Zweite Betrachtung.
Unterscheidung der Abhängigkeit aller Dinge von Gott in die moralische und unmoralische

[663] Ich nenne diejenige Abhängigkeit eines Dinges von Gott, da er ein Grund desselben durch seinen Willen ist, moralisch, alle übrige aber ist unmoralisch. Wenn ich demnach behaupte: Gott enthalte den letzten Grund selbst der innern Möglichkeit der Dinge, so wird ein jeder leicht verstehen, daß diese Abhängigkeit nur unmoralisch sein kann; denn der Wille macht nichts möglich, sondern beschließt nur, was als möglich schon voraus gesetzt ist. In so ferne Gott den Grund von dem Dasein der Dinge enthält, so gestehe ich, daß diese Abhängigkeit jederzeit moralisch sei, das ist, daß sie darum existieren, weil er gewollt hat daß sie sein sollten.[663]

Es bietet nämlich die innere Möglichkeit der Dinge demjenigen, der ihr Dasein beschloß, Materialien dar, die eine ungemeine Tauglichkeit zur Übereinstimmung, und eine in ihrem Wesen liegende Zusammenpassung zu einem auf vielfältige Art ordentlichen und schönen Ganzen enthalten. Daß ein Luftkreis existiert, kann, um der daraus zu erreichenden Zwecke willen, Gott als einem moralischen Grunde beigemessen werden. Allein, daß eine so große Fruchtbarkeit in dem Wesen eines einzigen so einfachen Grundes liegt, so viel schon in seiner Möglichkeit liegende Schicklichkeit und Harmonie, welche nicht neuer Vorkehrungen bedarf, um mit andern möglichen Dingen einer Welt mannigfaltigen Regeln der Ordnung gemäß sich zusammen zu schicken, das kann gewiß nicht wiederum einer freien Wahl beigemessen werden; weil aller Entschluß eines Willens die Erkenntnis der Möglichkeit des zu Beschließenden voraus setzt.

Alles dasjenige, dessen Grund in einer freien Wahl gesucht werden soll, muß in so fern auch zufällig sein. Nun ist die Vereinigung vieler und mannigfaltigen Folgen unter einander, die notwendig aus einem einzigen Grunde fließen, nicht eine zufällige Vereinigung; mithin kann diese nicht einer freiwilligen Bestimmung zugeschrieben werden. So haben wir oben gesehn, daß die Möglichkeit der Pumpwerke, des Atmens, die Erhebung der flüssigen Materien wenn welche da sind in Dünste, die Winde etc. von einander unzertrennlich sein, weil sie alle aus einem einzigen Grunde, nämlich der Elastizität und Schwere der Luft abhangen, und diese Übereinstimmung des Mannigfaltigen in Einem ist daher keinesweges zufällig, und also nicht einem moralischen Grunde beizumessen.

Ich gehe hier nur immer auf die Beziehung, die das Wesen der Luft, oder eines jeden andern Dinges zu der möglichen Hervorbringung so vieler schönen Folgen hat, das ist, ich betrachte nur die Tauglichkeit ihrer Natur zu so viel Zwecken, und da ist die Einheit, wegen der Übereinstimmung eines einigen Grundes zu so viel möglichen Folgen, gewiß notwendig, und diese mögliche Folgen sind in so ferne von einander und von dem Dinge selbst unzertrennlich.[664] Was die wirkliche Hervorbringung dieser Nutzen anlangt, so ist sie in so ferne zufällig, als eins von den Dingen, darauf sich das Ding bezieht, fehlen, oder eine fremde Kraft die Wirkung hindern kann.

In den Eigenschaften des Raums liegen schöne Verhältnisse, und in dem unermeßlich Mannigfaltigen seiner Bestimmungen eine bewundernswürdige Einheit. Das Dasein aller dieser Wohlgereimtheit, in so ferne Materie den Raum erfüllen sollte, ist mit allen ihren Folgen der Willkür der ersten Ursache beizumessen; allein was die Vereinbarung so vieler Folgen, die alle mit den Dingen in der Welt in so großer Harmonie stehen, unter einander anlangt, so würde es ungereimt Sein: sie wiederum in einem Willen zu suchen. Unter andern notwendigen Folgen aus der Natur der Luft ist auch diejenige zu zählen, da durch sie denen darin bewegten Materien Widerstand geleistet wird. Die Regentropfen, indem sie von ungemeiner Höhe herabfallen, werden durch sie aufgehalten, und kommen mit mäßiger Schnelligkeit herab, da sie ohne diese Verzögerung eine sehr verderbliche Gewalt im Herabstürzen von solcher Höhe würden erworben haben. Dieses ist ein Vorteil, der, weil ohne ihn die Luft nicht möglich ist, nicht durch einen besondern Ratschluß mit den übrigen Eigenschaften derselben verbunden worden. Der Zusammenhang der Teile der Materie mag nun z. E. bei dem Wasser eine notwendige Folge von der Möglichkeit der Materie überhaupt, oder eine besonders veranstaltete Anordnung sein, so ist die unmittelbare Wirkung davon die runde Figur kleiner Teile derselben, als der Regentropfen. Dadurch aber wird der schöne farbichte Bogen nach sehr allgemeinen Bewegungsgesetzen möglich, der mit einer rührenden Pracht und Regelmäßigkeit über dem Gesichtskreise steht, wenn die unverdeckte Sonne in die gegen über herabfallende Regentropfen strahlet. Daß flüssige Materien und schwere Körper da sind, kann nur dem Begehren dieses mächtigen Urhebers beigemessen werden, daß aber ein Weltkörper in seinem flüssigen Zustande ganz notwendiger Weise so allgemeinen Gesetzen zu Folge eine Kugelgestalt anzunehmen bestrebt ist, welche nachher besser,[665] wie irgend eine andere mögliche mit den übrigen Zwecken des Universum zusammenstimmt, indem z. E. eine solche Oberfläche der gleichförmigsten Verteilung des Lichts fähig ist, das liegt in dem Wesen der Sache selbst.

Der Zusammenhang der Materie, und der Wider stand, den die Teile mit ihrer Trennbarkeit verbinden, machet die Reibung notwendig, welche von so großem Nutzen ist, und so wohl mit der Ordnung in allen mannigfaltigen Naturveränderungen zusammenstimmt, als irgend etwas, was nicht aus so allgemeinen Gründen geflossen wäre, sondern durch eine besondere Anstalt wäre hinzu gekommen. Wenn Reibung die Bewegungen nicht verzögerte, so würde die Aufbehaltung der einmal hervorgebrachten Kräfte, durch die Mitteilung an andere, die Zurückschlagung und immer fortgesetzte Anstöße und Erschütterungen, alles zuletzt in Verwirrung bringen. Die Flächen, worauf Körper liegen, müßten jederzeit vollkommen waagerecht sein (welches sie nur selten sein können), sonsten würden diese jederzeit glitschen. Alle gedrehte Stricke halten nur durch Reibung. Denn die Fäden, welche nicht die ganze Länge des Stricks haben, würden mit der mindesten Kraft auseinander gezogen werden, wenn nicht die der Kraft, womit sie durch das Winden an einander gepreßt sein, gemäße Reibung sie zurück hielte.

Ich führe hier darum so wenig geachtete und gemeine Folgen aus den einfältigsten und allgemeinsten Naturgesetzen an, damit man daraus so wohl die große und unendlich weit ausgebreitete Zusammenstimmung, die die Wesen der Dinge überhaupt untereinander haben, und die große Folgen, die derselben beizumessen sind, auch in den Fällen abnehmen, wo man nicht geschickt genug ist, manche Naturordnung bis auf solche einfältige und allgemeine Gründe zurück zu führen, als auch damit man das Widersinnige empfinde, was darin liegt, wenn man bei dergleichen Übereinstimmungen die Weisheit Gottes als den besondern Grund derselben nennet. Daß Dinge da sind, die so viel schöne Beziehung haben, ist der weisen Wahl desjenigen, der sie um dieser Harmonie willen hervorbrachte, beizumessen, daß aber ein jedes derselben[666] eine so ausgebreitete Schicklichkeit zu vielfältiger Übereinstimmung durch einfache Gründe enthielte, und dadurch eine bewundernswürdige Einheit im Ganzen konnte erhalten werden, liegt selbst in der Möglichkeit der Dinge, und da hie das Zufällige, was bei jeder Wahl voraus gesetzt werden muß, verschwindet, so kann der Grund dieser Einheit zwar in einem weisen Wesen, aber nicht vermittelst seiner Weisheit gesucht werden.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 663-667.
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