Fünfzehntes Kapitel (67. Gegenstand).

Zurücktreten bei Kauf und Verkauf.

[295] Wer eine Ware verkauft hat und sie nicht liefert, zahlt 12 paṇa Strafe,A1 außer im Falle von schlechter Beschaffenheit, unglücklichen Ereignissen und [295] Unausführbarkeit. Schlechte Beschaffenheit der Ware selber1 ist schlechte Beschaffenheit; Drangsal durch König, Räuber, Feuer, Wasser ist unglückliches Ereignis. Was in vielfacher Hinsicht nachteilig wäre2 oder nur mit schlimmer eigener Not ausgeführt werden könnte, das ist unausführbar.A2

Händler genießen eine Reuefrist von einem Tag, Bauern von drei Tagen, Rinderhirten von fünf Tagen, die gemischten und die obersten Klassen für Rücktritt oder (endgültigen) Verkauf sieben Tage.3

Bei Waren, die durch Zeitverlust unbrauchbar werden, ist kein Rücktritt zu gewähren, ausgenommen wo kein Verbot da ist (also volle Freiheit besteht), sie anderwärts zu verkaufen.4 Wird diese Regel übertreten, dann beträgt die Strafe 24 paṇa oder ein Zehntel des Preises der Ware.

Wenn jemand eine Ware gekauft hat und sie dann nicht nimmt, zahlt er 12 paṇa Strafe, außer wo es sich um verdorbene Beschaffenheit, unglückliche Ereignisse oder Unausführbares handelt.A3 Und gleich ist (des Käufers) Rücktrittsrecht dem Rücktrittsrecht des Verkäufers.

Bei Heiraten aber ist für die drei oberen Kasten die Umkehr gültig bis zur Handergreifung; für die Çūdras bis zur Beschlafung. (Bei allen) ist, sogar wenn die beiden die Handergreifung vollzogen haben, der Rücktritt rechtsgültig, sowie sie einen auf die Beiliegung bezüglichen Übelstand entdeckt haben. Nicht aber, wenn die beiden schon Nachkommenschaft erzeugt haben.5 Wer einen auf die Beiliegung bezüglichen Fehler des Mädchens nicht [296] angibt und sie verheiratet, zahlt 96 paṇa Strafe6 und muß Kaufpreis und Frauengut zurückerstatten. Der Bewerber um ein Mädchen aber, der einen (vorhandenen) Bräutigamsfehler nicht angibt und so heiratet, zahlt doppelt soviel Strafe und verliert Kaufpreis und Frauengut (das er gegeben hat).7

Wer von Zweifüßlern oder Vierfüßlern, die wegen Aussatz oder Krankheit untauglich sind, angibt, sie seien kräftig und gesund und (daher) tauglich, zahlt 12 paṇa Strafe.8

Zeit zur Umkehr ist bei vierfüßigen Wesen (also bei Tieren) bis zu drei Halbmonaten, bis zu einem Jahr bei Menschen. Denn in so langer Zeit kann man erkennen, ob sie etwas taugen oder nichts taugen.

So daß weder der Dahingebende noch der Empfangende geschädigt werde, sollen bei Vergebungen und Kauf die Richter die Reufrist und das Reugeld festsetzen.9

Fußnoten

1 Wie schon in der Anm. zu 179, 1 ausgeführt worden ist, hat dosha die Bedeutung jenes bhresha, es heißt Schlechtwerden, Verderben von Sachen aus sich selber heraus, und so bezeichnet es eine ihnen selber anhaftende und ohne Zutun des Betr. eingetretene Mangelhaftigkeit. – Zu diesem Kap. vgl. Manu VIII, 222ff.; Jolly, Recht und Sitte S. 109.


2 Kaum: »was vieler Vorzüge (die nötig wären) entbehrt«. Mit avishahya vgl. vishahya (karman) 285, 12, d.h. ausführbar, also = çakya.


3 Statt vivṛitti Herumdrehung, Umkehr, Abkehr wäre wohl besser nivṛitti. Vgl. zu beiden upāvartana = anuçaya 188, 4. Am nächsten den beiden stünde nivṛittavikraye: »für aufgehobenen Verkauf«. Auch wäre eher der Dual zu erwarten. Doch geht ja auch ein dvandva im Neutrum. Nārada IX, 5 klingt vernünftiger: »Ein Tag Prüfung bei Eisen und Kleidern, drei Tage bei Milchvieh, fünf bei Zugvieh, sieben bei Edelsteinen, Perlen und Korallen, zehn bei Getreide, ein halber Monat bei männlichen Sklaven, ein ganzer bei weiblichen.«A4 Es werden also die genannten Klassen oder Arten von Waren, nicht die Kasten mit varṇa gemeint sein. Und in Anbetracht der häufigen Verwechslung von p und v möchte man schier paṇyāṇām einsetzen: »Bei den gemischten und den vorzüglichsten Waren sind sieben Tage für die Aufhebung des Verkaufs da«.


4 Hat der Käufer verboten, die Ware anderwärts zu verkaufen, dann muß er sie nehmen. So wie im Text, wenn man abteilt avirodhe nānuçayaḥ; vgl. den Loc. 185, 2. Mit dem Instr. wäre die wörtliche Übersetzung: »... soll eine Reufrist nur daraufhin gegeben werden, daß kein Verbot: ›Du darfst sie anderwärts nicht verkaufen‹ da ist«, was natürlich genau auf das gleiche hinauskommt. Geschützt werden soll selbstverständlich der Verkäufer.A5


5 Diese Stelle nach der zweifellos richtigen Ergänzung von B. Nur ist dort zu lesen: varṇānām ā pāṇigrahaṇāt siddham und cā prakarmaṇah, jedenfalls auch vṛittapāṇigrahaṇayor. Prakarman ist jedoch hier und 225, 15ff. Beschlafung überhaupt, ja einfach Entjungferung (die ja auch durch das Mädchen selber oder ein anderes Weib erfolgen kann); vielleicht hier sogar Befruchtung (vgl. MBh. XII, 306, 36, also Probeehe?).A6


6 Die 96 paṇa auch Manu VIII, 224.A7


7 Vgl. Weib im altind. Epos bes. S. 104f.; auch S. 48, Anm. 5.A8


8 Çuci rein, echt, ehrlich ist hier etwa = reell, d.h. so, wie der Verkäufer angibt. Ebenso im Folgenden çauca und açauca Reellität, Tüchtigkeit und das Gegenteil. Zweifüßler sind aber nicht Hühner u. dgl. mehr, sondern Sklaven. Der Text ist jedoch kaum richtig, meine Übersetzung von utsāha sehr zweifelhaft und die ganze Stelle verdächtig. Ich vermute, man muß lesen: utsāha(na)svāsthyaçucīnām anākhyāne: »Wer von Zweifüßlern oder Vierfüßlern, die aussätzig (kushṭhi), krank, untauglich oder durch einen aus Aufpeitschung hervorgegangenen Kraftzustand tauglich sind (d.h. so erscheinen), dies nicht angibt« usw. Aus 381, 5–6 erfahren wir nämlich, was wir voraussetzen durften, daß nämlich die alten Inder lebendige Kaufware, die matt und elend war, durch Gifte vorübergehend in einen bestechlichen Zustand zu versetzen wußten, genau wie wir Christenleute. Das Wort für diese künstliche Anregung ist utsāhayati.A9


9 Dātar ist sowohl der Verkäufer als auch der Schenkende, namentlich auch der seine Tochter Verheiratende. Das dāna in unserem çloka bedeutet also auch die Vergebung, d.h. die Verehelichung des Mädchens, wie sonst so oft.


A1 Nach N. VIII, 4 muß, wer Verkauftes nicht ausfolgt, bei leblosem Gut (sthāvara) das, was es abwirft, bei lebendigem (jaṅgama) Arbeitsleistung oder Erzeugnis (wie z.B. die Milch) herausgeben; nach Vish. V, 127 und Y. II, 254 aber das Betreffende mit Zinsen. Nur fügt Vish. seine vielgeliebten 100 paṇa Strafe hinzu und Y. den besonderen Fall: »oder den Gewinn in der fremden Gegend, wenn ein Händler aus fremder Gegend, der sie dort verkauft hätte, in Frage kommt.« Die letzte Bestimmung auch bei N. VIII, 5. Dieser sagt außerdem: »Wenn der Preis der nicht ausgefolgten Ware fällt, soll der Verkäufer dem also benachteiligten Händler sowohl die Ware wie auch den Gewinn, den dieser vom Wiederverkauf (um den damaligen hohen Preis) gehabt hätte, übermachen. Kommt gekaufte Ware zu Schaden, weil der Verkäufer sie nicht rechtzeitig abliefert, so muß nur dieser den Schaden tragen«. N. VIII, 6; Y. II, 256. Verkauft er schon Verkauftes einem zweiten, dann muß er das Doppelte des Preises leisten und dem König eine Geldstrafe. N. VIII, 8. Y. II, 257 ebenso, aber ohne die Geldbuße. Nach N. VIII, 3 gibt es sechs Berechnungsarten bei Kauf und Verkauf: Zählen (gaṇima), Wägen (tulima), Messen (meya), Arbeitsleistung (kriyā), Schönheit (rūpa, wie bei einer Dirne), Glanz (çrī, wie bei Edelsteinen).


A2 Ārtakṛita wird von Sham., Law und wohl anderen erklärt als »von Kranken angefertigt«. Da kommt der Ausdruck kaum, gar nicht die Vernunft zu ihrem Recht. Die Not kann natürlich sowohl körperlich wie seelisch sein; also nicht nur asvasthamānasa, wie Gaṇ. meint. Ein eindrucksvolles Beispiel wäre Kauṭ. 184, 7–9, wo der in Lebensgefahr Geratene dem Retter alle Habe, Weib und Kind verspricht. Kauṭ. selber sagt dort: Tena sarvatrārtadānānuçayā vyākhyātāḥ. Vgl. 189, 4ff. Bahuguṇahīna wäre nach Gaṇ. bahuguṇamūlyahāniṃ prāpta. Richtig, aber zu eng.


A3 Wenn der Käufer das Gekaufte nicht will, mag es der Verkäufer einem anderen verkaufen. N. VIII, 9; Y. II, 255. Entsteht dem Verkäufer dabei aber ein Verlust, so muß der pflichtsäumige Käufer für diesen aufkommen. Vish. V, 129; Y. II, 255.


A4 Statt »zehn bei Getreide« besser: »zehn bei allen Samenarten« (sarvabījānām). Ebenso Y. II, 177. M. VIII, 222f. verordnet überhaupt zehn Tage und nach dieser Frist 600 paṇa Strafe (!! Ursprünglich paṇān dvishaṭ, d.h. 12 paṇa?) N. IX, 2–4 bestimmt sogar: »Wenn jemand einen Kauf für schlecht hält, mag er am selben Tag das Erworbene ohne weiteres zurückgeben, am zweiten muß er ein Dreißigstel des Wertes drangeben, am dritten ein Fünfzehntel, von da ab das Stück behalten. Was jemand vor dem Kauf genau hat prüfen können, muß er immer behalten.« Ebenso ein durchs Tragen mitgenommenes oder ein beschmutztes Kleidungsstück (IX, 7; wegen klishṭarūpa vgl. B. I, 6, 5; MBh. IX, 7, 7; VII, 82, 12; Rām. V, 33, 2). – Gaṇ. hat vṛittivikraye »wenn jemand seinen Lebensunterhalt (d.h. das, was ihm den Lebensunterhalt gewährt) verkauft«. So wird alles noch dunkler. Er aber sagt: »Das übrige ist leicht zu verstehen.« Der Glückliche!


A5 N. VIII, 10: Adatte 'nyatra samayān na vikretur atikramaḥ wird also bedeuten: Wenn der Preis nicht bezahlt (die Ware also eigentlich nur mit Beschlag belegt) worden ist, ist es kein Vergehen, wenn jemand sie einem anderen verkauft, ausgenommen bei einer Abmachung (»du darfst sie keinem anderen verkaufen, und ich werde sie dann und dann bezahlen«). Da nämlich der Profit des Händlers vom Preis seiner Waren abhängig ist (argham āsādya) und durch diesen größer oder geringer wird, so soll er den Preis als Mittel nutzen (wörtlich ihn als Stütze oder Grundlage des Gewinnes nehmen), je nach Ort und Zeit (ihn höher oder niedriger stellend). Dies ist der Sinn von N. VIII, 11–12.


A6 Jolly liest mit B. pāṇigrahaṇāt (ohne ā davor), Gaṇ. wie Sham. in der zweiten Auflage pāṇigrahaṇāsiddhaṃ, verzeichnet aber auch die Lesart von B und hat wie B und Jolly ca prakarmaṇaḥ. Seine Schol. enthalten jedoch denselben Sinn, wie ich ihn darbiete. Prakarmaṇa müßte dann natürlich Abl. sein. Setzt man nun noch pāṇigrahanād asiddkam, so wird diese Textgestaltung richtig. Das a privativum fehlt im Arthaçāstra ja sehr oft, wo es stehen sollte, und umgekehrt. Dann: »Bei Heiraten wird für die drei oberen Kasten von der Handergreifung ab (durch die H.) die Umkehr unstatthaft und für die Çūdra von der Entjungferung ab.« Der Sinn bleibt da also der gleiche. Ihn aber dem çūdrāṇāṃ ca prakarmaṇa abzugewinnen, scheint mir ganz unmöglich zu sein. – Daß einer von den ehehinderlichen Fehlern und Mängeln der beiden die Heirat aufhebe, scheint sogar mit N. XII, 3 nicht zusammenzustimmen. Er sagt da: »Die Werbung (Verlobung) wird für die zwei nicht bindend genannt, wenn sich ein Fehler offenbart. Und (nur) der heilige Spruch bei der Handergreifung ist das bindende Kennzeichen der Ehe.« Aber man muß diese Stelle im Licht von N. XII, 18–19; 36–37; 96 auslegen; denn da ist N. noch freisinniger als Kauṭ. Eine mit Gewalt Geraubte oder Entjungferte soll nach B. IV, 1, 17 (15) = Vas. XVII, 73 als Jungfrau angesehen und regelrecht einem anderen vermählt werden. Statt prahṛitā wird man prakṛita lesen müssen. Heißt aber prahṛita wirklich »geraubt«, so bleibt die Sache die gleiche.


A7 N. schreibt die niedrigste Sāhasabuße vor, also mindestens 100 paṇa (s. XIV, 7–8). In N. Pariç. 30 beträgt diese 96 paṇa. Da muß man nämlich offenbar statt des sinnlosen und metrisch falschen paraç carṇavati bhavet lesen: parah shaṇnavatir bhavet. Vishṇu V, 45 nennt 100 kāṛshāpaṇa, was wohl ebenso wie bei M. und Y. Kupfermünzen sind, Y. I, 66 sogar die höchste Geldstrafe, die bei ihm 1080 paṇa beträgt.


A8 Lies 304f. statt 104f.


A9 Die Übersetzung im Text wird am Ende doch richtig sein. Utsāha hat auch die Bedeutung: ausdauernde Kraft; denn in G. X, 10 steht nirutsāha für kraftlos, nicht arbeitsfähig.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 295-297.
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