Der Wonne Wehklage

[47] (Aus Kalidasa's »Kumara-sambhawa«.)


Derselbe Kalidasa, dem wir die unvergleichliche Sakuntala verdanken, gilt als Verfasser des epischen Kunstgedichtes Kumara-sambhawa, d.i. die Erzeugung des Kumara, in sieben Gesängen, deren Inhalt bis zum vierten Gesang, welcher hier übersetzt erscheint, kürzlich dieser ist. Siwas erste Gemahlin, Sati, hat sich selbst den Flammentod gegeben aus Kummer darüber, daß ihr Vater Dakscha ihren Gatten Siwa durch Nichteinladung zu einem Opfer beschimpft hatte. Sie erbittet von Mena, der Gattin des Berges Himalaja, wiedergeboren zu werden, und wird das unter dem Namen Parwati, d.h. Bergmaid. Als sie zur Jungfrau herangewachsen, gibt ihr Vater, der Berg, sie zur Bedienung dem Siwa, der in der Nähe des Berges strenger Bußübung und Beschaulichkeit obliegt. In seine Bußübungen versenkt, bleibt er ungerührt von der Schönheit seiner Dienerin. Aber die Götter senden Kama, den Liebesgott, mit seinen Pfeilen den furchtbaren Büßer zu beschießen. Denn von Siwa und Parwati soll Kumara oder Skanda, der Kriegsgott, geboren werden, um die Götter siegreich anzuführen im Kampfe gegen die Ungötter oder Dämonen, die soeben unter ihrem Fürsten Taraka große Übermacht erlangt haben und die Götter am Genusse der Opfer sehr beeinträchtigen. Kama übernimmt den gefährlichen Auftrag und ersieht den Augenblick, wo Parwati, von einem Waldgange blumenbekränzt zurückkommend, im vollen Glanze der Schönheit vor Siwa tritt. Siwa verspürt eine Regung und sieht sich be fremdet nach deren Ursache um, entdeckt den Kama, der soeben auf ihn anlegt, öffnet im Zorn sein Stirnaug, schießt einen Blick desselben auf ihn und verbrennt ihn zu Asche. Davon heißt nun der Liebesgott Ananga, d.h. leiblos. Siwa im Unmut über die gestörte Andacht verschwindet mit seinem Gefolge dienstbarer Götter, und Parwati kehrt für diesmal zu ihren Eltern zurück. Auf der Szene bleibt nun Rati, d.i. Wonne, die Göttin des Liebesgottes, die, von ihm unzertrennlich, ihn auch auf diesem Feldzug begleitet hatte, und als Siwa sein schreckliches Stirnauge öffnete, in eine Ohnmacht gesunken war, die ihr für den Augenblick wohltätig den Verlust ihres Gatten verbarg. Nun aber: Der Wonne Wehklage
[48]

1.

Sie, die bewußtlos lag, die Gattin Kamas,

Ward vom Geschick geweckt,

Das ihr die Schmerzempfindung geben wollte

Der neuen Witwenschaft.


2.

Die aus der Ohnmacht aufgegangnen Augen

Ließ sie umher nun spähn

Und wußte nicht, daß ihnen sei auf ewig

Des Liebsten Blick geraubt.


3.

»O Herr des Lebens, lebst du?« also rief sie,

Stand auf und sah vor sich

In Mannsgestalt am Boden von des Gottes

Zornfeuer Asche nur.


4.

Hin sank sie wieder, mit der Erd' Umarmung

Bestaubend ihre Brust,

Und klagt', ihr Haar zerraufend, ihre Schmerzen

Mitteilend dem Gefild:


5.

»Dein Bild, das der Verliebten höchstes Gleichnis

Durch seine Schönheit war,

Ist so zerstört, und ich bin ganz geblieben?

Hart ist ein Frauenherz!
[49]

6.

Mich, deren Leben hängt an dir, verlassend

Mit schnell getrenntem Bund,

Wie mit gesprengtem Damm verläßt Nymphäen

Ein Teich, wo flohst du hin?


7.

Unliebes tatest du mir nie, und niemals

Tat ich zuwider dir;

Was ohne Grund entziehst du deinen Anblick

Der Wonne, die nun klagt?


8.

Gedenkst du das mir, daß zur Leichtsinnstraf' ich

Mit meinem Gurt dich band?

Daß dir von Blumen, die ich trug im Ohre,

Ins Aug' ein Stäubchen fiel?


9.

Was lieb du sprachst, du wohnest mir im Herzen,

Erkenn ich nun als falsch;

War es nicht Schmeichelei, wie wärst du leiblos,

Und heil die Wonne hier?


10.

Ich will, o Wanderer, in andre Räume

Einschlagen deinen Weg;

Die Welt hier ist vom Glück getäuscht, denn du bist

Die Lust der Lebenden.
[50]

11.

Wann Finsternis der Nacht liegt auf den Straßen

Der Stadt, und Donner rollt,

Wer außer dir soll zu geliebter Wohnung

Leiten der Liebe Tritt?


12.

Entflammter Augen Funkeldrohen, der Wörtchen

Gebrochne Stammelung

Von schönen Fraun ist, wo du flohst, geworden

Ein leeres Gaukelspiel.


13.

Hört er, daß du ein Märchen wardst, verliert

Den Mut dein Freund, der Lenz;

O Leiblos! auch der Mond, der wachsen sollte,

Wagt zuzunehmen kaum.


14.

Mit bräunlich grünem Schaft geschmückt, besungen

Vom Ruf des Kokila,

Wem soll, o sprich, der Mangoschoß zum Pfeile

Zu dienen wachsen nun?


15.

Die Bienenreihe, die du oft zur Sehne

Des Bogens hast gemacht,

Mit dumpfem Schwirren gleichsam klagt sie jetzt mir

Der Tiefbetrübten nach.
[51]

16.

Nimm wieder deinen holden Leib und lehre,

Indem du dich erhebst,

Die Liebesbotin Nachtigall zu werben

Den süßen Gruß an mich!


17.

Der zitternden Umarmungen mit Sinken

Des Hauptes im Genuß

Mit dir, gedenk ich heimlich, o Gedenker,

Und meine Ruh ist hin.


18.

Noch hält, den du um meine Glieder schlangest,

O Wonnekundiger,

Mit eigner Hand, der Jahresblumenschmuck, und

Dein schöner Leib ist hin!


19.

Du von grausamen Göttern abgerufen

Inmitten des Geschäfts:

Hier meinem linken Fuße sind die Farben

Noch anzulegen, komm!


20.

Ich will auf Schmetterlingswegen kommend

Dir wieder ruhn im Schoß,

Eh du von artigen Götterfraun im Himmel,

O Freund, mir wirst verführt.
[52]

21.

›Getrennt von ihrem Gatten, hat die Wonne

Ein Stündchen noch gelebt‹,

Das wird ein Schimpf beständig hier mir bleiben,

Auch wann ich folgte dir.


22.

Wie soll die letzten Ehren ich erweisen

Dem Hingeschiedenen,

Da du mir bist verschwunden mit dem Leben

Und mit dem Leib zugleich?


23.

Nun denk ich, wie im Schoß den Bogen haltend

Du, schnitzend an dem Pfeil,

Sprachst lächelnd mit dem Lenz und aus dem Winkel

Des Augs ihn schieltest an;


24.

Wo ist der Busenfreund, der deinem Bogen

Die Blumen gab, der Mai?

Es hat doch Siwas grimmer Zorn nicht auch ihn

Dem Freunde nachgesandt?«


25.

Von ihren Klagen, wie von giftgesalbten

Geschossen herzenswund,

Trat nun, zu trösten die betrübte Wonne,

Sichtbar der Mai heran.
[53]

26.

Ihn schauend weinte sie erst recht, indem sie

Des Busens Fülle schlug;

Wohl tritt in Freundesgegenwart der Schmerz wie

Aus offnem Tor hervor.


27.

So sprach die Schmerzenreiche: »Sieh, was übrig,

O Frühling, ist vom Freund!

Verweht vom Winde wird dies Aschenhäufchen,

Schillernd wie Taubenhals.


28.

O zeige dich, Gedenker, doch! es steht hier

Der sehnsuchtsvolle Lenz

Bleibt Männersinn, den Frauen unbeständig,

Doch wohl den Freunden treu.


29.

Durch sein Geleit war untertan der Götter

Und der Dämonen Reich

Einst deinen lotosbastbesehnten Bogen

Mit weichem Blumenpfeil.


30.

Der Freund, einmal gegangen, kehrt nicht wieder,

Erloschner Lampe gleich;

Ich bin der Docht von ihr: sieh, wie der Kummer

Unleidlich mich umqualmt.
[54]

31.

Das Schicksal tat nur halb sein Werk, das leben

Mich ließ bei seinem Tod.

Wenn Elefant den Baum brach, der sie trug, muß

Die Ranke fallen auch.


32.

Darum ohn' Aufschub sei von dir, o Edler,

Das Freundeswerk getan:

Mit Flammenspende förder' mich verlassen

Zu meinem Gatten hin.


33.

Nachtlilie geht mit dem Mond, es schwindet

Der Blitz mit dem Gewölk;

Das Weib geht ihrem Gatten nach, das weiß auch

Die leblose Natur.


34.

Die Brüste will ich färben mit der Asche

Des holden Leibes hier,

Und wie auf jungen Laubes Bett die Glieder

Strecken auf Feuersglut.


35.

Du hast so oft, o Schöner, mit uns beiden

Auf Blumenpfuhl geruht;

Nun schichte schnell den Holzstoß mir! fußfällig,

Handfaltend bitt ich dich.
[55]

36.

Die Flammen dann, die mich umfassen, rege

Mit Südwindhauchen an!

Du weißt, daß Kama keinen Augenblick ja

Kann ohne Wonne sein!


37.

Ist das getan, dann gieß uns beiden eine

Schale voll Wasser aus,

Die ungeteilt mit mir zugleich dort oben

Genießen soll der Freund;


38.

Und bei dem Totenopfer weih', o Frühling,

Das schwankende Gesproß

Des Mangozweigs dem Freund, weil er vor allen

Die Amrablüte liebt.«


39.

Sie sprach's, bereit zu sterben, als aus Lüften

So eine Stimme scholl,

Die sie belebte, wie der erste Regen

Den Fisch im trocknen Teich:


40.

»Gattin des Blumenwaffnigen! nicht lange

Bleibt unerlangbar dir

Der Gatte, der nun ward zum Schmetterlinge

In Siwas Augenglut.
[56]

42.

Wann Siwa freit, von ihrer strengen Tugend

Gerührt, die Parwati,

Gibt sein erfreuter Sinn dem Liebesgotte

Auch seinen Leib zurück.


44.

Darum behalt', o Schöne, zur Vereinung

Des Gatten deinen Leib!

Der sonnenbrandgetrunke Bach kommt wieder

Bei Sommers End' in Fluß.«


45.

Der unsichtbare Ruf macht' etwas wanken

Der Wonne Todsentschluß;

Und darauf fußend, tröstete der Freund sie

Mit angemessnem Wort.


46.

Doch Kamas Gattin, gramgenaget, harrte

Des Ausgangs ihrer Not,

Als wie des Abends harrt am Tageshimmel

Der bleiche Sichelmond.

Quelle:
Indische Liebeslyrik. Baden-Baden 1948, S. 47-57.
Verfasst zwischen 300 und 400. Hier in der Übersetzung von Friedrich Rückert.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon