2. Prüfung der Beweisgründe der ersten Art

[730] Wenn aus dem Begriffe des bloß Möglichen als einem Grunde das Dasein als eine Folgerung soll geschlossen werden, so muß durch die Zergliederung dieses Begriffes die gedachte Existenz darin können angetroffen werden; denn es gibt keine andere Ableitung einer Folge aus einem Begriffe des Möglichen als durch die logische Auflösung. Alsdenn mußte aber das Dasein wie ein Prädikat in dem Möglichen enthalten sein. Da dieses nun nach der ersten Betrachtung der ersten Abteilung nimmermehr statt findet, so erhellet: daß ein Beweis der Wahrheit von der wir reden auf die erwähnte Art unmöglich sei.

Indessen haben wir einen berühmten Beweis, der auf diesen Grund erbauet ist, nämlich den so genannten Kartesianischen. Man erdenket sich zuvörderst einen Begriff von einem möglichen Dinge, in welchem man alle wahre Vollkommenheit sich vereinbart vorstellt. Nun nimmt man an, das Dasein sei auch eine Vollkommenheit der Dinge; also schließt man aus der Möglichkeit eines vollkommensten Wesens auf seine Existenz. Eben so könnte man aus dem Begriffe einer jeden Sache, welche auch nur als die vollkommenste ihrer Art vorgestellt wird, z. E. daraus allein schon daß eine vollkommenste Welt zu gedenken ist, auf ihr Dasein schließen. Allein ohne mich in eine umständliche Widerlegung dieses Beweises einzulassen, welche man schon bei andern antrifft, so beziehe ich mich nur auf dasjenige, was im Anfange dieses Werks ist erklärt worden, daß nämlich das Dasein gar kein Prädikat, mithin auch kein Prädikat der Vollkommenheit sei, und daher aus einer Erklärung, welche eine willkürliche Vereinbarung verschiedener Prädikate[730] enthält, um den Begriff von irgend einem möglichen Dinge aus zu machen, nimmermehr auf das Dasein dieses Dinges und folglich auch nicht auf das Dasein Gottes könne geschlossen werden.

Dagegen ist der Schluß von den Möglichkeiten der Dinge als Folgen auf das Dasein Gottes als einen Grund von ganz andrer Art. Hier wird untersucht, ob nicht dazu, daß etwas möglich sei, irgend etwas Existierendes vorausgesetzt sein müsse, und ob dasjenige Dasein, ohne welches selbst keine innere Möglichkeit statt findet, nicht solche Eigenschaften enthalte, als wir zusammen in dem Begriffe der Gottheit verbinden. In diesem Falle ist zuvorderst klar, daß ich nicht aus der bedingten Möglichkeit auf ein Dasein schließen könne, wenn ich nicht die Existenz dessen, was nur unter gewissen Bedingungen möglich ist, voraussetze, denn die bedingte Möglichkeit gibt lediglich zu verstehen, daß etwas nur in gewissen Verknüpfungen existieren könne, und das Dasein der Ursache wird nur in so ferne dargetan als die Folge existiert, hier aber soll sie nicht aus dem Dasein derselben geschlossen werden, daher ein solcher Beweis nur aus der innern Möglichkeit geführt werden kann, wofern er gar statt findet. Ferner wird man gewahr, daß er aus der absoluten Möglichkeit aller Dinge überhaupt entspringen müsse. Denn es ist nur die innere Möglichkeit selbst von der erkannt werden soll, daß sie irgend ein Dasein voraus setze, und nicht die besondere Prädikate, dadurch sich ein Mögliches von dem andern unterscheidet; denn der Unterschied der Prädikate findet auch beim bloß Möglichen statt, und bezeichnet niemals etwas Existierendes. Demnach würde auf die erwähnte Art aus der innern Möglichkeit alles Denklichen ein göttliches Dasein müssen gefolgert werden. Daß dieses geschehen könne, ist in der ganzen ersten Abteilung dieses Werks gewiesen worden.[731]

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 730-732.
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Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns Gottes
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