Sechster Act.

[98] Die Nymphe Sanumati erscheint auf einem Luftwagen.41


SANUMATI. Ich habe die dort am Nymphenteiche42 abwechselnd zu vollbringende Wache nun meinestheils abgethan. Da jetzt die Badestunde jener guten ist, will ich den Zustand des königlichen Weisen in Augenschein nehmen. Ist nicht durch die Verbindung mit Menaka Sakuntala mir wie mein eigener Leib? Und von ihr bin ich wegen der Tochter hiezu angewiesen. – Ueberall umherblickend. Warum nun beim Frühlingsfeste erscheint so ohne Festanstalten dieses Königshaus? Ich besitze zwar die Macht auf geistige Weise alles zu erkennen. Doch ich muß das der Freundin gegebene[98] Versprechen achten. Wolan! Ich werde diesen Gartenaufseherinnen, durch unsichtbarmachenden Zauber verborgen, Gesellschaft leisten und beobachten. Sie steigt vom Wagen herab.


Eine Dienerin kommt einen Mango-Sproß betrachtend; eine zweite folgt.


DIE ERSTE.

Dich bräunlich grün und gelbes

Im Frühlingsmonde, dem Alllebenbringer,

Erblick' ich, Mango-Knöspchen,

Sei mir als Jahresglückverheißung günstig!

DIE ZWEITE. Nachtigallchen, was sprichst du da allein für dich?

DIE ERSTE. Honigbienchen! Wenn Nachtigallchen eine Mango-Blüthe erblickt, kommt sie von Sinnen.

DIE ZWEITE freudig hinzueilend. Wie, ist der Honigmonat gekommen?

DIE ERSTE. Honigbienchen! Das ist jetzt für dich die Zeit der Trunkenheit, des Schwärmens und des Gesangs.

DIE ZWEITE. Freundin, stütze mich; ich will auf die Fußspitzen tretend den Mango-Sproß pflücken und dem Liebesgott Verehrung bezeugen.

DIE ERSTE. Ja, wenn mir vom Lohne der Verehrung die Hälfte wird.[99]

DIE ZWEITE. Das versteht sich ungesagt, weil wir beide ein Leben haben und zweigetheilten Leib. Sie pflückt auf die Freundin gestützt den Mango- Sproß. Ach! Noch unaufgeblüht ist der Mango- Trieb hier im Durchbruch seiner Hülle schon Düftereich. Sie macht ein Taubenhändchen.43

Dich hab' ich Mango-Schößling dem Bogenführer Liebesgott gegeben,

Für junge Wanderfrauen sollst du zu der fünf Pfeile stärkstem dienen.


Sie wirft die Knospen hin. – Der Haremaufseher im Zorn hastig auftretend.


AUFSEHER. Halt, unsinnige, da vom Fürsten das Frühlingsfest untersagt ist, was beginnest du Mango-Knospen zu brechen?

BEIDE MÄDCHEN furchtsam.44 Verzeihe der Herr, wir haben nichts davon vernommen.

AUFSEHER. Hättet ihr's wirklich nicht gehört, da selbst von den Frühlingsbäumen das fürstliche Gebot befolgt wird und von den darauf wohnenden Vögeln? Denn also

Des Mango längst erschlossenem Blumenkelch fehlt doch der Blüthenstaub,

Kuruwaka's gelbliche Blüthenfülle verbleibt im Knospenstand;[100]

Wiewol der Winter schied, steckt in der Kehle der Ruf des Kokila,

Und Kama steckt den halbhervorgezognen Pfeil scheu wieder ein.

SANUMATI unsichtbar. Ohne Zweifel, der königliche Weise ist von hoher Macht.

DAS ERSTE MÄDCHEN. Verehrungswürdiger! Es sind erst einige Tage her, daß uns Mitrawasu, der Statthalter, zu den Füßen des Fürsten hieher sandte, wo uns nun die Aufsicht über den Lusthain übertragen wurde; darum als Neuankömmlinge haben wir von der Sache noch nichts gehört.

AUFSEHER. Gut. Ihr dürft es nicht wieder thun.

BEIDE MÄDCHEN. Verehrungswürdiger! Wir sind neugierig; wenn wir es hören dürfen, so möge der Herr uns erzählen, warum vom Fürsten das Frühlingsfest untersagt ist.

SANUMATI wie oben. Die Menschen sind sonst Freunde von Festen, es muß ein wichtiger Grund sein.

AUFSEHER. Es wird schon so viel davon geredet, warum sollte ich's nicht erzählen? Ist euch Mädchen nichts zu Ohren gekommen von dem Sakuntala-Verstoßungsabenteuer?

BEIDE MÄDCHEN. Wir hörten's aus des Statthalters Munde bis zur Ringerblickung.[101]

AUFSEHER. So ist wenig mehr zu erzählen. Sobald bei Erblickung seines Ringes der Fürst sich erinnerte: »In der That hab' ich früher die edle Sakuntala mir heimlich anvermählt und dann sie in der Bethörung verlassen«, seitdem ist der Fürst in einem Zustand peinigender Reue. Denn also

Verhaßt ist ihm die Lust; er zeigt nicht täglich, wie sonst, den Unterthanen sich;

Umher sich windend auf des Lagers Rand bringt er die Nächte Schlaflos zu.

Wenn er aus Artigkeit im Frauengemach ein freundliches Gespräch beginnt,

Verwechselt er dabei die Frauennamen und steht dann lange Schamverwirrt.

SANUMATI. Das gefällt mir.

AUFSEHER. Wegen solchen Mißmuthes des Gebieters ist das Fest abgestellt.

DIE BEIDEN. Natürlich.

VON DRINNEN. Komme, komme der Herr!

AUFSEHER. Ah! Der Fürst kommt hieher; geht an eure Geschäfte.

DIE BEIDEN. Das wollen wir. Ab.


Der König tritt auf in Reuemäßigem Gewande, der lustige Rath und die Leibdienerin.
[102]

AUFSEHER nach dem König hinblickend. O der Anmuthausgezeichneten Leibesgestalt in allen Lagen! Auch so betrübt ist der Fürst stattlich anzusehen. Denn also

Gewählten Putz verschmähend, und am linken Vorderarme

Nur tragend einen goldnen Reif, mit Seufzerbleichen Lippen

Und Kummernachtwachrothem Aug' ist er kraft eigenen Glanzes

Wie ein geschliffener Edelstein geschwunden, doch sein Schwinden nicht bemerkbar.

SANUMATI den König sehend. Wol darf sich, wenn auch durch Verstoßung beleidigt, um ihn Sakuntala härmen.

KÖNIG nachdenkend langsam umhergehend.

Da die Gazellenaugige Geliebte wecken einst es wollte, schlief es,

Und nun zu Schmerz der Reu' ist dies verkehrte Herz erwacht.

SANUMATI. So wollt' es das Geschick jener Dulderin.

DER LUSTIGE RATH MATHAWIA bei Seite. Er ist wieder von der Sakuntala-Sucht befallen; ich weiß nicht, wie er zu heilen sein wird.

AUFSEHER hinzutretend. Siege, siege der Fürst! Großer König, allen Lusthainplätzen ist nachgesehen worden; der große König mag sich wo er will niederlassen.[103]

KÖNIG. Wetrawati! Sag in meinem Namen dem Minister, dem Verehrungswürdigen Pisuna, wegen langen Nachtwachens sei es uns heute nicht möglich den Richterstuhl einzunehmen; was von bürgerlichen Sachen der geehrte untersucht hat, werde mir schriftlich zugesandt.

LEIBDIENERIN. Wie der Fürst befiehlt. Ab.

KÖNIG. Watajana, auch du laß dein Amt nicht auf dich warten.

AUFSEHER. Wie der Fürst befiehlt. Ab.

MATHAWIA. Du hast dich von den Fliegen befreit: jetzt magst du an diesem durch Unterbrechung von Licht und Schatten angenehmen Lustschauplatz dich ergötzen.

KÖNIG. Kamerad! »Arme fallen in jeden Graben.« Dies Sprichwort geht nicht fehl, denn sieh', o Freund:

Kaum von der Verfinstrung, die der Klausnertochter

Lieberinnerung hemmte, sieht sich frei mein Herz:

Und der Herzgeborne Gott, mich zu befehden,

Auf den Bogen legt er schon den Amra-Pfeil.

MATHAWIA. Wart einmal! Mit diesem Holzstecken will ich da dem Liebesjammer den Garaus machen.


Er holt mit seinem Stock aus einen Amra-Zweig herab zu schlagen.
[104]

KÖNIG mit Lachen. Schon gut. Ich sehe die Brahmanen-Allmacht. Freund, wo soll ich mich hinsetzen, um mit einigermaßen der Geliebten gleichenden Lianen das Auge zu täuschen?

MATHAWIA. Hat deine Herrlichkeit nicht die nachfolgende Dienerin Tschaturika bedeutet: in der Madhawi-Laube werde ich diese Tageszeit zubringen, dahin sei mir die Gemäldetafel mit dem von meiner eignen Hand entworfenen Bilde der gepriesenen Sakuntala gebracht?

KÖNIG. Ja das ist die rechte Erholungsstätte, also weise mir den Weg dorthin.

MATHAWIA. Hieher, hieher, Gebieter!


Beide gehn, Sanumati folgt ihnen.


MATHAWIA. Hier ist die Ruhebank mit edlem Gestein prangend. Die Madhawi-Laube scheint uns darbringungsreich willkommen zu heißen; darum eintretend lasse sich deine Herrlichkeit nieder.


Beide treten ein und setzen sich.


SANUMATI. Ich will doch hinter das Gezweige mich stellend das Bild der Freundin betrachten und dann ihr des Gemahls vielseitige Liebesregungen melden. Sie tritt hinan.[105]

KÖNIG. Freund! Ich erinnere mich jetzt ganz des früher mit Sakuntala geschehenen. Auch hab' ich dir schon alles erzählt. Zur Stunde der Verstoßung warst du nicht bei mir zugegen. Auch vorher hast du nie ihren Namen erwähnt. Hattest du alles gleich mir vergessen?

MATHAWIA. Nicht vergessen. Aber nachdem du mir alles erzählt hattest, sagtest du zuletzt, es sei ein Scherzhafter Einfall, kein Ernst, und mein Erdenkloßverstand nahm es so an. Doch Verhängniß ist mächtig.

SANUMATI. So ist es.

KÖNIG in Gedanken. Freund, rette mich!

MATHAWIA. Ho! Was soll das? Dergleichen kommt dir nicht zu.

Rechte Männer geben dem Kummer nicht Raum im Herzen.

Stehn doch auch im Sturme ohne Wank die Berge.

KÖNIG. Kamerad! Wenn ich dort an den Zustand der durch die Verstoßung verwirrten Geliebten denke, bin ich höchst Trostlos, denn sie

Wie sie von hier verstoßen den ihrigen zu folgen Willens war,

Und mehrmal »bleib« ihr zurief gleich dem Meister streng des Meisters Sohn,[106]

Wie sie den Thränentrüben Blick noch einmal wendete nach mir

Dem Grausamen, das brennt mich wie ein in Gift getauchter Pfeil.

SANUMATI. O solch eine Selbstanklage! Ich erfreue mich an seiner Reue.

MATHAWIA. Hör'! Ich hab' einen Gedanken: unsere Herrin ist von irgend einem Luftwandler entführt worden.

KÖNIG. Wer dürfte diese Gottheit ihres Gatten berühren? Menaka ist ja unserer Freundin hohe Daseinsquelle, hab' ich vernommen; darum, von ihren Gefährtinnen ist unsere Freundin hinweggenommen, so vermuthet mein Herz.

SANUMATI. Nur jene Verblendung nimmt mich Wunder, nicht jene Wiederbesinnung.

MATHAWIA. Wenn dem so ist, so kommt auch mit der Zeit eine Wiedervereinigung zu Stande.

KÖNIG. Wie das?

MATHAWIA. Die Eltern können eine durch Gattentrennung betrübte Tochter nicht sehen.[107]

KÖNIG. Kamerad!

War es ein Traum, ein Trugbild oder Wahnsinn?

Lohn guter Werke, der nicht weiter reichte?

Dahin auf Nimmerwiederkehr! Der jähe

Abgrund ist dies des Sturzes meiner Wünsche.

MATHAWIA. Nicht doch! Der Ring ist ja schon die Probe: was geschehen soll, geschieht unerwartet.

KÖNIG den Ring betrachtend. Ach, dieser einer schwer erreichbaren Stelle entfallene ist zu beklagen.

Daß deine guten Werke, Ring, wie meine,

Gering nur waren, sieht man an dem Lohne,

Daß an der Hand mit Morgenrothen Nägeln

Du hattest deinen Platz und ihn verlorest.

SANUMATI. Wenn er wäre an eines andern Hand gekommen, wäre er wirklich zu beklagen. Freundin, du bist ferne und ich allein höre dieses Ohrenerfreuliche.

MATHAWIA. Höre, zu welchem Zwecke wurde von dir dieser Namensring der Herrin dort an die Hand gesteckt?

SANUMATI. Meine eigene Neugier gibt ihm diese Frage ein.

KÖNIG. Vernimm! Damals, als ich im Begriffe war nach der Residenz abzureisen, sprach die Geliebte in Thränen zu[108] mir: Nach wie langer Zeit wird mein Gemahl Nachricht von sich geben?

MATHAWIA. Nun weiter!

KÖNIG. Darauf erwiderte ich ihr:

An jedem Einzeltage zähl' einen einzelnen

Buchstaben meines Namens. Sobald zu End' er geht,

Sobald soll, o Geliebte, dich in mein Fraungemach

Zu bringen dir ein Bote von mir gesendet sein.

Und das hab' ich finsteren Herzens in der Bethörung nicht erfüllt.

SANUMATI. Die schöne Zusage ward vom Schicksal gebrochen.

MATHAWIA. Wie ist er denn in des vom Fischer zurechtgemachten Rothkarpfen Bauch gekommen?

KÖNIG. Als unsere Freundin bei Satschitîrtha ihre Andacht verrichtet, ist er von ihrer Hand in die Ganges-Wellen gefallen.

MATHAWIA. Das läßt sich hören.

SANUMATI. Daher also wäre der Büßerin Sakuntala von diesem Unbillscheuenden königlichen Weisen der Zweifel an der Vermählung gekommen? Doch, wartet eine solche Liebe auf ein Erkennungszeichen? Wie ist das?

KÖNIG. Ich will diesem Ringe Vorwürfe machen.[109]

MATHAWIA für sich. Er ist auf dem Wege der Irrsinnigen.

KÖNIG.

Wie konntest du die Hand mit schwellend zarten

Fingern verlassend, dich in's Wasser stürzen?

Doch

Fühlloses hat ja keinen Sinn für Schönheit.

Wie konnt' ich selbst verschmähen die Geliebte?

MATHAWIA für sich. Soll mich der Hunger auffressen?

KÖNIG. Schuldlos verlassene! Dieses Reuegequälten Herzens möge sich das Wiedersehen erbarmen.


Tschaturika hastig auftretend mit dem Bild in der Hand.


TSCHATURIKA. Hier ist das Gemälde der Herrin. Sie zeigt es.

MATHAWIA. Schön, Kamerad! In lieblicher Stellung sehenswürdige Naturverkörperung: mein Auge strauchelt gleichsam zwischen den tiefen Schatten und hohen Lichtstellen.

SANUMATI. Ah die Geschicklichkeit des königlichen Weisen! Ich denke, die Freundin steht vor mir.

KÖNIG.

Was an dem Bilde schön nicht ist,

Das ist nur falsch gezeichnet,

Gleichwol von ihren Reizen hat

Etwas erreicht der Pinsel.[110]

SANUMATI. Das entspricht seiner Reuevollen Zärtlichkeit wie seiner Bescheidenheit.

MATHAWIA. Höre! Man erblickt da drei herrliche Frauen und alle drei sind sehenswerth. Welche davon ist deine Sakuntala?

SANUMATI. Dieser Mensch ist blödsichtig, der eine solche Gestalt nicht erkennt.

KÖNIG. Welche glaubst du wol?

MATHAWIA. Ich glaube die mit den Locken, die aus aufgegangenem Lockband Blumen ergießen, mit den Wangen, auf welchen die Schweißtropfen ausbrechen, mit den merklich gesenkten Schultern an des durch Begießung lieblich erfrischten Mango- Bäumchens Seite wie etwas ermattet gemalte: die ist Sakuntala, die beiden andern ihre Freundinnen.

KÖNIG. Euer Edlen ist ein Kenner. Hier ist ein Zeichen meiner Gemüthserregung:

Am Rande des Gemäldes sieht man die Spuren eines feuchten Fingers,

Und eine Thräne, die hier auf die Wange fiel, bewirkte Farberlöschung.

Tschaturika! Das Lustplätzchen hier ist erst halb gemalt, geh, bring mir die Farben.

TSCHATURIKA. Mathawia, halte das Bild, bis ich wiederkomme.[111]

KÖNIG. Ich halte es selbst. Er thut's, die Dienerin ab.

Verlassend erst die sichtbare Geliebte,

Jetzt die gemalte wiederholt anbetend,

Werd' ich die Wandrerlabfluth übergehend,

Verlockt, o Freund, in die Gazellendürstung.

MATHAWIA für sich. Also der gnädigste Herr ist über einen Fluß gegangen und zu Gazellendurste gelangt. Laut. Höre! Ist denn hier noch was zu malen?

SANUMATI. Er möchte wol jedes Lieblingsplätzchen der Freude in seinem Gemälde anbringen.

KÖNIG. Vernimm!

Zu malen ist die Malini und ein Flamingo-Paar an ihrem Ufer,

Im Hintergrund Himalaja's Gebirgsfuß rings besetzt von wilden Elken,

Und unterm Baum, an deß Gezweig Einsiedlerkleider hangen,

Soll reiben ihre Stirn am Horn des Hirsches eine Hindin.

MATHAWIA für sich. Ich dächte, er füllte die Tafel mit einem Haufen langbärtiger Einsiedler.

KÖNIG. Kamerad! Wir haben hier noch einen lieben Schmuck Sakuntala's vergessen.[112]

MATHAWIA. Was denn?

SANUMATI. Wol was ihrem Waldaufenthalt und ihrer Zartheit angemessenes.

KÖNIG.

Noch nicht gemacht ist die mit ihrem Stiel

Im Ohre steckende Sirischa,

Mit den Staubfäden auf die Wangen hangend;

Auch sind die Herbstmondstrahlenweichen

Nymphäenfasern anzubringen,

Geschmiegt, o Freund, hin zwischen ihre Brüste.

MATHAWIA. Höre, warum so mit den Lilienglänzenden Fingerspitzen das Gesicht bedeckend wie erschrocken steht die Herrin da? Aufmerksam hinsehend. Ach, dieser Sklavinsohn, der Blumensaftplünderer greift der Herrin Gesicht an, der Honigmacher.

KÖNIG. Wehre doch dem unverschämten!

MATHAWIA. Der erhabene Herr, der allen Frevlern Einhalt thut, vermag hier wol zu wehren.

KÖNIG. Du hast Recht; he da, lieber Blumengast, warum machst du dir die Mühe hier herumzufliegen?

Dort auf der Blume sitzend, zwar durstig aber mehr nach dir sich sehnend,

Erwartet dich dein Bienchen und will den Honig ohne dich nicht trinken.[113]

SANUMATI. Eine sehr höfliche Abwehr.

MATHAWIA. Höre! Dieses Geschmeiß ist sehr unartig, wenn man ihm auch wehret.

KÖNIG. Ho, du gehorchst also nicht meinem Befehle? So höre nun:

Diese gleich dem unversehrten jungen Baumsproß frische,

Nur am Festtag des Genusses zart von mir genippte

Bimba-Lippe der Geliebten, wenn du anrührst, Brummer,

Werd' ich dich in einen Lotoskelch einkerkern lassen.

MATHAWIA. Wie sollte er einen so strengen Richter nicht fürchten? Lachend für sich. Er ist eben toll. Und auch ich bin in seinem Umgang so weit gekommen solche Reden zu führen. Laut. Höre! Das ist ja nur ein Bild.

KÖNIG. Wie? Ein Bild?

SANUMATI. Selbst ich, die die Sache einsehe, werde ganz irre, wie viel mehr er, der nur seinen Gedanken nachhängt.

KÖNIG. Kamerad! Warum erzeigst du dich so mißgünstig?

Ihr gegenwärtlich Schauen

Genoß ich mit von ihr erfülltem Herzen.

Nun ist durch dein Erinnern

Die Liebste wieder mir zum Bild geworden.


Er vergießt Thränen.
[114]

SANUMATI. Eine Beispiellose alles frühere und spätere beschämende Sehnsuchtsweise.

KÖNIG. Kamerad! Wie empfind' ich doch so unausgesetzten Schmerz!

Erst den Verein mit ihr im Traume

Vereitelt das Erwachen,

Und nun im Bilde sie zu sehen

Erlaubt mir nicht die Thräne.

SANUMATI. Gewiß, durch diese Thränen ist Sakuntala's Verstoßungsschmerz ausgelöscht.

TSCHATURIKA kommend. Siege, siege der Fürst! Ich hatte den Farbenkasten genommen und wollte hieher gehn.

KÖNIG. Was nun?

TSCHATURIKA. Da ward er mir unterwegs von der Königin Wasumati selbander mit Taratika mit den Worten »ich will ihn selbst meinem Gemahl bringen« gewaltsam aus der Hand genommen.

MATHAWIA. Glück auf, daß du entkamst!

TSCHATURIKA. Während Taratika das an einem Zweige hangen gebliebene Gewand der Königin losmachte, machte ich mich selbst aus dem Staube.[115]

KÖNIG. Kamerad, die Königin ist in der Nähe und durch meine Ehrenbezeugungen übermüthig. Rette dieses Bild hier.

MATHAWIA. Und »sich selbst« solltest du sagen. Mit dem Bilde abgehend. Wenn der Herr sich von dem Haremfangnetze wird befreit haben, laß mich im Pavillon Meghapratitschanda abrufen. Dort will ich dieses aufheben, wo es außer den Tauben Niemand finden soll. Er geht eiligen Schrittes ab.

SANUMATI. Obgleich sein Herz jetzt einer andern Gegend zugewendet ist, nimmt er doch auf ein früheres Verhältniß Rücksicht. Es ist zu loben, daß seine Freundschaft nicht locker ist.

DIE LEIBDIENERIN tritt auf mit einem Blatt Papier in der Hand. Siege, siege der Fürst!

KÖNIG. Wetrawati! Bist du nicht unterwegs der Königin begegnet?

LEIBDIENERIN. Freilich; doch als sie mich das Papier tragen sah, kehrte sie um.

KÖNIG. Die Geschäftskundige will mir Geschäftsstörung ersparen.

LEIBDIENERIN. Gebieter, der Minister vermeldet: unter der Menge von vorkommenden Sachen haben wir besonders eine bürgerliche Angelegenheit in Betracht gezogen. Diese hier zu Papier gebracht, möge der Fürst in Augenschein nehmen.[116]

KÖNIG. Gib mir das Blatt!


Leibdienerin reicht es hin.


KÖNIG lesend. Wie? Ein Seehandelsmann, Dhanamitra mit Namen, ist zu Schiffe verunglückt; der arme hat, wie es heißt, keine Kinder, sein Vermögen fällt dem König zu, so schreibt der Minister. Ein Unglück fürwahr ist Kinderlosigkeit. Bei seinem großen Reichthum wird der Mann auch viele Frauen haben; man forsche nach, ob unter diesen eine gesegneten Leibes sei.

LEIBDIENERIN. Gebieter! Dem Vernehmen nach hat eines Saketaner Gildemeisters Tochter bei ihm so eben die Knabenweihe45 vollzogen.

KÖNIG. Das Kind im Mutterleib hat ja Ansprüche auf das väterliche Vermögen. Geh, sage so dem Minister.

LEIBDIENERIN. Wie der Fürst befiehlt. Will abgehn.

KÖNIG. Komm her!

LEIBDIENERIN. Hier bin ich.

KÖNIG. Was liegt denn an einem Stammbaum![117]

Wo meinen Unterthanen irgend

Ein lieber Anverwandter starb,

Den ersetzt ihnen Duschianta,

Wenn es ein Bösewicht nicht war.

So lasse man ausrufen.

LEIBDIENERIN. So soll es ausgerufen werden. Sie geht ab.


Der König versinkt wieder in Gedanken, die andern drücken durch Geberdenspiel ihr Staunen aus.


LEIBDIENERIN wiederkommend. Wie ein Regen zu rechter Zeit wurde des Fürsten Befehl vom Volke mit Freude begrüßt.

KÖNIG tief und heiß aufseufzend. Ha, so gehen eines Nachkommenschaftlosen Geschlechts Güter beim Ableben des Stammhalters auf einen Fremden über; auch bei meinem Ende wird des Puru-Stammes Herrlichkeit wie ein zur Unzeit besäeter ohne Fruchtertrag gebliebener Acker in solchem Zustand sein.

LEIBDIENERIN. Abgewendet sei das Unheil.

KÖNIG. Weh mir, der ich das Glück verschmähte, da es mir entgegenkam!

SANUMATI. Ohne Zweifel an die Freundin im Herzen denkend schmäht er sich selbst so.[118]

KÖNIG.

Die rechte Gattin, des Geschlechtes Zierde,

In der ich selbst erneu'n mich sollte, hab' ich

Wie eine bester Frucht Verheißungsvolle

Zu rechter Zeit besäete Flur verlassen.

SANUMATI. Nun wird dir Nachkommenschaft nicht abgeschnitten sein.

TSCHATURIKA zur Leibdienerin. Ach, durch diese Krämergeschichte ist der Herr in ungebührliche Aufregung versetzt worden. Um ihn zu beruhigen geh und hol' uns aus dem Meghapratitschanda-Pavillon den Mathawia her.

LEIBDIENERIN. Du hast Recht. Ab.

KÖNIG. Ha, Duschianta's Ahnengeister sind in Besorgniß gerathen. Denn

»Wer nach diesem ach, wird Schriftgemäße

Todtenopfer im Geschlecht uns bringen?«

Fragen sie, wenn sie des Kinderlosen

Spendegruß in lautern Thränen trinken.


Es wandelt ihn eine Ohnmacht an.


TSCHATURIKA bestürzt hinblickend. Es fasse sich, fasse sich der Fürst!

SANUMATI. Ach, ach, eine Leuchte ist da, doch sie ist verdeckt und er sieht nur die Finsterniß. Ich will ihn sogleich erfreuen! Doch nein, ich hörte aus Aditi's, der Mutter Indra's,[119] Munde, wie sie die bei ihr aufbewahrte Sakuntala vertröstete, die Götter selbst, deren Antheil am Freudenopfer wünschend, würden bewirken, daß der Fürst in kurzem seine rechtmäßige Gattin wieder begrüße. Diese Zeit ziemt es sich abzuwarten. Indessen will ich die liebe Freundin mit diesen Kunden erfreuen. Verschwindet in der Luft.

VON DRINNEN. Unbrahmanisch, unbrahmanisch!46

KÖNIG kommt wieder zu sich und spricht. Ach! Das scheint Mathawia's Hülferuf. Holla he!

LEIBDIENERIN kommt. Rette der Fürst den in Gefahr gerathenen Freund!

KÖNIG. Wer zwackt das Bürschchen?

LEIBDIENERIN. Ein unsichtbares Wesen hat ihn gepackt und auf die Zinnen des Meghapratitschanda- Pavillons entführt.

KÖNIG sich erhebend. Was? Auch an meinen Palast wagen sich die Dämonen? Freilich

Weiß ich doch das eigene unbedachte

Straucheln Tag für Tag nicht zu erkennen.

Welche Wege meiner Unterthanen

Einer gehn mag, kann genau ich's wissen?

VON DRINNEN. Kamerad! Hülfe, Hülfe![120]

KÖNIG mit abgebrochenen Schritten umhergehend. Freund! Fürchte nicht, fürchte nicht.

VON DRINNEN. »Freund! Fürchte nicht, fürchte nicht!« Ja wie soll ich nicht fürchten? Da biegt mir einer den Hals nach hinten und knickt mich wie ein Zuckerrohr.

KÖNIG umherblickend. Meinen Bogen her!

JÄGERMEISTER mit dem Bogen in der Hand. Gebieter, hier Bogen und Handschuh! Der König nimmt den mit dem Pfeile belegten Bogen.

VON DRINNEN.

Hier dürstend nach dem Blute des jungen Halses will ich

Als wie den Hirsch der Tiger, den zappelnden dich würgen;

Er der zu der Bedrängten Beschützung führt den Bogen,

Es möge doch Duschianta zu Hülfe jetzt dir kommen!

KÖNIG im Zorn. Wie? Er weist wirklich auf mich hin? Steh Leichenfresser, jetzt wirst du nicht mehr sein. Den Bogen spannend. Wetrawati! Führe mich zur Treppe.

LEIBDIENERIN. Hieher, hieher, Gebieter. Sie steigen auf das Haus.

KÖNIG nach allen Seiten umblickend. Der Platz ist leer.

VON DRINNEN. Hülfe, Hülfe! Ich sehe den Herrn, du siehst mich nicht. Wie einer von der Katze gepackten Maus geht mir die Lebenshoffnung aus.[121]

KÖNIG. Ho, du auf den Unsichtbarkeits-Zauber trotzender, mein Pfeil wird sehen. Hier lege ich den Bogen an; er soll

Dich tödten den zu tödtenden

Und retten den zu rettenden Brahmanen,

Wie der Flamingo mit dem Schnabel

Die Milch vom Wasser sondert.47


Matali tritt auf, nachdem er den Mathawia losgelassen.


MATALI.

Ungötter hat zum Pfeilziel Indra dir bestimmt,

Auf solche magst du deinen Bogen spannen;

Auf gute Freunde wird ein Edler sanfte

Blick' aber nicht graunhafte Pfeile richten.

KÖNIG den Pfeil vom Bogen nehmend. Ha! Matali, willkommen, Indra's Wagenlenker!

MATHAWIA. Der mich wie ein Opferthier würgte, der wird von ihm mit einem Willkommen begrüßt.

MATALI lächelnd. Langlebender, höre, weshalb ich von Indra zu dir gesandt bin.

KÖNIG. Ich merke auf.

MATALI. Es gibt eine Dämonenschaar, Durdschaja, Schwerbesiegliche, mit Namen, Kinder des Kalanemi.[122]

KÖNIG. Ich habe das schon gehört von Narada.

MATALI.

Von Indra, deinem Freunde, traun sind sie nicht zu besiegen,

Du sollst sie fällen an des Kampfes Spitze.

Das Nachtgraun, das der Sonnengott mit siebenspännigem Wagen

Nicht scheuchen kann, besiegt der Strahl des Mondes.

So möge der Herr jetzt mit Pfeil und Bogen diesen Indra-Wagen besteigend zum Siege abfahren.

KÖNIG. Ich bin verbunden für die von Indra mir er zeigte Ehre. Doch warum hast du dich, Verehrungswürdiger, so gegen Mathawia benommen?

MATALI. Auch das sei gesagt. Ich sah den Langlebenden durch ein Gemüthsleiden, das irgend einen Grund haben mag, schlaff geworden; und um den Langlebenden durch Zorn aufzuregen, that ich so. Warum?

Das Feuer, rüttelt man die Scheiter, lodert,

Wenn sie gereizt wird schwellt den Kamm die Schlange.

Und oft durch einen Stoß erhalten Männer

Erst ihre Mannheit wieder.

KÖNIG beiseite. Kamerad, Indra's Befehl ist nicht zu übertreten. Darum mache den Minister Pisuna damit bekannt und sage ihm in meinem Namen:[123]

Die Unterthanen zu beschützen, steht einzig deinem Rathe zu,

Indeß mit anderm Werk beschäftigt dieser gespannte Bogen ist.

MATHAWIA. Wie der Herr befiehlt. Ab.

MATALI. Der Langlebende besteige den Wagen!

Quelle:
Sakuntala. Schauspiel von Kalidasa. Leipzig 1876, S. 98-124.
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