindung (d.h. die gewöhnliche Verbindung, oder Berührung) nicht zulässig, und der Begriff der Substanz nachgewiesen. Der Begriff des Einwohnens in vielen Substanzen ist durch Inhärenz; Verbindung, der Begriff des Beständigen durch den Begriff des Allgemeinen hergeleitet; demnach ist der Begriff der Substanz durch den Begriff der Inhärenz (?) in vielen Substanzen, durch den Begriff des Beständigen so wie durch seine Verschiedenheit von Substanz (d.h. von bestimmter Substanz), gleich dem Sein, erklärt. V.
12. Der Begriff der Substanz ist weder eine Substanz, noch eine Eigenschaft u.s.w., weil in ihm weder die Begriffe der Substanz, der Eigenschaft, und der Bewegung, noch die Begriffe des Erdigen, des Wassers, des Lichts u.s.w. enthalten sind. V.
13. D.h. als etwas von den Substanzen, Eigenschaften und Bewegungen Verschiedenes, gleich dem Sein, erklärt. V.
[336] 17. Ein Wissen, oder ein Gebrauch des Ausdrucks, von solcher Art, wie »seiend« ist das Kennzeichen des Seins. Dieses nun ist dasselbe, ununterschieden, in Substanzen, Eigenschaften und Bewegungen. Deshalb wohnt die Existenz, das Sein, in ihnen eben als eins; sonst wäre entweder das Sein wegen der Aehnlichkeit mit den Begriffen der Substanz nicht; oder diese wären nicht. Dies folgt auch aus der Nicht-Existenz eines besondern Kennzeichens, eines Unterschieds in dem Kennzeichen. Und der Sinn ist: weil kein Kennzeichen, kein Beweis für einen Unterschied da ist, so giebt es auch keinen Unterschied. Es giebt nämlich eine umfassende Erkenntniss von solcher Art: dies ist jene Leuchte; wie nun hierin ein Unterschied der Länge und Breite u.s.w. Statt findet, so findet er nicht Statt mit Rücksicht auf jenes (Sein).
1 Nyâya Sû. 4. 4. 14: »Von Nicht-Existenz entsteht Existenz; denn Offenbarung ist nicht, wenn nicht Vernichtung vorangegangen.«
2 N.S. 4. 4. 15. »Das ist nicht der Fall; denn es widerspricht sich selbst.«
3 N.S. 4. 4. 17. »Nein; denn es giebt keine Entstehung aus Vernichtetem (aus Dingen, die vernichtet sind).«
4 Dies letzte Glied der Disjunktion gehört dem Kommentare an; auch bemerke ich, dass die weitere Ausführung der Beweise diesem entlehnt ist.
5 N.S. 4. 6. 22. »Es giebt keine Entstehung von Existenzen aus keiner Ursache; denn wir nehmen die Spitzigkeit eines Dorns wahr.« Und 4. 6. 23. und 24.
6 N.S. 4. 8. 29. »Alles ist ewig, weil die fünf Elemente ewig sind.« 4. 8. 30. »Nicht so, weil die Ursachen des Entstehens und der Vernichtung wahrgenommen werden.« 4. 8. 31. »Dies ist keine Widerlegung (unseres Einwurfs, sagt der Sânkhya), weil der Charakter davon (nur) verdunkelt ist.« 4. 8. 32. »Dies ist nicht so, weil die Ursache der Entstehung wahrgenommen wird.«
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