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Mein Freund!
Die Zeilen, auf welche Dein Auge hier zuerst fällt, sind zuletzt geschrieben. Zweck derselben ist noch ein Versuch, die ausführlichere Untersuchung, die Dir zugeht, in die Form eines Briefes zu bringen. Diese Zeilen schließen sich den letzten Zeilen an und bilden zusammen ein Konvolut, auch äußerlich andeutend, was außerdem viele innere Beweise Dir als Wahrheit bezeugen werden, daß es ein Brief ist, den Du liest. Und diesen Gedanken, daß es nämlich ein Brief war, den ich Dir schrieb, habe ich nicht aufgeben wollen, einerseits weil mir zu der sorgfältigeren Ausarbeitung, die eine Abhandlung erfordert, die Zeit fehlte, anderseits weil ich in einem Briefe ernster und eindringlicher mit Dir sprechen konnte. Du bist zu sehr in der Kunst er fahren, von allem Möglichen ganz allgemein zu reden, ohne Dich persönlich davon berühren zu lassen, als daß ich Dich reizen möchte, Deine dialektische Kraft in Bewegung zu setzen. Du weißt, was Nathan that, als der König David zwar das Gleichnis verstand, das der Prophet ihm erzählte, aber nicht verstehen wollte, daß es ihm galt. Nathan sprach zu dem König: »Du bist der Mann, Herr König.« So habe ich auch Dich stets daran erinnern wollen, daß von Dir und zu Dir geredet wird. Ich zweifle daher nicht daran, daß Du während des Lesens beständig den Eindruck haben wirst, Du läsest einen Brief, selbst wenn Dich das Format des Papiers stören sollte. Als Beamter habe ich nämlich die Gewohnheit, auf einem ganzen Bogen zu schreiben; aber vielleicht hat auch das sein Gutes und wird meinem Schreiben in Deinen Augen etwas Offizielles geben. Der Brief ist ziemlich groß und würde recht teuer[339] werden, wenn die Post ihn nach seinem Gewicht berechnete; auf der Goldwage der Kritik gewogen, dürfte er vielleicht sehr unbedeutend erscheinen. Ich bitte daher, keine dieser beiden Wagen zu gebrauchen, nicht die Wage der Post, denn Du empfängst dieses Schreiben nicht zur weitern Beförderung, sondern als ein Depositum; nicht die Wage der Kritik, denn ich möchte nicht gern, daß Du Dich eines so groben und unsympathischen Mißverständnisses schuldig machtest.
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Wenn nicht Du, sondern ein andrer Mensch diese Untersuchung erhielte, würde sie ihm gewiß höchst sonderbar und überflüssig erscheinen. Wäre er ein verheirateter Mann, so würde er etwa mit der Gemütlichkeit eines Familienvaters sagen: »Ja, die Ehe ist die Ästhetik des Lebens,« – wäre er ein junger Mann, so würde er vielleicht etwas unklar und unreflektiert zustimmen: »Du, o Liebe, bist des Lebens Ästhetik,« aber weder der eine noch der andre würde begreifen können, wie es mir einfallen konnte, das ästhetische Ansehen der Ehe retten zu wollen. Ja, die wirklichen und die zukünftigen Ehemänner werden mir's am Ende gar nicht danken, wenn ich eine Lanze für sie einlege, sondern werden mich argwöhnisch anblicken, denn: qui s'excuse, s'accuse. Und das ist Dein Verdienst, Dir danke ich es, Dir, und Dich liebe ich trotz all Deiner bizarren Einfälle, wie einen Sohn, wie einen Bruder, wie einen Freund, Dich liebe ich mit einer ästhetischen Liebe, weil es Dir vielleicht einmal gelingen wird, für Deine exzentrischen Bewegungen ein Zentrum zu finden; Dich liebe ich um Deiner Heftigkeit, um Deiner Leidenschaft, um Deiner Schwachheit willen; Dich liebe ich mit der Furcht und dem Zittern einer religiösen Liebe – denn ich sehe die falschen Wege, auf die Du geraten könntest, und Du bist mir etwas ganz andres als ein Phänomen. Ja, wenn ich es sehe, daß Du Seitensprünge machst, Dich wie ein wildes Pferd bäumst und wieder vorwärts stürmst, dann, ja dann enthalte ich mich aller pädagogischen Erbärmlichkeiten, und denke mir nur ein Pferd, das noch nicht zugefahren ist, aber sehe auch die Hand, die den Zügel hält, und sehe, wie die große Peitsche des Schicksals über Deinem Haupte geschwungen wird.
Und doch, wenn diese Untersuchung endlich in Deine Hände[340] kommt, wer weiß, ob Du dann nicht sagst: »Unzweifelhaft ist's eine Riesenaufgabe, die er sich gesetzt hat; aber laßt uns nun auch sehen, wie er sie gelöst hat.« Vielleicht spreche ich zu milde mit Dir, vielleicht lasse ich mir zu viel von Dir gefallen, und müßte eher die Autorität anwenden, die ich trotz Deines stolzen, hochfahrenden Sinnes über Dich habe; oder ich sollte mich vielleicht gar nicht mit Dir einlassen, denn Du bist ein schrecklicher Mensch und wandelst auf dem Wege des Verderbens, und je mehr man sich mit Dir einläßt, um so toller wirst Du. Zwar bist Du kein Feind des ehelichen Lebens, aber Du kannst Dich doch nicht enthalten, es mit Deinem ironischen Blick und Deinem sarkastischen Spott zu geißeln.
Gern will ich's einräumen, daß Du nicht in die Luft streichst, sondern sicher triffst und daß Du viel Beobachtungstalent hast, aber vielleicht ist gerade das Dein Fehler. Und Dein Leben geht darin auf, daß Du immer neue Versuche machst, das Leben zu genießen. Aber – so wirst Du antworten – das ist doch immer noch besser, als auf der Eisenbahn der Trivialität zu fahren und sich in der Unruhe des sozialen Lebens atomistisch zu verlieren. Nein, Du haßt die Ehe nicht gerade, aber das, wofür Du schwärmst, ist die erste Liebe. Du weißt Dich in eine träumerische, liebestrunkene Clairvoyance zu versenken und in ihr zu verbergen, Du liebst das Zufällige. Eines schönen Mädchens Lächeln in einer interessanten Situation, das ist's, was Dir gefällt. Du meinst, ein großer Beobachter zu sein, aber verzeih, Du selber wirst auch beobachtet! Soll ich Dich an eine gewisse Szene erinnern? Ein junges hübsches Mädchen, das zufällig an einer table d'hôte neben Dir saß, wollte Dir keinen freundlichen Blick schenken. Einen Augenblick war es Dir zweifelhaft, ob es nur Sprödigkeit war, oder ob sich in dieselbe auch etwas Verlegenheit mischte, die möglicherweise zu einer interessanten Situation hätte führen können. Sie saß einem Spiegel gerade gegenüber, in welchem Du sie sehen könntest. Sie warf einen schüchternen Blick auf denselben, ohne zu ahnen, daß Dein Auge da bereits seine Hütte aufgeschlagen hatte, und sie errötete, als Dein Auge dem ihrigen begegnete. Ach ja! Du bist ein seltsames Wesen, bald das reine Kind, bald ein Greis an Weisheit, bald vertiefst Du Dich mit dem größten[341] Ernst in die höchsten wissenschaftlichen Probleme und Du könntest Dein Leben opfern, um dadurch zur Wahrheit zu kommen, bald bist Du ein verliebter Narr und bildest Dir ein, jedes Mädchen müßte sich glücklich schätzen, acht Tage Deine Geliebte zu sein. Nun wohl, setze Deine verliebten Studien nur bis auf weiteres fort, und zwar – ich will's nicht wehren – in Verbindung mit Deinen ästhetischen und ethischen, metaphysischen und kosmopolitischen Untersuchungen. Zürnen kann man Dir eigentlich nicht; das Böse in Dir hat, wie es auch die Meinung des Mittelalters war, einen gewissen Zusatz von etwas Gutmütigem und Kindischem. Was die Ehe betrifft, so hast Du Dich derselben gegenüber nur beobachtend verhalten. Darin, daß man nur ein Beobachter sein will, liegt allerdings etwas Verräterisches. Denn wie oft habe ich mich nicht – laß mich's nur sagen – über Dich amüsiert; aber wie oft hast Du mich auch geplagt, wenn Du mir erzähltest, wie Du Dich halb in dieses, bald in jenes Ehemannes Vertrauen hineingeschlichen habest, um an dem Thermometer seiner ehelichen Erfahrungen Deine Studien zu machen. Ja, Du hast wirklich große Gaben, Dich bei den Menschen einzuschleichen, das will ich nicht leugnen, auch ist's recht amüsant, wenn Du die Resultate Deiner Beobachtungen erzählst.
Doch zur Sache. Zweierlei sehe ich als meine besondere Aufgabe an: zum ersten will ich Dir die ästhetische Bedeutung der Ehe zeigen und zum andern darthun, wie sich das Ästhetische in derselben trotz der mannigfachen Hindernisse des Lebens festhalten läßt. Da ich selber ein Ehemann bin, kämpfe ich – pro aris et focis, und ich versichere Dich, daß mir diese Sache so sehr am Herzen liegt, daß ich mich wirklich versucht fühlen könnte, ein Buch zu schreiben, wenn ich nur hoffen dürfte, eine einzige Ehe aus der Hölle zu retten, in die sie sich vielleicht selbst gestürzt hat, oder ein par Menschen tüchtiger zur Realisierung der schönsten Aufgabe zu machen, die einem Menschen gesetzt ist.
Vorsichtshalber will ich gelegentlich auf meine Frau und mein Verhältnis zu ihr hinweisen; nicht als wollte ich mich erkühnen, unsre Ehe als Normal-Exemplar darzustellen, sondern teils, weil aus der Luft gegriffene poetische Schilderungen im allgemeinen keine sonderlich[342] überzeugende Kraft haben, teils, weil ich gern zeigen möchte, was in meinen Augen nicht so unwichtig ist, wie selbst in dem täglichen Leben das Ästhetische gewahrt werden kann.
Mich kennst Du seit vielen, meine Frau seit fünf Jahren. Du findest sie recht hübsch, besonders anmutig, ich finde es auch; und doch weiß ich sehr wohl, daß sie morgens nicht so hübsch wie abends ist, daß ein gewisser wehmütiger, fast krankhafter Zug erst verschwindet, wenn die Sonne hoch am Himmel steht. Ich weiß sehr wohl, daß ihre Nase keine vollendete Schönheit bildet, sie ist entschieden zu klein, aber sieht doch kühn in die Welt hinein; und gerade diese kleine Nase hat schon die Veranlassung zu so vielen kleinen Neckereien gegeben, daß ich sie niemals anders wünschte. Das bietet eine viel tiefere Bedeutung des Zufälligen im Leben als das, wofür Du so enthusiastisch schwärmst. Für all dies Gute danke ich Gott und vergesse das Schwache. Doch ist das nicht so wichtig; aber für eins danke ich Gott von ganzem Herzen: sie ist die einzige, die ich geliebt habe, die erste; und um eins bitte ich Gott von ganzem Herzen: er wolle mir die Kraft geben, daß ich niemals eine andre lieben wolle. Das ist eine Hausandacht, an welcher auch sie teilnimmt; denn für mich erhält jedes Gefühl, jede Stimmung dadurch, daß sie derselben teilhaft wird, eine höhere Bedeutung. Alle, sogar die höchsten religiösen Gefühle können den Menschen sozusagen bequem machen, wenn man nur mit ihnen allein ist; in ihrer Gegenwart aber bin ich zugleich Pastor und Gemeinde, und sollte ich zuweilen häßlich genug sein, um mich dieser Güter nicht dankbar zu erinnern – sie wird's schon thun.
Sieh, mein junger Freund! das sind keine Versuche in der experimentierenden Erotik aus der schönen Zeit der ersten Liebe, da man sich und der Geliebten die Frage vorlegt, ob sie nicht zuvor geliebt, oder ob er selber keine andre geliebt, – sondern es ist der Ernst des Lebens, der so fragt. Ja, fürwahr, sehr liegt mir's am Herzen, daß sie mich wirklich liebt, und ich sie wirklich liebe – nicht als wenn unser eheliches Leben nicht auf ebenso gutem Grunde ruhte wie das so vieler andrer, sondern noch immer freut es mich, unsre erste Liebe zu verjüngen, und zwar so, daß es für mich ebenso[343] große religiöse wie ästhetische Bedeutung hat; denn Gott ist mir nicht so supramundan geworden, daß er sich nicht um den Bund kümmern sollte, den er selber zwischen Mann und Weib gestiftet hat; und ich bin nicht so geistlich geworden, daß nicht auch die weltliche Seite des Lebens für mich Bedeutung hätte. Und alles Schöne, das in der heidnischen Erotik lag, hat im Christentum seine Bedeutung, sofern es sich mit der Ehe verbinden läßt. Dieses Verjüngen unsrer ersten Liebe ist nicht nur ein wehmütiges Zurückschauen, oder ein poetisches Sicherinnern des Erlebten, womit man sich schließlich selber hinters Licht führt; das alles ermattet; – es ist ein Handeln. Früh genug kann der Augenblick kommen, da man sich an schönen Erinnerungen genügen lassen muß; so lange wie möglich muß man den frischen Born des Lebens offen halten. Du aber lebst wirklich vom Raube. Du schleichst Dich unbemerkt an die Menschen heran, stiehlst ihnen ihre glücklichsten, ihre schönsten Augenblicke, steckst diese Schattenbilder in Deine Tasche, wie der lange Mann im Schlemihl, und nimmst sie wieder heraus, wenn Du willst. Du meinst wohl, die Menschen verlören dadurch nichts, wüßten oft selber nicht, was die schönsten Augenblicke ihres Lebens seien – ja, sie müßten Dir vielmehr danken, weil sie durch Deinen Zauberstab gewissermaßen in höhere Wesen verwandelt würden. Es mag sein, obgleich es sich auch denken ließe, daß sie eine Erinnerung behielten, die ihnen stets schmerzlich sein müßte; aber Du verlierst, Du verlierst Deine Zeit – Deine Ruhe – Deine Geduld; denn Du weißt es selber sehr gut, wie ungeduldig Du bist. Hast Du mir nicht einmal geschrieben, es müßte eine außerordentliche Tugend sein, des Lebens Lasten geduldig zu ertragen? Dein Leben löst sich in lauter sogenannte interessante Einzelheiten auf. Ja, wenn nur die Energie, die Dich in solchen Augenblicken durchglüht, Dich ganz und gar erfüllte, dann würde noch etwas Großes aus Dir werden können. Es ist eine Unruhe in Dir, über welcher doch hell und klar das Bewußtsein schwebt, Deine ganze Seele ist auf diesen einen Punkt konzentriert, Dein Verstand entwirft hundert Pläne, alles legst Du zum Angriff zurecht: es mißglückt Dir, aber im nächsten Augenblick erklärt Deine fast diabolische Dialektik das Vergangene so, daß es Dir zu einem neuen Operationsplan[344] dienen muß. Und nun die ganze Macht der Stimmung! Dein Auge funkelt, eine flüchtige Röte fährt über Dein Gesicht; Du verläßt Dich ganz sicher auf Deine Berechnungen, und doch wie schrecklich ungeduldig wartest Du – ja mein guter Freund, schließlich, glaube ich, betrügst Du Dich selber, und ob Du noch so viel davon sprichst, daß Du einen Menschen in seinem glücklichen Augenblick attrappierst, es ist nur Deine eigne Stimmung, die Du ergreifst. Du behauptest, daß Dir die Menschen danken müssen, weil Du sie nicht wie Circe in Schweine verwandelst, sondern aus Schweinen Heroen machst, und meinst, es sei etwas ganz andres, wenn sich ein Mensch Dir ganz anvertraute; aber einen solchen Menschen habest Du noch niemals getroffen. Dein Herz klopft, Du zerschmilzt vor Rührung in dem Gedanken, daß Du alles für ihn opfern könntest. Nun, ich will's nicht leugnen, Du hilfst gern armen Menschen, und oft habe ich mich daran gefreut, wie Du es thatest; aber trotzdem verbirgt sich auch da wieder ein gewisses vornehmes Wesen. An einzelne exzentrische Äußerungen, die ich von Dir gehört, will ich nicht erinnern, wohl aber an eine kleine Begebenheit aus Deinem Leben, und ich denke, es wird Dir nicht schaden, wenn ich Dich daran erinnere. Du erzähltest mir einmal, wie Du auf einem Spaziergang hinter zwei armen Frauen gegangen seiest. Meine Schilderung der Situation wird vielleicht nicht so lebhaft sein, wie Deine Erzählung, als Du, ganz von diesem Gedanken erfüllt, zu mir hinaufstürztest. Es waren zwei Frauen von Ladegaard. Vielleicht hatten sie bessere Tage gesehen, und Ladegaard ist nicht gerade der Ort, wo sich kühne Hoffnungen realisieren können. Während die eine derselben eine Prise nahm und auch der andern eine solche anbot, sagte sie: Wer doch fünf Thaler hätte! Vielleicht war sie selber von diesem kühnen Wunsch überrascht. Da tratest Du herzu, Du hattest schon einen Fünfthalerschein aus Deinem Taschenbuch herausgenommen, noch ehe Du den entscheidenden Schritt thatest, damit sie es nicht zu früh ahne und die Situation dadurch verlöre. Mit einer fast unterthänigen Höflichkeit, wie sie sich einem dienenden Geiste gebührt, tratest Du auf sie zu, gabst ihr den Fünfthalerschein und verschwandest wieder. Mit wahrer Freude dachtest Du an den Eindruck, den es auf sie[345] machen würde: ob sie darin eine göttliche Fügung dankbar verehren oder, vielleicht schon durch viele Leiden trotzig geworden, fast verächtlich auf die göttliche Führung blicken würde, die hier recht den Charakter des Zufälligen annahm. Und Du überlegtest dann, ob nicht die ganz Zufällige Erfüllung eines so zufällig geäußerten Wunsches einen Menschen zur Verzweiflung bringen könnte, weil dadurch die Realität des Lebens in ihrer tiefsten Wurzel negiert werde. Du hattest also im Grunde nur das Schicksal spielen und Dich an der Mannigfaltigkeit aller möglichen Reflexionen erfreuen wollen; aber Du kannst an diesem Fall sehen, wie weit Du durch Deine Experimente den Menschen schaden kannst. Der Vorteil scheint freilich auf Deiner Seite zu sein. Du hast einer armen Frau fünf Thaler gegeben, ihren höchsten Wunsch erfüllt, aber Du gestehst es selber ein, sie habe um derselben willen vielleicht mit Hiobs Weibe Gott fluchen können. Du meinst nun freilich, für diese Folgen könntest Du nicht einstehen, und wolle man alle möglichen Folgen berechnen, dann dürfe man überhaupt nicht handeln. Ich antworte: Ja, gewiß darf man handeln. Hätte ich fünf Thaler gehabt, würde ich sie ihr vielleicht auch gegeben haben, hätte aber nicht experimentiert, sondern alles der göttlichen Vorsehung überlassen, die ja alles zum Besten lenkt, und dann hätte ich mir keine Vorwürfe zu machen brauchen. Du aber bist keinen Augenblick davor sicher, daß es Dir nicht einmal schwer auf die Seele fällt, wie Dein hypochondrischer Scharfsinn Dich in einen Kreis von Konsequenzen hineinhexen kann, aus denen Du vergebens wieder herauszukommen suchen wirst. Du möchtest dann Himmel und Erde in Bewegung setzen, um die arme Frau wiederzufinden und zu sehen, welchen Eindruck es auf sie gemacht hat und »wie man am besten auf sie wirken könne;« denn Du bleibst immer derselbe und wirst niemals klüger. Bei Deiner Leidenschaftlichkeit wäre es Dir wohl möglich, Deine großen Pläne, Deine Studien, kurz alles zu vergessen, nur um jenes arme Weib wiederzufinden, die vielleicht schon lange gestorben ist. Der Eifer, den Du an den Tag legst, mag sehr rühmenswert sein, aber siehst Du's denn nicht, daß was Dir fehlt, was Dir ganz und gar fehlt, der Glaube ist?
Statt im Glauben alles in Gottes Hand zu legen und den[346] geraden Weg zu wandeln, der zum Leben führt, schlägst Du bald diesen, bald jenen Weg ein und kommst nie zum Ziele. Vermutlich wirst Du sagen: Dann braucht man ja gar nicht zu handeln; ich antworte: Gewiß, wenn Du nur dessen gewiß bist, daß Du einen Platz in der Welt hast, den Du, gerade Du mit Deiner Arbeit ausfüllen sollst; aber freilich, wie Du es treibst, das grenzt an Wahnsinn. Du wirst sagen, wenn Du die Hände in den Schoß gelegt und Gott hättest sorgen lassen, dann wäre der Frau nicht geholfen worden; ich antworte: Wohl möglich, aber Dir wäre geholfen, und der Frau auch, wenn sie sich Gott befohlen hätte.
Wie gesagt, was Du sein willst, ist – das Schicksal. Bleib nun einen Augenblick stehen. Ich will Dir keine Predigt halten, aber es gibt einen Ernst, vor welchem, wie ich weiß, sogar Du eine ungewöhnliche Hochachtung hast. Wie, wenn nun der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden, der große Gott im Himmel in den Augen der Menschen solch ein Rätsel sein und das ganze menschliche Geschlecht in dieser schrecklichen Ungewißheit schweben lassen wollte, würde sich nicht in Deinem tiefsten Innern etwas dagegen auflehnen, würdest Du diesen qualvollen Gedanken auch nur einen Augenblick ertragen können? Und doch könnte er am ehesten, wenn ich mich so ausdrücken darf, das stolze Wort in seinen Mund nehmen: Was geht der Mensch mich an. Aber deshalb verhält es sich auch nicht so; und wenn ich sage: Gott ist unbegreiflich, dann erhebt sich meine Seele und schwingt sich auf, so hoch sie kann, gerade in den seligsten Augenblicken spreche ich es aus: Unbegreiflich, weil seine Liebe unbegreiflich ist, unbegreiflich, weil seine Liebe höher ist denn alle Vernunft. Von Gott gesagt, bezeichnet es das Höchste; sieht man sich aber gezwungen, es von einem Menschen zu sagen, dann bezeichnet es immer einen Fehler, zuweilen eine Sünde. Christus hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern erniedrigte sich selbst; und Du willst die geistlichen Gaben, die Dir geschenkt sind, als einen Raub davontragen! Bedenke es doch, Dein Leben geht hin, und auch für Dich kommt die Zeit, da dasselbe abgeschlossen hinter Dir liegt und allein die Erinnerung zurückgeblieben ist, die Erinnerung, aber nicht in dem Sinn, wie Du sie so sehr liebst, als Wahrheit und[347] Dichtung, sondern die ernste und treue Erinnerung des Gewissens. Hüte Dich, daß sie nicht eine Liste vor Dir entrollt, zwar nicht von eigentlichen Verbrechen, wohl aber von verzehrenden Möglichkeiten, Schattenbildern, die Du nicht wirst verjagen können.
Von der ästhetischen Bedeutung der Ehe also wollte ich handeln. Es könnte scheinen, als wäre es eine überflüssige Untersuchung, da es ja schon oft bewiesen ist, wofür ich eintreten möchte. Oder haben nicht seit Jahrhunderten Ritter und Abenteurer Unglaubliches erduldet, um endlich im stillen Friedenshafen einer glücklichen Ehe anzukommen? Haben nicht seit Jahrhunderten Romanschreiber und Romanleser sich durch einen Band nach dem andern hindurchgearbeitet, um schließlich an das Ende einer glücklichen Ehe zu kommen? Und hat nicht ein Geschlecht nach dem andern mit unglaublicher Geduld vor den Brettern, die die Welt bedeuten, gesessen, hat die vier ersten Akte angesehen, weil es im fünften eine glückliche Ehe zu sehen hoffte?
Indessen ist mit diesen ungeheuren Anstrengungen zur Verherrlichung der Ehe sehr wenig ausgerichtet, und ich glaube kaum, daß ein Mensch durch die Lektüre solcher Bücher tüchtig geworden ist, die Aufgabe, die er sich setzte, zu lösen oder sich im Leben zu orientieren. Denn das ist gerade das Verderbliche, das Ungesunde jener Schriften, daß sie da aufhören, wo sie anfangen sollten. Nach den vielen glücklich überstandenen Schicksalen sinken die Liebenden einander schließlich in die Arme, der Vorhang fällt, das Buch ist zu Ende, aber der Leser ist ebenso klug wie vorher; denn es gehört ja keine große Kunst dazu, tapfer und klug für den Besitz dessen zu kämpfen, was man für das einzige Gut ansieht, wenn nur wirklich die Liebe in ihrer ersten Begeisterung die Herzen erfüllt; wohl aber müssen wir die rechte Besonnenheit, Weisheit und Geduld haben, wenn wir die Mattigkeit besiegen wollen, die einem erfüllten Wunsche oft zu folgen pflegt. Man sieht daher selten auf der Bühne eine Trauung oder liest in den Romanen von derselben, es sei denn, daß die Oper oder das Ballett diesen Moment mit seinen prachtvollen Aufzügen, den bedeutungsvollen Gestikulationen des Spielers, den zum Himmel erhobenen Blicken, dem Wechseln der Ringe u.s.w. nicht entbehren will. Aber das Wahre in dieser ganzen Entwickelung, das[348] eigentliche Ästhetische, liegt darin, daß die Liebe sich durch Hindernisse hindurchkämpfen muß. Was uns aber an jenen Büchern nicht gefällt, ist, daß dieser Kampf, diese Dialektik so ganz und gar äußerlich ist, und daß die Liebe aus diesem Kampf ebenso abstrakt wiederherausgeht, wie sie ihn angefangen hat. Wenn erst die Vorstellung von der eignen Dialektik der Liebe erwacht, die Vorstellung ihrer pathologischen Kämpfe, ihres Verhältnisses zum Ethischen und zum Religiösen, dann bedarf es keiner grausamen Väter, keiner verzauberten Prinzessinen: die Liebe wird ihre Arbeit, ihre Kämpfe schon ohne dieselben finden. In unsrer Zeit gibt's nur seltner grausame Väter oder verzauberte Prinzessinnen, daher sich in unsrer neuem Litteratur eigentlich nur noch das Geld als Medium des Widerspruchs findet, durch welches die Liebe sich hindurcharbeiten muß, und man muß erst vier lange Akte warten, bis endlich im fünften ein reicher Onkel sterben kann. Vor allem aber sucht die neuere Litteratur die Liebe in der abstrakten Unmittelbarkeit, wie sie uns in der eigentlichen Romanwelt entgegentritt, lächerlich zu machen, und das Thema, das sie vor allem beschäftigt, ist dieses: die Liebe eine Illusion.
Unsre Zeit erinnert sehr an die Auflösungsperiode des griechischen Staates: alles ist noch so, wie es vor alters war, aber keiner glaubt's, daß es so bleibt. Das unsichtbare Geistesband ist verschwunden, daher die ganze Zeit zugleich komisch und tragisch ist; tragisch, weil sie untergeht, komisch, weil sie besteht; denn immer trägt doch das Unvergängliche das Vergängliche, der Geist den Leib, und wär's möglich, daß ein Leichnam noch eine Weile die gewohnten Funktionen ausführte, so würde das zugleich komisch und tragisch sein. Aber laß die Zeit nur zehren; je mehr sie von dem substantiellem Gehalt, der in der romantischen Liebe lag, aufgezehrt hat, um so größer wird auch das Verderben sein, und man wird mit Schrecken und Verzweiflung sehen, wie unglücklich man sich selber gemacht hat.
Laßt uns denn sehen, wie weit es der Zeit, welche die romantische Liebe zerstört hat, gelungen ist, etwas Beßres zu geben. Doch erlaube mir zuvor, Dir die Merkmale der romantischen Liebe zu nennen. Sie ist – so könnte man mit einem Worte sagen – unmittelbar.[349] Sie sehen und lieben war eins, oder obgleich sie ihn nur durch eine Ritze des geschlossenen Fensters im Jungfrauenbauer ein einziges Mal sah, liebte sie ihn doch von diesem Augenblick an, ihn allein in der ganzen Welt. Ich könnte hier nun wohl einige polemische Ergüsse folgen lassen, um die Sekretion der Galle zu befördern, die bei Dir eine notwendige Bedingung gesunder und heilsamer Aneignung dessen ist, was ich zu sagen habe. Ich kann mich aber trotzdem nicht dazu entschließen, und zwar aus zwei Gründen: teils weil das in unsrer Zeit ziemlich veraltet ist, und, aufrichtig gesagt, weil ich es mir nicht recht denken kann, daß Du hier mit dem Strome schwimmen solltest, während man Dich sonst immer gegen denselben schwimmen sieht; teils weil ich mir wirklich einen gewissen Glauben an die Wahrheit desselben bewahrt habe und stets mit einer gewissen Ehrerbietung und Wehmut daran denke... Ich erinnere Dich nur an die Überschrift eines kleinen Aufsatzes, den Du geschrieben hast: »Empfindsame und unbegreifliche Sympathien oder zweier Herzen harmonia praestabilia.« Was Goethe in seinen Wahlverwandtschaften uns zuerst in der Bildersprache der Natur hat ahnen lassen, um es hernach in der Welt des Geistes zu realisieren, das ist's, wovon wir hier sprechen; nur daß Goethe sich bestrebt hat, diese Anziehungskraft durch eine Succession von Momenten zu motivieren (vielleicht weil er den Unterschied zwischen dem Leben des Geistes und dem Naturleben darstellen wollte), es aber nicht hervorhebt, wie die, die zu einander gehören, einander in ungeduldiger Hast suchen, als wären sie für einander bestimmt. Und ist's denn nicht ein schöner Gedanke, daß zwei Wesen für einander bestimmt sind? Wie oft hat man doch den sehnlichen Wunsch, über das historische Bewußtsein hinauszugehen, ein Verlangen, ein Heimweh nach dem Urwald, der hinter uns liegt; und ist diese Sehnsucht nicht noch gewaltiger, wenn sich daran die Vorstellung von einem andern Wesen knüpft, das auch in jenen Gegenden seinen Heimat hat?
Jede Ehe, auch wenn sie nach besonnener Überlegung eingegangen ist, wünscht deshalb, wenigstens in einzelnen Augenblicken, ein solches Bild vor sich zu sehen. Und wie schön ist nicht der Gedanke, daß der Gott, der ein Geist ist, zugleich die irdische Liebe lieb hat.[350] Ich will gern einräumen, daß gerade da in der Ehe viel gelogen wird, sowie, daß Deine Observationen auf diesem Gebiet mich oft amüsiert haben; aber deshalb darf man doch nicht vergessen, was daran Wahres ist. Vielleicht denkt dieser oder jener doch, es sei besser, eine ganz freie Wahl »seiner Lebensgefährtin« zu haben; aber eine solche Äußerung verrät einen hohen Grad von Borniertheit, sie ahnt nicht, daß die romantische Liebe in ihrer Genialität frei ist, und daß gerade diese Genialität sie so groß macht.
Als unmittelbar erweist sich die romantische Liebe dadurch, daß sie nur in einer Naturnotwendigkeit ruht. Sie hat ihren Grund in der Schönheit, teils in sinnlicher Schönheit, teils in einer Schönheit, die sich durch das Sinnliche und in und mit ihm darstellen läßt, doch nicht so, daß sie durch eine Erwägung in die Erscheinung tritt; aber so wie sie stets auf dem Sprung steht, um sich zu äußern. Obgleich diese Liebe ihren Grund wesentlich im Sinnlichen hat, ist sie doch in dem Ewigkeitsbewußtsein, das sie in sich aufnimmt, edel. Denn das ist's, was alle Liebe von der Wollust unterscheidet, daß sie den Charakter der Ewigkeit an sich trägt. Die Liebenden sind aufs innigste davon überzeugt, daß ihr Verhältnis ein in sich vollendetes Ganzes ist, das nie verändert werden kann. Da aber diese Überzeugung nur auf einer Naturbestimmung basiert ist, so ruht das Ewige auf dem Zeitlichen und hebt sich dadurch selber auf. Und weil diese Überzeugung nicht im Feuer bewährt ist, keine höhere Begründung gefunden hat, so erweist sie sich als eine Illusion, und darum kann man sie so leicht lächerlich machen. Doch sollte man das nicht so schnell thun; geradezu widerlich ist es aber, wenn in den neuern Schauspielen jene erfahrenen, intriganten, weichlichen Frauen so genau wissen, daß die Liebe eine Illusion ist. Nichts, nichts so empörend, wie ein junges Mädchen, das reich an Liebe ist, in solchen Händen zu wissen, ja schrecklicher noch, als sie in den Händen einer Verführerbande zu sehen.
Doch, wie gesagt, hat die romantische Liebe eine Analogie mit dem Sittlichen in der vermeintlichen Ewigkeit, die sie adelt und vor dem rein Sinnlichen bewahrt. Das Sinnliche nämlich ist das Momentane, es sucht die augenblickliche Befriedigung und weiß, je feiner[351] es ist, den Augenblick des Genusses zu einer kleinen Ewigkeit zu machen. Die wahre Ewigkeit in der Liebe, die zugleich die wahre Sittlichkeit ist, errettet sie daher eigentlich erst vom Sinnlichen. Um aber diese wahre Ewigkeit hervorzubringen, ist eine Willensbestimmung notwendig; doch davon später mehr.
Die schwachen Seiten der romantischen Liebe hat unsre Zeit sehr wohl begriffen, und ihre ironische Polemik gegen dieselbe ist zuweilen auch recht amüsant gewesen. Aber hat sie dem Mangel abgeholfen? Hat sie Beßres gegeben? Laßt sehen.
Unsre Zeit hat zwei Wege eingeschlagen. Einer derselben ist, wie man auf den ersten Blick sehen kann, ein falscher Weg, er ist geradezu unsittlich; der andre, respektabler, ahnt jedoch, wie ich glaube, nichts von den Tiefen der Liebe. Wenn nämlich die Liebe auf dem Sinnlichen basiert ist, dann ist – wie jeder leicht einsehen wird – jene unmittelbare ritterliche Treue eine Thorheit. Was Wunder, daß das Weib sich da emanzipieren will, eins der vielen häßlichen Phänomene unsrer Zeit, die wir den Männern verdanken. Das Ewige in der Liebe wird verspottet, das Zeitliche hält man fest, aber raffiniert in einer sinnlichen Ewigkeit, in dem ewigen Augenblick einer Umarmung. Was ich hier sage, läßt sich nicht nur auf diesen oder jenen Verführer anwenden, der wie ein Raubtier in der Welt umhergeht, nein, es paßt auf einen zahlreichen Chor oft höchst begabter Menschen; nicht nur Byron erklärt die Liebe für den Himmel, die Ehe für die Hölle. Man sieht deutlich, daß hier eine Reflexion ist, etwas, was der romantischen Liebe fehlt. Diese läßt sich gern die Ehe gefallen und auch die kirchliche Trauung als eine schöne Feier, ohne daß sie doch als solche Bedeutung für sie hätte. Auf Grund jener Reflexion hat die erwähnte Liebe eine neue Definition für den Begriff der unglücklichen Liebe entdeckt, nämlich geliebt zu werden, wenn man nicht länger liebt, nicht aber, lieben ohne wieder geliebt zu werden. In der That, wüßte diese Richtung, wieviel Tiefsinniges in diesen wenigen Worten liegt, sie würde selber zurückschaudern; denn es liegt in denselben doch auch die Ahnung, daß es ein Gewissen gibt. Der Moment wird also zur Hauptsache, und wie oft hat man nicht von solchen Menschen, welche das unglückliche[352] Mädchen liebten, welches nur einmal lieben konnte, die schrecklichen Worte gehört: Stein, ich verlange nicht, daß du mich in alle Ewigkeit liebst, liebe mich nur in dem Augenblick, in dem ich es wünsche. Solche Liebhaber wissen es sehr gut, daß das Sinnliche vergänglich ist, sie wissen den schönsten Augenblick zu schätzen, und damit sind sie zufrieden. Eine solche Richtung ist natürlich absolut unsittlich; sie nähert sich dagegen gewissermaßen schon unserm Ziel, sofern sie einen förmlichen Protest gegen die Ehe einlegt. Wo dieselbe Richtung ein etwas anständigeres Kleid anzuziehen sucht, beschränkt sie sich nicht auf den einzelnen Augenblick, sondern erweitert denselben zu einer längeren Zeit, ohne jedoch das Ewige in ihr Bewußtsein aufzunehmen, oder sie setzt sich zum Ewigen in einen Gegensatz, meinend, es könne möglicherweise eine Veränderung in der Zeit eintreten. Sie glaubt, wohl könne man eine Weile mit einander leben, aber es müsse doch ein Ausweg offen bleiben, und zeige sich eine glücklichere Wahl, so wähle man von neuem. Sie macht die Ehe zu einer bürgerlichen Einrichtung; man braucht es der Obrigkeit ja nur zu melden, daß eine Ehe aufgelöst und eine andre eingegangen ist, geradeso wie man es auch meldet, wenn man in eine neue Wohnung gezogen ist. Ob dem Staat damit gedient ist, will ich nicht entscheiden; für den einzelnen muß das in der That ein besondres Verhältnis sein, ja, es gehörte dazu doch auch wirklich ein hoher Grad von Frechheit und Gemeinheit; ich glaube nicht zu hart zu urteilen, wie es ja auch namentlich bei den weiblichen Partizipanten in dieser Assoziation einen an Verworfenheit grenzenden Leichtsinn verraten würde.
Es ist indessen eine ganz andre Geistesdisposition, die leicht auf einen ähnlichen Einfall kommen kann, und von dieser will ich zunächst handeln, da sie für unsre Zeit sehr charakteristisch ist. Ein solcher Plan kann seinen Grund nämlich in einer egoistischen oder sympathischen Schwermut haben. Lange genug hat man von dem Leichtsinn der Zeit gesprochen; ich glaube, es ist hohe Zeit, von der Schwermut derselben zu sprechen; dann wird sich, wie ich glaube, alles besser klären. Oder ist nicht die Schwermut der Schaden unsrer Zeit? Klingt sie nicht aus ihrem leichtsinnigen Lachen heraus? raubt sie uns nicht den Mut zu befehlen und den Mut zu gehorchen? raubt sie uns nicht[353] die Kraft des Handelns und die Zuversicht der Hoffnung? Und wenn nun die guten Philosophen alles thun, um der Wirklichkeit Intensivität zu geben, werden wir dann nicht bald so vollgepfropft, daß wir nicht mehr atmen können? Nur der Lebende hat recht. Was Wunder denn, daß man in unaufhörlicher Angst, die Gegenwart zu verlieren, sie auch wirklich verliert? Nun ist's wohl wahr, daß man nicht in einer flüchtigen Hoffnung aufgehen darf, und daß man nicht in dem Sinn in den Wolken verklärt werden soll; aber um in Wahrheit zu genießen, muß man Luft haben, und nicht nur im Augenblick der Trübsal gilt's, den Himmel offen zu sehen: auch in den Tagen der Freude müssen wir eine freie Aussicht haben. Wohl verliert der Genuß scheinbar etwas von seiner Intensivität, den er mit Hilfe einer so beängstigenden Begrenzung hat; aber dabei wäre nicht gar viel verloren, da er etwas mit dem intensiven Genuß gemein hat, welcher den Straßburger Gänsen das Leben kostet. Das wirst Du nun vielleicht nicht so leicht begreifen; aber ich brauche Dir die Bedeutung der Intensivität, die man auf jene andre Weise erreicht, wohl nicht näher zu zu entwickeln. Denn da bist Du ein Virtuose, Du, cui di dederunt formam, divitias artemque fruendi. Wäre der Genuß die höchste Wonne des Lebens, dann müßte ich mich Dir zu Füßen setzen, um von Dir zu lernen; denn in der Kunst bist Du ein Meister. Bald weißt Du wie ein Greis die Erlebnisse vergangener Jahre in langsamen Zügen aus dem Becher der Erinnerung einzuschlürfen, bald erglühst Du in der Hoffnung der ersten lugend, bald genießt Du wie ein Mann, bald wie ein Weib, bald unmittelbar, bald reflektierst Du über Das, was Du genießt, bald über das, was andre genießen, und das eine sowohl wie das andre ist Dir selber ein Genuß; bald gibst Du Dich hin, Dein Herz ist offen, zugänglich wie eine Stadt, die kapituliert hat, die Reflexion ist verstummt, und jeder Schritt der Fremden hallt in den leeren Straßen wider, und doch bleibt immer ein beobachtender Posten zurück; bald schließt sich Dein Herz, Du verschanzt Dich selber, bist unzugänglich und steil wie eine Burg auf hohem Felsen. Ja, so ist's, und Du wirst zugleich sehen, wie egoistisch Dein Genuß ist, und daß Du Dich niemals hingibst, niemals andre Dich genießen läßt. Da magst Du[354] recht haben, über die Menschen zu spotten, an denen jeder Genuß zehrt, wie z.B. die verliebten Menschen mit den zerrissenen Herzen, während Du herrlich die Kunst verstehst, Dich so zu verlieben, daß die Liebe ein Relief Deiner eignen Persönlichkeit wird. Du weißt nun sehr wohl, daß der intensivste Genuß darin liegt, den Genuß in dem Bewußtsein festzuhalten, daß er vielleicht im nächsten Augenblick verschwindet. Deshalb hat Dir das Finale in Don Juan so sehr gefallen. Verfolgt von den Gerichten, von der ganzen Welt, verfolgt von Lebenden und Toten, allein in einem abgelegenen Kabinett sammelt er noch einmal die Kraft seiner ganzen Seele, schwingt noch einmal den Pokal mit dem schäumenden Champagner, erfreut sich noch einmal an den Tönen der rauschenden Musik.
Doch zurück! Es kann also eine zum Teil egoistische, zum Teil sympathische Schwermut jene Anschauung veranlassen.
Die egoistische fürchtet natürlich für sich selber, und ist wie alle Schwermut genußsüchtig. Dieselbe leidet an einer gewissen überspannten Ehrerbietung, und hat ein geheimes Grauen vor einer Verbindung für das ganze Leben. Kennst Du nicht ihre Sprache? »Worauf kann man sich verlassen? Alles verändert sich, vielleicht auch dieses Wesen, das ich nun fast anbete, und wer weiß, ob nicht spätere Schicksale mich mit einem Wesen in Verbindung bringen, das erst in Wahrheit das Ideal ist, welches mir vorschwebte.« Sie ist wie alle Schwermut trotzig und hat etwa diesen Gedanken: »wenn ich mich durch unauflösliche Bande an eine Einzige knüpfe, so wird das vielleicht gerade die Wirkung haben, daß dieses Wesen, das ich sonst von ganzer Seele lieben würde, mir unerträglich wird, vielleicht, vielleicht« u.s.w.
Die sympathische Schwermut ist schmerzensreicher und auch edler, sie fürchtet nicht nur für sich selber, sondern vor allem für den andern. Wer fühlt sich so sicher, daß er glauben könne, er werde sich nie verändern. »Vielleicht«, so spricht er, »werde ich einmal das verlieren, was das Beste an mir ist, oder das, wodurch ich die Geliebte zu fesseln weiß, und es kann mir genommen werden, was ich nur um ihretwillen zu behalten wünsche, und dann steht sie enttäuscht und betrogen da; vielleicht zeigt sich ihr eine glänzende Aussicht; sie kommt in Versuchung und besteht in derselben nicht – großer Gott, das[355] würde ich auf meinem Gewissen haben! Ich kann ihr ja keinen Vorwurf machen, denn ich bin ein andrer geworden; alles, alles vergebe ich ihr, wenn sie mir es mir vergeben will, daß ich so unvorsichtig war und ihr erlaubte, einen so entscheidenden Schritt zu thun. Wohl weiß ich es, daß ich sie nicht überredet, vielmehr sie vor mir gewarnt habe, es war ihr freier Entschluß; aber vielleicht hat gerade meine warnende Stimme sie versucht, in mir ein beßres Wesen zu sehen, als ich war u.s.w., u.s.w.« Man wird leicht begreifen, daß einer solchen Anschauung weder mit einer Verbindung von zehn oder fünf Jahren, noch mit einer Verbindung für das ganze Leben gedient ist, dieselbe fühlt zu tief die Bedeutung des Wortes, daß jeder Tag seine Plage hat. Es ist, als müßte man an jeden Tage lernen, was es heißt, so leben, als wäre gerade dieser Tag der Entscheidende, als müßte man jeden Tag ins Examen. Sucht man in unsern Tagen die Ehe zu neutralisieren, so hat das seinen Grund nicht darin, daß man – wie es im Mittelalter geschah – das ehelose Leben für vollkommener hielt, sondern in Feigheit, in Genußsucht. Es leuchtet auch ein, daß solche auf eine bestimmte Zeit eingegangene Ehen keinen Zweck haben, da sie dieselben Schwierigkeiten nach sich ziehen, wie diejenigen. Welche für das ganze Leben geschlossen sind. Und schwächt es nicht zugleich die innerste Kraft des ehelichen Lebens, raubt dem Willen seine Energie und zerstört das, was das größte Heiligtum der Ehe ist, das Vertrauen? Schon hier ist's klar, und es wird später noch klarer werden, daß solche Assoziationen keine Ehen sind; beim wenn sie auch in die Sphäre der Reflexion getreten sind, so fehlt ihnen doch das Ewigkeits-Bewußtsein, welches den Bund zweier Herzen erst zur ehelichen Gemeinschaft erhebt. Darin wirst Du mir auch voll und ganz zustimmen; denn wie oft und wie sicher haben Dein Spott und Deine Ironie nicht solche Stimmungen getroffen, da z.B. einer mit seiner Braut aus dem Fenster sieht, und es ihm einfällt, als er ein andres junges Mädchen auf der Straße erblickt: im Grunde sei sie es, die er liebe; er will ihr nacheilen, aber wieder wird er durch eine andre gestört u.s.w.
Der andre, anständigere Ausweg war die Vernunftheirat. Schon am tarnen hört man's gleich, daß man in die Sphäre der[356] Reflexion eingetreten ist. Es haben schon manche, so auch Du, bedenkliche Mienen gemacht, wenn eine Verbindung zwischen der unmittelbaren Liebe und dem berechnenden Verstande beabsichtigt wird; und daher sollte man eigentlich auch nicht »Vernunft«, sondern »Verstandesheirat« sagen. Du pflegst immer mit großer Ironie als soliden Grund einer ehelichen Verbindung die »Achtung« zu empfehlen. Sofern eine solche Verbindung auf die wahre Liebe verzichtet, ist sie wenigstens konsequent; aber sie beweist dadurch zugleich, daß sie keine Lösung der Aufgabe ist. Eine Verstandesheirat ist daher als eine Art Kapitulation anzusehen, welche die Kollisionen des Lebens notwendig machen. Aber wie traurig, daß die Poesie unsrer Zeit gewissermaßen nur einen einzigen Trost übrigbehalten hat, und dieser einzige Trost heißt: verzweifeln! Denn eine solche Verbindung ist ja nur dann möglich, wenn man an allein verzweifelt. Dieselbe wird daher auch gewöhnlich zwischen Menschen geschlossen, die ihre erste Jugend schon lange hinter sich haben und die Liebe für eine Illusion halten, oder die Realisation derselben höchstens für ein pium desiderium. Was man will, ist des Lebens Prosa, eine sichere Existenz, Ansehen in sozialen Leben u.s.w. Sofern eine solche Verbindung das Sinnliche in der Ehe neutralisiert, scheint sie sittlicher Natur zu sein; doch darf wohl gefragt werden, ob nicht diese Neutralisation ebenso unsittlich wie unästhetisch ist. Oder wenn das Erotische auch nicht ganz und gar neutralisiert wird, es hat sich doch einer nüchternen, verständigen Erwägung unterworfen, daß man vorsichtig sein müßte, nicht immer gleich tadeln dürfe, daß das Leben doch niemals die Ideale verwirkliche, daß es eine recht anständige Partie sei u.s.w. Das Ewige, das ja – wie wir bereits allen bewiesen haben – zu jeder Ehe gehört, hat hier also eigentlich keinen Platz. Denn die verständige Erwägung ist immer auf das Irdische gerichtet. Eine solche Verbindung ist daher nicht mir unsittlich, sondern sie ruht auch auf einem sehr unsichern Grunde.
Eine schönere Gestalt kann die Vernunftehe annehmen, wenn das Bestimmende etwas Höheres ist, und z.B. ein junges Mädchen aus Liebe zu ihrer Familie einen Mann nimmt, der diese vor dem Ruin bewahren kann. Aber gerade diese äußerliche Teleologie beweist[357] es klärlich, daß wir hier die Lösung der Aufgabe nicht suchen dürfen. Vielleicht könnte ich an diesem Ort von den mannigfachen Beweggründen sprechen, die zur Schließung einer Ehe führen, aber solches überlegen und Räsonnieren gehört gerade der Sphäre des Verstandes an. Doch werde ich auf diese Frage ein andres Mal zurückkommen.
Wir haben nun gesehen, wie die romantische Liebe auf einer Illusion ruht, und daß ihre Ewigkeit nicht über die Grenzen des irdischen Lebens hinausreicht; auch ist sie gar nicht so treu und beständig, wie der Ritter vielleicht selber glaubte, da die Versuchung bisher in einem ganz äußerlichen Medium gelegen hatte. Sie konnte deshalb sehr gut mit schöner Pietät die Ehe beibehalten, aber diese letztere hatte doch keine tiefere Bedeutung. Es hat sich bald gezeigt, wie diese unmittelbare und schöne, aber auch einfältige Liebe vor dein Bewußtsein einer reflektierenden Zeit nicht bestehen konnte, wie sie denn auch den Spott und die Ironie derselben über sich ergehen lassen mußte; aber was hat diese letztere dafür gegeben? Sie nahm die Ehe in ihr Bewußtsein auf und erklärte sich nun halb für die Liebe, während die Ehe ausgeschlossen ward; halb für die Ehe, während man nicht weiter auf die Liebe reflektierte. Eine kleine verständige Näherin macht daher auch in einem neuern Drama die kluge Bemerkung: Uns lieben die vornehmen Herren, aber sie heiraten uns nicht; sie lieben die vornehmen Damen nicht, aber vermählen sich mit ihnen.
Hiermit ist diese kleine Untersuchung – denn was ich hier schreibe, muß ich doch wohl so nennen, obgleich ich ja im Grunde nur einen großem Brief schreiben wollte – also diese kleine Untersuchung ist nun so weit gekommen, daß die Ehe in ihrem rechten Licht erscheinen kann.
Daß die Ehe wesentlich beim Christentum angehört, daß die heidnischen Nationen dieselbe trotz der Sinnlichkeit des Orients und der Schönheit Griechenland nicht gehabt haben, daß sie sich selbst im Judentum nicht ganz und voll entfalten konnte, obgleich das Idyllische demselben durchaus nicht fremd war, das wirst Du mir einräumen, ohne daß ich näher darauf einzugehen brauche, um so mehr, als es genügen wird, wenn ich nur daran erinnere, daß der Gegensatz des Geschlechtes nirgends so tief reflektiert war, daß das andre[358] Geschlecht zu seinem vollen Recht kam. Aber auch innerhalb des Christentums mußte die Liebe erst manches in der Schule des Lebens lernen, ehe man das Tiefe, Schöne und wahre erkannte, das in der Ehe liegt. Da indessen die Zeit, welche zunächst hinter uns liegt, eine reflektierende gewesen ist und gewissermaßen auch unsre Zeit es noch immer ist, so wird das nicht leicht zu beweisen sein; und weil Du es so meisterhaft verstehst, die schwachen Seiten einer Sache ans Licht zu ziehen, so ist die Aufgabe, die ich mir zugleich gefetzt habe, Dich nämlich zu überzeugen, eine doppelt schwere. Doch bin ich Dir für Deine Polemik sehr verbunden. Denn diese ist so talentvoll und erfinderisch, daß sie für den Verteidiger ein guter Wegweiser ist; und Deine Angriffe sind nicht so oberflächlicher Natur, daß sie nicht, wenn Du oder ein andrer ihnen nachdenkt, die Wahrheit enthalten sollten, ob auch weder Du noch der, mit dem Du streitest, es im Augenblick des Kampfes merkt.
War es nun aber ein Mangel der romantischen Liebe, daß sie nicht reflektierte, so konnte man vielleicht meinen, die wahre, eheliche Liebe müsse mit dem Zweifel beginnen. Das könnte um so notwendiger erscheinen, als wir aus einer Welt der Reflexion hierher gekommen sind.
Daß sich eine Ehe nach einem solchen Zweifel künstlerisch ausführen ließe, will ich durchaus nicht leugnen; aber die Frage ist, ob nicht das Wesen der Ehe dadurch bereits alteriert sei, daß man eine Scheidung zwischen Liebe und Ehe im Auge hat. Das also ist die Frage: Gehört es wesentlich zur Ehe, die erste Liebe dadurch zu vernichten, daß man an der Möglichkeit ihrer Realisierung zweifelt, um durch diese Vernichtung die eheliche Liebe zu ermöglichen und zu verwirklichen, also daß Adams und Evas Ehe eigentlich die einzige gewesen wäre, in welcher die unmittelbare Liebe unverletzt geblieben wäre, und zwar aus keinem andern Grunde, als weil, wie Musäus sehr witzig bemerkt, es für keinen möglich war, einen andern zu lieben. Die Frage bleibt, ob nicht die unmittelbare, die erste Liebe dadurch gegen diese Skepsis gesichert ist, daß sie in eine höhere konzentrische Unmittelbarkeit aufgenommen wird, und die eheliche Liebe nicht nötig habe, die schönen Hoffnungen der ersten Liebe zu zertreten, da sie[359] vielmehr selber die erste Liebe sei, nur mit dem Zusatz einiger Bestimmungen, die sie nicht herabsetzen, sondern vielmehr veredeln.
Das ist ein schwieriges Problem, und doch so ungeheuer wichtig, damit wir nicht im Ethischen vor einer ähnlichen Kluft flehen bleiben, wie im Intellektuellen vor der Kluft zwischen Glauben und Wissen. Und schön, mein lieber Freund, das wirst Du nicht leugnen wollen – denn auch Dein Herz hat ein Gefühl für Liebe, und auch Dein Kopf kennt nur zu wohl die Zweifel –, schön wäre es doch, wenn der Christ seinen Gott bei Gott der Liebe nennen dürfte, und zwar auch im Gedanken an jenes unaussprechlich selige Gefühl, an jene ewige Macht in der Welt – die irdische Liebe.
Habe ich daher im vorhergehenden die romantische und die reflektierende Liebe als die diskursiven Standpunkte angedeutet, so wird es sich hier recht zeigen, wie weit die höhere Einheit zu dem Unmittelbaren zurückkehrt, und wie weit sie, außer dem plus, das sie enthält, zugleich auch das enthält, was im ersten lag. Es ist nun wohl klar genug, daß die reflektierende Liebe sich beständig selbst verzehrt, und daß sie ganz willkürlich bald hier, bald dort stehen bleibt; es ist klar, daß sie über sich selber hinaus auf ein Höheres weist, aber es fragt sich, ob dieses Höhere nicht gleich in Verbindung mit der ersten Liebe treten könne. Dieses Höhere ist nun das Religiöse, in welchem die Verstandes Reflexion zum Schluß, zur Ruhe kommt; denn wie Gott nichts unmöglich ist, so ist auch dem religiösen Individuum nichts unmöglich. In dem Religiösen findet die Liebe wieder die Unendlichkeit, die sie in der reflektierenden vergebens suchte. Aber ist das Religiöse, so gewiß es ein Höheres als alles Irdische ist, zugleich nicht ein im Verhältnis zur unmittelbaren Liebe Exzentrisches, sondern das Konzentrische, so ließe sich ja die Einheit derselben, ohne daß der Schmerz, den das Religiöse zwar heilen kann, der aber doch immer ein tiefer Schmerz ist, notwendig wäre.
Nur sehr selten wird diese Sache ernstlich überlegt, weil diejenigen, welche für die romantische Liebe Sinn haben, sich nicht um die Ehe kümmern, und anderseits – Gott sei es geklagt – so viele Ehen ohne jene tiefere Erotik geschlossen werden, die doch ohne allen Zweifel das Schönste in der rein menschlichen Existenz ist. Das[360] Christentum hält an der Ehe unerschütterlich fest. Hat also die eheliche Liebe keinen Raum für die ganze Erotik der ersten Liebe, dann ist das Christentum nicht die höchste Entwickelung des menschlichen Geschlechts, und gewiß hat eine geheime Angst vor einer solchen Disharmonie viele Schuld an der Verzweiflung, welche in Poesie und Prosa durch die neuere Lyrik hindurchklingt.
Du siehst also, welche Aufgabe ich mir gefetzt habe. Es handelt sich um nichts Geringres als darum, ob die romantische Liebe mit der Ehe einen Bund schließen und einen Platz in ihr finden kann, ja ob die Ehe die wahre Verklärung jener ist. Das soll nun in keiner Weile irgend einen Schatten auf die aus der Reflexion und ihrem Schiffbruch sich rettenden Ehen werfen; denn weder will ich leugnen, daß sich vieles machen läßt, noch will ich so ohne alle Teilnahme sein, daß ich sie nicht bewunderte; auch sei es unvergessen, daß die ganze Richtung der Zeit sie oft zu einer traurigen Notwendigkeit machen kann. Aber was das letztere betrifft, so muß hoch daran erinnert werden, daß jede Generation und jedes Individuum in der Generation in gewissem Grabe sein Leben von vorn anfängt, und eben so sehr daran, daß ja ein Geschlecht vom andern lernen soll. Hat daher die Reflexion ein Geschlecht zu einem traurigen Schauspiel gebraucht, so wird das folgende wahrscheinlich glücklicher sein. Und wie viele schmerzliche Verwickelungen das Leben auch noch bringen mag, ich kämpfe für ein Doppeltes: zum ersten für die ungeheure Aufgabe, nachzuweisen, daß die Ehe die Verklärung, nicht die Vernichtung der ersten Liebe, ihre Freundin, nicht ihre Feindin ist, und zum andern für die in den Augen aller andern sehr unbedeutende, aber für mich um so wichtigere Aufgabe, daß meine arme Ehe diese Bedeutung gehabt hat; denn dadurch finde ich Kraft und Mut, diese Aufgabe immer vollkommener zu lösen.
Und wenn ich beim nun der Untersuchung selber näher trete, so erfüllt es mich mit besondrer Freude, daß ich gerade Dir schreibe. Denn so gewiß ich keinem andern Menschen Mitteilungen über mein eheliches Verhältnis machten würde, so gewiß ist's, daß ich mein Herz Dir gegenüber mit ganzem Vertrauen erschließe. Verstummt zuweilen der Lärm der ringenden und arbeitenden Gedanken jener gewaltigen[361] Maschinerie, die Du in Dir trägst, dann kommen stille Augenblicke, die wohl anfangs durch ihre Stille fast ängstigen, aber doch bald eine wahre Erquickung gewähren. Möge diese Abhandlung Dich in einem solchen Augenblick treffen. Sorglos kann man Dir ja, solange die Maschine im Gang ist, alles anvertrauen. Denn dann hörst Du nichts. Aber ebensogut kann man Dir auch, ohne sich selber zu kompromittieren, alles erzählen, wenn Deine Seele stille ist und eine Sabbatruhe genießt. Da will ich auch von ihr sprechen, von welcher ich sonst nur mit der schweigenden Natur spreche, weil ich dann nur mich selber hören will. O, wie viel verdanke ich ihr, unter anderm auch das, daß ich freimütig für die erste Liebe und für die Ehe eintrete; denn was vermöchte ich mit all meiner Liebe und all meiner Gedankenarbeit, wenn sie mir nicht zu Hilfe käme, und was vermöchte ich, wenn sie mich nicht begeisterte! Und doch weiß ich sehr wohl, daß. Wenn ich ihr dies sagte, sie mir nicht glauben würde, ja vielleicht handelte ich thöricht, – wenn ich es ihr sagte, denn ich würde dadurch ihre tiefe und reine Seele trüben und bewegen.
* * *
Meine erste Aufgabe wird nun sein, mich und besonders Dich über die Ehe selber zu orientieren.
Das eigentlich Konstituierende, das Substantielle derselben ist offenbar die Liebe. Sobald diese weggenommen wird, ist die Gemeinschaft entweder nur eine Befriedigung sinnlicher Lust, oder eine Assoziation, eine Kompanieschaft zur Erreichung dieses oder jenes Zieles; aber die Liebe hat ja gerade die Bestimmung der Ewigkeit in sich, ob es nun die abergläubische, abenteuerliche, ritterliche Liebe ist, oder die tiefere sittliche, von einer kräftigen und lebendigen Zuversicht getragene religiöse Liebe.
Jeder Stand, auch der eheliche, hat seine Verräter. Ich meine natürlich nicht die Verführer, denn die sind ja nicht in den heiligen Ehestand eingetreten, – hoffentlich trifft diese Untersuchung Dich in einer Stimmung an, in welcher Du nicht über diesen Ausdruck lächelst –; auch meine ich nicht diejenigen, die durch eine Scheidung aus derselben leider herausgetreten sind; denn die hatten doch den Mut, offenbare Empörer zu werden; nein, ich meine diejenigen, die[362] nur in ihren Gedanken Aufrührer sind. Es aber nicht durch die That zu äußern wagen, jene erbärmlichen Ehemänner, die, wie Du einmal sagtest, Wahnsinnigen gleich in ihrem ehelichen Gewahrsam sitzen, und gegen das eiserne Gitter wütend, über die Süßigkeit der Verlobung und die Bitterkeit der Ehe phantasieren und mit einer gewissen boshaften Freude jedem, der sich verlobt, ihre Glückwünsche darbringen. Ich kann's Dir nicht sagen, wie verächtlich jene Menschen in meinen Augen sind, und wie sehr es mich ergötzt, wenn ein solcher Ehemann Dich in sein Vertrauen zieht, Dir alle seine Leiden erzählt und Dir all seine Lügen von der schönen Zeit der ersten Liebe auftischt, und sich noch mehr ärgert, wenn Du ihm sagst, Du würdest Dich wohl hüten, auf den Leim zu gehen, weil er Dich auch so gern in dein commune naufragium untergehen sähe. Ja, das sind die zärtlichen Familienväter mit ihren vier lieben Kindern, die sie gern – wie Du Dich auszudrücken liebst – zum Teufel schickten.
Sofern nun an dem, was sie sagen, etwas wahres ist, so müßte ja eine Scheidung zwischen Liebe und Ehe eintreten, also daß die erstere nur auf einen Moment beschränkt wäre, die letztere nur einen andern ausfüllte, aber beide unvereinbar wären. Man entdeckte dann auch bald, welcher Moment der Liebe gehörte – nämlich die Verlobung, die schöne Zeit der jungen Liebe. Mit einer gewissen niedrigkomischen Bewegung und Rührung wissen sie von jener Zeit zu schwärmen. Ich muß nun meinerseits gestehen, daß ich für die verliebten Näschereien der Verlobungszeit nie viel übrig gehabt habe, und je mehr man aus derselben macht, um so mehr scheint sie mir der Zeit ähnlich zu sein, welche viele Menschen vor dem Baden verschwenden: sie gehen am Wasser hin und der, versuchen es bald mit einer Hand, bald mit einem Fuß, und bald scheint's ihnen zu kalt, bald zu warm zu sein. Wäre die Brautzeit wirklich die schönste Zeit, so sehe ich wahrlich nicht ein, weshalb man sich verheiratet! Und doch verheiraten sie sich mit größtmöglicher spießbürgerlicher Präzision, wenn Tanten und Kousinen, Nachbarn und vis-à-vis es für passend halten. Nein, dann sind mir doch jene tollkühne Menschen lieber, die kühn ins Wasser springen. Das ist in der That immer etwas, ob auch die[363] Bewegung nicht so großartig, der Schauer des Bewußtseins nicht so erfrischend, die Reaktion des Willens nicht so energisch ist, als wenn ein kräftiger Mannesarm die Geliebte fest und doch zärtlich umschließt, mit aller Macht und doch auch wieder so, daß sie sich gerade in dieser Umarmung frei fühlt, um sich vor Gottes Angesicht ins Meer zu stürzen.
Hätte nun solche Trennung von Liebe und Ehe einen Grund für sich, und zwar nicht mir in den leeren Köpfen einiger thörichter Menschen, die ebensowenig wissen, was Liebe, wie was Ehe ist, dann sähe es allerdings mit der letztem traurig aus, und ich möchte kaum versuchen, das Ästhetische in der Ehe nachzuweisen. Aber was konnte dann wohl der Grund für die Berechtigung solcher Trennung sein? Entweder der, daß die Liebe sich überhaupt nicht durchs Leben retten ließe. Da hätten wir dasselbe feige Mißtrauen, das uns so oft in unfrei Zeit begegnet und meint, alle Entwickelung löse sich schließlich in ein Nichts auf. Nun will ich gern einräumen, daß eine solche schwache und armselige, ebenso unmännliche wie und weibliche Liebe – Du würdest sie in Deiner gewöhnlichen Unverfrorenheit eine Vierschillings-Liebe nennen – auch nicht einen einzigen Sturm des Lebens aushalten kann; aber daraus würde ja nichts für die Liebe und Ehe folgen, wenn sich beide gesund und natürlich entwickelten. Oder es wäre das Ethische und Religiöse, ohne welches eine Ehe nicht möglich ist, so unvereinbar mit der Liebe, daß sie aus diesem Grunde seinen Bund miteinander schließen konnten, wohl aber die Liebe sich siegreich durch das Leben kämpfen könnte, wenn sie allein in sich selber ruhen, sich allein auf sich selber verlassen dürfte.
Diese Betrachtung würde die Sache nun entweder zu dem unbewährten Pathos der unmittelbaren Liebe zurückführen, oder zur willkürlichen Laune des Individuums, das in eigner Kraft den Lauf vollenden zu können wähnte. Diese letztere Betrachtung, nach welcher das Ethische und Religiöse in der Ehe störend aufeinander wirken, verrät auf den ersten Blick einen gewissen Mannesmut, der die flüchtigen Beobachter leicht täuschen kann. Immerhin hat dieselbe aber, wenn sie auch auf einem Irrtum beruht, etwas ganz andres Sublimes an sich als die erstere in ihrer großen Erbärmlichkeit.[364]
Das Substantielle in der Ehe ist die Liebe. Aber was ist das Erste, die Liebe oder die Ehe, also daß in letzterm Fall die Liebe successiv nachkommt? Diese letzte Anschauung hat unter beschränkten Verstandesmenschen kein geringes Ansehen genossen, und ist nicht selten von klugen Vätern und noch klugem Müttern empfohlen worden. Da sie selber Erfahrungen gemacht zu haben meinen, sind sie der Ansicht, daß auch ihre Kinder dieselben Wege wandeln müßten. Das ist die Weisheit der Taubenhändler, die zwei Tauben, welche nicht die geringste Sympathie für einander haben, in ein kleines Bauer Sperren, und meinen, sie würden sich schon vertragen und – finden.
Also die Liebe ist das Erste. Aber nach dem, was wir im vorhergehenden angedeutet haben, ist die Liebe wieder von so zarter Natur, daß sie kaum die Berührung des wirklichen Lebens vertragen könnte, und wiederstehe ich vor dem schon früher erwähnten Punkt. Denn hier scheint nun die Verlobung in ihr Recht zu treten. Sie ist eine Liebe, die keine Wirklichkeit hat, sondern nur von der süßen Möglichkeit lebt. Das Verhältnis ist kein wirklich reales, seine Bewegungen sind ohne Inhalt, es bleibt immer bei denselben »nichtssagenden, verliebten Gestikulationen.« Je mehr nun diese nur fingierten Bewegungen die Verlobten anstrengen und ihre Kräfte erschöpfen, um so mehr werden sie wünschen, den ernsten Pflichten der Ehe zu entfliehen. Wenn nun aber der Verlobung ein notwendig daraus resultierendes wirkliches Verhältnis zu fehlen scheint, so wäre sie ja ein herrlicher Ausweg für diejenigen, die den Mut nicht haben, eine Ehe zu schließen. Vielleicht fühlen sie, wenn sie den entscheidenden Schritt thun wollen, das Bedürfnis, bei einer hohem Macht Hilfe zu suchen, und finden sich dann mit sich selber und mit dem Höheren ab; mit sich selber, indem sie sich auf eigne Verantwortung verloben, mit dem Höheren, indem sie sich dem Segen der Kirche, den sie fast abergläubisch wieder zu hoch schätzen, nicht entziehen. Wir haben vier wieder ein Schisma zwischen der Liebe und der Ehe, und zwar in seiner jämmerlichsten und unmännlichsten Gestalt. Doch kann eine solche Mißgeburt nicht auf falsche Wege leiten; ihre Liebe ist keine Liebe, ihr fehlt das Sinnliche Moment, das in der Ehe seinen Ausdruck gefunden hat; sie neutralisiert das Erotische[365] in einem Maße, daß eine solche Verlobung ebensogut zwischen Männern geschlossen werden könnte. Sobald sie dagegen, obgleich an dieser Scheidung festhaltend, das Sinnliche geltend macht, schlägt sie augenblicklich in die früher geschilderten Richtungen um. Eine solche Verlobung aber ist unschön, weil sie Gott zu betrügen versucht, sich etwas erschleichen will, wozu sie nach ihrer Meinung seiner Hilfe nicht bedarf, und sich ihm nur dann anvertraut, wenn sie fühlt, daß es anders nicht geht.
Die Ehe soll also die Liebe nicht ins Leben rufen, setzt sie vielmehr voraus, nur nicht als ein Vergangenes, sondern als ein Gegenwärtiges. Aber die Ehe hat ein ethisches und religiöses Moment in sich, das hat die Liebe nicht; die Ehe ist aus diesem Grunde auf Resignation basiert, das ist die Liebe nicht. Wenn man nun nicht annehmen will, daß jeder Mensch in seinem Leben eine doppelte Bewegung durchläuft, zuerst die, wenn ich so sagen darf, heidnische Bewegung, da die Liebe ihre Hütten aufschlägt, und dann die christliche, deren Ausdruck die Ehe ist, wenn man nicht der Ansicht ist, daß die Liebe vom Christentum ausgeschlossen werde, so muß der Beweis geführt werden, daß die Liebe sich mit der Ehe vereinigen läßt.
Also zuerst eine Untersuchung über die Liebe. Ich will hier an einen Ausdruck anknüpfen, der für mich immer eine schöne Bedeutung gehabt hat, obgleich Du ihn oft verspottet hast, wie er denn auch vor der Welt keine Gnade findet: die erste Liebe, und glaube mir, ich gebe nicht nach, wie Du es vermutlich auch nicht thun wirst, weshalb über unsrer Korrespondenz immer ein besonders Mißverhältnis schweben wird. Aber wenn ich dieses Wort nenne, denke ich stets an etwas, das in meinen Augen fast das Schönste auf Erden ist, und wie es für mich nichts Lächerliches hat, so auch nicht das Wehmütige, das es wohl für diesen oder jenen haben kann. Dieses Wehmütige braucht nicht krankhaft zu sein; beim das Krankhafte ist immer in sich selber unwahr. Es ist schön und das Zeichen eines gefunden Menschen, wenn er den Schmerz hat kennen lernen, der in einer unglücklichen ersten Liebe liegt, und doch seiner Liebe treu blieb, doch den Glauben an diese erste Liebe bewahrt; es ist schön, wenn er nach langen Jahren zuweilen recht lebhaft an dieselbe zurückdenkt,[366] und ist seine Seele auch stark und gesund genug gewesen, einem Leben in der Liebe zu entsagen und sich hohem Idealen zu ergeben, schön ist's doch, wenn er sich derselben wehmütig erinnert und es im tiefsten Herzen fühlt, daß sie zwar nicht das Vollkommene war, aber doch etwas sehr Großes und Herrliches. Und wieviel gesünder, schöner und edler ist diese Wehmut als die prosaische Verständigkeit, die mit allen solchen Kinderstreichen schon lange fertig geworben ist, jene teuflische Klugheit, da man sich einbildet, gesund zu sein, während man an einer auszehrenden Krankheit hinsiecht. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele ? Für mich hat dieses Wort »die erste Liebe« durchaus nichts Wehmütiges, höchstens nur einen kleinen Zusatz einer süßen Wehmut. Für mich ist's ein Feldruf, und obgleich ich schön mehrere Jahre verheiratet bin, nahe ich noch immer die Ehre, unter dem siegreichen Banner der ersten Liebe zu kämpfen.
Für Dich dagegen ist die Vorstellung: das Erste, seine Bedeutung, wie es hier über-, dort unterschätzt wird, eine rätselhafte Wellenbewegung. Bald bist Du einzig und allein begeistert vom Ersten. Du bist von der darin liegenden Konzentration so erfüllt, daß es das einzige ist, was Du willst. Du bist so durchglüht und entflammt, so liebeswarm, so träumerisch und fruchtbar, so herabsinkend wie eine Regenwolke, so mild wie die sanften Winde des Sommers, kurz, Du fühlst es, was es heißt, wenn Jupiter seine Geliebte in einer Wolke oder im Regen besucht. Was vergangen, ist vergessen, jede Beschränkung aufgehoben, wie ein Gladiator seinen Körper reckt und streckt, um ihn ganz in seiner Macht zu haben, wie er durch diese wollüftige Tortur, die ihn in den öligen andrer seiner Kraft zu berauben scheint, gerade recht stark wird, so bist auch Du jetzt in dem Zustande, in welchem Du die reinen Wonnen der vollkommenen Rezeptivität genießt. Bei der leisesten Berührung zittert und bebt dieser unsichtbare, weitgestreckte geistige Leib. In solchen Augenblicken jagst Du »dein Ersten« nach, das allein willst Du, ohne zu ahnen, daß es ein Widerspruch in sich selber ist, wenn man will, daß »das Erste« immer wieder zurückkehre. Was Du siehst, was Du genießt, ist doch stets nur ein Widerschein des Ersten, aber nicht das Erste selbst.[367]
Zu andern Zeiten bist Du dagegen so kalt, so scharf und schneidend wie ein Aprilwind, so sarkastisch wie der Reif, so verstandesdurchsichtig wie die Luft im Frühling zu sein pflegt, so trocken und unfruchtbar, so egoistisch zusammengeschnürt wie möglich. Und passiert es dann, daß ein Mensch von dem Ersten und von dem schönen, das in demselben liegt, mit Dir spricht, oder Dir vielleicht gar von seiner ersten Liebe erzählt, so wirst Du förmlich giftig. Nun machst Du das Erste lächerlich und nennst es das Thörichtste von allem, eine jener Lügen, die wie eine ewige Krankheit von einem Geschlecht zum andern forterben. Du wütest wie ein Herodes von einem Kindermord zum andern. Sich so an das Erste klammern nennst Du unmännliche Feigheit und behauptest, daß wahre liege in dem Erworbenen, nicht in dem Gegebenen. Ich erinnere mich noch sehr deutlich, daß Du mich einmal in einer solchen Stimmung besuchtest, Du stopftest Dir, wie gewöhnlich, die Pfeife, setztest Dich in den weichsten Sessel, legtest die Beine auf einen andern Stuhl, wühltest in meinen Papieren, die ich Dir dann wegnahm, und rühmtest ironisch die erste Liebe und all das Erste, selbst »die ersten Schläge, die mir der Lehrer gab,« dann flötetest Du ein Lied, stießest den Stuhl, auf dem Deine Füße lagen, weit von Dir weg und entferntest Dich.
Bei Dir sucht man in der That vergebens zu erfahren, was hinter dem geheimnisvollen Wort »das Erste« steckt, und doch hat dasselbe immer und überall in der Welt eine eminente Bedeutung gehabt, und so wird's bleiben zu allen Zeiten. Welche Bedeutung dieses Wort für den Einzelnen hat, ist eigentlich für seinen ganzen Geisteszustand entscheidend, während man anderseits, wo es von gar keiner Bedeutung ist, sicher annehmen darf, daß seine Seele von dem Höheren nicht berührt und durchschauert wird. Für diejenigen aber, denen »das Erste« von Bedeutung gewesen ist, liegen zwei Wege offen. Entweder enthält das Erste eine Verheißung des Zukünftigen und ist der unendliche Impuls. Das sind die glücklichen Individualitäten, denen das Erste nichts andres als das Gegenwärtige ist, aber das Gegenwärtige das sich stets entfaltende und verjüngende Erste. Oder die Kraft, die in dem Ersten liegt, wird nicht die treibende, bewegende Kraft im Individuum, sondern die abstoßende.[368] Das sind die unglücklichen Individualitäten, die sich stets mehr und mehr vom »Ersten« entfernen. Das letztere kann natürlich ohne eigne Schuld des Individuums niemals total geschehen.
Mit dem Worte »das Erste« verbinden alle von der Idee berührten Menschen eine erhabene Vorstellung, während es nur in Dingen, die einer niedern Sphäre angehören, das schlechteste bedeutet. Dir wird's da an Beispielen nicht fehlen: die erste Korrektur, das erste Mal, da man einen neuen Rock angezogen hat u.s.w. Mit je größerer Wahrscheinlichkeit man nämlich etwas wiederholen kann, um so geringere Bedeutung hat das Erste, und je geringer die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung ist, um so größer ist die Bedeutung des Ersten, und anderseits, je bedeutungsvoller das ist, was sich in seinem Ersten zum erstenmal ankündigt, desto unwahrscheinlicher ist's, daß es wiederholt werden kann. Ist es nun gar etwas Ewiges, so verschwindet alle Wahrscheinlichkeit, daß es sich wiederholen wird. Wenn man daher mit einem gewissen wehmütigen Ernst von der ersten Liebe gesagt hat, daß sie sich niemals wiederholen lasse, so will man damit die Liebe durchaus nicht herabsetzen, sondern sie vielmehr als eine ewige Macht preisen. Gott ist nur einmal Fleisch geworden, und vergebens wird man auf eine Wiederholung dieses Wunders warten. Im Heidentum konnte es öfter geschehen, aber gerade aus dem Grunde, weil es keine wahre Inkarnation war. Nur einmal wird der Mensch geboren, eine Wiederholung ist nicht wahrscheinlich. Die Seelenwanderung verkennt die Bedeutung der Geburt. Ich will durch einige Beispiele näher darlegen, was ich meine. Das erste Grün, die erste Schwalbe begrüßen wir mit einer gewissen feierlichen Freude. Der Grund liegt indessen in der Vorstellung, die sich daran knüpft. Es ist also das, was im Ersten sich ankündet, etwas andres, als dieses Erste selber, die einzelne erste Schwalbe. Ich kenne einen Kupferstich, der Kain in dem Augenblick darstellt, in welchem er Abel erschlägt. Im Hintergründe stehen Adam und Eva. Ob der Stich selber Wert hat, weiß ich nicht, aber die Unterschrift hat mich immer interessiert: prima caedes, primi parentes, primus luctus. Hier hat das Erste wieder eine tiefe Bedeutung, und hier ist's das Erste selber, worüber wir reflektieren,[369] jedoch mehr mit Rücksicht auf die Zeit als mit Rücksicht auf den Gehalt, weil hier nicht die Kontinuierlichkeit sichtbar wird, da mit dem Ersten das Ganze gefetzt ist. Noch ein Beispiel. Wie bekannt haben mehrere strenge Sekten der christlichen Kirche aus dem Wort des Hebräerbriefes, nach welchem »unmöglich ist, daß die, so einmal erleuchtet sind – – – und abfallen – – – sollten wiederum erneuert werden zur Buße,« beweisen wollen, daß Gottes Gnade ihre Grenzen habe. Hier erhielt das Erste seine ganze tiefe Bedeutung. In diesem Ersten offenbarte sich das ganze christliche Leben, und wer dann wieder auf falsche Wege geriet, der war verloren. Aber hier ist das Ewige zu sehr in zeitliche Bestimmungen hineingezogen. Jedoch kann uns dieses Beispiel lehren, wie das Erste das Ganze ist, der ganze Gewalt. Aber wenn nun das, was sich im Ersten andeutet, auf einer Synthese des Zeitlichen und Ewigen beruht, so wird das, was ich im vorhergehenden entwickelt habe, in seiner Wahrheit erwiesen. Im Ersten ist das Ganze implicite und kata krypsin vorhanden. Und wieder schäme ich mich nicht, das Wort: die erste Liebe in den Mund zu nehmen. Für die glücklichen Individualitäten ist die erste Liebe zugleich die zweite, die dritte, die letzte; die erste Liebe hat hier eine Ewigkeitsbestimmung; für die unglücklichen Individualitäten ist die erste Liebe das Moment, welches eine Bestimmung des Zeitlichen in sich schließt. Für jene ist die Liebe immer ein Ewigkeitsbestimmung; für diese ein Vergangenes. Sofern die glücklichen Individualitäten nicht ohne Reflexion sind, wird diese sich gegen das Ewige in der Liebe richten und die Liebe selber stärken; richtet sich die Reflexion aber auf das Zeitliche, sie zerstören. Dem, der zeitlich reflektiert, wird der erste Kuß z.B. ein Vergangenes sein (wie Byron es in einem kleinen Gedicht gethan hat), dem, der ewig reflektiert, wird er eine ewige Möglichkeit sein.
So viel über das Prädikat, das wir der Liebe gegeben haben. Ich gehe nun weiter und betrachte die erste Liebe näher.
Daß solche Philister, die da meinen, nun sei es Zeit, sich noch einer Lebensgefährtin umzusehen oder umzuhören – vielleicht gar in einer Zeitung –, daß sie sich ein für allemal von der ersten Liebe ausgeschlossen haben, und daß ein solcher philiströser Zustand nicht[370] der richtige ist und der ersten Liebe nicht den Weg bereitet, das ist doch wohl einleuchtend. Es wäre ja denkbar, daß Eros barmherzig genug wäre und auch einen solchen Menschen verliebt machte – ich kannte ihm den Streich schon zutrauen –, ja barmherzig wäre er, wenn er ihm das höchste Gut schenkte; denn die erste Liebe ist immer, selbst wenn sie unglücklich ist, das höchste Gut, aber es wäre doch eine Ausnahme.
Will man den Hohepriestern der Musik glauben, und diese stehen in der Beziehung den Gläubigen wohl am nächsten, und hier wieder auf Mozart achten, so muß der Zustand, welcher der ersten Liebe vorausgeht, wohl als ein solcher beschrieben werden, der daran erinnert, daß die Liebe blind macht. Das Individuum wird wie blind, man kann es ihm fast ansehen, es bricht in sich zusammen, schaut in sich selber hinein, während es doch immer in die Welt hineinzusehen sucht, die Welt blendet ihn, und doch starrt er in die Welt hinein. Das ist jener träumerische und doch suchende Zustand, den Mozart in dem Ragen in Figaros Hochzeit ebenso sinnlich wie seelenvoll beschrieben hat. Im Gegensatz dazu ist die erste Liebe ein absolutes Wachen, ein absolutes Schauen, daran muß man festhalten, um ihr nicht Unrecht zu thun. Sie richtet sich ja auf einen einzigen bestimmten wirklichen Gegenstand, der ganz allein für sie emittiert, alles andre existiert für sie nicht, und dieser eine Gegenstand existiert nicht in unbestimmten Umrissen, sondern als ein bestimmtes lebendes Wesen. Diese erste Liebe hat ein Moment der Sinnlichkeit und Schönheit in sich, ist aber doch nicht nur sinnlich. Das ist die Notwendigkeit in der ersten Liebe. Wie alles Ewige hat sie ein Doppeltes in sich: sie schaut zurück in eine Ewigkeit und sieht sich da, und sie blickt auch vorwärts in eine Ewigkeit hinein und sieht da wieder ihr eignes Bild. Das ist das wahre in dem, was die Dichter oft so schon besungen haben: es ist den Liebenden sogar schon im ersten Augenblick, in welchem sie einander gesehen haben, als hätten sie sich wer weiß, wie lange geliebt. Das ist das wahre in der unverbrüchlichen Treue eines Ritters, der nichts fürchtet, dem nicht bange wird, und wenn ihm auch noch so viel trennende Mächte entgegentreten. Ader wie aller Liebe Wesen eine Einheit von Freiheit[371] und Notwendigkeit ist, so auch hier. Das Individuum fühlt sich gerade in dieser Notwendigkeit frei, fühlt seine ganze individuelle Energie, fühlt, daß es alles, was es ist, gerade in derselben besitzt. Daran kann man daher auch unverkennbar sehen, ob ein Mensch in Wahrheit verliebt gewesen ist. Denn es liegt darin eine himmlische Klarheit, die alles verklärt und das ganze Leben hindurch ihren Schein nicht verliert. In einem solchen Menschen ist alles, was sonst getrennt ist, harmonisch verbunden; er ist in einem Augenblick jünger und älter als gewöhnlich, er ist ein Mann und doch ein Jüngling, ja fast ein Kind, er ist stark und doch so schwach! Ja, wir preisen diese erste Liebe hoch, denn sie gehört zu dem Schönsten, was es in der Welt gibt; aber es fehlt uns auch der Mut nicht, weiterzugehen, denn sie muß sich im Leben versuchen. Doch damit haben wir es zunächst nicht zu thun.
Schon hier ließe sich ein ähnlicher Zweifel denken, wie er uns später noch einmal im Verhältnis zwischen der ersten Liebe und der Ehe entgegentreten wird. Ein religiös entwickeltes Individuum ist's ja gewohnt, olles auf Gott zurückzuführen, jedes innige Verhältnis mit einem Gottesgedanken zu durchdringen und zu erfüllen, und es dadurch zu heiligen und zu veredelen. (Diese Äußerung ist hier natürlich oblique.) Insofern könnte es also bedenklich erscheinen, solche Gefühle ins Bewußtsein treten zu lassen, ohne es mit Gott zu überlegen; aber überlegt man es mit Gott, so ist das Verhältnis ja alteriert. Diese Schwierigkeit läßt sich jedoch leicht heben; denn da es in der Natur der ersten Liebe liegt, zu überraschen und die Frucht der Überraschung eine willkürliche ist, so sieht man nicht ein, wie ein solches Überlegen mit Gott möglich wäre.
Aber könnte man nicht dieser ersten Liebe vorgreifen, sofern sie als solche kein Verhältnis zu Gott kennt? Ich kann hier mit einigen Worten die Ehen berühren, in denen das, was zum entscheidenden Schritt führt, in die Hand eines andern gelegt wird, und das Individuum noch nicht zur Freiheit der Wahl gekommen ist. Das tritt und am traurigsten da entgegen, wo das Individuum durch Zauberei oder andre Künste, oft in Verbindung mit Naturmächten, den Gegenstand seiner Liebe hervorzuziehen sucht. Edler ist, was[372] man in strengerem Sinn des Wortes die religiöse Ehe nennen müßte. (Der Ehe fehlt in ihrer Liebe natürlich nicht das Religiöse, sie hat aber zugleich das erotische Moment.) Wenn Isaak es so in aller Demut und mit allem Vertrauen Gott überläßt, ihm ein Weib zu wählen, und in diesem Glauben seinen Diener aussendet, sich jedoch selber nicht umsieht, weil er es weiß, daß sein Schicksal in Gottes Hand ruht, so ist das gewiß sehr schön, aber dem Erotischen geschieht doch sein Recht eigentlich nicht. Nun darf man aber nicht vergessen, daß der Gott der luden, wie abstrakter sonst auch war, seinem Volke und insonderheit den Auserwählten desselben in allen Lebensverhältnissen so nahe war, und ob auch ein Geist, doch nicht so geistig war, daß er sich um das Irdische nicht bekümmert hätte. Isaak durste daher wohl bis zu einem gewissen Grade mit Sicherheit darauf rechnen, daß Gott ihm ein junges und schönes, angesehenes und liebenswürdiges Wesen aussuchen werde; aber trotzdem entbehren wir das Erotische, selbst wenn Isaak die ihm von Gott Erwählte mit der ganzen Macht jugendlicher Leidenschaft liebte. Es fehlte eben die Freiheit. Im Christentum sieht man zuweilen eine unklare und doch gerade durch diese Unklarheit und Zweideutigkeit ansprechende Mischung des Erotischen und Religiösen, in der uns ebenso viele mutwillige Schelmerei wie kindliche Frömmigkeit entgegentritt. Man findet dieselbe natürlich am meisten im Katholizismus, und bei uns am reinsten im Volke. Denk Dir – und ich weiß, daß Du es mit Vergnügen thun wirst, denn es ist ja eine Situation – also denk Dir ein kleines Bauernmädel mit kecken und doch schüchtern sich senkenden Augen, gesund und frisch blühend, während in ihrem Teint zugleich etwas ist, was eine höhere Gesundheit verrät; denk sie Dir in einer Weihnachtsnacht; sie ist allein auf ihrer Kammer, Mitternacht ist schon vorüber, und doch flieht sie der Schlummer, der sie sonst so treulich besucht; sie öffnet das Fenster und schaut hinaus in den unendlichen Raum, hinauf zu den schweigenden Sternen, ein leiser Seufzer macht ihr das Herz gar leicht und sie schließt das Fenster wieder. Mit einem Ernst, der sich aber jeden Augenblick in fröhliche Schelmerei verwandeln kann, bittet sie die heiligen drei Könige, sie möchten ihr den zeigen, dessen Namen sie tragen, dessen Braut sie einmal sein solle – und gesund[373] und munter springt sie ins Bett. Aufrichtig gesagt, die heiligen drei Könige müßten sich schämen, wenn sie sich ihrer nicht freundlich annehmen wollten. Auch können wir uns nicht entschuldigen und etwa sagen, man wisse ja nicht, wen sie wünsche; o, sie weiß es sehr gut, wenigstens – sonst müßten alle Zeichen trügen – weiß sie es so einigermaßen.
wir kehren also zur ersten Liebe zurück. Sie ist die Einheit von Freiheit und Notwendigkeit. Das Individuum fühlt sich mit unwiderstehlicher Macht zu einem andern Individuum hingezogen, oder fühlt eben darin seine Freiheit. Sie ist die Einheit des Allgemeinen und Besondren, sie hat das Allgemeine als Besonderes, sogar bis zur Grenze des Zufälligen. Aber das alles hat sie nicht in Kraft einer Reflexion, sondern unmittelbar. Je bestimmter die erste Liebe nach dieser Richtung hin ist, um so gesünder ist sie, um so wahrscheinlicher, daß es wirklich eine erste Liebe ist. Mit einer unwiderstehlichen Macht ziehen sie einander an, und doch genießen sie darin die volle Freiheit. Ich habe nun keine grausamen Väter zur Hand, keine Sphinxe, die erst besiegt werden müssen, ich bin reich genug, um die Liebende auszusteuern – es ist ja nicht meine Aufgabe, wie die Romanschreiber und Theaterdichter sie sich fetzen, zur plage der ganzen Welt, der Liebenden sowohl, wie der Leser und Zuschauer, die Zeit so endlos auszudehnen –, also in Gottes Namen, laßt sie zusammen kommen. Du siehst, ich spiele den edlen Vater, in der That an und für sich eine sehr schöne Rolle, wenn wir sie nur nicht selber so oft lächerlich machten. Vielleicht bemerktest Du, daß ich nach Väter Weise das kleine Wort »in Gottes Namen« hinzufügte. Das verzeihst Du nun wohl einem alten Mann, der es vielleicht niemals gewußt, was die erste Liebe ist, oder es schon lange vergessen hat; aber wenn der jüngere Mann, der sich noch für die erste Liebe begeistern kann, das so hervorhebt, so wundert es Dich.
Die erste Liebe hat also die ganze unmittelbare, geniale Sicherheit in sich, sie fürchtet keine Gefahr, sie trotzt der ganzen Welt, und ich wünsche ihr nur, daß es ihr immer so leicht gehen möge wie in casu; denn ich lege ihr ja keinen Stein in den Weg. Vielleicht erweise ich ihr damit keinen Dienst, und wenn man sich umsieht, falle[374] ich wohl gar aus dem Grunde in Ungnade. Das Individuum ist in der ersten Liebe im Besitz einer unglaublichen Macht, und es ist demselben daher ebenso unangenehm, wenn er keinen Widerstand findet, als es dem Mutigen unangenehm sein würde, wenn er mit einem Schwert in der Hand, das Felsen zerschlagen Knute, in sandiger Gegend wäre, wo er nicht einmal einen Zweig von einem Baume schlagen könnte. Die erste Liebe ist also sicher genug, sie braucht keine Stütze; brauchte sie die, würde der Ritter sagen, so wäre sie nicht mehr die erste Liebe. Das dürfte klar genug sein, aber zugleich leuchtet es auch ein, daß ich in einen Zirkel hineingekommen bin. Wir sahen im vorhergehenden wohl, daß es der Fehler der romantischen Liebe war, daß sie bei der Liebe als einem abstrakten An-sich flehen blieb, und daß alle Gefahren, die sie sah und wünschte, nur von außen der kamen und die Liebe selbst ganz und gar nicht berührten. Zugleich erinnerten wir daran, daß, wenn die Gefahren von innen der kamen, die Sache schon viel bedenklicher werde. Aber darauf würde der Ritter natürlich antworten: ja wenn, aber wie sollte das möglich sein, und wäre es möglich, dann wäre es nicht mehr die erste Liebe.
Du siehst, die Frage wegen der ersten Liebe ist nicht so einfach. Ich könnte nun bemerken, es sei ein Mißverständnis, wenn man annehme, daß die Reflexion nur vernichte, da sie ebenso sehr errette und bewahre. Da ich aber zunächst nachweisen wollte, daß die erste Liebe mit der Ehe bestehen kann, so will ich jetzt näher erklären, was ich bisher nur andeutete, daß sie nämlich in eine höhere Konzentrizität aufgenommen werden kann, und daß dazu der Zweifel noch nicht nötig ist. Später werde ich es erweisen, daß die erste Liebe ihrem Wesen nach historisch werden muß, und daß die Bedingung dafür gerade die Ehe ist, sowie auch, daß die romantische erste Liebe uns historisch ist, wenn man auch mit den Heldenthaten der Ritter Folianten anfüllen könnte.
Die erste Liebe ist also in sich selber unmittelbar sicher; aber die Individuen sind zugleich religiös entwickelt. Das darf ich voraussetzen, ja ich muß es voraussetzen, wenn ich nachweisen soll, daß die erste Liebe und die Ehe miteinander bestehen können. Etwas ganz[375] andres ist es natürlich, wenn eine unglückliche erste Liebe die Individuen lehrt, zu Gott hinzufliehen und Sicherheit in der Ehe zu suchen. Da ist die erste Liebe alteriert, wenn es auch möglich wäre, sie von neuem zu etablieren. Sie sind's also gewohnt, alles auf Gott zurückzuführen, was natürlich in sehr verschiedener Weise geschehen kann. Natürlich ist es hier nicht die Trübsal, auch nicht Angst und Furcht, die sie ins Gebet treibt: ihr Herz, ihr ganzes Wesen ist voller Freude und Wonne, was ist da natürlicher, als daß sie ihm dafür danken. Sie fürchten nichts; äußere Gefahren haben ja keine Macht über sie, und die innern Gefahren? O, die kennt die erste Liebe gar nicht. Aber durch die Opfer des Dankes, die die erste Liebe bringt, wird sie nicht verändert, keine störende Reflexion ist hinzugetreten, sie ist in eine höhere Konzentrizität aufgenommen. Aber der Dank, den wir opfern, ist wie alles Gebet mit dem Moment einer That verbunden, nicht in äußerm, sondern in innerm Sinn: hier ist's der ernste Wille, an dieser Liebe festhalten zu wollen. Dadurch ist das Wesen der ersten Liebe nicht verändert, sie hat ihre ganze Gewißheit in sich selber, und ist nur, wie gesagt, in eine höhere Konzentrizität aufgenommen. In dieser letztern weiß sie vielleicht gar nicht, welche Gefahren ihr drohen, und doch ist sie durch den guten Vorsatz, der auch gewissermaßen eine erste Liebe ist, in das Ethische hineingezogen.
So haben wir denn nun die erste Liebe in ein Verhältnis zum Ethischen und Religiösen gesetzt und wir sahen, daß ihr Wesen dadurch nicht alteriert zu werden brauchte. Aber ich kenne Dich zu gut, um hoffen zu dürfen, daß ich »Dich so absteifen könnte.« Du gleichst in gewissem Sinn einem Lotsen, und bist doch gerade das Gegenteil eines solchen. Ein Lotse kennt die Gefahren und führt das Schiff sicher zum Hafen; Du kennst den Grund des Meeres und setzt das Schiff immer auf den Grund. Du wirst mir vielleicht sagen, ich hätte es ja ganz unbestimmt gelassen, welchen Gott ich gemeint – daß es nicht ein heidnischer Eros war, der so gern in die Liebesgeheimnisse eingeweiht werden wollte und dessen ganze Existenz schließlich nur die eigne Stimmung der Liebenden reflektierte, sondern daß es der Christen Gott war, der, selber ein Geist, alles haßt, was[376] nicht aus dem Geiste ist. Du würdest mir erwidern, das Christentum sei ja eine Negation der Schönheit und der Sinnlichkeit, würdest beiläufig bemerken, daß es den Christen ja gleichgültig sei, ob Christus häßlich oder schön gewesen sei; und Du würdest mich bitten, mit meiner Orthodoxie nicht zu den geheimen Rendezvous der Liebe zu kommen, vor allem aber, Dich mit meinen Vermittelungsversuchen zu verschonen, denn die gefielen Dir noch viel weniger als die krasseste Orthodoxie.
Ja gewiß, mein junger Freund, der Gott der Christen ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten, und es ist Feindschaft gesetzt zwischen Fleisch und Geist; aber das Fleisch ist nicht das Sinnliche, sondern das Selbstische, und in diesem Sinn kann auch das Geistige sinnlich werden. Wenn z.B. ein Mensch seine Geistesgaben im Dienst der Eitelkeit gebraucht, so ist er fleischlich gesinnt. Und wohl weiß ich, daß es den Christen nicht darauf ankommt, ob Christus eine schöne Gestalt gewesen ist oder nicht; aber aus dem allen folgt doch keineswegs, daß die Sinnlichkeit im Christentum vernichtet ist. Die erste Liebe hat das Moment der Schönheit in sich, und die Freude, die in der unschuldigen Sinnlichkeit liegt, kann wohl im Christentum einen Platz finden. Aber vor einem wollen wir uns hüten, vor einem Abweg, der gefährlicher ist als der, dem Du entgehen möchtest, – laßt uns nicht zu geistig werden. Versteht sich, man darf es nicht Deiner Willkür überlassen, wie Du das Christentum auffassen willst. Wäre Deine Auffassung die richtige, so wäre es ja das beste, wenn wir zu den Selbstkasteiungen zurückkehrten, die wir in den mystischen Ausschweifungen kennen gelernt haben, um durch dieselben alles Leibliche zu vernichten; selbst die Gesundheit würde da ja verdächtig werden. Aber welcher Christ hätte nicht schon Gott gebeten, seine Gesundheit zu erhalten; oder beten wir nicht zu dem Gott, der umherging und heilte allerlei Kranke im Volke? Sonst hätten die Aussätzigen es sich verbitten müssen, daß Christus sie heilte; denn in ihrem Aussatz waren sie ja der Vollkommenheit am nächsten. Je einfältiger und kindlicher ein Mensch ist, um so mehr kann er auch beten; und da es unter anderm auch zum Wesen der ersten Liebe gehört, daß sie kindlich ist, so sehe[377] ich nicht ein, warum sie nicht beten, oder richtiger, um nicht über die Resultate, die wir gefunden haben, hinauszugehen, warum sie Gott nicht danken dürfte, ohne daß ihr Wesen dadurch alteriert würde.
Aber Du hast vielleicht noch mehr auf Deinem Gewissen? Laß hören! oder willst Du mir etwa sagen, wenn ich jetzt oder auch später dieses oder jenes Deiner Worte anführe: »Nein, so habe ich mich nicht ausgedrückt.« Ich antworte darauf: Mag sein, aber mein guter Herr Observator muß es einem armen Ehemann verzeihen, wenn er sich erkühnt, ihn zum Gegenstand seiner Observation zu machen. Du verwahrst etwas in Dir, was Du nie rein heraussagst; daher kommt es, daß Dein Ausdruck so viel Energisches, so viel Elastizität hat, weil er auf ein Mehr hindeutet, das Du ahnen läßt, einen noch schrecklichern Ausbruch Deiner Gedanken. –
Also Du hast gefunden, was Deine Seele suchte, was sie in so vielen mißglückten Versuchen zu finden glaubte, Du hast ein Mädchen gefunden, in welchem Dein ganzes Wesen zur Ruhe kommt; und wenn Du auch schon manches erfahren hast, es ist doch Deine erste Liebe; davon bist Du überzeugt. »Sie ist schön« – natürlich; »reizend« – und wie! »und doch liegt ihre Schönheit nicht in dem Normalen, sondern in der Einheit des Mannigfaltigen, in dem Zufälligen, in dem Widersprechenden ihres Wesens;« »Sie ist seelenvoll« – das kann ich mir denken; »sie kann sich einem Eindruck hingeben, daß es einem fast schwarz vor Augen wird; sie ist leicht, kann wie ein Vogel auf einem Zweige schweben, sie hat Geist, Geist genug, um ihre Schönheit im rechten Lichte glänzen zu lassen, aber mehr auch nicht,« Der Tag ist angebrochen, an dem Du in den Besitz von dem allen treten sollst, was Du in der Welt Dein eigen nennst; der Besitz ist Dir übrigens sicher genug. Du hast Dir die Gunst erbeten, ihr die letzte Ölung erteilen zu dürfen. Schon lange hast Du im Speisezimmer der Familie gewartet, eine rasche Kammerjungfer, vier bis fünf neugierige Kousinen, eine ehrwürdige Tante, ein Friseur sind schon mehrere Mal an Dir vorübergeeilt. Du bist recht ärgerlich geworden. Da öffnet sich leise die Thür zum Wohnzimmer, Du wirfst einen flüchtigen Blick hinein, es freut Dich,[378] daß Du keine Seele in demselben findest, daß sie so viel Takt gehabt hat, sogar aus diesem Zimmer schon alle zu entfernen, die da nichts verloren haben. Sie ist schön, schöner denn je, es ist Dir, als umschwebten sie jene reinen, seligen Geister aus der Harmonie der Sphären. Du bist erstaunt, sie übertrifft selbst Deine kühnsten Träume, auch Du bist wie verwandelt, aber Deine feine Reflexion verbirgt augenblicklich Deine Bewegung, Deine Ruhe wirkt noch verführerischer auf sie, wirft ein Verlangen in ihre Seele, die ihre Schönheit interessant macht. Du näherst dich ihr; auch ihre Toilette verleiht der Situation den Stempel des Ungewöhnlichen. Noch hast Du kein Wort gesagt; Du befestigst auf ihrer Brust einen Schmuck, den Du ihr bereits an jenem ersten Tage geschenkt hast, an welchem Du sie zum erstenmal mit einer Leidenschaft küßtest, die in diesem Augenblick ihre Bekräftigung sucht; sie hat ihn selbst verwahrt, niemand wußte es. Du nimmst ein kleines Boukett und reichst es ihr – es sind nur einfache Blumen, aber sie liebte sie so besonders. Eine Thräne zittert in ihrem Auge, sie gibt Dir das Boukett wieder, Du küßt es und befestigst es an ihrer Brust. Eine gewisse Wehmut breitet sich über ihr aus. Du bist selbst bewegt. Sie tritt einen Schritt zurück, betrachtet fast zürnend den Schmuck, der sie beschwert, und stürzt in Deine Arme. Sie kann sich nicht wieder losreißen, sie umschließt Dich mit einer Heftigkeit, als wollte eine feindliche Macht sie Dir entreißen. Ihr zarter Schmuck ist zerdrückt, ihre Haare haben sich gelöst, im selben Augenblick ist sie verschwunden. Wieder bist Du Deiner Einsamkeit überlassen, sie wird nur durch eine rasche Kammerjungfer, vier bis fünf neugierige Kousinen, eine ehrwürdige Tante und durch einen Friseur unterbrochen. Da öffnet sich die Thür zum Wohnzimmer, sie tritt ein, und ein stiller Ernst liegt in ihrer ganzen Erscheinung. Du drückst ihre Hand, verläßt sie, um sie – am Altar des Herrn wiederzusehen. Das hattest Du vergessen. Du, der Du so vieles überlegt, auch bei andern Gelegenheiten über diese heilige Handlung reflektiert hast, hattest es in Deiner erotischen Stimmung vergessen. Eine innere Angst ergreift Dich. »Wie, diese Jungfrau, deren Seele so rein ist wie das Licht des Tages, erhaben wie der hohe Himmel, unschuldig wie das Meer,[379] diese Jungfrau, vor der ich anbetend niedersinken könnte, sie, deren Liebe – ich fühle es im tiefsten Herzen – mich aus dem ganzen. Labyrinth des Lebens herausreißen und mich von neuem gebären stante, sie soll ich zum Altar des Herrn hinaufführen, sie soll als eine Sünderin dastehen, und es soll von ihr und zu ihr gesagt werden, daß es Eva war, die Adam verführte. Sie, vor der meine stolze Seele sich beugt, soll es hören, daß ich ihr Herr sei und daß sie ihrem Manne unterthan sein müsse! Der Augenblick ist gekommen, schon streckt die Kirche ihre Arme nach ihr aus, und ehe ich sie aus ihren Händen zurürckerhalte, will sie einen Brautkuß auf ihre Lippen drücken, nicht den Kuß, für den ich die Schätze der ganzen Welt geben würde; schon streckt sie ihre Arme nach ihr aus, um sie zu umarmen; aber durch diese Umarmung verwelkt all ihre Schönheit, und dann will sie sie mir hinwerfen und mir sagen: Seid fruchtbar und mehret euch. Was ist das für eine Macht, die sich zwischen mich und meine Braut zu drängen wagt, sie, die ich selber gewählt habe, und die mich gewählt hat? Und diese Macht will ihr befehlen, mir treu zu bleiben bis an den Tod? Bedarf sie denn eines solchen Befehles? Und wenn sie mir nur treu bliebe, weil eine dritte Macht, die sie in der Stunde mehr liebte als mich, es ihr befahl? Und sie befiehlt mir, ihr treu zu bleiben! Braucht man mir das zu befehlen, mir, der ich ihr von ganzer Seele angehöre? Und diese Macht bestimmt unser Verhältnis zueinander, sie sagt, ich solle befehlen und sie solle gehorchen; aber wenn ich nun nicht befehlen will, wenn ich mich dazu zu arm und niedrig fühle! Nein, ihr will ich gehorsam sein, ihr Wink ist mir ein Befehl, aber unter eine fremde Macht will ich mich nicht beugen. Nein, ich will mit ihr entfliehen, weit, weit weg, solange es noch Zeit ist, und ich will die Nacht bitten, daß sie uns verbirgt, und die stummen, schweigsamen Wolken, daß sie uns Märchen in kühnen Bildern erzählen, wie es sich für eine Hochzeitsnacht ziemt, und unter dem hohen Himmelsdom will ich mich in ihren Reizen berauschen, allein mit ihr sein, allein in der ganzen Welt, und will mich hinabstürzenden Abgrund ihrer Liebe; meine Lippe ist stumm, denn die Wolken sind meine Gedanken, und meine Gedanken sind Wolken; und ich will alle Mächte des Himmels und[380] der Erde anrufen und beschwören, daß mich nichts in meiner Seligkeit störe; ich will ihnen einen Eid abnehmen und sie sollen es mir schwören. Ja weg, weit, weit weg, daß meine Seele wieder gesund werden, meine Luft wieder atmen kann, damit ich in dieser schwülen Luft nicht ersticke – weg, weg«. – Ja weg, das möchte ich auch sagen: procul, o procul este profani! Aber hast Du es auch bedacht, ob sie Dir auf dieser Expedition folgen will? »Das Weib ist schwach;« nein, sie ist demütig, das Weib steht Gott viel näher als der Mann. Dazu kommt, daß die Liebe für sie alles ist, und sie wird gewiß den Segen nicht verschmähen, und das Amen, das Gott freundlich zu dem Bunde ihres Herzens sprechen will. Überhaupt ist es gewiß niemals einem Weibe eingefallen, etwas wider die Ehe zu haben, und es wird ihr in Ewigkeit nicht einfallen, es sei denn, daß der Mann sie zuvor verdorben habe; denn ein emanzipiertes Weib könnte wohl solche Wünsche in ihrer Brust tragen. Das Ärgernis geht immer vom Manne aus; denn der Mann ist stolz, er will alles sein und nichts über sich haben.
Daß diese Schilderung fast ganz auf Dich paßt, wirst Du gewiß nicht leugnen; und thätest Du es, Du müßtest wenigstens einräumen, daß sie auf diejenigen paßt, welche jener Richtung huldigen. Absichtlich habe ich in den Ausdrücken etwas geändert; denn auf richtig gesprochen, wie leidenschaftlich auch die dort geschilderte Liebe sein mag, mit wie großem Pathos sie auch auftritt, sie ist doch zu reflektiert, zu sehr mit der Koketterie bei Liebe vertraut, als daß man sie die erste Liebe nennen dürfte. Eine erste Liebe ist demütig und freut sich daher, daß es eine höhere Macht gibt als sie selber, und wär's nur aus dem Grunde, um jemandem recht von Herzen danken zu können. Deshalb findet man eine reine erste Liebe auch viel seltener bei Männern als bei Frauen. Eine Analogie dazu fand sich ja selbst bei Dir. Sagtest Du nicht, daß Du alle Mächte Himmels und der Erde beschwören wolltest? – was ist das anders, als der Wunsch, einen hohem Ausgangspunkt für Deine Liebe zu suchen! Nur ist's bei Dir ein höchst willkürlicher Fetischismus.
Das erste also, was Dich so sehr ärgerte, war dies, daß Du feierlich als ihr Herr eingesetzt werden solltest. Wie wenn Du es[381] nicht schon wärst, und vielleicht zu sehr wärest. Aber trotzdem willst Du die abgöttische Koketterie nicht fahren lassen, ihr Sklave zu scheinen, wählend Du es wohl fühlst, daß Du ihr Herr bist.
Das andre, was Deine Seele empörte, war das, daß Deine Geliebte für eine Sünderin erklärt werden solle. Du bist Ästhetiker und ich könnte versucht sein, Dich zu fragen, ob nicht gerade dieses Moment ein Weib noch schöner machen könnte. Es liegt ein geheimer Zauber darin, der ein interessantes Licht auf sie wirst. Die kindliche Schelmerei, welche die Sünde haben kann, solange wir sie noch Unschuld nennen dürfen, erhöht nur die Schönheit. Du fühlst es wohl, daß ich das nicht im Ernste meine; aber vielleicht könnte Dich diese ästhetische Observation absolut enthusiasmieren. Du würdest eine Menge ästhetischer Entdeckungen machen können, ob es richtig sei, d.h. interessant, sie durch eine leise Andeutung gewissermaßen zu reizen, oder ein junges Mädchen allein mit dieser dunkeln Macht kämpfen zu lassen, oder die Sache mit einem gewissen gravitätischen Ernst ins Lächerliche zu ziehen u.s.w., u.s.w. Was ich Dir dagegen sagen wellte, ist dies, daß es wieder Deine Willkür ist, die da will, daß sie als eine Sünderin dastehen soll. Es ist etwas sehr Verschiedenes, ob man die Sünde in abstracto oder in concreto kennt. Aber das Weib ist demütig, und es hat gewiß noch nie ein Weib daran Ärgernis genommen, daß sie die ernsten Worte der Kirche anhören mußte; das Weib ist demütig und vertrauensvoll. Wer kann wie ein Weib das Auge niederschlagen, aber wer kann. Auch wie sie es aufschlagen! Sollte also durch die feierliche Verkündigung der Kirche, daß die Sünde in die Welt gekommen ist, mit ihr eine Veränderung vor sich gehen, dann müßte es die sein, daß sie noch stärker an ihrer Liebe festhielte. Aber daraus folgt keineswegs, daß die erste Liebe alteriert ist, sie ist nur in eine höhere Konzentrizität aufgenommen. Und davon wird ein Weib sich sehr schwer überzeugen lassen, daß die irdische Liebe an und für sich eine Sünde sei; denn dadurch würde ihre ganze Existenz in ihrem tiefsten Grund zerstört. Dazu kommt, daß sie ja nicht vor den Altar des Herrn getreten ist, um zu überlegen, ob sie den Mann, der neben ihr steht, lieben solle aber nicht; sie liebt ihn, darin hat sie ihr Leben,[382] und wehe dem, der einen Zweifel in ihr wachrufen wollte, wehe dem der sie lehren wollte, sich gegen ihre Natur aufzulehnen, nicht vor Gott niederzuknieen, sondern erhobenen Hauptes dazustehen. Das Sündliche liegt ja nicht in der ersten Liebe als solcher, sondern in dem Selbstischen derselben; aber das Selbstische tritt erst in dem Augenblick hervor, in welchem sie reflektiert, und das ist ja ihr eigner Tod.
Schließlich empört es Dich, daß eine dritte Macht Dich zur Treue gegen sie und sie zur Treue gegen Dich verpflichten will. Aber erlaube mir doch die Bemerkung, daß diese dritte Macht sich nicht aufdrängt. Es sind ja die religiös entwickelten Individuen selber, die jene Macht aufsuchen, und worauf es ankommt, ist das, ob in derselben etwas ist, was ihnen für ihre erste Liebe einen Stein in den Weg legen kann. Das wirst Du wohl nicht leugnen, daß es der ersten Liebe natürlich ist, sich vor dem Antlitz einer hohem Macht zur Treue zu verpflichten. Die Liebenden schwören einander ja Treue bei dem Monde, bei den Sternen, bei ihrer Väter Asche, bei ihrer Ehre u.s.w. Antwortest Du darauf: »Ja, solche Eide bedeuten nichts, sie reflektieren nur die eigne Stimmung der Liebenden; wie sollte es ihnen sonst wohl einfallen, beim Monde zu schwören«, so antworte ich: Hier hast Du das Wesen der ersten Liebe selbst alteriert; denn es ist gerade das Schöne derselben, daß alles in Kraft der Liebe zu einer Realität für sie wird; erst im Augenblick der Reflexion zeigt es sich, daß es thöricht ist, beim Monde zu schwören, im Augenblick des Eides hat es oder seine Bedeutung. Sollte dieses Verhältnis nun dadurch verändert werden, daß sie bei einer wirklichen Macht schwören? Wenn Du daher meinst, Du könntest bei den Wolken und bei den Sternen schwören, aber nicht bei Gott – denn der Gedanke störe Dich – so bezeugt das nur, daß Du reflektierst. Du willst nämlich andre nicht in das Geheimnis Deiner Liebe einweihen, und Deine Liebe ist so vornehm, daß sie auch dem großen Gott im Himmel verborgen bleiben will, und zwar, obgleich Gott, um einen etwas leichtsinnigen Ausdruck zu gebrauchen, ein Zeuge ist, der nicht geniert. Wenn aber Gott von Deiner Liebe nichts wissen soll, so ist das das Selbstische und Reflektierende; denn Gott ist zugleich im Bewußtsein und soll doch nicht da sein. Von dem allen aber weiß die Liebe nichts.[383]
Wir sehen also, wie die erste Liebe in ein Verhältnis zum Ethischen und Religiösen treten konnte, ohne daß es ihr Wesen alterierte, weil sie nur in eine höhere unmittelbare Konzentrizität gezogen wurde. In gewissem Sinn ist freilich eine Änderung eingetreten, die wir nun beachten wollen; wir meinen die Metamorphose, durch welche die Liebenden Braut und Bräutigam werden. Läßt die erste Liebe sich zu Gott führen, dann danken die Liebenden Gott dafür. Dadurch geht eine veredelnde Veränderung vor sich. Es ist eine dem Manne fehl nahe liegende Schwachheit, daß er sich einbildet, er habe die Jungfrau, die er liebe, erobert; so fühlt er seine Überlegenheit, die wir aber keineswegs ästhetisch nennen können. Wenn er dagegen Gott dankt, so demütigt er sich unter seine Liebe; und sag doch selber, was ist schöner, die Geliebte als eine freie Gabe aus Gottes Hand nehmen, oder die ganze Welt überwinden, um sie zu erobern? Dazu kommt, daß der, welcher in Wahrheit liebt, gar nicht eher die Ruhe seiner Seele findet, als bis er sich so vor Gott gedemütigt hat; und das Mädchen, das er liebt, ist ihm in der That zu wert und teuer, als daß er sich auch im schönsten und edelsten Sinn des Wortes wie einen Raufe davontragen möchte.
Laß uns ein für allemal mit einander abrechnen. Ihr sprecht so viel von der erotischen Umarmung; aber was ist diese doch gegen die eheliche? Und wieviel größer ist der Reichtum in der Modulation des ehelichen »mein«, als in der des Erotischen! Es findet fernen Widerhall nicht nur in der Ewigkeit des verführerischen Augenblick, nicht nur in der illusorischen Ewigkeit der Phantasie, sondern in der Ewigkeit des Bewußtseins, in der Ewigkeit der Ewigkeit. Welche straft in dem ehelichen »mein«, welche Energie! Laß Don Juan seinen Pavillon, dem Ritter den nächtlichen Himmel mit seinen Sternen, die Ehe hat ihren Himmel noch höher. – Siehe da die Ehe, wenn's nicht so ist, dann ist's nicht Gottes, sondern allein der Menschen Schuld.
Und nun verzeihe mir, wenn ich mit meinen kleinen Observationen herausrücke. Man liebt nur einmal in seinem Leben, das Herz hängt an seiner ersten Liebe – der Ehe. Horch auf und bewundre diese Harmonie der verschiedenen Sphären. Es ist ganz dasselbe, nur[384] ästhetisch, religiös und ethisch ausgedrückt. Man liebt nur einmal. Das will die Ehe realisieren. Freilich, es heiraten sich auch Menschen, die einander nicht lieben, aber wie kann die Kirche das hindern? Man liebt nur einmal; so höre ich es von den Lippen der Glücklichen, die diese selige Wahrheit mit jedem so Tage aufs neue an sich selber erfahren, und so klingt's auch aus den Seufzern der Unglücklichen heraus. Von diesen letztem gibt's im Grunde nur zwei Klassen: die, welche immer nach einem Ideale jagen, und die, welche es nicht festhalten wollen. Diese letztem sind die eigentlichen Verführer. Man trifft sie seltner, weil dazu immer etwas Ungewöhnliches gehört. Ja, so höre ich noch andre sagen, man liebt nur einmal, oder – man verheiratet sich zwei-, dreimal. Hier treffen sich die Sphären wieder; denn die Ästhetik sagt nein, und auch die Kirche und die christliche Ethik sehen eine zweite Ehe nur mit argwöhnischen Augen an. Das ist für mich sehr wichtig. Denn wäre es wirklich wahr, daß man öfter lieben könnte, so stände es freilich um die Ehe bedenklich.
* * *
Wir haben nun gesehen, wie die erste Liebe in ein Verhältnis zur Ehe trat, ohne daß sie dadurch selber alteriert warb. Dasselbe Ästhetische, das in der ersten Liebe liegt, muß also auch in der Ehe liegen, da jene in dieser enthalten ist; aber das Ästhetische liegt in der Unendlichkeit, der Apriorität, welche – wie wir oben entwickelten – die erste Liebe hat. Es liegt weiter in der Einheit der Gegensätze, welche Liebe heißt: sie ist sinnlich und doch geistig; sie ist Freiheit und doch Notwendigkeit; sie ist in hohem Grade präsentisch und hat hoch eine Ewigkeit in sich. Das alles hat die Ehe gleicherweise; sie ist sinnlich und doch geistig, aber sie ist noch mehr; denn das Wort »geistig«, wie es von der ersten Liebe gebraucht wird, sagt doch vor allem, daß sie seelisch ist, vom Geist erfüllte Sinnlichkeit; sie ist Freiheit und Notwendigkeit, aber zugleich mehr; denn die Freiheit der ersten Liebe ist doch eigentlich mehr die seelische Freiheit, in welcher sich die Individualitäten noch nicht aus der Naturnotwendigkeit herauf gearbeitet haben. Aber je mehr Freiheit, um so mehr Hingebung. Im Religiösen erst wurden die Individuen frei, er von unwahrem Stolz, sie von unwahrer Demut, und das Religiöse drängte sich zwischen[385] die Liebenden, die einander so fest umschlungen hielten, nicht um sie zu trennen, sondern damit sie sich ihm mit einem Reichtum hingeben könnte, von dem sie zuvor nichts ahnte, und damit er nicht nur empfange, sondern auch wieder sich selber hingebe. Das hat – mehr noch als die erste Liebe – eine innere Unendlichkeit in sich; denn die innere Unendlichkeit der Ehe ist ein ewiges Leben.
Die Ehe hat ihre Teleologie in sich selber, und setzt sich daher beständig selber voraus. Ans diesem Grunde wird jede Frage nach ihrem »Warum« ein Mißverständnis, das sich von der prosaischen Verständigkeit leicht erklären läßt, und das nicht nur Dich, sondern auch mich veranlassen dürfte, es offen auszusprechen: »wenn die Ehenichts andres ist, dann kann man sich wirklich nichts Lächerlicheres als sie denken.«
Laßt uns denn, wär's auch nur, um die Zeit zu vertreiben, die Sache etwas näher betrachten. Es mag ein Unterschied zwischen Deinem und meinem Lachen sein, aber warum sollten wir beide nicht doch miteinander lachen können? Der Unterschied wird vielleicht derselbe sein wie die verschiedene Betonung, mit welcher wir auf die Frage, zu welchem Zweck es eine Ehe gibt, dieselbe Antwort geben dürsten: Das mag Gott wissen. Wenn ich übrigens sage, daß wir beide gern etwas miteinander lachen können, so soll unvergessen sein, wieviel ich Deinen Observationen verdanke. Wollen die Menschen nämlich nicht die schönste Lebensaufgabe realisieren und überall anderswo tanzen, als auf dem Rhodos, das ihnen angewiesen ist, nun, so mögen sie Dir und andern, die sie unter der Maske vertraulicher Freundschaft zum Narren haben, als Opfer fallen. Aber über eins kann ich nicht lächeln. Du hast oft geäußert, es müsse »ganz herrlich« sein, bald diesen, bald jenen Ehemann zu fragen, warum er sich verheiratet habe; denn man würde da sehr oft sehen – und eben das sei so eminent lächerlich –, daß eine so ungeheure Wirkung wie es doch die Ehe mit ölten ihren Konsequenzen sei, ihren Grund in einer ganz unbedeutenden Ursache habe. Ich will darauf nur eins erwidern: Die Ehen sind die schönsten, die so wenig wie möglich aus einem »Warum« hervorgangen sind. Je weniger »Warum«, um so mehr Liebe. Je weniger »Warum«, um so besser. In den niedern Klassen werden die Ehen gewöhnlich ohne viele »Warum«[386] geschlossen, aber deshalb hört man nachher auch viel seltener ein »Wie,« wie sie auskommen, wie sie ihre Kinder versorgen sollen u.s.w. Zur Ehe gehört nie etwas andres als das eigne »Warum« der Ehe, aber das ist unendlich, und also in dem Sinne, wie ich es hier genommen habe, kein »Warum«. Davon wirst Du Dich auch leicht überzeugen und wirst zugleich begreifen, weshalb ich diesem Mangel an einem »Warum« keine komische Seite abgewinnen kann; denn ich fürchte, es möchte das wahre damit verloren gehen. Das wahre »Warum« ist nur eins, hat aber zugleich eine unendliche Energie und Kraft in sich, die jedes »Wie« in den Staub treten kann, während das endliche »Warum« ein trauriges mixtum compositum ist, aus welchem jeder nimmt, was er will; aber ob einer an der Pforte seiner Ehe auch alle endlichen »Warum« in sich vereinigte: er würde doch, ja gerade aus dem Grunde, der jämmerlichste aller Ehemänner sein.
Eine der scheinbar anständigsten Antworten, die man auf das »Warum« der Ehe gibt, ist diese: Die Ehe ist eine Schule für den Charakter; man heiratet, um seinen Charakter zu veredeln und zu bilden.
Natürlich, die Ehe ist wirklich eine Schule für den Charakter, wer wollte das leugnen? Aber wer aus dem Grunde heiratet, sollte lieber in jede andre Schule, als in die der Liebe gehen. Dazu kommt noch, daß einem solchen Menschen diese Schule keinen Segen bringt, und er in ihr nicht lernt, wog er lernen kannte, Er beraubt sich zum ersten der stärkenden Konsolidation, da alle Gedanken und Glieder durchschauert werden – denn eine Ehe ist doch in der That ein Wagnis; aber so soll es auch sein, denn vorher alles philiströs berechnen wollen, wäre gerade ein Versuch, die Ehe zu schwächen. Zum andern geht ihm dadurch natürlich das große Betriebskapital der Liebe und der Demut, die das Religiöse in der Ehe gibt, verloren. Er ist natürlich so klug und weise, daß er gleich von vornherein weiß, wie er gebildet werden will. Das wird denn das Regulativ für seine Ehe und für das arme, unglückliche Wesen, das er an sich gebunden hat, damit sie seinen Charakter veredle und bilde.[387]
Aber laßt uns das vergessen und uns in dankbarer Weise daran erinnern, wie wahr es ist, daß die Ehe bildet, sofern man sich nur dem, wodurch man sich bilden lassen soll, unterordnen will. Ja, in der Ehe reift die ganze Seele mehr und mehr heran, denn sie gibt ein Gefühl großer Bedeutung und zugleich hoher Verantwortlichkeit, die man nicht wegphilosophieren kann, weit man liebt. Sie adelt den Menschen durch die Röte der Scham, die des Weibes Heiligtum, aber des Mannes Zuchtmeister ist; denn das Weib ist des Mannes Gewissen. Sie bringt Melodie in des Mannes exzentrische Bewegung, die dem stillen Leben des Weibes Kraft und Bedeutung gibt, doch nur sofern sie diese im Manne sucht, weshalb ihre Kraft keine unweibliche Männlichkeit ist. Sein stolzes Aufbrausen wird gedämpft, denn er kehrt beständig zu ihr zurück, deren Schwachheit dadurch gekräftigt wird, daß sie sich an ihn lehnt. Und dann all das Kleinliche, das die Ehe mit sich führt! Ja, da wirst Du mir recht geben, aber zugleich Gott bitten, daß er Dich gerade vor diesem Übel bewahre. Stein, mein Freund, nichts bildet so sehr wie gerade das Kleinliche. Wohl, es gibt Zeiten in dem menschlichen Leben, wo dasselbe vom Manne fern gehalten werden muß; aber es kommen auch wieder Zeiten, in denen es von hohem Segen ist; nur eine große Seele kann sich vor dem Kleinlichen bewahren; aber man kann es, wenn man will; denn wollen kann nur die große Seele, und wer liebt, will. Besonders für den Mann mag das recht schwer sein, aber ebendarum ist auch das Weib von so großer Bedeutung für ihn. Sie ist für das Kleine wie geschaffen und weiß ihm einen Wert, ja eine bezaubernde Schönheit zu verleihen. Die Ehe läßt schlechte Gewohnheiten, die Tyrannei der Einseitigkeit, das Joch der Launen nicht aufkommen; denn wie sollte all dieses Böse auch nur die Zeit finden, in einer ehelichen Gemeinschaft zu einer Macht zu werden, da man in ihr so manchmal und so mancherlei Weise zur Rechenschaft gefordert wird; das alles kann nicht gedeihen; denn »die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht. Sie stellt sich nicht ungebärdig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie trachtet nicht nach Schaden, sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich[388] aber der Wahrheit, sie verträgt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.« Und nun denke Dir diese schönen Worte des großen Apostels auf ein ganzes Leben angewandt, so angewandt, daß man sie oft leichten, fröhlichen Herzens erfüllt, oft aber auch auf falsche Wege gerät, sie oft vergißt, und doch immer wieder zu ihnen zurückkehrt: o welche Seligkeit liegt nicht darin, welche Verklärung des Charakters!
In der Ehe geht's nicht mit den großen Leidenschaften, auch kann man nichts vorwegnehmen, kann und darf nicht etwa einen Monat höchst liebenswürdig sein, und die übrige seit wieder nicht; hier gilt's, daß jeder Tag seine eigne Plage hat, aber auch seinen eignen Segen. Wohl weiß ich es, daß ich meinen Stolz und meine hypochondrische Unruhe ihrer Liebe zu Füßen gelegt habe, und daß ihre Heftigkeit unter der Macht unsrer Liebe steht; aber ich weiß auch, daß es manchen Kampf gekostet hat und daß die Gefahren immer wieder kommen werden; aber meine Hoffnung wird nicht zu schanden werden und wir werden siegen.
Oder man heiratet, weil man hofft, die Ehe werde – mit Kinder gesegnet werden, um so zur Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts auf Erden seinen geringen Beitrag zu leisten. Aber wie – wenn einem nun keine Kinder geboren werden? Ja, dann wäre der Beitrag sehr gering. Wahr genug, der Staat hat diesen Zweck oft vor Augen gehabt und zuweilen gar Prämien ausgesetzt für die, welche heirateten und für die, deren Ehen mit den meisten Knaben gesegnet würden. Das Christentum hat seinerzeit gerade den entgegengesetzten Weg eingeschlagen und für diejenigen Prämien ausgesetzt, die nicht heirateten. War das nun auch ein Mißverständnis, so bezeugt es doch einen tiefen Respekt für die Persönlichkeit und dafür, daß man den Einzelnen nicht zu einem bloßen Moment, sondern zu dem Definitiven machen wollte. Unsre Zeit preist nun zuweilen eine Ehe ohne Kinder. Schwer genug entschließen sich viele zur Ehe, aber hat man sich endlich doch in dem Maße selber verleugnet, daß man es gethan hat, dann meint man auch genug gethan zu haben und kann sich nicht recht in den Appendix einer Kinderschar hineinfinden. In Romanen lieft man oft leicht hingeworfene Bemerkungen, nach welchen es als hinreichender Grund angesehen wird, wenn einer nicht[389] heiraten will, weil er keine Kinder leiden kann; und im Leben begegnet uns dieselbe Erscheinung in den zivilisiertesten Ländern, wenn die Kinder so früh wie möglich das Elternhaus verlassen müssen, in eine Pension geschickt werden u.s.w. wie oft hast Du Dich nicht über jene tragikomischen Familienväter amüsiert, die ihre lieben vier Kinder überall anderswo als bei sich selber zu sehen wünschen.
Heiraten, um zur Propagation des menschlichen Geschlechts beizutragen, könnte nun nicht nur ein höchst objektiver, sondern auch ein höchst natürlicher Grund zu sein scheinen, um so mehr, als man sich ja auf die Worte berufen könnte, die Gott im Paradiese zu den Menschen sprach: »Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde.« Und doch ist eine solche Ehe ebenso unnatürlich, wie willkürlich, und kann sich in Wahrheit nicht auf die Schrift berufen. Was das letztere betrifft, so lesen wir ja, daß Gott die Ehe stiftete, weil er es nicht für gut hielt, daß der Mensch allein blieb; aus dem Grunde gab er ihm eine Gehilfin, worauf es weiter heißt: »Und Gott segnete sie.« Diese Worte übersieht man ganz und gar, und man vergißt es, daß die Ehe nur dann ethisch und ästhetisch ist, wenn sie ihren Zweck in sich selber hat; jeder andre Zweck trennt, was zusammengehört, und verwandelt sowohl das Geistige wie das Sinnliche in endliche Momente. Es ist immer und überall eine Beleidigung gegen ein Mädchen, wenn man sie aus irgend einem andern Grunde heiratet, als weil man sie liebt.
Trotzdem wird dem, der sich sein Verhältnis nicht hat stören lassen, das Geschlecht ein Segen sein. Es ist etwas Schönes, wenn ein Mensch beim andern so viel wie möglich verdankt; das Höchste aber, was ein Mensch dem andern verdanken kann, ist – das Leben. Und doch kann ein Kind seinem Vater noch mehr verdanken; denn es empfängt das Leben ja nicht wie ein leeres Blatt, sondern mit einem bestimmten Inhalt, und hat es lange genug an der Mutter Brust geruht, dann wird's dem Vater ans Herz gelegt, und auch er nährt es mit seinem Fleisch und Blut, mit den oft teuer erkauften Erfahrungen eines bewegten Lebens. Und welche Möglichkeiten liegen nicht in einem Kinde beschlossen! Gewiß, ich stimme Dir ganz und von bei, wenn Du all die Abgötterei, die mit Kindern getrieben[390] wird, von Grund Deiner Seele haßt, namentlich den ganzen Familienkultus und die Kinderzirkulation nach dem Mittag- und Abendessen zum Familienkuß, die Familien-Bewunderung, Familien Hoffnungen u.s.w.; ja ich gestehe es, solches Unwesen kann mich ebenso sarkastisch wie Dich machen, aber dann lasse ich mich auch nicht weiter stören. Die Kinder gehören dem innersten, verborgensten Leben der Familie an, und in dieses hell-dunkle Geheimnis muß man jeden ernsten und gottesfürchtigen Gedanken über diese Frage hineinführen. Aber da wird es sich auch zeigen, daß noch jedes Kind einen Heiligenschein um sein Haupt hat, und auch das wird jeder Vater fühlen, daß in seinen Kindern mehr ist, als was sie ihm verdanken, ja er wird's in Demut fühlen, daß sie vertraute Güter sind.
Ein Kind ist, je nachdem man es nimmt, das Größte und Bedeutungsvollste, was es in der Welt gibt, oder das Unansehnlichste und Unbedeutendste, und man kann tief in eines Menschen Seele hineinschauen, wenn man erfährt, wie er über Kinder denkt. Ein kleiner Säugling kann, wenn man an die Prätension denkt, daß er ein Mensch sein will, fast komisch auf einen wirken, aber tragisch, wenn man daran denkt, daß es schreiend zur Welt kommt. Ja, wer hat das erste Schreien des Kindes schon erklärt? So wirkt ein Kind in sehr verschiedener Weise; aber die schönste Betrachtung, die sehr wohl zu den andern allen in Verhältnis treten kann, ist doch die religiöse. Und nun, was für Gedanken erfüllen Deine Seele, wenn Du auf die Kinder um Dich derblickst? Denn ich zweifle nicht, Deine neugierigen und herumschwärmenden Gedanken haben auch schon verstohlen in diese Welt hineingesehen. Du liebst ja die Möglichkeit und willst die Möglichkeit in Deiner Macht behalten. Du liebst den Zustand, in welchem Kinder im dunklen Zimmer auf die Offenbarung des Weihnachtsbaumes warten; aber ein Kind ist freilich eine ganz andre Möglichkeit, und zwar eine so ernste, daß Du wohl kaum die Geduld haben würdest, sie zu ertragen. Und doch sind Kinder ein Segen. Es ist köstlich und gut, wenn ein Mensch mit tiefem Ernst an das Wohl seiner Kinder denkt, an die Pflicht, die ihm in denselben auferlegt ist, an die Verantwortung, die er ihnen gegenüber hat; aber sie sind auch ein Segen; vergessen es Menschen nicht einmal,[391] den Kindern eine Gabe in die Wiege zu legen, wie sollte Gott es vergessen! Je mehr ein Mensch daran festhält, daß Kinder ein Segen sind, je weniger Kampf und Zweifel es ihm kostet, dieses Kleinod zu bewahren, das einzige Gut, in dessen Besitz das neugeborne Kind ist – aber es ist auch sein rechtmäßiger Besitz, da Gott es in denselben eingesetzt hat – um so schöner, um so ästhetischer, um so religiöser.
Ich schlendre auch zuweilen auf der Straße umher, überlasse mich meinen eignen Gedanken und dem Eindruck, den die augenblickliche Umgebung in mir hervorruft. Ich habe ein armes Weib kennen gelernt; sie trieb einen kleinen Handel, nicht in einem Laden oder in einer kleinen Butike, nein, auf offner Straße; da stand sie in Sturm und Regen und hatte ein kleines Kind in ihrem Arm; sie selber war reinlich und nett angezogen, das Kind sorgsam eingehüllt. Oft habe ich sie gesehen. Einmal kam eine vornehme Dame an ihr vorüber, die schalt sie fast, weil sie das Kind nicht zu Haufe gelassen habe, um so mehr als es sie in ihrem Geschäft ja nur hindere. Ein andermal kam ein Pastor dieselbe Straße, er näherte sich ihr und wollte dem Kinde einen Platz in einem Asyl verschaffen. Freundlich dankte sie ihm, aber Du hättest den Blick sehen sollen, mit welchem sie sich über ihr Kind beugte und es ansah! War es erfroren gewesen, der Blick hätte es aufgetaut; wär' es kalt und tot gewesen, der Blick hätte es wieder ins Leben gerufen; wär' es vor Hunger und Durst verschmachtet gewesen, dieser liebe und treue Blick hätte es erquickt. Aber das Kind schlief, und nicht einmal ein freundliches Lächeln um seine Lippen konnte der Mutter Lohn sein. Sieh, dies Weib wußte es, daß ein Kind ein Segen ist. Wär' ich ein Maler, ich würde nur immer wieder dies Weib malen. So etwas sieht man nicht oft; es ist wie eine seltene Blume, die man nur sieht, wenn einem das Glück lächelt. Aber die Welt des Geistes ist der Eitelkeit nicht unterworfen; hat man den Baum gefunden, so blüht er beständig. Ich habe sie oft gesehen, sie auch meiner Frau gezeigt; doch habe ich ihr nicht reiche Gaben gesandt, wie wenn ich als göttliche Vorsehung sie hätte belohnen können; ich habe mich tief vor ihr gedemütigt; sie bedarf weder Goldes noch vornehmer Damen, weder[392] eines Asyles noch eines Pastors, auch nicht eines armen Assessors im Hof- und Stadtgericht und seiner Frau. Sie braucht überhaupt nichts, nur eins, daß das Kind sie einmal ebenso herzlich liebt, und auch dessen bedarf sie nicht; aber es ist der Lohn, den sie verdient hat, ein Segen, den der Himmel schenkt. Daß das etwas Schönes ist, daß es auch Dein kaltes Herz gerührt hat, kannst Du nicht leugnen.
Aber auch in einem andern Sinn sind Kinder ein Segen: man lernt selber so unbeschreiblich viel von ihnen. Ich habe stolze Menschen gesehen, die sich bisher vor keiner Macht gedemütigt hatten, und die das Mädchen, das sie liebten, mit solcher Sicherheit aus dem Familien leben, dem sie angehörte, herausrissen, als wollten sie sagen: wenn Du mich hast, so hast Du genug; ich habe schon manchem Sturm getrotzt, wieviel mehr jetzt, da der Gedanke an Dich mich begeistert, jetzt, da ich um ein so viel höheres Gut zu kämpfen habe. Ich habe dieselben Menschen als Väter gesehen; ein kleiner Unfall, der ihre Kinder traf, konnte sie demütigen, eine Krankheit ein Gebet auf ihre stolzen Lippen legen. Ich habe Menschen gesehen, die fast eine Ehre darin suchten, den Gott, der in der Höhe wohnt und im Heiligtum, zu verachten, und die Bekenner desselben zu verspotten – aber als Väter suchten sie die frömmsten Mägde, daß sie für ihre Kinder sorgten. Ich habe Mädchen gesehen, vor deren stolzen Blickender Olymp zitterte, Mädchen, deren eitler Sinn nur für äußern Schmuck, nur für vergängliche Freuden lebte: als Mütter ertrugen sie jede Demütigung aus Liebe zu ihren Kindern. Ich denke an einen bestimmten Fall. Es war eine sehr stolze Dame. Ihr Kind war krank. Ein Arzt ward gerufen. Er wollte nicht kommen – er hatte vergangener Zeiten nicht vergessen wollen. Ich sah es, wie sie zu ihm hinging und in seinem Vorzimmer wartete, um ihn durch flehentliche Bitten zu bewegen, zu ihnen zu kommen und das kranke Kind anzusehen. Aber wozu so starke Schilderungen, die, wenn sie auch wahr sind, doch nicht das Erbauliche an sich haben, was uns an weniger bewegten Beispielen entgegentritt, die sich dem, der nur offne Augen hat, täglich zeigen.
Und auch noch in andrer Weise kann man vieles von Kindern lernen. In jedem Kinde ist etwas Ursprüngliches, an welchem alle[393] abstrakten Prinzipien und Maximen mehr oder weniger stranden. Man muß selbst von vorn anfangen, oft mit vieler Not und Mühe. Es liegt eine tiefe Wahrheit in jenem chinesischen Sprüchwort: Erziehe deine Kinder gut, dann erfährst du's, was du deinen Eltern verdankst. Und dann die Verantwortung, die auf dem Vater liegt. Man verkehrt mit andern Menschen, sucht sie von dem zu überzeugen, was man für das Richtige anfleht; hilft's nicht, dann will man nichts mehr mit ihnen zu thun haben, man wäscht seine Hände. Aber wann kommt der Augenblick, in welchem ein Vater, ein Vaterherz jeden weitem Versuch, seine Kinder gut zu erziehen, aufgeben darf, oder richtiger aufgeben kann?
Und daß ich schließlich noch eins nicht vergesse: welch schönes Band knüpfen Kinder zwischen der Vergangenheit und der Zukunft! Ob man auch nicht gerade vierzehn Ahnen hat und nicht ängstlich sorgt, ob man selber dem fünfzehnten das Leben geben werde, – man hat ein viel größeres Geschlecht vor sich, und es ist in Wahrheit ein schöner Anblick, wenn man es sieht, wie das Geschlecht in den Familien gleichsam einen bestimmten Charakter annimmt. – –
Oder man heiratet, um sich ein Haus zu bauen. Man hat sich zu Haufe gelangweilt, ist ins Ausland gereift und hat sich gelangweilt, man ist wieder nach Haufe gekommen und langweilt sich wieder. Zur Gesellschaft hält man sich einen schönen Neufundländer, ein Rassepferd, aber es fehlt einem doch etwas. In der Restauration, in der man mit einigen gleichgesinnten Freunden zusammenkommt, sucht man seit längerer Zeit vergebens einen Bekannten. Man erfährt, daß er geheiratet hat, es wird einem weich ums Herz, man wird in seinen alten Tagen sentimental; es ist alles so leer um einen der, niemand wartet auf einen, wenn man fort ist. Die alte Haushälterin ist ja im Grunde ein sehr nettes Frauenzimmer, aber sie kann einen nicht aufmuntern und weiß das Haus doch nicht recht gemütlich zu machen. Man heiratet. Die Nachbarschaft schlägt vor Freuden in die Hände, findet, daß man klug und vernünftig gehandelt hat, und spricht dann – von dem Wichtigsten im Haushalt, dem höchsten Erdengut, einer treuen und zuverlässigen Köchin, die man auf eigne Hand auf den Markt gehen lassen kann, oder von[394] dem fixen Zimmermädchen, das sich zu allem gebrauchen läßt. Ja, wenn solch alter Heuchler mit seiner großen Glatze sich nur eine Krankenwärterin erkoren hätte! Aber nein, oft ist das Beste nicht gut genug, und schließlich glückt es: er fängt ein junges, hübsches Mädchen, das an einen solchen Galeerensklaven gefesselt wird. Vielleicht hat sie noch nicht geliebt! O schreckliches Mißverhältnis!
Du siehst, ich lasse Dich zu Worte kommen. Jedoch wirst Du einräumen müssen, daß man besonders in den untern Klassen Ehen findet, die zu dem Zweck, sich ein Haus zu bauen, geschlossen worden sind und welche nichtsdestoweniger einen ästhetischen und religiösen Charakter an sich tragen. Es sind Menschen im jüngeren Alter, die sich nicht sonderlich in der Welt umgesehen, aber sich so viel erworben haben, daß sie leben können und dann heiraten, in dem Gedanken, daß das ihre Pflicht, freilich eine liebe Pflicht ist.
Alle solche Ehen leiden freilich an dem Fehler, daß sie ein einzelnes Moment der Ehe zum einzigen Zweck erheben, weshalb sich natürlich viele oft getäuscht sehen, da sie bald einsehen, daß eine Ehe doch etwas mehr zu bedeuten hat als daß man ein angenehmes, gemütliches und bequemes Heim findet.
Aber laßt uns nun wieder von dem Falschen dieser Anschauung abstrahieren und das Schöne und wahre derselben sehen.
Ich habe nicht geheiratet, um mir ein Haus zu bauen, aber ich habe ein Hans, und das ist ein großer Segen. Ich bin nicht in dem Sinne meines Weibes Mann, wie eine Königin von England einen Mann hat; meine Frau ist auch keine Sklavin in Abrahams Haufe, die ich mit ihrem Sohne wegjage; aber sie ist auch keine Göttin, vor der ich anbete. Ich habe ein Haus, und dieses Haus ist mir wohl nicht mein Alles; aber das weiß ich: meinem Weibe bin ich ihr Ein und Alles gewesen, teils weil sie es in aller Demut geglaubt hat, teils weil ich mir dessen bewußt bin, daß ich es gewesen bin und sein werde, soweit ein Mensch es für einen andern sein kann. Und um so kühner kann ich davon reden, als sie dadurch fürwahr nicht in den Schatten gedrängt wird. Sie bedurfte meiner nicht, denn sie war kein armes Mädchen, auch war sie keine verschrobene Thörin, die ich aus andern Gründen heiratete und aus der meine Weisheit[395] etwas Vernünftiges gemacht hätte. Sie war unabhängig, und was mehr ist, so genügsam, daß sie sich nicht zu verkaufen brauchte; sie war gesund, gesünder als ich, wenn auch etwas heftiger Natur. Ihr Leben war natürlich nicht so bewegt oder so reflektiert, als das meinige gewesen war, und durch meine Erfahrung hätte ich sie vielleicht vor manchem Irrthum bewahren können; aber ihre Gesundheit machte das überflüssig. Sir verdankt mir in der That nichts, und doch bin ich ihr alles. Ich habe über ihr gewacht und schlafe noch immer wie Nehemias bewaffnet, um einen Ausdruck zu wiederholen, der mir bei einer ähnlichen Gelegenheit entschlüpfte, und um es Dir zu beweisen, daß ich Deine sarkastische Bemerkung, es müßte das für meine Frau eine große gêne sein, nicht vergessen habe. Aber, mein junger Freund, so etwas bekümmert mich nicht, wie Du auch daraus sehen kannst, daß ich es wiederhole, und ich versichere Dich: ohne allen Zorn. So bin ich ihr nichts und doch alles gewesen. Du aber bist vielen Menschen alles, und doch nichts gewesen. Aber wenn Du auch durch Deine temporären Berührungen mit den Menschen diesem oder jenem einen Schatz des Interessanten anweisen könntest, um ihn zu solcher Produktivität in sich selber zu veranlassen, daß er genug für sein ganzes Leben hätte – was übrigens doch unmöglich sein dürfte, aber, wenn er auch wirklich durch Dich gewönne: Du selbst, Du verlörest. Denn Du hättest ja doch keinen einzigen gefunden, dem Du wünschen könntest alles zu sein, und läge das auch in Deiner Größe, ach, diese Größe ist in Wahrheit so schmerzlich, daß ich Gott bitten will, er mochte sie Dir nehmen.
So oft man an sein Haus denkt, muß es einem wieder und wieder entgegentreten, daß man jeden unwahren und verächtlichen Gedanken an Bequemlichkeit fahren lasse. Sogar im Genuß des Mannes muß ein Moment der That sein, wenn er auch nicht in einer einzelnen, äußerlich wahrnehmbaren That liegt. Der Mann kann, sehr gut wirksam sein, obgleich er es nicht zu sein scheint, während des Weibes häusliche Thätigkeit mehr in die Erscheinung tritt.
Weiter aber knüpft sich an die Vorstellung eines Hauses solche Konkretion kleiner Eigentümlichkeiten, daß sich nur sehr schwer im allgemeinen davon reden läßt; aber es müßte recht interessant sein,[396] viele derselben kennen zu lernen. Natürlich ist jede solcher Eigentümlichkeiten von einem gewissen Geist durchdrungen, und geht all das separatistische Unwesen zuweilen so weit, daß eine Familie eine besondere Sprache hat oder in so rätselhaften Allusionen spricht, daß man nicht weiß, was man daraus machen soll. Das oder ist die Sache: die Familie besitzt eine solche Eigentümlichkeit, während die Kunst sie zu verbergen weiß.
von denjenigen, welche nur heiraten um ein Haus zu haben, hört man stets die Klage, daß niemand sie erwartet, niemand ihnen entgegenkommt u.s.w. Das beweist genügend, daß sie eigentlich nur ein Heim haben, sofern sie zugleich an ein Draußen denken. Ich für meine Person brauche nun, Gott sei Dank, nicht auszugeben, um mich daran erinnern zu lassen oder um zu vergessen, daß ich ein Haus habe. Oft kann mich dieses Gefühl ergreifen, wenn ich ganz allein in meinem Studierzimmer sitze. Es kann mich ergreifen, wenn die Thür zu meinem Kabinett aufgeht, und ich bald nachher am Fenster ein lebensfrohes Gesicht sehe – die Vorhänge werden wieder zugezogen und ganz leise klopft es an – dann schaut ein Kopf so durch die Thür, daß man glauben sollte, er gehöre keinem Körper an, und im selben Augenblick fleht sie neben mir, um eben so schnell wieder zu verschwinden. Dieses Gefühl kann mich ergreifen, wenn ich tief in die Nacht hinein, wie in alten Universitätstagen, ganz allein bei meiner Arbeit sitze. Dann zünde ich wohl mein Licht an, schleiche wich leise in ihr Schlafzimmer hinein, um zu sehen, ob sie wirklich schläft. Natürlich, es ergreift dieses Gefühl mich auch oft, wenn ich nach Hause komme. Und wenn ich dann geschellt habe: sie weiß genau, wann ich komme – wir armen Beamten können unsre lieben Frauen nicht einmal überraschen – sie weiß auch genau, wie ich zu schellen pflege, und wenn ich dann drinnen ein Lärmen und Schreien von den Kindern und – von ihr höre, und sie selber an die Spitze der kleinen Schar tritt, sie selbst so kindlich, daß erscheinen könnte, sie wolle mit den Kindern im lauten Jubel rivalisieren – ja, dann fühle ich es, daß ich ein Haus habe. Und sehe ich dann ernst aus (Du sprichst gern davon, daß Du ein Menschenkenner bist, wer kennt die Menschen aber so gut wie ein Weib!), wie verändert ist dann[397] dieses fast übermütige Kind; sie verzweifelt nicht, wird nicht ohnmächtig, sondern es ist eine Kraft in ihr, in der sie Wunder wirken kann. Oder wenn sie sieht, daß ich etwas mürrisch und verdrießlich bin (ach Gott, das passiert auch!), wie nachsichtig kann sie dann nicht sein, und doch welche Überlegenheit liegt nicht in dieser Nachsicht!
Was ich Dir bei dieser Gelegenheit im übrigen wohl sagen möchte, das will ich an einen bestimmten Ausdruck anknüpfen, den man – und ich glaube mit Recht – auf Dich anwenden darf, wie Du ihn auch von Dir selber gebrauchst: daß Du ein Fremdling und Pilger in dieser Welt bist.
Jüngere Menschen, die keine Ahnung davon haben, wie teuer man eine Erfahrung erkauft, aber ebensowenig begreifen, welch unerschöpflicher Reichtum dieselbe ist, lassen sich leicht von Dir hinreißen und in denselben Strudel hineinziehen. Deine Rede ist ihnen wie eine frische Brise, die sie auf das unendliche Meer, das Du ihnen zeigst, hinauslockt; und Dich selber berauscht der Gedanke an jene Unendlichkeit, die Dein Element ist, ein Element, das dem Meer gleich unverändert alles auf seinem tiefen Grunde liegen läßt. Solltest Du, der Du bereits manchen Sturm erlebt, nicht von Gefahren zur See und von Schiffbrüchen zu erzählen wissen? Versteht sich, auf diesem Meer weiß im allgemeinen einer nicht gar viel vom andern. Man rüstet nicht große Schiffe aus, die man nur mit Mühe durch die Brandung bringt, nein, es sind sehr kleine Böte, Jollen nur für eine Person, man benutzt den Augenblick, hißt das Segel und streicht mit der unendlichen Eile unruhiger Gedanken, allein auf dem unendlichen Meer, allein unter dem unendlichen Himmel. Solch Leben ist voller Gefahren, aber man ist auch mit dem Gedanken vertraut, es zu verlieren. Denn der eigentliche Genuß ist ja der, im Unendlichen zu verschwinden, daß nur so viel zurückbleibt, um dieses Verschwinden genießen zu können.
Seefahrer erzählen, daß man auf dem großen Welten-Ozean zuweilen ein kleines Schiff sieht, das man den fliegenden Holländer nennt. Es kann sein kleines Segel aufhissen und mit Windeseile durch die Wogen streichen. So ist's auch mit Deiner Fahrt über das Meer des Lebens. Allein in seinem Kajak ist man sich selber[398] genug – ich begreife nicht recht, wie man diese Leere ausfüllen kann; aber wie Du unter allen Menschen, die ich kenne, der einzige bist, bei welchem etwas Wahres darin liegt, so weiß ich auch, daß Du jemanden an Bord hast, der Dir die Zeit vertreiben hilft. Du solltest daher sagen: Allein in seinem Boot, allein mit seinem Kummer, allein mit seiner Verzweiflung, in der man – feig genug – lieber bleiben will, als daß man sich den Schmerzen der Heilung unterwürfe. Laß mich nun aber auch die Schattenseite Deines Lebens ans Licht ziehen, nicht als wollte ich Dich bange machen, das ist meine Weise nicht, und Du bist auch zu klug, um Dich bange machen zu lassen. Aber bedenke doch, wie schmerzlich, wie wehmütig, wie, demütigend es ist, in dem Sinne ein Fremdling und Pilger auf Erden zu sein. Denke Dir das Familienleben in seiner Schönheit, wie es auf einer tiefen und herzlichen Gemeinschaft also gegründet ist, daß das alles Verbindende doch rätselhaft verborgen, daß ein Verhältnis sinnreich mit dem andern verschlungen ist, daß man den Zusammenhang nur ahnt, denke Dir dieses verborgene Familienleben von einer so schönen äußern Form umgeben, daß es eine wundervolle Harmonie bildet, und blicke dann auf Dein Verhältnis zu demselben. Ja, eine solche Familie würde Dir schon gefallen und Du würdest sie oft mit wahrer Freude besuchen; durch Deinen leichten Sinn würdest Du bald so ziemlich heimisch in ihr werden. Ich sage »so ziemlich«; denn es ist klar, daß Du es in Wirklichkeit nicht würdest, und daß Du es auch gar nicht werden kannst, da Du immer und überall ein Fremdling und Pilger sein wirst. Man würde Dich als einen lieben Gast begrüßen, man würde vielleicht freundlich genug sein, Dir alles so gemütlich wie möglich zu machen, man würde zuvorkommend gegen Dich sein, ja man würde Dich wie ein Kind behandeln, das man herzlich lieb hat. Und Du würdest in immer neuen Beweisen einer rücksichtsvollen Aufmerksamkeit unerschöpflich sein, wahrhaft erfinderisch, um der Familie bald diese bald jene Freude zu bereiten. Nicht wahr, das wäre herrlich, und in einem einzelnen bizarren Augenblick könntest Du Dich zu der Bemerkung versucht fühlen, es sei Dir einerlei, ob Du den Herrn des Hauses im Schlafrock sähest, oder das Fräulein in Morgenschuhen, oder die Frau[399] ohne Haube und doch liegt in dem richtigen Betragen der Familie gegen Dich, wenn Du genauer zusiehst, eine ungeheure Demütigung für Dich. Oder meinst Du nicht, daß die Familie für sich selber ein ganz andres Leben hat, das ihr Heiligtum ist? Meinst Du nicht, daß jede Familie noch immer ihre Hausgötter hat, wenn sie sie auch nicht im Entreezimmer aufstellt? Und verbirgt sich in Deiner Äußerung nicht eine sehr verfeinerte Schwachheit? Denn ich glaube wirklich nicht, daß Du Deine Frau, falls Du je heiraten würdest, im Negligee sehen möchtest, es sei denn, daß ihre Morgentoilette gerade darauf berechnet wäre, Dir zu gefallen. Du meinst wohl zur Unterhaltung der Familie viel beigetragen zu haben, und glaubst, Du habest über dieselbe einen gewissen ästhetischen Glanz ausgebreitet. Aber wie, wenn die Familie das alles im Verhältnis zu dem Innern Leben, welches sie besitzt, nur sehr gering schätzt? So wird's Dir immer gehen, und eben darin liegt für Dich, wie stolz Du auch sein magst, eine Demütigung. Keiner teilt seinen Kummer mit Dir, keiner vertraut sich Dir an. Du bist freilich andrer Meinung, Du hast Dich selber mit mannigfachen psychologischen Beobachtungen bereichert; aber das ist oft eine Täuschung, denn viele Menschen wollen gern, wenn sie mit Dir plaudern, einen Kummer von fern berühren oder ahnen lassen, weil das Interessante, das dadurch in Dir in Bewegung gesetzt wird, den Schmerz stillt; und man greift nach dieser Medizin, auch wo man ihrer nicht bedarf. Und wenn nun einer gerade wegen Deiner isolierten Stellung – Du weißt wohl, daß viele Menschen lieber bei einem Bettelmönch kommunizieren als bei ihrem Seelsorger – zu Dir käme, es erfüllte doch niemals seinen wahren Zweck, weder für Dich, noch für ihn; für ihn nicht, denn er fühlte es, wie willkürlich es sei, sich Dir anzuvertrauen; für Dich nicht, weil Du von dem Zweideutigen, worauf Deine Competance beruhte, nicht ganz absehen könntest. Unzweifelhaft bist Du ein guter Operateur, Du verstehst in das geheimste Kabinett der Leiden und Kümmernisse einzudringen, aber Du vergißt niemals, Dich nach einer Thür umzusehen, durch welche Du es zu rechter Zeit wieder verlassen kannst. Wohl, ich nehme an, es gelänge Dir, Deinen Patienten zu heilen; aber es bereitete Dir doch keine wahre und tiefe Freude,[400] denn das Ganze war zu willkürlich, und Du fühltest keine Verantwortlichkeit. Erst diese letztere verleiht Segen und wahre Freude, selbst dann, wenn man es nicht halb so gut wie Du machen kann; sie verleiht Segen, selbst wenn man nichts thut. Und hat man ein Haus, so hat man auch eine Verantwortung, und diese Verantwortung gibt eine hohe Sicherheit in sich selber und macht das Herz klar fröhlich.
Du willst keine Verantwortung auf Dich laden, aber eben deshalb kann es Dich auch nicht befremden, obgleich Du Dich oft darüber beklagst, daß die Menschen so undankbar gegen Dich sind. Du gibst Dich daher auch seltener damit ab, die Menschen von ihren Schäden zu heilen; vor allem besteht, wie ich Dir schon früher gesagt, Deine Thätigkeit darin, daß Du Illusionen zerstörst und gelegentlich andre in Illusionen hineinarbeitest. Wenn man Dich in Begleitung eines oder zweier Jünglinge sieht und es merkt, wie Du sie durch einige Bewegungen schon eine gute Strecke Wegs über all die kindlichen, manchmal wirklich erlösenden Illusionen hinweggebracht hast, wie sie sich nun aufzuschwingen versuchen, während Du selbst als ein alter erfahrener Vogel ihnen zeigst, was ein Flügelschlag ist, mit welchem man über altes hinwegfliegt; oder wenn Du ähnliche Übungen mit jungen Mädchen machst und ihnen z.B. auseinandersetzt, daß man bei dem männlichen Flug den Flügelschlag hört, während der weibliche wie ein träumerisches Rudern ist – wer kann Dir dann wegen der Kunst, mit welcher es dargestellt wird, zürnen, wer oder müßte Dir nicht doch um des Leichtsinns willen, der darin verborgen ist, zürnen! Ja wahrlich, Du kannst von Deinem Herzen sagen, wie es in dem alten Liede heißt:
»Mein Herz ist wie ein Taubenhaus,
Die eine fliegt herein, die andre fliegt heraus,«
nur daß sie bei Dir nicht so sehr herein, als immer wieder herausfliegen. Und ist es nicht schmerzlich und gar wehmütig, das Leben so hinfahren zu lassen, ohne daß das Herz dadurch fester wird? Ist es nicht wehmütig, mein junger Freund, daß das Leben niemals einen rechten Inhalt für Dich gewinnt ? Es liegt etwas Wehmütiges in dem Gefühl, daß man älter wird, aber eine viel tiefere Wehmut ergreift einen, wenn man es nicht werden kann. Gerade in diesem[401] Augenblick fühle ich es, daß ich ein gutes Recht habe, Dich »meinen jungen Freund« zu nennen. Sieben Jahre sind gerade keine Ewigkeit, und ich will mich Dir gegenüber nicht meines Verstandes rühmen, obgleich er durch Erfahrung gereift ist; wessen ich mich aber vor Dir rühmen darf, das ist die Mannesreife des Lebens. Ja, ich fühle es, daß ich wirklich älter geworden bin; Du aber hältst noch stets an der ersten Überraschung der Jugend fest. Und fühle ich mich zuweilen, wenn auch nur selten, des Treibens müde, so ist's doch zugleich mit einer stillen, erhebenden Freude verbunden; ich denke dann an die schönen Worte: »Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben – – – denn sie ruhen von ihrer Arbeit.« Ich bilde mir nicht ein, eine große Arbeit im Leben gehabt zu haben, ich habe die Arbeit, die mir zugewiesen worden ist, nicht verschmäht, und war sie auch nur gering, so war's ja gerade meine Arbeit, in ihr fröhlichen Herzens meine kleinen Pflichten zu erfüllen. Du ruhst gewiß nicht von Deiner Arbeit, Ruhe ist in Deinen Augen ein Fluch, nur in der Unruhe kannst Du leben, und selbst die Ruhe macht Dich noch unruhiger. Du gleichst dem Hungrigen, den die Speise nur noch hungriger, und dem Dürstenden, den der Trunk nur noch durstiger macht.
Doch ich kehre zu dem zurück, wovon ich ausgegangen bin: es waren die endlichen Zwecke, welche die Menschen veranlassen, eine Ehe zu schließen. Nur drei habe ich genannt, weil sie doch immer etwas für sich zu haben schienen, weil sie doch immer ein oder das andre Moment der Ehe reflektierten, obgleich sie in ihrer Einseitigkeit ebenso lächerlich wie unästhetisch und irreligiös sind. Eine Menge ganz jämmerlicher endlicher Zwecke will ich gar nicht nennen, weil man über dieselben nicht einmal lachen kann. Wenn es das Geld ist oder Eifersucht oder gute Aussichten – die Aussicht, daß sie bald sterben wird – oder daß sie lange am Leben bleibt, aber ein fruchtbarer Zweig wird, so daß man die Hinterlassenschaft vieler Onkel und Tanten in die Tasche stecken kann, ja, wenn's das ist, ich möcht' es nicht einmal nennen.
Das Resultat unsrer bisherigen Untersuchung wird also dieses sein: Um ästhetisch und religiös zu sein, darf die Ehe nicht nach einem[402] endlichen »Warum« fragen; aber das war ja gerade das Ästhetische in der ersten Liebe, und so steht denn die Ehe auch hier wieder au niveau mit der ersten Liebe. Und das Ästhetische der Ehe ist dieses, daß es eine große Mannigfaltigkeit von »Warum« in sich verbirgt, die das Leben in seinem ganzen segensreichen Inhalt offenbart und erschließt.
* * *
Da nun das, was ich zuerst nachweisen wollte, die ästhetische Gültigkeit der Ehe ist, und das, wodurch die Ehe sich von der ersten Liebe unterschied, das Ethische und Religiöse war, aber das Ethische und Religiöse wieder, sofern es seinen Ausdruck in einer einzelnen Handlung sucht und es zunächst in der kirchlichen Trauung findet, so will ich bei dieser etwas länger stehen bleiben, damit es nicht den Eindruck gewinnt, als machte ich mir die Sache zu leicht und wollte das Schisma zwischen der ersten Liebe und der Ehe, das Du mit vielen andern, wenn auch aus verschiedenen Gründen, etablierst, verhüllen. Gewiß hast Du darin recht, daß, wenn sich viele Menschen nicht an diesem Schisma stoßen, das darin seinen Grund hat, daß ihnen die Energie und die Bildung fehlt, über das eine sowohl wie über das andre recht nachzudenken. Laßt uns denn die kirchliche Trauung und das Formular, das bei derselben gebraucht wird, etwas näher ins Auge fassen. Vielleicht wirst Du mich auch im folgenden bewaffnet finden, und ich versichere Dich, ohne daß es meine Frau geniert; denn sie sieht's gern, wenn ich solche Freibeuter, wie Dich und Deinesgleichen, fernhalte. Außerdem bin ich der Meinung, daß wie ein Christ immer bereit sein muß, sich wegen seines Glaubens zu verantworten, so auch ein Ehemann immer für das Heiligtum der Ehe eintreten muß, natürlich nicht jedem gegenüber, der das verlangt, aber doch dem gegenüber, den er für würdig erachtet, oder ob er ihn auch wie in casu für unwürdig ansieht, doch es für gut hält, eine Lanze dafür einzulegen. Und da Du in letztrer Zeit, nachdem Du eine Menge andrer Landschaften verwüstet hast, in die Provinz der Ehe eingefallen bist, so fühle ich mich verpflichtet, Dir zu begegnen.
Ich setze voraus, daß Du das Trauungsformular kennst, ja, daß Du es studiert hast. Du bist überhaupt stets wohl gerüstet, und pflegst niemals eine Sache anzugreifen, ehe Du Dich nicht recht orientiert[403] hast und sicher bist, daß Du Dich vor ihren tüchtigsten Verteidigern nicht zu fürchten brauchst, ja zuweilen klagst Du geradezu, daß Deine Angriffe zu gut sind und Deine Feinde sich nicht einmal ordentlich verteidigen können. Nun, wir werden sehen.
Doch wollen wir, ehe wir auf das einzelne übersehen, fragen, ob nicht in dem Akt der Trauung, nur als Akt betrachtet, etwas Störendes liegt. Die Trauung ist ja nicht etwas, was die Liebenden selbst in einem reichen Augenblick ausfindig machen, etwas, was sie, falls sie unterwegs auf andre Gedanken kommen sollten, ohne weiteres wiederaufgeben könnten. Es ist also eine Macht, die uns entgegentritt. Aber wie? Braucht die Liebe denn eine Macht anzuerkennen, die nicht in ihr selber liegt? Ja, Du kannst es begreifen, wenn Zweifel und Kummer einen Menschen so ins Gebet getrieben haben, daß er sich freut, wenn er sich unter eine solche Macht beugen kann; aber das hat die erste Liebe, so meinst Du, doch nicht nötig. Aber vergiß nicht, daß wir uns religiös entwickelte Individuen gedacht haben. Wir haben also nicht zu fragen, wie das Religiöse in einem Menschen zur Herrschaft kommt, sondern wie sich dasselbe mit der ersten Liebe verträgt. Und so gewiß es ist, daß eine unglückliche Liebe einen Menschen religiös machen kann, so gewiß ist es auch, daß religiöse Individuen lieben können. Nein, so fremd ist das Religiöse der menschlichen Natur nicht, daß erst eine gewaltsame Erschütterung eintreten müßte, um es zu wecken. Sind aber die Individuen religiös, dann ist ihnen die Macht, die ihnen in der Trauung entgegentritt, nicht fremd, und wie ihre Liebe sie in einer höhern Einheit vereinigt, so erhebt das Religiöse sie in eine noch höhere.
Was thut die Trauung denn? Sie gibt zunächst eine Übersicht über die Entstehung des Geschlechts und fügt dann die neue Ehe in den großen Leib desselben ein. Sie gibt dadurch das Allgemeine, das rein Menschliche, bringt es zum Bewußtsein. Das ärgert Dich, und Du meinst etwa: Aber wie unangenehm ist es, wenn man in dem Augenblick, in dem man sich so innig mit einem Menschen verbindet, daß einem alles andre entschwindet, daran erinnert wird, daß es eine alte Geschichte ist, die wer weiß wie oft schon passiert ist und wer weiß wie oft noch passieren wird. Du freust Dich gerade[404] an dem, was das Eigentümliche in Deiner Liebe ist. Du willst die ganze Leidenschaft der Liebe in Dir aufflammen lassen und wünschst nicht durch den Gedanken gestört zu werden, daß Peter und Paul dasselbe thun, und »es ist höchst prosaisch, an seine numerische Bedeutung erinnert zu werden: Anno 1750 Herr N. N. und die tugendreiche Jungfrau N. N. Uhr 10, am selben Tage um 11 Uhr Herr N. N. und Jungfrau N. N.« Das klingt nun zwar erschreckend; jedoch hat sich in Dein Räsonnement eine Reflexion eingeschlichen, welche die erste Liebe gestört hat. Die Liebe ist, wie eben bemerkt, die Einheit des Allgemeinen und des Besondren; aber wenn Du nur das Besondre genießen willst, so zeigt das eine Reflexion, die das Besondre aus dem Allgemeinen herausgenommen hat. Je mehr das Allgemeine und das Besondere einander durchdringen, um so schöner ist die Liebe. Nicht das ist groß, sei es nun in unmittelbarem, sei es in höherm Sinne, das Besondre sein, sondern in dem Besondern das Allgemeine besitzen. Es kann daher die erste Liebe nicht stören, wenn sie an das Allgemeine erinnert wird. Dazu kommt, daß die kirchliche Trauung auch noch mehr thut. Um nämlich auf das Allgemeine zurückzuweisen, führt sie die Liebenden zu den ersten Menschen hin. Sie bleibt also nicht bei dem Allgemeinen in abstracto stehen, sondern weist darauf hin, wie dasselbe im ersten Paar des menschlichen Geschlechts einen Ausdruck gefunden hat. Danach ist jede Ehe wie jedes Menschenleben zugleich ein Einzelnes und doch ein Ganzes, zugleich ein Individuum und ein Symbol. Sie gibt den Liebenden also das schönste Bild eines Menschenpaares, das noch nicht durch die Reflexion auf andre gestört ist; sie sagt den Einzelnen: »So seid auch ihr ein Paar, dieselbe Begebenheit wiederholt sich bei euch. Ihr steht hier nun auch allein in der unendlichen Welt, allein vor Gottes Angesicht.« Gibt die kirchliche Trauung denn nicht gerade das, was Du verlangst? und gibt sie nicht zugleich noch mehr, zugleich das Allgemeine und Besondre?
»Aber die kirchliche Trauung verkündet's, daß die Sünde in die Welt gekommen ist; und ist's nicht eine Disharmonie, wenn man in demselben Augenblick, in welchem man sich vielleicht so rein fühlt, wie nie zuvor, so stark an die Sünde erinnert wird? Weiter lehrt[405] sie, daß die Sünde mit der Ehe in die Welt gekommen ist – fürwahr, nicht gerade sehr ermunternd für die, die nun die Ehe miteinander eingehen wollen. Natürlich, die Kirche wäscht sich ihre Hände in Unschuld, wenn daraus ein Unglück hervorgeht, denn sie hat nicht mit eitler Hoffnung getäuscht.« Nun, daß die Kirche nicht mit eitler Hoffnung täuscht, ist doch wohl etwas sehr Gutes. Weiter: die Kirche sagt, daß die Sünde mit der Ehe in die Welt gekommen ist, und doch erlaubt sie dieselbe; sie sagt, daß die Sünde mit der Ehe in die Welt gekommen ist, aber sie sagt doch gewiß nicht: durch dieselbe. Für alle Fälle sagt sie von der Sünde nur, daß sie das allgemeine Los der Menschen sei, und macht keine bestimmte Anwendung auf den Einzelnen, am allerwenigsten aber sagt sie: Ihr wollt nun gerade eine Sünde begehen. Gewiß ist's nicht so leicht zu unterscheiden, in welchem Sinn die Sünde mit der Ehe in die Welt gekommen ist; es könnte scheinen, daß Sünde und Sinnlichkeit identifiziert würden. Und doch kann es sich ja nicht so verhalten, da die Kirche die Ehe gestattet. Ja, so wirst Du sagen, erst nachdem sie der irdischen Liebe alles Schöne genommen hat. Keineswegs, antworte ich, wenigstens findet sich davon im Trauungsformular kein Wort.
Es verkündigt die Kirche darauf die Strafe der Sünde: das Weib soll mit Schmerzen Kinder gebären und ihrem Manne unterthan sein. Das erstere aber ist doch wohl der Art, daß es – wenn nicht die Kirche es verkündigte – sich selber verkünden würde. Ja, antwortest Du, aber das Störende liegt darin, daß das als eine Folge der Sünde erklärt wird. Du findest es ästhetisch schön, daß ein Kind mit Schmerzen geboren wird, es ist Dir eine bildliche Bezeichnung für die Bedeutung der Thatsache, daß ein Mensch zur Welt geboren wird, während die so viel niedriger stehenden Tiere ihre Jungen auch so viel leichter zur Welt bringen. Wieder muß ich hier einschärfen, daß es als der Menschen allgemeines Los verkündigt wird, und daß die Thatsache, daß ein Kind in Sünden geboren wird, der tiefste Ausdruck seines höchsten Wertes ist, daß es gerade eine Verklärung des menschlichen Lebens ist, daß alles, was dasselbe angeht, unter den Begriff der Sünde gebracht wird.
Dann heißt es, daß das Weib dem Manne unterthan sein soll.[406] Du wirst vielleicht sagen: Ja, das ist schön, und es hat mich immer angesprochen, wenn ich es sah, wie ein Weib in ihrem Manne ihren Herrn liebte. Aber es empört Dich, daß es eine Folge der Sünde sein soll, und Du fühlst Dich berufen, als ein Ritter des weiblichen Geschlechts aufzutreten. Ich will nicht entscheiden, ob Du demselben damit einen Dienst erweist; aber ich glaube, Du hast des Weibes Wesen nicht in seiner ganzen Tiefe erfaßt; denn dazu gehört, daß das Weib zu gleicher Zeit vollkommener und unvollkommener als der Mann ist. Will man das Reinste und Vollkommenste bezeichnen, was es auf Erden gibt, so nennt man das Weib, und wiederum heißt's: Schwachheit, dein Name ist Weib! Des Weibes Name ist ein bezeichnender Ausdruck der Unschuld in ihrer ganzen erhabenen Majestät, und zugleich bezeichnet er das deprimierende Gefühl der Schuld. In gewissem Sinne ist das Weib daher vollkommener als der Mann, und dafür hat die heilige Schrift den Ausdruck, daß sie größere Schuld hat. Erinnerst Du nun wieder daran, daß die Kirche nur das allgemein menschliche Los des Weibes verkündet, so sehe ich wahrlich nicht ein, wie darin etwas liegen kann, was die erste Liebe beeinträchtigt, wohl aber verbietet es eine Reflexion, welche nicht einsehen kann, daß ein Weib in der ersten Liebe verharrt. Außerdem macht die Kirche das Weib ja nicht nur zu einer Sklavin, sie sagt: »Und Gott sprach: Ich will ihm eine Gehilfin geben,« ein Ausdruck, der ebensoviele ästhetische Wärme wie Wahrheit hat. Daher lehrt die Kirche: »Und der Mann soll Vater und Mutter verlassen und dem Weibe anhangen.« Man sollte viel eher erwarten, daß es heißen müßte: Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen; denn das Weib ist ja das schwächere. Aber nein, so heißt es nicht. Liegt denn nun nicht in den Worten der Schrift eine Anerkennung für die Bedeutung des Weibes, wie sie kein Ritter galanter ausdrücken könnte?
Was schließlich den Fluch betrifft, der dem Mann zu teil wird, so scheint ja in der That der Umstand, daß er im Schweiß seines Angesichts sein Brot essen soll, denselben mit einem einzigen Wort aus dem Paradiese der ersten Liebe zu verjagen. Daß dieser Fluch wie jeder göttliche Fluch auch wieder einen Segen in sich schließt,[407] woran man öfter erinnert hat, beweist hier insofern nichts, als es doch immer einer spätern Zeit vorbehalten bleiben muß, diese Erfahrung an sich selber zu machen. Woran ich dagegen erinnern möchte, ist dieses, daß die erste Liebe nicht feig ist, daß sie sich vor seinen Gefahren fürchtet, und daß sie daher in diesem Fluche eine Schwierigkeit sehen wird, vor der sie nicht zurückschreckt.
Was thut die kirchliche Trauung also? »Sie legt den Liebenden ein Hemmnis in den Weg,« – keineswegs; sondern sie läßt das, was schon in Bewegung war, nach außen hin ans Licht treten. Sie macht das allgemein Menschliche geltend, und in diesem Sinn auch die Sünde; aber all die Angst und Qual, die da will, daß die Sünde nicht in die Welt gekommen sein soll, hat ihren Grund in einer Reflexion, welche die erste Liebe nicht kennt. Fordern, daß die Sünde nicht solle in die Welt gekommen sein, heißt die Menschheit wieder auf ein unvollkommeneres Stadium zurückführen. Die Sünde ist in die Welt gekommen, aber da die Individuen sich darunter gebeugt haben, stehen sie höher denn sie zuvor standen.
Die Kirche wendet sich dann an die Einzelnen und legt ihnen einige Fragen vor. Das scheint wieder eine Reflexion zu veranlassen. »Wozu solche Fragen? die Liebe hat ihre Gewißheit in sich selber.« Aber die Kirche fragt ja nicht, um sie schwankend, sondern um sie fest zu machen, und damit das, was schon fest ist, sich aussprechen könne. Hier begegnet uns nun die Schwierigkeit, daß die Kirche in ihrer Frage durchaus keine Rücksicht auf das Erotische zu nehmen scheint. Sie fragt: »Hast du dich mit Gott und deinem Gewissen, danach mit Freunden und Bekannten beraten?« Ich will nun nicht auf das Heilsame hinweisen, daß die Kirche so mit tiefem Ernste fragt, ich frage nur: Kann das die stören, die miteinander vor dem Altar stehen? Mit herzlichem Dank haben sie ja ihre Liebe auf Gott zurückgeführt und sich also mit ihm beraten. Denn es ist doch ein wenn auch indirektes Beraten mit Gott, wenn ich ihm danke. Wenn die Kirche sie nun nicht fragt, ob sie einander lieben, so unterläßt sie das keineswegs, weil sie die irdische Liebe vernichten will, sondern weil sie dieselbe voraussetzt.
Die Kirche nimmt dann ein Gelübde entgegen. Wir sahen im[408] vorhergehenden, wie die Liebe sich in eine solche höhere Konzentrizität herrlich aufnehmen läßt. Der Wille macht das Individuum frei, aber je freier ein Individuum ist – das hatten wir ja schon erkannt – um so schöner ist eine Ehe.
Nun aber glaube ich auch erwiesen zu haben, daß, sofern man das Ästhetische der ersten Liebe in ihrer präsentischen, unmittelbaren Unendlichkeit sucht, die Ehe als eine Verklärung derselben angesehen werden muß und noch schöner ist als jene.
* * *
Verhält sich das nun aber so, dann folgt alles Übrige von selbst. Es fragt sich jetzt nur noch: Läßt diese Liebe sich realisieren? Und wenn Du mir auch alles einräumst, was ich Dir bisher ans Herz gelegt habe, so sagst Du vielleicht: Ja, aber dann läßt sich die Ehe ebenso schwer realisieren wie die erste Liebe. Ich antworte: Nein, gewiß nicht; denn in der Ehe liegt das Gesetz der Bewegung. Die erste Liebe bleibt ein unwirkliches An-sich, das niemals innern Gehalt erlangt, weil sie sich immer nur in einem äußern Medium bewegt; in dem ethischen und religiösen Vorsatz hat die eheliche Liebe die Möglichkeit einer innern Geschichte und unterscheidet sich von der ersten Liebe wie die historische von der unhistorischen. Diese ist stark, stärker als die ganze Welt, aber sie stirbt in demselben Augenblick, in welchem sich ihr ein Zweifel naht; sie ist wie ein Mensch, der im Schlafe wandelt, er geht mit unendlicher Sicherheit über die gefährlichsten Orte, aber ruft man seinen Namen, dann stürzt er hinab. Die eheliche Liebe ist bewaffnet; denn im Vorsatz ist die Aufmerksamkeit nicht nur auf die äußere Welt gerichtet, sondern der Wille wendet sich gegen sich selbst, gegen die innere Welt des eignen Herzens. Und nun kehre ich alles um und sage: Das Ästhetische liegt nicht in dem Unmittelbaren, sondern in dem Erworbenen; aber die Ehe ist gerade eine Unmittelbarkeit, welche die Mittelbarkeit in sich trägt; eine Unendlichkeit, welche die Endlichkeit nicht ausschließt; eine Ewigkeit, die mit der Zeitlichkeit verbunden ist. So erweist die Ehe sich in zwiefachem Sinn als ein Ideal, sowohl in antiker wie in romantischer Bedeutung. Wenn ich sage, das Ästhetische liege in dem Erworbenen, so soll damit keineswegs gesagt werden, daß es in[409] dem bloßen Streben als solchem liegt. Dieses letztere ist nämlich negativ, aber das nur Negative ist niemals ästhetisch; ist's aber ein Streben, das den Inhalt schon in sich trägt, ein Kampf, der seines Sieges gewiß ist, so habe ich in dieser doppelten Bewegung das Ästhetische. Daran glaube ich erinnern zu müssen, wenn ich an die Begeisterung der Verzweiflung denke, mit der man in unsrer Zeit das Erworbene im Gegensatz zum Unmittelbaren preist, als käme es darauf an, alles niederzureißen, um von neuem wieder aufzubauen. Wirklich, mich hat der Jubel geängstet, mit welchem junge Menschen, den Schreckensmännern der französischen Revolution gleich, es in die Welt hineinrufen: De omnibus dubitandum. Vielleicht ist das borniert von mir. Doch glaube ich, man muß zwischen einem persönlichen und einem wissenschaftlichen Zweifel unterscheiden.
Mit dem persönlichen Zweifel ist's immer eine eigne Sache, und eine solche Vernichtungs-Begeisterung, von der so oft geredet wird, führt höchstens dazu, daß sich viele Menschen hinauswagen, ohne Kraft zum Zweifeln zu haben, und untergehen oder in eine Halbheit hineingeraten, die gleicherweise der gewisse Untergang ist. Entwickelt dagegen der mit der Wahrheit ringende Zweifel in einem Einzelnen die Kraft, die wieder den Zweifel überwindet, so zeigt es sich zwar, was ein Mensch durch sich selber kann, aber das ist eigentlich nicht schon; denn dann müßte es eine Unmittelbarkeit in sich haben. Eine solche nur durch den Zweifel geschaffene Entwickelung strebt dahin, was man im Extrem so ausdrückt: Einen Menschen völlig umwandeln. Die Schönheit liegt dagegen darin, daß das Unmittelbare in und mit dem Zweifel erworben wird. Ja, ich muß es aussprechen, namentlich im Gegensatz zu einer Abstraktion, in der man das Panier des Zweifels aufgeworfen hat, – denn wie hat man ihn vergöttert und sich vermessen in denselben hineingestürzt, mit welchem blinden Vertrauen hat man von ihm einen herrlichen Ausgang gehofft! Und je mehr das, was gewonnen werden soll, dem Reich des Geistes angehört, um so mehr preist man den Zweifel; aber die Liebe gehört immer einer Region an, da nicht so sehr von einem Erworbenen als einem Gegebenen geredet werden kann, als von einem Gegebenen, das erworben wird. Überhaupt[410] weiß ich nicht recht, welcher Art dieser Zweifel sein soll. Oder wäre es die rechte Disposition für einen Ehemann, wenn er betrübende Erfahrungen machte und anfangen müßte zu zweifeln? und wäre es nur dann eine wahre, schöne Ehe, wenn er sich in Kraft dieses Zweifels mit einem großen sittlichen Ernst verheiratete und als Mann treu und beständig wäre? Wir würden ihn preisen, aber könnten seine Ehe nicht anpreisen, es sei denn, um an ihr zu lernen, was ein Mensch vermag. Oder müßte er als ein Held im Zweifeln auch an ihrer Liebe zweifeln, an der Möglichkeit, zweifeln, daß er das Schöne dieses Verhältnisses festhalten könne, und doch soviel Stoizismus besitzen, das zu wollen?
Ich weiß es sehr wohl, Ihr falschen Propheten preist so etwas gern an, um für Eure falsche Weisheit bessern Eingang zu finden; Ihr rühmt es, wenn er Euern Zwecken dient, und sagt: Seht, das ist die wahre Ehe; aber Ihr wißt es sehr wohl, daß dieser Ruhm einen Tadel in sich schließt, und daß besonders dem Weibe damit durchaus nicht gedient ist, daher Ihr alles thut, was in Euern Kräften steht, um sie zu versuchen. Darum scheidet Ihr nach der alten Regel: divide et impera. Ihr preist die erste Liebe. Die bleibt, wenn Ihr zu befehlen habt, einen Moment, der außerhalb der Zeit liegt, ein geheimnisvolles Etwas, dem man alles Mögliche andichten kann. Die Ehe kann sich so nicht verbergen, sie gebraucht zu ihrer Entwickelung Tage und Jahre – und da reißt man leicht nieder oder legt den Grund zu so verräterischen Betrachtungen, wie denen, daß eine verzweifelte Resignation dazu gehöre, um bis ans Ende auszuhalten.
Also das steht zwischen uns fest: als Moment betrachtet ist die eheliche Liebe nicht nur ebenso schön wie die erste Liebe, sondern noch viel schöner, weil sie in ihrer Unmittelbarkeit eine Einheit verschiedener Gegensätze enthält. Wahrhaftig, so ist's nicht, daß die Ehe eine höchst respektable, aber langweilige Moralistin wäre und die Liebe Poesie; nein, gerade die Ehe ist recht eigentlich voller Poesie. Und hat die Welt es oft mit tiefem Schmerze angesehen, daß eine erste Liebe sich nicht durchführen ließ: nun ich will auch trauern, aber zugleich daran erinnern, daß der Fehler nicht so sehr in dem[411] Späteren lag, wie in einem falschen Anfang. Der ersten Liebe fehlt nämlich das andre ästhetische Ideal, das Romantische, ihr fehlt das Gesetz der Bewegung. Nähme ich den Glauben in dem persönlichen Leben ebenso unmittelbar, so würde der ersten Liebe ein Glaube entsprechen, der in Kraft der Verheißung glaubte, Berge versetzen zu können, und der dann umhergehen und Wunder thun wollte. Vielleicht würde es ihm gelingen; aber dieser Glaube hätte keine Geschichte; denn wenn er auch mit Menschen und mit Engelzungen von all seinen Wundern erzählte, das wäre noch nicht seine Geschichte; dagegen ist die Aneignung des Glaubens in dem persönlichen Leben die Geschichte des Glaubens. Diese Bewegung hat die eheliche Liebe, denn im Vorsatz ist die Bewegung nach innen gerichtet. Im Religiösen läßt sie Gott gewissermaßen für alles sorgen, im Vorsatz will sie mit Gott im Bunde für sich selber streiten, sich selber in Geduld gewinnen. Im Bewußtsein der Sünde liegt eine Vorstellung von der menschlichen Schwachheit, aber im Vorsatz ist sie überwunden. Ich habe der ersten Liebe gewiß alles Recht widerfahren lassen, und ich glaube, ich habe sie noch höher gepriesen als Du, aber ihr Fehler liegt in ihrem abstrakten Charakter.
Die eheliche Liebe erweist sich weiter als eine historische dadurch, daß sie ein Assimilationsprozeß ist, sie versucht sich in dem, was erlebt wird, und führt das Erlebte auf sich zurück; sie ist also kein uninteressierter Zeuge, sondern nimmt wesentlich an dem, was sie erlebt, teil, mit einem Worte: sie erlebt ihre eigne Entwickelung. Wohl führt auch die romantische Liebe das Erlebte auf sich zurück, wie wenn der Ritter seiner Geliebten die in der Schlacht eroberten Fahnen sendet; aber wenn die romantische Liebe sich auch noch so vieler solcher Trophäen rühmen könnte, es würde ihr doch niemals der Gedanke kom men, daß die Liebe eine Geschichte gehabt haben sollte. Die prosaische Betrachtung geht zum entgegengesetzten Extrem, sie kann es wohl begreifen, daß die Liebe eine Geschichte hat, aber im allgemeinen ist's doch nur eine kurze, oft sehr armselige Geschichte. Auch die experimentierende Liebe hat eine gewisse Geschichte, aber sie ist doch, wie ohne wahre Apriorität, so auch ohne Kontinuität, und liegt nur in der Willkür des experimentierenden Individuums, das[412] zu gleicher Zeit seine eigne Welt und in ihr auch das Schicksal selber ist. Die eheliche Liebe dagegen hat eine Apriorität in sich, aber zugleich Beständigkeit in sich selber, und die Kraft dieser Beständigkeit ist dieselbe wie das Gesetz der Bewegung: Willensentschluß. Im Willensentschluß ist ein andres gesetzt, aber zugleich als ein Überwundenes; im Willensentschluß ist das andre gesetzt als ein inneres Andres, indem selbst das Äußerliche in seinem Reflex in dem Innern gesehen wird. Das Historische liegt nun darin, daß dieses andre hervorkommt, seine Gültigkeit erlangt, aber eben in seiner Gültigkeit als das angesehen wird, das keine Gültigkeit haben soll, also daß die Liebe aus dieser Bewegung bewährt und geläutert hervorgeht und sich dem Erlebten assimiliert. Wie dieses Andre zur Erscheinung kommt, steht nicht in der Macht des Individuums, das sich nicht experimentierend verhält; aber die Liebe hat in ihrer Apriorität doch zugleich über das alles gesiegt, ohne es zu kennen. Gewiß steht's im neuen Testament geschrieben: Alle Gabe ist gut, so sie mit Danksagung empfangen wird. Die meisten Menschen wollen gern danken, wenn sie eine gute Gabe empfangen, aber sie möchten zugleich selber entscheiden, was gut für sie ist. Das zeigt ihre Beschränktheit; dagegen ist jene andre Danksagung in Wahrheit siegreich und apriorisch, da sie eine ewige Gesundheit in sich schließt, die auch nicht durch eine böse Gabe zerstört werden kann, nicht dadurch, daß man diese von sich abzuhalten weiß, sondern durch den hohen persönlichen Mut, der für dieselbe zu danken wagt. So ist's auch mit der Liebe.
Aber indem ich nun die Liebe von ihrer kryptogamischen Verborgenheit bis zu ihrem phanerogamen Leben verfolge, stoße ich unterwegs auf eine Schwierigkeit, die nach Deiner Meinung nicht wenig zu bedeuten hat. Posito, ich überzeugte Dich davon, daß das Religiöse und Ethische, das in der ehelichen Liebe zur ersten Liebe hinzutritt, diese keineswegs herabsetzt, daß Du in Deinem innersten Wesen recht davon erfüllt wärest, und nun einen religiösen Ausgangspunkt nicht verschmähtest, dann würdest Du allein mit ihr, der Geliebten, Dich und Deine Liebe demütig in Gottes Hand legen. Du bist wirklich ergriffen und bewegt, nun merk auf, ich nenne ein Wort: die Gemeinde – und siehe, alsobald verschwindet alles wieder.[413] Denn niemals, so glaube ich, wird es Dir gelingen, über den Begriff der Innerlichkeit hinauszukommen. »Die Gemeinde, die liebe Gemeinde, die trotz ihrer Mannigfaltigkeit doch eine moralische Person ist; ja, hätte sie neben den langweiligen Eigenschaften einer moralischen Person zugleich auch die gute, daß ihr auf einem Halse nur ein Kopf säße... ich wüßte wohl, was ich thäte.« Du kennst ihn doch, den verrückten Menschen, der die fixe Idee hatte, daß das Zimmer, in dem er lebte, ganz voller Fliegen war. In der Angst der Verzweiflung und mit der Raserei eines Verzweifelten kämpfte er um seine Existenz. Geradeso wie jener Mann gegen einen eingebildeten Schwarm von Fliegen kämpfte, so kämpfst auch Du gegen das, was Du »die Gemeinde« nennst. Die Sache ist indessen nicht so gefährlich; doch will ich die wichtigsten Berührungspunkte, die man da mit der Gemeinde hat, durchgehen. Zuvor aber will ich nur daran erinnern, daß die erste Liebe es sich keineswegs als Verdienst anrechnen darf, wenn sie solche Schwierigkeiten nicht kennt; sie ist eben zu abstrakt und kommt gar nicht mit dem wirklichen Leben in Berührung. Du wirst nun freilich zwischen den abstrakten Verhältnissen zu einer äußern Welt, deren Abstraktion das Verhältnis aufhebt, sehr gut zu unterscheiden wissen. Darin findest Du Dich rasch, daß man den Pastor und Kantor, sowie den juristischen Beamten bezahlen muß; denn Geld ist ein herrliches Mittel, jedes Verhältnis aus dem Wege zu räumen; deshalb weihtest Du mich auch in Deinen Plan ein, niemals etwas zu thun, und niemals etwas anzunehmen, auch nicht das Geringste, ohne Geld zu geben oder anzunehmen. Ich glaube gar. Du warst fähig, falls Du Dich einmal verheiratetest, jedem Gratulanten ein Douceur in die Hand zu drücken. Dann würdest Du Dich freilich nicht wundern, wenn die Gemeinde an Größe zunähme, oder wenn es Dir in Wirklichkeit passierte, wovor der Mann mit den Fliegen sich fürchtete. Wovor Du Dich fürchtest, das sind die persönlichen Verhältnisse, die durch Gratulationen, ja wohl gar durch Geschenke die Prätension erheben, in ein für Geld inkommensurables Verhältnis zu Dir zu treten und alle mögliche Teilnahme für Dich an den Tag zu legen, obgleich Du gerade bei dieser Gelegenheit, sowohl um Deiner selbst wie um Deiner Geliebten willen[414] am liebsten ohne alle Teilnahme bliebst. »Durch Geld kann man von vielen Absurditäten freikommen. Mit Geld kann man dem Trompeter der Kirche, der einem sonst die Sonntage vorblasen würde, den Mund schließen, durch Geld kann einem die Proklamation vor der Gemeinde erspart werden u.s.w., u.s.w.« Verzeih, aber diese Schilderung habe ich nicht erfunden, Du weißt wohl, von wem sie kommt. Weißt Du's noch, wie Du einmal wegen einer kirchlichen Trauung in Harnisch kamst? Wie bei der Ordination der Klerus herzutritt, um die Hand auf den Ordinandus zu legen, so sollte die ganze zärtlich teilnehmende Brüdergemeinde mit einem Gemeindekuß Braut und Bräutigam küssen; ja, Du erklärtest, es sei Dir unmöglich, das Wort: Braut und Bräutigam zu nennen, ohne an den bedeutungsvollen Augenblick zu denken, in welchem ein lieber Vater oder ein langjähriger Freund sich mit dem Glase in der Hand erhebt, um mit tiefer Rührung die schönen Worte: Braut und Bräutigam auszusprechen. Wie Dir nämlich die ganze kirchliche Zeremonie darauf berechnet schien, das Erotische in den Staub zu ziehen, so war das darauf folgende weltliche Treiben in Deinen Augen ebenso unanständig, wie die kirchliche Feier Dir zu anständig war. Dir gefällt also eine stille Hochzeit am besten. Nun, dagegen habe ich in der That nichts einzuwenden; indessen darfst Du nicht vergessen, daß Du auch da ganz und voll als ein rechter Ehemann auftrittst. Vielleicht hörst Du das lieber, wenn kein andrer es hört. Übrigens heißt es im Formular nicht: vor der ganzen Gemeinde, sondern: vor Gott und dieser Gemeinde – ein Ausdruck, der weder durch seine Beschränkung verwirrt, noch es an Kühnheit fehlen läßt.
Und nun laß uns erwägen, ob die Sache mit der Gemeinde wirklich so gefährlich ist, wenn sie, wohlgemerkt, keine so schreckliche Gestalt anzunehmen braucht, wie sie es augenblicklich in Deinem kranken Herzen hat. Dein Leben hat Dich doch wohl wenigstens mit einigen wenigen Menschen nicht nur in eine flüchtige Berührung, nein, in herzliche Gemeinschaft geführt, deren Erinnerung Dich nicht ängstigt, die das Ideale in Dir nicht zerstören, deren Namen Du gern nennst, wenn Du Dich zu allem Guten und Schönen ermuntern willst, deren Nähe Deine Seele erweitert, deren Persönlichkeit in[415] Deinen Augen eine Offenbarung des Edlen und Erhabenen ist. Sollte es Dich nun stören, wenn solche Menschen die Vertrauten Deines Herzens wären? Das wäre ja ungefähr dasselbe, als wenn eins Mensch sagte: Ich wünsche mit Gott und mit Christo in innigster Gemeinschaft zu stehen, aber ich kann's nicht leiden, daß er mich vor all den heiligen Engel bekennen will. Anderseits hat Dein Leben, haben Deine äußern Lebensverhältnisse Dich mit andern in Verbindung gebracht, denen Freuden und bedeutungsvolle Unterbrechungen in dem einförmigen Gang des täglichen Lebens nur sparsam zugemessen wurden. Hat nicht beinahe jede Familie solche Glieder, und ist's nicht gar schön, daß diese in ihrer Einsamkeit fast verlassenen Menschen doch auch wieder einen Zufluchtsort finden können? Ich sehe in einer mir bekannten Familie häufiger eine ältere unverheiratete Dame, die in dem Hause geradesolange lebt wie die Frau. Sie erinnert sich des Hochzeitstages noch so lebhaft, ach, vielleicht noch lebhafter als die Frau selbst; wie die Braut geschmückt war u.s.w., u.s.w. Willst Du nun allen solchen Menschen die Gelegenheit, sich recht von Herzen zu freuen, rauben? und könntest sie ihnen selbst verschaffen! Wir wollen uns der Schwachen in Liebe annehmen.
Alles wahre Leben hat etwas Polemisches in sich, um so mehr, je gesünder es ist, daher auch jede eheliche Verbindung; und Du weißt es sehr wohl, daß ich die fade communio omnium hasse, da es aussieht, als ob man sich mit einer ganzen Familie verheiratet hätte. Ist die eheliche Liebe eine wahre erste Liebe, so hat sie auch etwas Verborgenes, Geheimnisvolles an sich, und zieht ihre Nahrung nicht aus Gratulationen und Komplimenten oder aus einem Gottesdienst, wie er sich in der Familie arrangieren läßt. Das weißt Du sehr gut, und laß Deinen Witz nur mit solchen Karikaturen spielen. Ich bin oft ganz Deiner Meinung, und glaube, es würde weder Dir noch der guten Sache schaden, wenn Du mich zuweilen als den erfahrenen lieben Förster die faulen Bäume, die gefällt werden müssen, ausweisen, mich aber auch an andern Orten ein Kreuz setzen ließest.
Ich stehe nun keinen Augenblick an, das Geheimnisvolle für die[416] absolute Bedingung zu erklären, die das Ästhetische in der Ehe bewahrt, wenn auch nicht in dem Sinne, als ob man es darauf anlege, danach jage, darin den eigentlichen Genuß des Lebens sehen müsse. Es ist eine Lieblingsidee der ersten Liebe, nach einer unbewohnten Insel zu flüchten. Das ist nun schon oft genug lächerlich gemacht, und ich will dem bilderstürmerischen Eifer unsrer Zeit nicht das Wort reden. Der Fehler aber liegt darin, daß die erste Liebe glaubt, sie lasse sich nur dadurch, daß sie aus der Welt fliehe, realisieren. Das ist ein Mißverständnis und hat seinen Grund in ihrem unhistorischen Charakter. Die Kunst ist, daß man in der Mannigfaltigkeit bleibt und doch das Geheimnisvolle bewahrt. Das hat freilich namentlich im Verhältnis zu andern Menschen seine großen Schwierigkeiten, aber die eheliche Liebe flieht nicht gleich vor denselben, sondern gewinnt sich auch dadurch selber immer aufs neue. Außerdem hat das eheliche Leben an so viel andres zu denken, daß es gar nicht die Zeit hat, sich in der Polemik gegen das Einzelne festzurennen.
Und worauf es hier vor allem ankommt, ist das: man sei offenherzig, aufrichtig, und stehe so frei und offen wie möglich da; denn das ist das Lebensprinzip der Liebe, und alles Geheimnisvolle ihr Tod. Freilich, es ist das leichter gesagt als gethan, und wohl gehört Mut dazu, um es konsequent durchzuführen. ES gehört Mut dazu, sich so zu zeigen, wie man in Wahrheit ist; es gehört Mut dazu, sich nicht vor einer kleinen Demütigung zu fürchten, die ja mit der Aufrichtigkeit eng verbunden ist; ja, es gehört Mut dazu, wenn man wahr sein will und offen und ehrlich für die Wahrheit eintritt.
Doch laß uns mit dem weniger Bedeutenden anfangen. Du machtest einen kleinen Ausflug in das Reich der Phantasie, das Deinem täglichen Aufenthaltsort so nahe liegt, daß man kaum von einem Ausflug sprechen kann. Du wolltest ein junges Ehepaar besuchen, das sich genötigt sah, »seine Liebe auf die engen Grenzen dreier kleiner Zimmer zu beschränken,« und dann dekoriertest Du die Zukunft so schön und geschmackvoll, wie Du es Dir nur wünschen konntest. Du weißt, ich beteilige mich gern an einem solchen kleinen Experiment, und bin, Gott sei Dank, noch kindlich genug, wenn eine fürstliche[417] Equipage mit vier feurigen Rossen an mir vorüberfährt, mir einzubilden, ich säße in derselben; unschuldig genug, wenn ich mich davon überzeugt habe, daß das nicht der Fall ist, um mich freuen zu können, daß es ein andrer thut. Du warst verheiratet, glücklich verheiratet, hattest Deine Liebe durch alle Widerwärtigkeiten des Lebens unverletzt hindurchgerettet und überlegtest nun, wie Du in Deinem Hause alles einrichten wolltest, damit Deine Liebe so lange wie möglich ihren Duft bewahren könne. Zu dem Ende gebrauchtest Du mehr als drei Zimmer. Darin gab ich Dir recht, denn Du brauchst für Dich allein schon fünf. Es würde Dir unangenehm sein, müßtest Du Deiner Frau eins Deiner Zimmer überlassen; auch würdest Du sie lieber vier bewohnen lassen und für Dich selber das fünfte behalten, als ein gemeinsames Zimmer haben.
Es ergriff Dich nun ein solcher Abscheu vor drei kleinen Zimmern, daß Du, falls Du nicht mehr fändest, lieber als Landstreicher unter offnem Himmel leben wolltest; und das war schließlich so poetisch, daß eine ziemliche Suite von Zimmern nötig gewesen wäre, um Dir den öffnen Himmel zu ersetzen.
Ich sagte, das sei wieder eine der gewöhnlichen Häresien der unhistorischen ersten Liebe und suchte Dich zur Ordnung zu rufen; dann durcheilte ich mit Dir die vielen großen, fühlen, hochgewölbten Säle Deines Luftschlosses, die lauschigen halbdunklen Kabinetts, die durch Lichter und Kronleuchter, sowie durch viele Spiegel erhellten Speisezimmer, den kleinen Saal mit den nach dem Altan geöffneten Flügelthüren, durch welche Morgensonne und Blumenduft hineindrangen. Ich will Dir nun nicht weiter folgen, wenn Du wie ein Gemsenjäger mit kühnen Schritten von einem Felsen zum andern springst. Nur das Deinem Arrangement zu Grunde liegende Prinzip will ich etwas näher ins Auge fassen. Dein Prinzip war offenbar geheimnisvolle Mystifikation, verfeinerte Koketterie; nicht nur die Wände seiner Säle sollten in Glas gefaßt sein, sondern selbst die Welt Deines Bewußtseins sollte durch ähnliche Reflexionsprismen vervielfältigt werden, nicht nur überall im Zimmer, sondern auch in Deinem Bewußtsein wolltest Du ihr überall begegnen. Aber damit sich das machen lassen kann, reichen alle Schätze der Welt[418] nicht hin, dazu gehört Geist, ein kluges Maßhalten, womit über die Kräfte des Geistes disponiert wird. Man muß daher einander so fremd bleiben, daß die Vertraulichkeit interessant wird, und anderseits so vertraut mit einander, daß das Fremde ein irritierender Widerstand wird. Das eheliche Leben darf kein Schlafrock sein, in dem man es sich bequem macht, aber auch kein Korsett, das die Bewegungen geniert; es darf keine Arbeit sein, die anstrengende Vorbereitung erfordert, aber noch viel weniger eine dissolute Bequemlichkeit; sie muß den Charakter des Zufälligen tragen und doch muß man von fern eine Kunst ahnen, die ihr ihren Stempel aufdrückt. In gewissem Sinn muß man einander so lange wie möglich fremd bleiben, und offenbart man sich successiv, so muß man so viel wie möglich auch die zufälligen Umstände benutzen. Vor jeder Übersättigung muß man sich hüten. Du würdest nun das Parterre dieses herrschaftlichen Schlosses bewohnen, das in einer schönen Gegend, aber in der Nähe der Residenz, liegen müßte. Deine Frau, Deine Gemahlin bewohnte den linken Flügel der ersten Etage. Wie oft hast Du fürstliche Personen darum beneidet, daß Mann und Frau getrennt wohnten. Was indessen einem solchen höfischen Leben das Ästhetische nahm, war ein Zeremoniell, das über der Liebe stehen wollte. Man wird angemeldet, wartet einen Augenblick und wird empfangen.
An und für sich wäre das nun zwar nicht unschön, aber seine wahre Schönheit erhielte es doch erst, wenn es in dem göttlichen Spiel der Liebe mitspielen dürfte, wenn ihm eine Gültigkeit in der Weise zuerkannt würde, daß man es ebenso gut seiner Gültigkeit berauben könnte. Die Liebe selber müßte viele Grenzen haben, aber jede Grenze müßte zugleich eine wollüstige Versuchung sein, die Grenze zu überschreiten. Du wohntest also im Parterre, und hättest da Deine Bibliothek, Billardzimmer, Audienzimmer, Kabinett, Schlafzimmer. Deine Frau wohnte in der ersten Etage. Hier wäre zugleich Euer toral conjugale, ein großes Zimmer mit zwei Kabinetten. Nichts dürfte Dich oder Deine Frau daran erinnern, daß ihr verheiratet wäret, und doch müßte alles auch wieder so dein, daß kein Unverheirateter es so haben könnte. Du dürftest nicht wissen, was Deine Frau vorhätte, sie nicht, was Dich beschäftigte; aber nicht,[419] weil ihr unthätig sein oder einander vergessen wolltet, sondern damit jede Berührung bedeutungsvoll sein könnte. Ihr würdet nicht im ehelichen Aufzug mit einander Arm in Arm umhertraben; Du würdest sie noch lange, wenn sie im Garten spazieren ginge, in jugendlicher Begeisterung vom Fenster aus verfolgen, ihr nachsehen und im Anschauen ihres Bildes versunken sein, auch nachdem sie Deinem Blicke schon lange entschwunden wäre. Du würdest ihr nachschleichen, ja, sie würde sich wohl auch zuweilen an Deinem Arm ausruhen – ja, schon ist's doch immer, wenn etwas als ein Ausdruck für bestimmte Gefühle unter den Menschen Eigentumsrecht gefunden hat – Du würdest mit ihr Arm in Arm gehen, dem schönen dieser Sitte halb Recht widerfahren lassend, halb scherzend, daß Ihr nun doch wirklich als Mann und Frau wandeltet. Doch ich würde zu keinem Ende kommen, wenn ich Dir in Deinen Phantasien folgen wollte; aber die asiatische Üppigkeit Deines Schlosses würde mich bald ermüden und ich würde mich nach den drei Zimmern, an denen Du so stolz vorübergingst, zurücksehnen.
Sollte nun aber in dieser ganzen Anschauung etwas ästhetisch schönes liegen, so müßte es teils in der erotischen Schüchternheit, die du verrietest, zu suchen sein, teils darin, daß Du die Geliebte auch nicht einzigen Augenblick besitzen, sondern stets von neuem um sie werben wolltest. Dieses Letztere ist an und für sich wahr und richtig, aber die Aufgabe ist keineswegs mit erotischem Ernst gestellt, und also auch nicht gelöst. Du klammertest Dich beständig an eine Unmittelbarkeit als solche, an eine Naturbestimmung, und dürftest sie sich nicht in einem gemeinsamen Bewußtsein verklären lassen; denn das ist's, was ich meinte, wenn ich von der Aufrichtigkeit und Offenheit sprach. Du fürchtest, wenn das Geheimnisvolle zu Ende sei, höre auch die Liebe auf; ich aber bin der Ansicht, daß, wenn jenes zu Ende ist, diese erst recht anfängt. Du meinst, man dürfe nicht ganz wissen, was man liebt, und rechnest auf das Inkommensurable als ein absolut wichtiges Ingrediens; ich meine, daß man erst dann in Wahrheit liebt, wenn man weiß, was man liebt. Dazu kommt, daß Deinem ganzen Glück ein Segen fehlt, denn ihm fehlendes Lebens Widerwärtigkeiten; und wär's ein Fehler, wolltest Du durch[420] Deine Theorie wirklich jemanden leiten, so ist's ein Glück, daß es nicht Wahrheit ist.
Wir wollen also auf das wirkliche Leben blicken. Ich meine nun keineswegs, daß Du die Ehe mit einer Suite von Widerwärtigkeiten identifizieren sollst, weil ich es urgiert habe, daß die Ehe nicht ohne Widerwärtigkeiten sein kann. Es liegt dagegen schon in der im Vorsatz enthaltenen Resignation, daß es an denselben nicht fehlen wird; doch haben sie bisher noch keine bestimmte Gestalt angenommen, auch ängsten sie noch nicht, da sie im Vorsatz vielmehr als überwunden angesehen werden. Dazu kommt, daß die Widerwärtigkeit nicht äußerlich in die Erscheinung tritt, sondern innerlich im Reflex des Individuums bleibt, aber dieser gehört der gemeinsamen Geschichte der ehelichen Liebe an. Das Geheimnisvolle selber wird zum Widerspruch, wenn es nichts zu verbergen hat, es wird kindisch, wenn es nur verliebte Schnurrpfeifereien sind, die sein Depositum ausmachen. Erst wenn die Liebe des Individuums in Wahrheit sein Herz geöffnet und ihn in einem viel tiefem Sinn, als die Liebe es sonst zu thun pflegt, beredt gemacht hat, erst wenn das Individuum alles in dem gemeinsamen Bewußtsein deponiert hat, wird das Geheimnisvolle zu einer Lebensmacht. Aber dazu gehört ein entscheidender Schritt, und also – Mut, und doch bricht die eheliche Liebe in sich selber zusammen und wird zu einem traurigen Nichts, wenn das nicht geschieht; denn erst dadurch zeigt man es, daß man nicht sich selber, sondern den andern liebt. Und wie sollte man es wohl zeigen, es sei denn dadurch, daß man nur für einen andern lebt? Das aber kann man nur dann, wenn man nicht für sich selber lebt. Und für sich selber leben – das ist gewissermaßen der allgemeinste Ausdruck für das Geheimnisvolle, wie es das individuelle Leben hat, wenn es in sich selber bleibt. Liebe ist Hingebung, Hingebung aber ist nur möglich, wenn man aus sich selber herausgeht. Wie ist denn die Liebe mit dem geheimnisvollen Wesen, das gerade in sich selber bleiben will, zu vereinigen? »Aber man verliert dadurch, daß man sich so gibt, wie man ist;« versteht sich, der verliert immer, wer dadurch gewinnt, daß er vor den Menschen verborgen bleibt. Aber willst Du konsequent sein, dann mußt Du nicht vor der Ehe, sondern[421] vor jeder Annäherung warnen, und wohl zusehen, daß Du nicht der Koketterie der Verführung in die Arme fällst. Wer wirklich liebt, verliert sich selber in dem andern; wenn man aber sich selber in dem andern verliert, ist man dem andern offenbar. Wer liebt, möchte nicht mit einem andern verwechselt werden, weder mit einem Bessern, noch mit einem Schlechtern. Wer sich weder vor sich selber noch vor der Geliebten so demütigen kann, der liebt nicht. Gewöhnlich glaubt man, diese Demut der Liebe finde man nur in Schauspielen und Romanen, oder sie gehöre den Konvenienzlügen der Verlobungszeit an. Aber das ist nicht wahr; sie ist ein heilsamer Zuchtmeister, so oft man die Liebe mit einem andern Maß als mit dem der Liebe messen will. Darum heißt's hier: Wer alles verloren hat, der hat alles gewonnen, und deshalb sage ich mit Fenelon: »Glaubt an die Liebe, sie nimmt alles, sie gibt alles.«
Das System des Geheimnisvollen geht – Du wirst es wohl einräumen – gewöhnlich von den Männern aus, und obgleich es immer sehr thöricht ist, es ist doch erträglicher als das Unerträgliche, wenn nämlich das Weib solches dominium ausübt. Die häßlichste Form ist natürlich eine reine Despotie, da die Frau eine Sklavin ist, ein Mädchen für alles. Eine solche Ehe kann niemals glücklich sein, wenn auch die Jahre eine gewisse Schlaffheit des Geistes erzeugen, in der man sich dabei wohl befindet. Eine schönere Form ist das andre Extrem, eine unzeitige Fürsorge. Das Weib ist schwach, sagt man, sie kann die Sorgen und die Leiden dieser Zeit nicht allein tragen, man muß sich der Schwachen und Gebrechlichen in Liebe annehmen. Das ist nicht wahr, bei Gott, es ist nicht wahr! Das Weib ist ebenso stark wie der Mann, vielleicht noch stärker. Und nimmst Du Dich wirklich in Liebe ihrer an, wenn Du sie so demütigst? Oder wer gab Dir das Recht, sie zu demütigen, oder wie kannst Du so verblendet sein, daß Du meinst, Du seist ein vollkommeneres Wesen als sie? Vertraue ihr nur alles an. Ist sie schwach, kann sie es nicht tragen, nun wohl, dann kann sie sich ja an Dich lehnen, Du hast ja die Kräfte! Wie? das kannst Du nicht ertragen, dazu fehlen Dir die Kräfte? Also bist Du schwächer als sie!
Weiter – hast Du's nicht versprochen, Du wollest Gutes und[422] Böses mit ihr teilen? Übervorteilst Du sie denn nicht, wenn Du sie nicht in das Böse einweihst? Vielleicht ist sie schwach, vielleicht macht ihr Leid alles noch schwerer, eh bien, so teilst Du das Böse mit ihr. Und woher hast Du Deine Kraft? Ist sie Gott nicht ebenso nahe wie Du? Willst Du ihr die Gelegen heit rauben – durch Leiden und Schmerzen Gott zu finden? Und weißt Du es denn so gewiß, daß sie Dein Geheimnis nicht ahnt? Weißt Du, ob sie nicht im geheimen seufzt und sorgt? ob sie nicht Schaden nimmt an ihrer Seele? Vielleicht ist ihre Schwachheit Demut, vielleicht glaubt sie, es sei ihre Pflicht, das alles zu ertragen. Dadurch hast Du nun freilich selbst ihre Kraft entwickelt, aber nicht so, wie Du es wünschtest oder wie Du es versprochen hattest. Oder behandelst Du sie nicht, um es mit einem kräftigen Ausdruck zu bezeichnen, als – eine Mätresse? Denn es hilft ihr nicht, daß Du nicht mehrere hast. Und ist es nicht doppelt demütigend für sie, wenn sie merkt, daß Du sie nicht deshalb liebst, weil Du ein stolzer Tyrann bist, sondern weil sie ein schwaches Weib ist?
Nein, mein Freund, Aufrichtigkeit und Offenherzigkeit – das sind die Lebensprinzipien der Ehe; ohne diese ist sie unschön und eigentlich unsittlich; denn da wird geschieden, was die Liebe verbindet, das Sinnliche und das Geistige. Erst wenn das Wesen, mit welchem ich in der innigsten Verbindung, die es auf Erden gibt, zusammenlebe, mir auch geistig ganz nahe steht, erst dann ist meine Ehe sittlich und daher auch ästhetisch schön. Und Ihr stolzen Männer, die Ihr Euch vielleicht im stillen Eurer Siege und Triumphe über das Weib freut, Ihr vergeßt es, daß es traurige Siege und armselige Triumphe sind, wenn man über den Schwächern triumphiert, und daß der Mann sich selber in seinem Weibe ehrt.
Daher kann ich mir auch nur einen Fall denken, der den Mann abhalten darf zu heiraten: wenn das individuelle Leben so verwickelt ist, daß es sich nicht offenbaren kann. Ist in der Entwickelungsgeschichte Deines innern Lebens ein Unaussprechliches, oder bist Du in ein Geheimnis eingeweiht, das Du nicht verraten kannst, ohne daß es Dich das Leben kostet, so heirate nie! Entweder fühlst Du Dich dann an ein Wesen gebunden, das nicht ahnt, was in Dir vorgeht,[423] und Deine Ehe wird zu einer unschönen Mesalliance; oder Du verbindest Dich mit einem Wesen, das es in banger Angst merkt und jeden Augenblick dunkle Schattenbilder an der Wand sieht. Vielleicht entschließt sie sich dazu, Dich niemals nach jenem Geheimnis zu fragen, aber glücklich kann sie nicht werden, und Du auch nicht.
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Wir kommen nun weiter auf den historischen Charakter der Ehe. Du meinst freilich, Du könntest mit Hilfe Deines geheimnisvollen Wesens und Deiner klug berechnenden relativen Mitteilung die Zeit betrügen; aber wenn Mann und Frau erst so recht gründlich anfangen, ihre kürzere oder längere Geschichte zu er zählen, dann kommt auch bald der Augenblick, wo es heißt: »Nun ist die Geschichte aus.« Mein junger Freund, wenn Du mit solchem Einwand kommen kannst, dann steht's mit Dir selber nicht richtig. Dadurch, daß Du so geheimnisvoll bist, hast Du eine Zeitbestimmung in Dir, und es gilt wirklich, die Zeit betrügen; dagegen hat die Liebe, die sich selber offenbart, eine Ewigkeitsbestimmung in sich, und so ist eine Konkurrenz möglich. Auch ist es nur ein willkürliches Mißverständnis, diese Offenbarung so aufzufassen, als ob Mann und Frau etwa 8-14 Tage gebrauchten, um einander ihre Lebensgeschichte zu erzählen, worauf eine Totenstille folge, die höchstens ein vereinzeltes Mal durch eine schon bekannte Geschichte unterbrochen werde.
Der historische Charakter der Ehe erweist sich gerade dadurch, daß die Geschichte des vergangenen Lebens ebensosehr noch im Werden ist als auch schon abgeschlossen vor einem liegt. Es geht damit wie mit dem individuellen Leben. Ist man erst über sich selber zur Klarheit gekommen und hat man den Mut gefunden, sich selber sehen zu wollen, wie man ist, so folgt daraus keineswegs, daß die Geschichte nun zu Ende ist; nein, nun fängt sie erst recht an, nun erhält sie erst recht Bedeutung, denn nun kann jedes einzelne Moment, das man erlebt hat, zu jener Totalanschauung in ein Verhältnis gebracht werden. So ist's auch mit der Ehe. In dieser Offenbarung ist die Unmittelbarkeit der ersten Liebe untergegangen, doch nicht verloren, sondern in das eheliche Vertrauen aufgenommen; hiermit beginnt die Geschichte, und auf dieses Vertrauen[424] wird das Einzelne hingeführt. Sieh, mein Freund, darin liegt ihre Seligkeit, ein Ausdruck, in welchem wieder der historische Charakter der Ehe bewahrt ist, und welche der Lebensfreude entspricht oder dem, was der Deutsche »Heiterkeit« nennt, und was das Charakteristische der ersten Liebe ist.
Es ist für die eheliche Liebe also charakteristisch, historisch zu werden; und stehen die Individuen auf rechtem Grunde, dann ist das Gebot: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen« keine Donnerbotschaft, vielmehr ist der Mut und die Kraft, den diese Liebe in sich fühlt, das Wahre in dem abenteuerlichen Drang der ritterlichen Liebe zu abenteuerlichen Thaten. Wie der Ritter ohne Furcht ist, so auch die eheliche Liebe, obgleich die Feinde, gegen welche diese zu kämpfen hat, oft viel gefährlicher sind. Hier öffnet sich der Betrachtung ein weites Feld, das ich jedoch nicht betreten will; aber hat der Ritter ein Recht zu der kühnen Sprache, der kenne die ritterliche Liebe nicht, der nicht einer ganzen Welt Trotz biete, um seine Geliebte zu retten, es hat auch der Ehemann ein heiliges Recht zu derselben Sprache. Nur daran muß ich immer wieder erinnern, daß jeder Sieg, den die eheliche Liebe davonträgt, ästhetisch schöner ist als der, den der Ritter gewinnt, weil durch jeden Sieg die Liebe selber verklärt und verherrlicht wird. Sie fürchtet nichts, selbst nicht kleine Verirrungen, sie fürchtet auch kleine Liebschaften nicht, vielmehr sind auch diese nur eine Nahrung für die göttliche Gesundheit bei ehelichen Liebe. Selbst in Goethes Wahlverwandtschaften wird Ottilie, als eine schwache Möglichkeit, von der ernsten ehelichen Liebe unterdrückt, wieviel mehr sollte denn nicht eine tief religiös und ethisch angelegte Ehe die Kraft dazu haben? Ja, Goethes Wahlverwandtschaften beweisen es recht, wohin ein geheimnisvolles Wesen führt. Jene Liebe wäre nicht so stark geworden, wenn sie nicht im stillen gewachsen wäre. Hätte er den Mut gehabt, sich seinem Weibe zu offenbaren, so wäre die ganze Geschichte nur ein Divertissement im Drama der Ehe geworden. Das Verhängnisvolle liegt darin, daß sowohl Eduard wie sein Weib sich auf einmal verlieben; aber das hat wieder seinen Grund in einer falschen Verschwiegenheit. Der Ehemann, der den Mut hat, es seinem Weibe anzuvertrauen, daß[425] er eine andre liebt, ist gerettet, und ebenso umgekehrt das Weib. Hat er den Mut nicht, so verliert er das Vertrauen zu sich selber, und er sucht in der Liebe einer andern sich selber zu vergessen, dazu aber gehören, starke Opiate.
Ganz im allgemeinen will ich jedoch der Schwierigkeiten erwähnen, mit denen die eheliche Liebe zu kämpfen hat, um nachzuweisen, daß dieselbe sich nicht vor ihnen zu fürchten braucht, um das Ästhetische aus dem Kampf des Lebens zu retten. Die Einwände kommen meistens aus einem Mißverständnis von der ästhetischen Bedeutung des Historischen, oder daher, daß man im allgemeinen innerhalb des Romantischen nur das klassische, nicht aber zugleich das romantische Ideal hat; weiter haben sie ihren Grund darin, daß man sich die erste Liebe immer auf Rosen tanzend vorstellt, aber es sich mit wahrer Freude ausmalt, wie die eheliche Liebe auf jede Weise schikaniert wird und mit den niedrigsten und traurigsten Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Dazu kommt, daß man im tiefsten Grunde des Glaubens ist, diese Schwierigkeiten seien unüberwindlich, und so ist man denn auch bald mit der Ehe fertig. Hat man mit Dir zu thun, muß man immer sehr vorsichtig sein. Ich rede nicht von einer einzelnen Ehe, ich könnte ihr Bild ja malen, wie ich wollte; aber wenn ich mich auch keiner Willkür schuldig machte, so wäre damit noch nicht gesagt, daß Du es auch nicht thätest. Nennt man z.B. als eine Schwierigkeit, mit welcher die Ehe zu kämpfen habe, die Armut, so würde ich antworten: »Arbeite, dann wird sich schon alles geben.« Da wir uns nun aber in einer poetischen Welt bewegen, so läßt Du vielleicht Deinem Pegasus die Zügel schießen und sagst: »Sie können keine Arbeit finden, die Abnahme des Handels und der Seefahrt hat so viele Menschen brotlos gemacht.« Oder Du erlaubst ihnen, daß Sie etwas Arbeit finden, aber nicht ausreichend. Wenn ich nun die Ansicht ausspreche, durch kluge Sparsamkeit würden sie schon auf einen grünen Zweig kommen, so antwortest Du, die Kornpreise seien wegen der bedenklichen Konjunkturen so hoch, daß daran gar nicht zu denken sei, man könne nun nicht mehr mit dem auskommen, womit man sich früher wohl zur Not durchgeschlagen habe. Ja, ich kenne Dich, und weiß es, wie gern Du eine dichterische Möglichkeit plötzlich zur[426] Wirklichkeit werden läßt, und Dich dann des weitern darüber verbreitest. Hättest Du z.B. in der angegebenen Weise mit einem andern Menschen als mir gesprochen – denn mich verschonst Du doch im allgemeinen mit solchen Exkursen - , so würdest Du vielleicht bei Gelegenheit der hohen Kornpreise hinzugefügt haben: »Ja, so teure Zeiten, daß ein Pfund Brot 8 Schillinge kostete.« Antwortete nun einer, das sei undenkbar, so würdest Du ihm erzählen, »wie unter Oluf Hungar ein Pfund Brot, und gar Brot von Baumrinden, 8 1/2 alte dänische Schillinge kostete, und wenn man nun noch in Anschlag brächte, daß das Geld damals viel höhern Wert gehabt hätte, so sähe man leicht ein« u.s.w. Käme selbiger Mensch nun recht in Feuer, so warst Du vor Freuden außer Dir. Vergebens suchte nun der, der die Unterredung ursprünglich angefangen, Dich zur Raison zu bringen; es war alles in Konfusion, und Du hättest ein Ehepaar in der Welt der Poesie unglücklich gemacht.
Das macht es so schwer, wenn man sich mit Dir einläßt. Würde ich es versuchen, eine Ehe, die aus dem Kampf mit vielen Widerwärtigkeiten siegreich hervorgegangen wäre, novellistisch zu schildern, so würdest Du ganz ruhig antworten: Ja, das ist nur ein Gedicht, und in der Welt der Poesie kann man die Menschen schon glücklich machen; und nähme ich Dich dann unter den Arm, ginge mit Dir ins Leben hinein und zeigte Dir eine Ehe, die den guten Kampf gekämpft hätte, so würdest Du, wenn Du bei gutem Humor warst, etwa antworten: »Sehr wohl, das Äußere der Versuchung läßt sich beweisen, aber nicht das Innere, und ich nehme an, daß die Versuchung in ihnen keine innere Macht gehabt hat; denn sonst wär's nicht zum Aushalten gewesen.« Gerade als wäre es die wahre Bedeutung der Versuchung, daß die Menschen in ihr zu Grunde gehen sollten. Doch genug davon. Ergibst Du Dich einmal diesem Dämon der Willkür, dann nimmt's kein Ende, und wie Du alles, was Du thust, in Dein Bewußtsein aufnimmst, so auch diese willkürlichen Träume, und es erfüllt Deine Seele mit wahrer Freude, wenn Hügel weichen und Berge hinfallen, und in sich zusammenbricht, was vorher unerschütterlich festzustehen schien.
Ganz allgemein kann ich jene Schwierigkeiten in äußere und[427] innere einteilen; doch dürfen wir das Relative solcher Einteilung nicht vergessen, sobald wir die Ehe ins Auge fassen, in der ja im Grunde alles innerlich ist. Also zuerst die äußern Schwierigkeiten. Ich nenne hier ohne Bedenken all die endlichen Leiden, die uns demütigen, in den Staub beugen oder uns verdrießlich machen, kurz alles, was ein weinerliches Drama konstituiert; Du und Deinesgleichen sind, wie überall, so auch hier äußerst willkürlich. Nötigt ein derartiges Schauspiel Euch, eine solche Wanderung durch die Schwermutshöhlen vorzunehmen, so sagt Ihr, das sei unästhetisch, ermüdend und langweilig. Und darin habt Ihr recht; aber weshalb? weil es Euch indigniert, daß etwas Erhabenes und Edles dadurch zu Grunde geht. Wendet Ihr Euch dagegen zur wirklichen Welt, trefft Ihr da eine Familie, die nur die Hälfte der Widerwärtigkeiten erlebt hat, die sich ein Theatendichter erdacht hat, der es wohl weiß, welche Wonnen es einem Tyrannen bereitet, andre Menschen zu quälen, so schaudert Euch und Ihr denkt: Gute Nacht alle ästhetische Schönheit. Ihr habt Mitleiden, Ihr seid bereit zu helfen, wenn auch aus keinem andern Grunde, als um die trüben Gedanken zu verscheuchen, aber an der Rettung der unglücklichen Familien habt Ihr lange verzweifelt. Aber ist es bittere Wahrheit, die uns im wirklichen Leben entgegentritt, dann hat der Dichter ja recht, sie darzustellen. Sitzt Ihr im Theater und berauscht Euch im ästhetischen Genuß, denn habt Ihr Kourage und fordert vom Dichter, er solle das Ästhetische über allen Jammer des Lebens siegen lassen. Das ist der einzige Trost, der zurückbleibt, und was noch weichlicher, noch weibischer ist, den Trost nehmt Ihr an, Ihr, denen das Leben keine Gelegenheit gegeben hat, Eure Kräfte zu erproben. Ihr seid dann arm und unglücklich wie der Held oder die Heldin im Theater, aber Ihr habt auch Pathos, Mut, ein os rotundum, von welchem beredte Worte strömen, einen kraftvollen Arm; Ihr singt, Ihr applaudiert dem Schauspieler, und Ihr selber seid – die Schauspieler, und der Applaus des Parterres gilt Euch, die Ihr ja die Helden und Schauspieler zugleich seid! Ja, im Lande der Träume, im Nebelreich der Ästhetik, da seid Ihr Helden! Ich bekümmere mich verhältnismäßig sehr wenig um das Theater; laßt die Theaterhelden untergehen oder siegen, laßt sie im Abgrund versinken[428] oder in der Luft verschwinden, das rührt mich nicht sehr; aber ist es wahr, wirklich wahr, was Ihr ja selber lehrt, daß viel geringere Widerwärtigkeiten so schwer auf einem Menschen lasten können, daß er gebeugten Hauptes einherschleicht und es ganz und gar vergißt, daß auch er nach dem Bilde Gottes erschaffen ist, so möge es Eure gerechte Strafe sein, wenn alle Theaterdichter nichts andres mehr dichten als larmoyante Dramen mit aller möglichen Angst und allen möglichen Schrecken, also daß Ihr nicht mehr auf den weichen Theaterkissen bleiben und Euch nicht mit übernatürlicher Kraft parfümieren könnt, sondern daß der Schrecken Euch in die Glieder fährt, bis Ihr gelernt habt, das im wirklichen Leben zu glauben, was Ihr nur in der Poesie glauben wollt.
Gern gestehe ich es, ich habe in meiner Ehe nicht gar viele Widerwärtigkeiten erlebt; ich kann daher nicht aus Erfahrung reden, aber doch bin ich fest davon überzeugt, daß nichts das Ästhetische in einem Menschen unterdrücken kann, und diese meine Überzeugung ist so voller Kraft und Seligkeit, so fest und tief, daß ich für dieselbe Gott als für eine Gnadengabe danke. Und wenn wir in der heiligen Schrift von vielen Gnadengaben lesen, so will ich auch diese hier nennen, den Glauben an die Wirklichkeit und an die ewige Notwendigkeit, durch welche das Schöne siegt, den Glauben an die Seligkeit, die in der Freiheit liegt, mit welcher das Individuum Gott zur Hilfe kommt. Diese Überzeugung ist ein Moment meines ganzen geistigen Habitus, dafür ich Gott von ganzem Herzen danke. Du weißt, wie sehr ich alles Experimentieren hasse, aber trotzdem ist es auch wahr, daß ein Mensch vieles innerlich – im Geiste – erleben kann, was er im wirklichen Leben niemals erlebt. Es kommen zuweilen mißmutige Augenblicke, und wenn man sie auch nicht selber hervorruft, um sich in ihnen willkürlich zu versuchen, es ist doch ein Streit, ein sehr ernster Streit, und in diesem Streit kann eine gewisse Zuversicht erkämpft werden, die von großer Bedeutung sein kann, auch dann, wenn sie nicht diejenige Realität hat, die im strengern Sinn des Wortes nur im wirklichen Leben erworben wird.
Sofern nun die Ehe mit solchen äußern Anfechtungen zu thun hat, so gilt's natürlich, sie in innere zu verwandeln. Ich sage[429] »natürlich« und rede gar kühnlich von der ganzen Sache, aber ich schreibe ja auch nur Dir, und wir beide haben wohl in solchen Widerwärtigkeiten ungefähr dieselben Erfahrungen gemacht. Es kommt also darauf an, die äußere Anfechtung in eine innere zu verwandeln, wenn anders man das ästhetische bewahren will. Oder stört es Dich, daß ich noch immer das Wort Ästhetik gebrauche? oder meinst Du, es sei fast kindisch von mir, wenn ich sie unter Armen und Leidenden suche? oder solltest Du Dich selber durch jene himmelschreiende Einteilung entwürdigt haben, die den Vornehmen und Mächtigen, den Gebildeten das Ästhetische zuerkennt, den Armen aber höchstens das Religiöse? Nun wohl, ich glaube nicht, daß die Armen bei dieser Teilung zu kurz kommen; und siehst Du es denn nicht, daß die Armen, so wahr sie das Religiöse haben, so gewiß auch zugleich im Besitz des Ästhetischen sind, und die Reichen, sofern ihnen das Religiöse fehlt, auch nicht das Ästhetische haben? Außerdem habe ich hier nur das Extrem genannt, und es ist wohl nicht so selten, daß auch diejenigen, welche man nicht gerade unter die Armen rechnen kann, doch mit Nahrungssorgen zu kämpfen haben. Dazu kommt, daß andre irdische Leiden allen Ständen gemeinsam sind, z.B. Krankheiten. Davon bin ich jedoch überzeugt, daß, wer nur den Mut besitzt, die äußere Anfechtung in eine innere zu verwandeln, sie auch bereits fast überwunden hat. Durch den Glauben geht sogar im Augenblick des tiefsten Schmerzes eine Transsubstantiation vor sich. Der Ehemann, der so treu an seine Liebe denkt und Mut genug hat, um im Augenblick der Not zu sagen, es handelt sich zunächst nicht darum, woher ich Geld nehme, oder wie viele Prozente ich geben muß; sondern zunächst und vor allem handelt es sich um meine Liebe, daß ich der, mit welcher ich so fest verbunden bin, Liebe und Treue halte in einem reinen Herzen. Wer diese Bewegung vornimmt, sei es mit der jugendlichen Gesundheit seiner ersten Liebe, sei es mit der durch Erfahrung gewonnenen Sicherheit, der hat gesiegt, der hat das Ästhetische seiner Ehe bewahrt, selbst wenn er nicht einmal drei kleine Zimmer für seine Familie hätte.
Nun will ich's keineswegs leugnen – Dein pfiffiger Kopf wird es auch schon bald entdecken - , daß gerade diese Bewegung, in[430] welcher man die äußere Anfechtung in eine innere verwandelt, dieselbe noch schwerer machen kann, aber das Große verkaufen die Götter auch nicht umsonst; und eben darin liegt gerade das Bildende, das, was die Ehe idealisiert. Steht man allein in der Welt, so heißt es oft, dann kann man das alles leichter tragen. Wohl wahr, in gewissem Grade, aber oft verbirgt sich in solcher Rede eine große Unwahrheit; denn weshalb kann man es leichter tragen? Weil man sich da leichter selbst wegwirft und Schaden nehmen kann an seiner Seele, ohne daß es einen andern etwas angeht; weil man da Gottes vergessen kann und die Stürme der Verzweiflung den Schmerzensschrei eher übertäuben; weil man da leichter kalt und gleichgültig gegen höhere Eindrücke wird, ja fast seine Freude daran finden kann, unter den Menschen wie ein Geist der Nacht umherzugehen. Wohl muß jeder, auch wenn er allein im Leben steht, auf sich selber achten; aber erst der, dessen Herz in Liebe schlägt, ahnt es recht, was er ist und was er kann, und erst die Ehe gibt jene historische Treue, die ebenso schön wie die ritterliche ist. So kann ein Ehemann ja niemals auftreten, auch nicht, wenn er sich einen Augenblick selbst vergißt, und sich schon so leicht fühlt, weil die Verzweiflung ihn flott machen will, sich so stark fühlt, weil er von dem betäubenden Becher getrunken hat, den Trotz und Verzagtheit, Stolz und Feigheit mischen; sich so frei fühlt, weil das Band, das ihn an Wahrheit und Gerechtigkeit bindet, sich gewissermaßen schon löst, also daß er es merkt, wie rasch es auf der abschüssigen Bahn abwärts geht – doch wird er bald zu den alten Pfaden der Pflicht und Liebe zurückkehren und als Ehemann sich als einen rechten, braven Mann erweisen.
Doch nun genug von den äußern Anfechtungen. Mein Resultat ist dieses: kann die Liebe bewahrt werden, und das kann sie, sowahr mir Gott helfe, dann kann auch das ästhetische bewahrt werden; denn die Liebe selber ist das Ästhetische.
Die weitern Einwände beruhen vornehmlich auf einem Mißverständnis von der Bedeutung der Zeit und der ästhetischen Gültigkeit des Historischen. Sie treffen also jede Ehe, und deshalb läßt[431] sich davon auch ganz allgemein reden. Das werde ich nun auch thun und will mich bestreben, daß ich in diesem Allgemeinen weder die Pointe des Angriffs noch die Pointe der Verteidigung übersehe.
Das Erste, was Du nennen wirst, ist »die Gewohnheit, die unvermeidliche Gewohnheit, diese schreckliche Monotonie, das ewige Einerlei in dem beängstigenden Stillleben des ehelichen Ensemble. Ich liebe die Natur, aber hasse die andre Natur.« Ja, das muß man Dir lassen, mit verführerischer Wärme und Wehmut weißt Du die glückliche Zeit zu schildern, da man noch Entdeckungen machte, mit Angst und Schrecken die Zeit, in der das alles vorbei ist. Ich will nun gar nicht leugnen, daß es eine schöne Zeit ist, eine ewig unvergeßliche Zeit – merk's Dir recht, in welchem Sinn ich das sagen kann - , da das Individuum in der Welt der Liebe sich unaussprechlich glücklich fühlt, wenn es erstaunt stille steht, und sich das, was wohl schon vor langer Zeit entdeckt worden war, und wovon es auch schon oft gehört und gelesen hatte, doch nun erst mit dem ganzen Enthusiasmus der Überraschung, und von ganzem Herzen und aus tiefster Seele aneignet; ja wahrlich, eine schöne Zeit ist's von dem ersten Aufleuchten der Liebe, von dem ersten Verschwinden der Geliebten, dem ersten Akkord dieser wunderbaren Stimme, von dem ersten Blick, dem ersten Druck der Hand, dem ersten Kuß an bis zu der ersten vollkommenen Gewißheit ihres Besitzes; eine schöne Zeit, die Zeit der ersten Unruhe, der ersten Sehnsucht, des ersten Schmelzes, weil sie ausblieb, der ersten Freude, weil sie unerwartet kam – aber damit soll doch keineswegs gesagt sein, daß das Folgende nicht ebenso schon ist. Prüfe Dich selber, Du Ritter der ersten Liebe! Wenn Du sagst, der erste Kuß sei der schönste, der süßeste, so beleidigst Du die Geliebte; denn was dem Kuß absoluten Wert gibt, das ist die Zeit und die Bestimmung derselben.
Um indessen der Sache, die ich verteidige, nicht zu schaden, muß ich Dich erst etwas zur Rechenschaft ziehen. Willst Du nicht ganz willkürlich verfahren, so mußt Du die erste Liebe gerade so angreifen, wie Du die Ehe angreifst. Soll sie nämlich bestehen, dann muß sie denselben Fatalitäten ausgesetzt sein, wie diese, und wird doch nicht die Waffen haben, welche die eheliche Liebe im Ethischen und Religiösen[432] hat. Konsequent mußt Du also alle Liebe hassen, die eine ewige Liebe sein will, und mußt bei der ersten Liebe als Moment stehen bleiben. Damit diese indessen ihre wahre Bedeutung gewinnen könne, muß sie die naive Ewigkeit in sich haben. Hast Du nun einmal die Erfahrung gemacht, daß das eine Illusion war, so ist für Dich ja alles verloren, es sei denn, daß Du noch einmal ein Raub derselben Illusion werden wolltest, was außerdem ein Widerspruch in sich selber wäre. Oder sollte Dein kluger Kopf sich in dem Maße mit Deiner Lust verschworen haben, daß Du ganz und gar vergessen könntest, was Du andern schuldest? Solltest Du meinen, wenn es sich auch niemals so wiederholen ließe wie das erstemal, es sei doch ein erträglicher Ausweg? man verjünge sich dadurch, daß die Illusion in andern wieder auflebe, also daß man den Zauber der Unendlichkeit und den Reiz der Neuheit in der Ursprünglichkeit genieße, die in dem Individuum vorhanden sei, in welchem der jungfräuliche Gürtel der Illusion noch nicht gelöst sei? Aber das verriete ja ebenso viel Desperation wie tiefes Verderben; und da es Desperation verrät, so wird man ja unmöglich da den Schlüssel zu den Rätseln des Lebens finden.
Ich muß nun zunächst einen sehr energischen Protest einlegen, wenn Du, um die eheliche Einförmigkeit zu schildern, erzählst, Derartiges finde man selbst in der Natur nicht. Das ist sehr wahr; aber das Einförmige kann ja gerade der Ausdruck für etwas Schönes sein; und daher darf der Mensch wohl stolz auf diese Erfindung sein. Kann nicht z.B. in der Musik der einförmige Takt sehr schön und wirkungsvoll sein?
Und wäre solche Monotonie die größte Gefahr für das eheliche Zusammenleben – nun, so müßtest Du ja, wenn Du aufrichtig warst, einsehen, daß es unsre Aufgabe wäre, sie zu besiegen, d.h. in derselben die Liebe zu bewahren, und nicht zu verzweifeln; denn das kann nie unsre Aufgabe sein.
Aber laßt uns doch etwas näher untersuchen, wie es denn mit der verschrienen Einförmigkeit steht. Es ist Dein Fehler und auch Dein Unglück, daß Du immer und überall, und daher auch in den Fragen, welche die Liebe angehen, zu abstrakt bist. Vor Deinen[433] Augen stehen die verschiedenen Momente der Liebe, und Du denkst Dir – das wirst Du vielleicht selber sagen – die Kategorien derselben und diese allerdings konkret in einem Moment, nämlich in dem Poetischen. Denkst Du Dir nun, wie lange eine Ehe währen kann, so wird Dir das ein beängstigendes Mißverhältnis. Der Fehler ist der, daß Du das Historische übersiehst. Wollte ein Systematiker die Kategorie der Wechselwirkung gründlich entwickeln, aber zugleich sagen: Ach, es kann ja eine Ewigkeit vergehen, ehe die Welt mit ihren ewigen Wechselwirkungen fertig wird, so würde man ihn doch wohl auslachen müssen. Es ist nun einmal die Bedeutung der Zeit, und der Menschheit und der Individuen Los, in derselben zu leben. Hast Du also weiter nichts zu bemerken, als daß es nicht auszuhalten sei, so sieh Dich nach einem andern Auditorium um. Diese Antwort würde nun vollkommen genügen; aber damit sie Dir nicht ein Anlaß zu der Bemerkung wird: »Im Grunde sind wir doch derselben Meinung, aber Du denkst, es sei das Beste, sich in das Unvermeidliche zu fügen,« – will ich zu erweisen suchen, daß es nicht nur am besten ist, sich darin zu finden, wie es ja auch unsre Pflicht wäre, sondern daß es auch in Wahrheit das Beste ist.
Aber haben wir denn gar keinen Berührungspunkt? Laß sehen! Du fürchtest Dich nicht vor der Zeit, welche der Kulmination vorangeht, im Gegenteil, die liebst Du, und durch viele Reflexionen suchst Du die Reproduktions-Augenblicke noch länger zu machen, als sie ursprünglich waren; und wollte Dir jemand hier das Leben auf eine Kategorie reduzieren, so würdest Du sehr böse werden. In jener Zeit, die der Kulmination vorangeht, sind's ja auch nicht nur die großen entscheidenden Schlachten, die ein Interesse für Dich haben, sondern jede unbedeutende Bagatelle, und Du weißt da sehr schön von dem Geheimnis zu reden, das den Klugen verborgen bleibt, daß nämlich das Kleinste das Größte sei. Ist dagegen der Kulminationspunkt erreicht, dann hat sich alles verändert, dann schrumpft alles in eine armselige und unerquickliche Abbreviatur zusammen. Das mag ja nun einmal in Deiner Natur liegen, die nur erobern will, aber nichts besitzen kann. Wenn Du es nicht ganz willkürlich und einseitig festhalten willst, daß Du einmal so bist, so bist Du wirklich[434] dazu gezwungen, einen Augenblick Waffenstillstand zu schließen, die Reihen zu öffnen, damit ich nachsehen kann, wie weit es wahr ist. Willst Du das nicht, so denke ich mir – ohne daß ich mich um Dich kümmere – eine Individualität ganz wie die Deinige und nehme mit aller Ruhe die Vivisektion vor. Aber ich hoffe, Du wirst so viel Mut haben, daß Du Dich wirklich und nicht nur in effigie hinrichten läßt.
Indem Du urgierst, daß Du nun einmal so seist, räumst Du damit ein, daß andre anders sein können. Mehr darf ich noch nicht behaupten; denn möglicherweise warst Du ja ein normaler Mensch, obgleich die Ängstlichkeit, mit welcher Du daran festhältst, daß Du nun einmal so seist, nicht darauf hinzudeuten scheint. Aber wie faßt Du andre auf? Wenn Du ein Ehepaar siehst, dessen Verbindung – so scheint es Dir – sich in der schrecklichsten Langweile hinschleppt, »in der fadesten Repetition der heiligen Institutionen und Sakramente der Liebe,« dann lodert in Deinem Herzen ein Feuerbrand, eine Feuerflamme, die alles verzehren will. Und das ist nichts Willkürliches in Dir, Du hast ja recht, und bist von höhern Mächten – so meinst Du – beauftragt, wenn Du sie mit den Blitzen Deiner Ironie triffst und die Donner Deines Zornes über ihnen rollen läßt. Du vernichtest sie ja nicht, weil es Dir Freude macht, sondern weil sie es verdient haben. Du verurteilst sie; verurteilt man aber einen Menschen, so setzt das voraus, daß man etwas von ihm fordert; und kannst Du es nicht fordern, denn das Unmögliche fordern wäre ja ein Widerspruch in sich selber, so ist's auch ein Widerspruch in sich selber, sie zu verurteilen. Nicht wahr, mein Freund, Du hast Dich verrannt, Du hast ein Gesetz ahnen lassen, das Du für Dich nicht anerkennen willst, und doch gegen andre anwendest! Du verlierst Deine Fassung nicht so leicht. »Nein,« – so sagst Du – »ich tadle sie nicht, ich mache ihnen keine Vorwürfe, ich verurteile sie nicht; ich beklage sie nur.« Aber wie, wenn die Betreffenden es nun gar nicht so langweilig fänden? Ein selbstzufriedenes Lächeln fährt über Deine Lippen, ein glücklicher Einfall hat Dich selbst überrascht, und dürfte auch den überraschen, mit dem Du redest: »Wie gesagt, ich beklage sie; denn entweder langweilen[435] sie sich fürchterlich, und dann sind sie beklagenswert, oder sie merken nichts von Langeweile, und dann befinden sie sich in einer sehr traurigen Illusion.« So ungefähr würdest Du mir antworten, und wären noch andre gegenwärtig, so würde Deine sichere Attitüde ihre Wirkung nicht verfehlen. Nun hört uns jedoch niemand, und ich kann in meiner Untersuchung weitergehen. Du beklagst sie also in jenen beiden angegebenen Fällen. Es wäre aber doch ein dritter Fall möglich: man weiß, daß es sich so mit der Ehe verhält, und ist glücklicherweise nicht – »reingefallen«. Aber selbiger Mensch ist doch gewiß beklagenswert, denn er hat die Macht der Liebe gefühlt und sieht nun, daß sie sich wicht realisieren läßt. Und endlich ist ja auch der zu beklagen, der durch das zuvor geschilderte egoistische Rettungsseil dem Schiffbruch des Lebens glücklich entronnen ist, denn er hat sich als Räuber und Friedensbrecher aufgeworfen. Wie also eine Ehe der allgemeine Ausdruck für das glückliche Ende einer Sache geworden ist, so nimmt die Ehe selber einen nur wenig erfreulichen Ausgang. Das wahre Resultat dieser ganzen Untersuchung ist daher dieses: Klagelieder, nichts als Klagelieder.
Doch ich kehre zur Betrachtung Deines ganzen geistigen Habitus zurück. Du sagst, Du seist eine erobernde Natur, die nicht besitzen kann. Und wenn Du das sagst, dann meinst Du nicht, Dich damit herabzusetzen, im Gegenteil, Du fühlst Dich eher größer als andre. Laßt uns das etwas näher betrachten. Wozu gehört mehr Kraft, einen Hügel hinauf oder ihn hinabzugehen? Wenn der Hügel sehr steil ist, gehört offenbar zu letzterm am meisten Kraft. Die Neigung, einen Hügel hinaufzugehen, ist fast jedem Menschen angeboren, während die meisten eine gewisse Angst davor haben, einen Hügel hinabzugehen. So glaube ich auch, gibt's mehr erobernde als besitzende Naturen, und fühlst Du Deine Überlegenheit gerade vielen Ehepaaren gegenüber »mit ihrer dummen tierischen Zufriedenheit«, so mag das in gewissem Grade wahr sein, aber Du sollst ja auch nicht von denen lernen, die unter Dir stehen. Die wahre Kunst geht im allgemeinen den der Natur entgegengesetzten Weg, ohne ihn doch aufzuheben, daher besteht die wahre Kunst auch nicht darin, daß man erobert, sondern daß man besitzt. Besitzen ist nämlich ein rückwärts gehendes[436] Erobern. In diesen Ausdrücken siehst Du schon, wie weit Kunst und Natur miteinander im Kampfe sind. Der Besitzende hat ja auch etwas, das erobert ist, und will man in seinem Ausdruck streng sein, so kann man sagen, daß erst der, welcher besitzt, ein Eroberer ist. Nun glaubst du wohl auch zu besitzen; denn Du hast ja den Augenblick des Besitzes, aber das ist kein Besitz; denn es ist keine tiefere Aneignung. Wenn ich mir einen Eroberer denke, der Reiche und Länder unterworfen hat, so ist er ja freilich im Besitz dieser eroberten Provinzen, aber recht und im tiefsten Sinne des Wortes besitzt er sie doch erst, wenn er sie in Weisheit regiert und ihr wohl immer vor Augen hat. Bei einer erobernden Natur ist das nun freilich sehr selten; im allgemeinen fehlt derselben die Demut, die Religiosität und die wahre Humanität. die dem, der besitzen will, unentbehrlich sind.
Sieh, mein Freund, deshalb habe ich bei der Entwickelung des Verhältnisses der Ehe zur ersten Liebe gerade das religiöse Moment hervorgehoben, weil dieses die Eroberer dethronisiert und die Besitzer in ihre Rechte setzt; und gerade darum habe ich die Ehe so gerühmt, weit ihr Ziel das Höchste, der stete Besitz ist. Auch erinnere ich Dich an ein Wort, das Du oft im Munde führst: »Nicht das Ursprüngliche, sondern das Erworbene ist in Wahrheit groß;« denn das Erobernde in einem Menschen und das, daß er Eroberungen macht, das ist eigentlich das Ursprüngliche, und daß er besitzt und besitzen will, das Erworbene. Zum Erobern gehört Stolz, zum Besitzen Demut; zum Erobern gehört Heftigkeit, zum Besitzen Geduld; zum Erobern – Begehrlichkeit, zum Besitzen – Genügsamkeit; zum Erobern gehört Speise und Trank, zum Besitzen Beten und Fasten. Aber all die Prädikate, die ich hier – und doch wohl mit Recht – gebraucht habe, um die erobernde Natur zu charakterisieren, passen absolut auf den natürlichen Menschen; aber der natürliche Mensch ist das Höchste nicht. Wenn Du nun sagst: »Ich will nicht entscheiden, was das Größte ist; aber ich will gern einräumen, daß das die beiden großen Formationen der Menschen sind; jeder muß nun mit sich selber abmachen, zu welcher Formation er gehört und sich davor hüten, daß er sich nicht von diesem oder jenem Bekehrungs-Apostel[437] umkalfatern läßt,« – so merke ich wohl, daß Du mit diesem letztem Ausdruck mich bezeichnest. Ich antworte indessen mit voller Ruhe: das eine ist nicht nur größer als das andre, sondern in dem einen ist auch Sinn, in dem andern nicht. Das eine hat sowohl einen Vorder- als auch einen Nachsatz, das andre ist nur Vordersatz, und statt des Nachsatzes ein bedenklicher Gedankenstrich, dessen Bedeutung ich Dir ein andres Mal erklären will, wenn Du nicht schon jetzt weißt, was ich meine.
Willst Du nun trotzdem sagen, Du seist einmal eine erobernde Natur, so ist es mir gleichgültig; denn Du mußt Dir doch einräumen, daß besitzen größer als erobern ist. Wenn man erobert, so vergißt man stets sich selber; wenn man besitzt, so erinnert man sich seiner, nicht zu vergänglichem Zeitvertreib, sondern mit allem möglichen Ernst.
Doch, ich gehe weiter. Du wirst vielleicht einräumen: »Ja, besitzen mag schwerer, es mag größer sein als erobern; aber wenn ich nur erobern darf, so werde ich gewiß sehr höflich gegen alle sein, welche die nötige Geduld haben, um besitzen zu können, besonders dann, wenn sie mit mir Hand in Hand arbeiten und bereit sind, in den Besitz meiner Eroberungen zu treten. Größer mag das Besitzen sein, meinethalben, aber schöner ist's nicht; ethischer mag es sein, alle Achtung vor der Ethik, aber zugleich auch weniger ästhetisch.« Aber laß uns die Sache noch etwas näher untersuchen. Es herrscht bei vielen Menschen ein Mißverständnis vor, in dem sie verwechseln, was ästhetisch schön ist mit dem, was sich ästhetisch schön darstellen läßt. Dies erklärt sich daraus, daß die meisten Menschen die ästhetische Befriedigung, welche die Seele bedarf, in der Lektüre oder der Betrachtung von Kunstwerken suchen, wogegen verhältnismäßig nur sehr wenige das Ästhetische selbst schauen, wie es sich im Leben zeigt, oder das Leben in ästhetischer Beleuchtung ansehen, und nicht nur die dichterische Reproduktion genießen. Aber zu einer ästhetischen Darstellung gehört immer eine Konzentration im Moment, und je reicher diese Konzentration ist, um so größer ist die ästhetische Wirkung. Hierdurch bekommt nun der glückliche, der unbeschreibliche, der unendlich inhaltreiche Moment, kurz der Moment allein Gültigkeit.[438] Entweder ist's der gewissermaßen prädestinierte Moment, der das Bewußtsein durchzittert, indem er eine Vorstellung von der Göttlichkeit des Daseins weckt, oder der Moment setzt eine Geschichte voraus. Im ersten Fall ergreift er dadurch, daß er überrascht, im andern Fall ist's freilich eine Geschichte; aber die künstlerische Darstellung kann bei derselben nicht verweilen, kann sie höchstens nur andeuten, und eilt nun zum Moment. Je mehr sie in denselben hineinlegen kann, um so künstlerischer wird sie. Die Natur, hat ein Philosoph gesagt, geht den kürzesten Weg; man könnte sagen, sie geht überhaupt nicht, sie ist da; verliere ich mich im Anschauen des gewölbten Himmels, so brauche ich nicht zu warten, bis sich die unzähligen Himmelskörper gebildet haben, denn sie sind schon alle da. Der Weg der Geschichte aber ist, wie der Weg des Rechts lang und beschwerlich. Nun treten Kunst und Poesie herzu, verkürzen uns den Weg und erfreuen uns im Moment der Vollendung, der das Extensive in dem Intensiven konzentriert. Aber je bedeutungsvoller das ist, was ins Leben treten soll, um so langsamer ist der Weg der Geschichte, aber um so bedeutungsvoller auch der Gang selbst, um so mehr wird sich's zeigen, daß das Ziel zugleich der Weg ist.
Im individuellen Leben gibt es eine äußere und eine innere Geschichte, zwei Strömungen, deren Bewegung entgegengesetzt ist. Die erstere hat wieder zwei Seiten in sich. Das Individuum hat das, wonach es trachtet, noch nicht, und die Geschichte ist der Kampf, in welchem ein Mensch es erwirbt. Oder das Individuum hat es, aber kann doch nicht in den Besitz desselben kommen, weil ein äußeres stets hindernd in den Weg tritt – die Geschichte ist dann der Kampf, in welchem ein Mensch diese Hindernisse überwindet. Die andre Geschichte fängt mit dem Besitz an, und die Geschichte ist die Entwickelung, durch welche man den Besitz erwirbt. Da nun im ersten Fall die Geschichte eine äußere ist, und das, wonach man trachtet, außerhalb des Individuums liegt, so hat die Geschichte keine wahre Realität, und die dichterische und künstlerische Darstellung handelt ganz richtig, wenn sie diese verkürzt und so rasch wie möglich zu dem intensiven Moment eilt.
Wir denken uns eine romantische Liebe. Unser Ritter hat fünf[439] wilde Schweine erlegt und vier Zwerge, hat drei verzauberte Prinzen, Brüder der Prinzessin, die er anbetet, befreit. Das hat in der Romantik seine volle Realität. Dem Künstler und Dichter ist es jedoch nicht sehr wichtig, ob es fünf wilde Schweine oder nur vier waren. Im ganzen muß der Künstler sich noch mehr als der Dichter beschränken; aber selbst diesen letztem interessiert es nicht, und er wird es uns gewiß nicht erzählen, wie jedes einzelne wilde Schwein erlegt ward. Er eilt zum Moment. Er beschränkt vielleicht die Zahl, konzentriert die Gefahren und Mühseligkeiten in dichterischer Intensivität und eilt zum Moment, zum Moment der Besitzergreifung. Die ganze historische Succession ist ihm von geringer Wichtigkeit. Wird aber die innere Geschichte erzählt, so ist ihm jeder einzelne kleine Moment äußerst wichtig. Erst die innere Geschichte ist die wahre Geschichte, aber diese kämpft mit dem, was das Lebensprinzip der Geschichte ist – mit der Zeit; und kämpft man mit der Zeit, dann hat gerade das Zeitliche und jeder kleine Moment seine große Realität. Überall wo das innere Wachstum der Individualität noch nicht angefangen hat, und die Individualität gewissermaßen eine geschlossene Blüte ist, reden wir von äußern Geschichten. Sobald diese dagegen aufbricht und sich entfalten will, fängt die innere Geschichte an.
Kehren wir nun zu dem zurück, wovon wir ausgingen, zu dem Unterschied zwischen der erobernden und der besitzenden Natur. Die erobernde Statur ist stets außerhalb ihres Ich, die besitzende in sich selber, deshalb ist die Geschichte der erstern eine äußere, die der letztem eine innere. Da aber die äußere Geschichte sich ohne Schaden konzentrieren läßt, so ist's natürlich, daß Kunst und Poesie gerade diese gern wählen, und also wieder die uneröffnete Individualität und alles, was ihr angehört, zur Darstellung zu bringen sucht. Nun sagt man wohl, die Liebe erschließe die Individualität, aber nicht, wenn die Liebe so aufgefaßt wird, wie es in der Romantik geschieht; da wird sie nur zu dem Punkt hingeführt, wo sie sich erschließen soll, und da hört die Geschichte auf, oder sie will sich gerade erschließen, wird aber unterbrochen. Wie aber die äußere Geschichte und die geschlossene Individualität vor allem die künstlerische und dichterische Darstellung[440] beschäftigt, so wird auch alles, was den Inhalt einer solchen Individualität ausmacht, ein Interesse für sie haben. Das aber ist im Grunde alles, was dem natürlichen Menschen angehört. Einige Exempel. Wie herrlich läßt sich der Stolz darstellen; denn das Essentielle im Stolz ist keine Succession, sondern Intensivität des Momentes. Die Demut läßt sich sehr schwer darstellen, weil sie gerade Succession ist, und während der Beschauer den Stolz in feiner Kulmination sehen will, fordert er im andern Fall eigentlich das, was Poesie und Kunst nicht geben können, sie in ihrem steten werden zu sehen; denn das ist das Charakteristische der Demut, daß sie stets wird; und zeigt man sie ihm in ihrem idealen Moment, so fehlt ihm etwas, weil er es fühlt, daß ihre wahre Idealität nicht darin besteht, daß sie im Moment ideal, sondern daß sie beständig ist. Die romantische Liebe läßt sich herrlich im Moment darstellen, die eheliche Liebe nicht; denn ein idealer Ehemann ist das, was er ist, nicht einmal in seinem Leben, er ist jeden Tag das, was dem Ideal entspricht. Will ich einen Helden darstellen, der Reiche und Länder erobert, so läßt sich das gar schön in einem Moment ausführen; aber ein Mensch, der täglich sein Kreuz auf sich nimmt, läßt sich weder in der Poesie noch in der plastischen Kunst darstellen, weit eben die Pointe darin liegt, daß er es alle Tage thut. Denke ich mir einen Helden, der sein Leben opfert, so läßt sich das vortrefflich im Momente konzentrieren; nicht aber das tägliche Sterben, sofern es darauf ankommt, daß es eben täglich geschieht. Der Mut laßt sich herrlich im Moment konzentrieren, die Geduld nicht, eben weil sie wider die Zeit kämpft. Du wirst mir entgegnen, die Kunst habe Christum doch dargestellt, wie er die Sünde einer ganzen Welt mit himmlischer Geduld trug, und religiöse Dichter hätten alle Bitterkeit des Lebens in einem Kelch konzentriert und denselben von einem Individuum in einem Moment trinken lassen. Wohl wahr; aber das war möglich, weil man dieselben beinahe räumlich konzentrierte. Wer aber etwas von der Geduld hat kennen lernen, der weiß es, daß ihr eigentlicher Gegensatz nicht die Intensivität des Leidens ist – denn da nähert sie sich mehr dem Mut - , sondern der Zeit, und daß die wahre Geduld wider die Zeit streitet, und daher besser noch[441] Langmut genannt werden müßte; aber die Langmut läßt sich künstlerisch nicht darstellen, denn ihre Pointe ist für die Kunst inkommensurabel.
Was ich nun weiter sagen will, magst Du als das geringe Opfer ansehen, das ein armer Ehemann auf dem Altar der Ästhetik darbringt, und würdest Du es verschmähen und mit Dir alle Priester der Ästhetik, so würde ich mich wohl zu trösten wissen, und das um so mehr als das, was ich biete, kein Schaubrot ist, das nur Priester essen dürfen, sondern ein hausbacken Brot, das wie alle Hausmannskost einfach und ungewürzt, aber gesund und nahrhaft ist.
Wenn man die Entwickelung des Ästhetisch-Schönen ebensosehr dialektisch wie historisch verfolgt, so wird man finden, daß die Richtung dieser Bewegung von den Bestimmungen des Raumes zu denen der Zeit geht, und daß es für die Kunst, sofern sie die höchsten Probleme lösen will, wesentlich darauf ankommt, daß sie sich successiv mehr und mehr vom Raume losreißt und sich der Zeit zuwendet. Hierin liegt der Übergang und die Bedeutung des Übergangs von der Skulptur zur Malerei, wie schon Schelling früh darauf hingewiesen hat. Die Musik hat zu ihrem Element die Zeit, aber findet kein Bleiben in derselben, ihre Bedeutung ist das beständige Verschwinden in der Zeit, sie klingt in der Zeit, aber verklingt zugleich auch wieder. Die Poesie endlich ist die höchste Kunst und weiß daher auch die Bedeutung der Zeit am meisten zur Geltung zu bringen. Sie braucht sich nicht wie die Malerei auf ein Moment zu beschränken, sie verschwindet auch nicht in dem Sinn wie die Musik es thut. Aber trotzdem ist auch sie gezwungen, wie wir bereits gesehen haben, sich im Moment zu konzentrieren. Sie hat daher ihre Grenze und kann, wie wir auch schon zuvor nachgewiesen haben, nichts darstellen, was seine Wahrheit in der zeitlichen Succession hat. Und doch setzt es das Ästhetische nicht herab, wenn die Zeit geltend gemacht wird; nein, je mehr das geschieht, um so mehr erreicht das ästhetische Ideal sein höchstes Ziel. Wie läßt sich also das Ästhetische, das sogar für die Darstellung der Poesie inkommensurabel ist, wie – so frage ich – läßt es sich darstellen? Antwort: dadurch daß es erlebt wird. Dadurch hat es eine gewisse Ähnlichkeit mit[442] der Musik, die in der steten Wiederholung ihr Leben hat und nur im Augenblick der Ausführung existiert. Deshalb machte ich schon auf die verderbliche Verwechslung des Ästhetischen und dessen, was sich in dichterischer Reproduktion darstellen lasse, aufmerksam. Alles, was ich hier erwähne, läßt sich gewiß ästhetisch darstellen, zwar nicht in dichterischer Reproduktion, sondern dadurch, daß man es im wirklichen Leben realisiert. So söhnt sich die Ästhetik mit dem Leben aus; denn wie in gewissem Sinn Poesie und Kunst gerade eine Versöhnung mit dem Leben sind, so sind sie in einem andern Sinn auch die Feinde des Lebens, weil sie nur eine Seite der Seele versöhnen.
Hier stehe ich vor dem Allerheiligsten der Ästhetik. Und in der That, wer Mut und Demut genug hat, sich hier ästhetisch erklären zu lassen, wer sich aktiv weiß in dem Schauspiel, das die Gottheit dichtet, wo Dichter und Souffleur nicht verschiedene Personen sind, wo das Individuum, wie der geübte Schauspieler, der sich in seinen Charakter und seine Replik hineingelebt hat, vom Souffleur nicht gestört wird, sondern es fühlt, daß das, was ihm zugeflüstert wird, gerade das ist, was er selber sagen will, so daß es fast zweifelhaft wird, ob er dem Souffleur die Worte in den Mund legt, oder der Souffleur ihm, wer sich im tiefsten Sinn des Wortes zugleich als der Dichtende und als das Gedichtete fühlt, der in dem Augenblick, in welchem er sich als den Dichtenden fühlt, das ursprüngliche Pathos der Replik hat und in dem Augenblick, in welchem er sich als das Gedichtete fühlt, das erotische Ohr hat, das jeden Laut auffängt, der, und erst der steht im Allerheiligsten der Ästhetik und hat ihre höchsten Forderungen erfüllt. Aber diese Geschichte, die sich selbst für die Poesie inkommensurabel zeigt, ist die innere Geschichte. Sie hat die Idee in sich und ist gerade aus dem Grunde ästhetisch. Sie fängt daher, wie ich es ausdrückte, mit dein Besitz an, und ihre weitere Geschichte ist Erwerbung dieses Besitzes. Sie ist eine Ewigkeit, in welcher das Zeitliche nicht wie ein idealer Moment verschwunden ist, sondern in welchem es als realer Moment immer gegenwärtig ist. Wenn also die Geduld sich selber in Geduld erwirbt, dann ist es innere Geschichte. Laß uns nun auf das Verhältnis zwischen der romantischen[443] und der ehelichen Liebe blicken; denn das Verhältnis zwischen der erobernden und der besitzenden Natur wird keine Schwierigkeiten mehr bieten.
Die romantische Liebe bleibt beständig in sich selber abstrakt, und kann sie keine äußere Geschichte finden, so lauert der Tod schon vor ihrer Thür, weil ihre Ewigkeit illusorisch ist. Die eheliche Liebe fängt mit dem Besitz an und wird zu einer innern Geschichte. Sie ist treu, das ist die romantische Liebe auch; aber nun siehe den Unterschied. Der treue romantische Liebhaber wartet z.B. fünfzehn Jahre; nun kommt der Augenblick, der ihn belohnt. Hier sieht die Poesie sehr richtig, daß die fünfzehn Jahre sich herrlich konzentrieren lassen, sie eilt zum Moment. Ein Ehemann ist fünfzehn Jahre treu, und doch ist er fünfzehn Jahre im Besitz gewesen; er hat also während dieser langen Succession beständig die Treue erworben, die er befaß, da ja die eheliche Liebe die erste Liebe und daher auch ihre Treue in sich hat. Aber ein solcher idealer Ehemann läßt sich nicht darstellen; denn die Pointe ist die Zeit in ihrer Extension. Am Ende der fünfzehn Jahre ist er scheinbar gar nicht weiter gekommen als er am Anfang war, und doch ist sein Leben in hohem Grade ästhetisch gewesen ein Besitz ist ihm kein totes Eigentum geworden, sondern er hat es immer wieder erworben. Er hat nicht mit Löwen und bösen Geistern, sondern mit dem gefährlichsten Feinde, mit der Zeit, gekämpft. Aber nun kommt nicht wie bei dem Ritter die Ewigkeit hinterher, nein, er hat die Ewigkeit in der Zeit gehabt, er hat die Ewigkeit in der Zeit bewahrt. Also erst er hat über die Zeit gesiegt; der bitter hat die Zeit getötet, wie man ja immer die Zeit totzuschlagen wünscht, wenn sie feine Realität für einen hat. Der Ehemann hat als ein wahrer Sieger die Zeit nicht getötet, sondern sie in der Ewigkeit erhalten und bewahrt. Der Ehemann, der das thut, lebt in Wahrheit poetisch, er löst das große Rätsel, in der Ewigkeit leben und doch die Uhr in seinem Hause schlagen hören, und zwar also, daß ihr Schlag seine Ewigkeit nicht kürzer, sondern länger macht, ein Widerspruch in sich selber, der ebenso tief, aber viel herrlicher als der ist, der in jener bekannten Situation enthalten ist, die uns aus dem Mittelalter überliefert ist. Ein Unglücklicher,[444] so heißt es, erwachte in der Hölle und rief: Wieviel Uhr ist es? worauf der Teufel antwortete: Eine Ewigkeit.
Räume ich es nun auch gern ein, daß die romantische Liebe sich zur künstlerischen Darstellung viel besser eignet als die eheliche, so soll damit doch keineswegs gesagt sein, daß diese weniger ästhetisch sei als jene, im Gegenteil, sie ist ästhetischer.
Die eheliche Liebe hat ihren Feind in der Zeit, ihren Sieg in der Zeit und auch ihre Ewigkeit in der Zeit; sie würde daher, selbst wenn ihr keine äußern und innern Anfechtungen drohten, doch immer eine Aufgabe haben. Im allgemeinen fehlt's ihr auch nicht an jenen, aber das Individuum kämpft doch nicht so sehr gegen äußere Feinde, es kämpft sich und seine Liebe ans sich selber heraus. Die eheliche Liebe kommt nicht mit äußern Zeichen, nicht rauschend und brausend wie der reiche Vogel – ihr Schmuck ist der verborgene Mensch des Herzens, mit stillem und sanftem Geist.
Von diesem letztern hast Du nun freilich feine Vorstellung, weder Du noch alle erobernden Naturen. Ihr seid niemals in Euch selber, sondern immer draußen. Ja, solange jeder Nerv in Dir zittert, ob Du Dich nun leise herumschleichst, oder ob Du offen auftrittst und die Janitscharenmusik in Deinem Innern Dein Bewußtsein übertäubt, ja so lange glaubst Du zu leben. Aber wenn die schnellen Gedanken wie Ordonnanz-Offiziere zum Hauptquartier zurückeilen und es melden, daß der Sieg Dein ist – dann weißt Du nichts mehr, dann weißt Du nichts anzufangen; denn nun stehst Du erst am wahren Anfang.
Was Du daher unter dem Namen; Gewohnheit, als für die Ehe unvermeidlich, so sehr verabscheust, das ist nur das Historische in ihr, das in Deinen von falschem Glanz geblendeten Augen so schrecklich aussieht.
Aber was wird denn nach Deiner Meinung durch die von dem ehelichen Leben unzertrennliche Gewohnheit nicht nur vernichtet, sondern – und das ist ja noch schlimmer – profaniert? Du denkst da im allgemeinen an »die sichtbaren, heiligen Zeichen her Erotik, die wie alle sichtbaren Zeichen wohl nicht an und für sich sonderliche Bedeutung haben, sondern deren Bedeutung auf der Energie, der [445] künstlerischen Bravour und Virtuosität beruht, die zugleich auch die natürliche Genialität ist, mit welcher sie ausgeführt werden. Wie jammervoll verächtlich ist nicht die Schläfrigkeit, mit welcher das alles im ehelichen Leben geschieht, wie äußerlich, fast nach der Uhr, ungefähr wie bei jenem Volksstamm in Paraguay, den die Jesuiten entdeckten. Sie waren so stumpfsinnig, daß die Jesuiten es für nötig erachteten, um Mitternacht mit einer Glocke zu läuten, zur angenehmen Mahnung für alle Ehemänner, ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen. So geschieht alles a tempo, nach Dressur.« Mein Freund, wir wollen uns durch solche lächerliche Karikaturen nicht stören lassen, sondern nur zu erkennen suchen, ob das notwendig ist. Viel kann ich freilich von Dir nicht erwarten; denn Du kämpfst, wenn auch in anderm Sinn, doch immer wie jener spanische Ritter, für eine entschwundene Zeit. Da Du nämlich für den Moment wider die Zeit kämpfst, so kämpfst Du eigentlich immer für das Entschwundene. Laß uns eine Vorstellung, einen Ausdruck ans Deiner poetischen Welt nehmen, oder aus der wirklichen Welt der ersten Liebe: die Liebenden sehen einander. In dieses Wort: sehen weißt Du prächtig eine unendliche Realität, eine Ewigkeit hineinzulegen. In dem Sinn kann nun freilich ein Ehepaar, das etwa zehn Jahre miteinander gelebt und einander täglich gesehen hat, einander nicht ansehen; aber sollten sie sich nicht mit inniger Liebe ansehen können? Nun komme ich auf Deine alte Häresie. Du willst die Liebe auf ein gewisses Alter beschränken, und die Liebe zu einem Menschen auf eine so kurze Zeit, und mußt daher, um Dein Experiment durchs zuführen, wie alle erobernden Naturen, immer von neuem rekrutieren; aber das ist ja gerade die allertiefste Profanation her ewigen Macht der Liebe. Das ist ja die reine Verzweiflung. Wie Du Dich auch drehen und wenden magst, Du mußt es einräumen: es ist unsre Aufgabe, die Liebe in der Zeit zu bewahren. Ist das unmöglich, so ist die Liebe eine Unmöglichkeit. Es ist Dein Unglück, daß Du das Wesen der Liebe einzig und allein in die sichtbaren Zeichen derselben setzt. Sollen diese nun immer von neuem widerholt werden, und zwar, wohlgemerkt, mit der krankhaften Reflexion, ob sie auch beständig die Realität haben, die sie durch das zufällige Accidenz[446] hatten, daß es das erste Mal war, so ist's freilich kein Wunder, wenn Dich die Angst erfaßt und Du diese Zeichen und »Gestikulationen« unter die Sachen zählst, von denen man nicht sagen darf: decies repetita placebunt; denn ist die Bestimmung des ersten Mals das, was ihnen Wert gab, so ist eine Wiederholung ja unmöglich. Aber die wahre Liebe hat einen ganz andern Gehalt: sie wächst in und mit der Zeit, und kann sich daher auch in jenen äußern Zeichen verjüngen, und hat, was mir die Hauptfache ist, eine ganz andre Vorstellung von der Zeit und dem Wert der Wiederholung.
Ich habe im vorhergehenden entwickelt, daß die eheliche Liebe ihren Kampf in der Zeit, ihren Sieg in der Zeit, ihren Segen in der Zeit hat. Ich betrachtete die Zeit da nur als simple Progression; nun soll es sich zeigen, daß Sie nicht nur eine simple Progression ist, in welcher das Ursprüngliche bewahrt wird, sondern eine wachsende Progression, in welcher das Ursprüngliche zunimmt. Du hast ja so viele Observation und wirst mir daher gewiß recht geben, wenn ich die allgemeine Bemerkung mache, daß die Menschen sich in zwei große Klassen teilen, in solche, die vorwiegend in der Hoffnung, und in solche, die vorwiegend in der Erinnerung leben. Beide Teile deuten ein falsches Verhältnis zur Zeit an. Das wahre Individuum lebt zu gleicher Zeit sowohl in Hoffnung wie in her Erinnerung, und erst dadurch empfängt sein Leben wahre, inhaltreiche Kontinuität. Ein solcher Mensch hat also Hoffnung, und will daher nicht, wie die nur in her Erinnerung lebenden Individuen, in die Zeit zurück. Was thut die Erinnerung denn für ihn? Etwas Einfluß muß sie doch wohl haben? Sie setzt auf die Note des Augenblicks ein Kreuz, je länger sie zurückgeht, um so mehr Kreuze. Erlebt er in dem gegenwärtigen Jahr einen erotischen Moment, so hebt sich dieser dadurch, daß er in einem andern im vorigen Jahre zurückdenkt u.s.w. Das hat nun auch im ehelichen Leben in schöner Weise seinen Ausdruck gefunden. Ich weiß nicht, wie alt die Welt gegenwärtig ist, aber das weißt Du ebensogut wie ich, daß man zu sagen pflegt: Erst kam das goldne, dann das silberne, dann das kupferne und endlich das eiserne Zeitalter. In der Ehe ist's umgekehrt: da kommt zuerst die silberne Hochzeit und dann die goldne Hochzeit. Oder ist die Erinnerung[447] nicht recht eigentlich die Pointe einer solchen Hochzeit? Und doch erklärt die eheliche Terminologie sie für noch schöner als die erste Hochzeit. Was ich damit meine, ist dies, daß die Individuen nicht nur in der Hoffnung leben, sondern in der gegenwärtigen Zeit immer Hoffnung und Erinnerung miteinander verbinden. Bei der ersten Hochzeit übt die Hoffnung dieselbe Wirkung aus, wie die Erinnerung bei der letzten. Die Hoffnung schwebt wie eine Ewigkeitshoffnung, die den Moment ausfüllt, über derselben. So kann es nur in der Ehe sein. Oder warum findet die Welt es meistens so lächerlich, wenn einer, der allein für sich, d.h. ohne eine beßre Hälfte, gelebt hat, ein Jubiläum feiert? Weil man in der Regel annimmt, daß der einsame Stand niemals recht die wahre Gegenwart ergreifen kann, die Zeit, welche eine Einheit der Hoffnung und Erinnerung ist. Aber deutet das nicht wieder auf das rechte Verhältnis zur Zeit hin, welches die eheliche Liebe auch in der allgemeinen Meinung hat?
Aber Du hast noch etwas andres an dem ehelichen Leben auszusetzen und bezeichnest auch das mit den Worten: Gewohnheit, »seine Einförmigkeit, sein totaler Mangel an Begebenheiten, seine fürchterliche Inhaltslosigkeit, die der Tod sei und schlimmer noch als der Tod.« Du weißt, es gibt nervenschwache Menschen, die durch das allerleiseste Geräusch gestört werden und außer sich kommen, wenn jemand – und wär' es noch so leise – durch das Zimmer geht. Hast Du's vielleicht schon bemerkt, daß es auch noch eine andre Art von Nervenschwachheit gibt? Ich kenne Menschen, die so schwach sind, daß sie tüchtigen Lärm um sich her haben müssen, um arbeiten zu können. Wenn sie allein sind, still für sich, dann verschwinden ihre Gedanken im Unbestimmten, ist's aber laut um sie her, dann zwingt der Lärm sie, sich zusammenzunehmen. Sieh, mein Freund, deshalb fürchtest Du den Frieden und die Ruhe, die andre erquickt, Du bist nur in Dir, wenn's Feinde zu besiegen gibt, aber deshalb bist Du eigentlich niemals in Dir selbst, sondern stets außerhalb Deines Ich.
Hier gilt natürlich dasselbe, wie das, was ich früher von der Zeit gesagt habe. Du bist außerhalb Deines Ich, und deshalb kannst Du des andern nicht entbehren, da zum Kriege immer zwei gehören.[448] Dir ist daher das vom Sturm gepeitschte Meer ein Bild des Lebens, mir das stille, tiefe Wasser. Wie oft habe ich an einem fließenden Bach gesessen. Immer ist's dieselbe leise Melodie, die ich höre, immer sind's dieselben grünen Kräuter, die sich unter ihren plätschernden Wellen beugen, immer dieselben kleinen Tiere, die sich drinnen bewegen, ein kleiner Fisch, der sich unter den Steinen am Ufer verbirgt. Wie einförmig, und doch wie reich an Veränderung! So ist's auch mit dem ehelichen Leben im stillen, bescheidenen Heim. Es hat nicht eben – welch ein Fehler in Deinen Augen! – viele Changements, und doch ist's, wie jenes Wasser, ein fließender Bach; doch hat es seine Melodie, o wie teuer und wert für den, der sie kennt, teuer und wert für ihn, gerade weil er sie kennt; es ist ohne äußere Herrlichkeit, und doch breitet es zuweilen einen Glanz über dasselbe ans, ohne daß es feinen gewohnten Gang unterbricht, wie wenn des Mondes Strahlen auf jenen Bach fallen und das Instrument widerspiegeln, auf welchem es feine Melodie spielt. So ist das eheliche, häusliche Leben. Aber freilich, mein Freund, es setzt dasselbe eine Eigenschaft voraus und die heißt – – : Unschuld!
Schließlich muß noch eine Seite des ehelichen Lebens berücksichtigt werden, die Dir oft Anlaß zu heftigen Angriffen gegeben hat. Du sagst: »Das eheliche Leben verbirgt etwas ganz andres in sich; es scheint so mild und schön, so voller Sabbatfrieden; aber wenn die Thür sich erst hinter Mann und Weib geschlossen hat, dann kommt – mich ergreift ein Schauder – die Pflicht, und schmückt das Zepter so sehr ihr wollt, – es ist und bleibt doch – eine Rute.« Diesen Einwand behandle ich hier, weil er auch wesentlich auf einem Mißverständnis des Historischen in der ehelichen Liebe beruht. Nach Deiner Meinung sind entweder dunkle Mächte oder Launen das Konstituierende in der Liebe. Sobald man zum Bewußtsein kommt, verschwindet dieser Zauber; aber dieses Bewußtsein hat die eheliche Liebe. Um das nun recht grell auszudrücken, zeigst Du uns als Pendant zum Stab des Musikdirektors, dessen Bewegung den Takt in den graziösen Bewegungen der ersten Liebe angibt, den ungemütlichen Korporalstock der Pflicht. Ach, mein Freund, so ist die Liebe Dir doch nicht das Höchste im Leben; denn sonst würdest Du[449] Dich ja freuen, wenn es eine Macht gäbe, die Dich zwingen könnte, in derselben zu bleiben!
Wir kommen also immer wieder auf dasselbe zurück: daß die illusorische oder naive Ewigkeit der ersten oder romantischen Liebe sich selber aufheben muß. Gerade weil Du nun fuchst, sie in dieser Unmittelbarkeit zu suchen und Dir einbilden möchtest, daß die wahre Freiheit darin besteht, außer sich selber zu sein, berauscht in Träumen, deshalb fürchtest Du die Metamorphose, und deshalb zeigt sie sich nicht solchermaßen, sondern als etwas ganz Fremdartiges, das den Tod des Ersten in sich schließt – voilà Dein Abscheu vor der Pflicht. Aber so ist's ja nicht mit der ehelichen Liebe; sie hat in dem Ethischen und Religiösen bereits die Pflicht in sich, und dieselbe kommt als eine alte Vertraute, als eine Freundin, die in die tiefsten Geheimnisse der Ehe eingeweiht ist. Und wenn sie redet, dann sagt sie nichts Neues, Sondern etwas Wohlbekanntes, und hat sie ihre Stimme erhoben, dann demütigen sich die Individuen unter dieselben, aber werden zugleich gerade dadurch emporgehoben, denn sie fühlen's: was jene gebietet, ist nichts andres, als was sie selber wünschen, und gebietet sie es, so ist's nur eine majestätischere, eine göttlichere Form dafür, daß ihre Wünsche sich realisieren lassen. Es wäre ihnen nicht genug, wenn sie ermunternd spräche: Es läßt sich machen, die Liebe kann bewahrt werben; aber wenn sie sagt: So soll es sein, das muß geschehen, dann liegt darin eine Autorität, die den tiefsten Wünschen entspricht. Die Liebe treibt die Furcht aus. Aber wenn nun die Liebe trotzdem einen Augenblick für sich selber fürchtet, ob sie sich durch das Leben retten ließe, So ist die Pflicht eben die göttliche Nahrung, welche die Liebe bedarf, beim diese spricht: Fürchte dich nicht, du wirst siegen – nicht bloß futurisch gesprochen, beim dann wäre es nur eine Hoffnung, sondern imperativisch, und darin liegt eine Zuversicht, die durch nichts erschüttert werden kann.
Du siehst also in her Pflicht eine Feindin her Liebe; ich sehe in derselben ihre Freundin. Mit dieser Erklärung wirst Du vielleicht zufrieden sein und wirst mir mit Deiner bekannten Ironie zu einer ebenso interessanten wie ungewöhnlichen Freundin gratulieren. Aber ich bin damit noch keineswegs zufrieden, sondern spiele[450] – mit Deiner Erlaubnis – den Krieg auf Dein Gebiet hinüber. Ist die Pflicht, wenn sie einmal ins Bewußtsein getreten ist, eine Feindin der Liebe, so muß die Liebe ja suchen, sie zu überwinden; denn Du glaubst doch wohl nicht, daß die Liebe ein so ohnmächtiges Wesen ist, daß sie nicht jeden Widersacher in den Staub treten kann? Doch meinst Du anderseits, wenn die Pflicht sich melde, sei es mit der Liebe aus; und die Pflicht müsse sich früher oder später melden, nicht nur in der ehelichen, Sondern auch in der romantischen Liebe; und Du fürchtest Dich vor der ehelichen Liebe vor allem deshalb, weil die Pflicht in derselben eine solche Macht hat, daß Du ihr nicht entfliehen kannst. Dieses letztere aber scheint Dir in der romantischen Liebe ganz berechtigt zu sein; denn sobald die Pflicht an die Thür klopft, ist's Dir ein Signal, daß Du Dich mit einer höflichen Verbeugung empfiehlst, oder – wie Du Dich einmal ausdrücktest – Du siehst es für Deine Pflicht an, Dich zu empfehlen. Hier kannst Du's wieder sehen, was davon zu halten ist, wenn Du die Liebe preist. Ist die Pflicht eine Feindin der Liebe, und kann die Liebe diese Feindin nicht besiegen, so ist die Liebe nicht der wahre Triumphator. So mußt Du denn die Liebe im Stich lassen. Hat Dich einmal die verzweifelte Idee erfaßt, daß die Pflicht die Feindin der Liebe ist, so ist Deine Niederlage gewiß. Kannst Du es nicht dahin bringen, daß Du in dein Ästhetischen, dem Ethischen und dein Religiösen die drei großen Alliierten siehst, dann muß man Dir allerdings in Deiner Lieblingstheorie recht geben und mit Dir von allem lagen: Thu es oder thu es nicht, es wird Dich beides verdrießen.
Du ziehst also nicht nur die Pflicht, sondern auch die Liebe in den Staub, und ahnst es nicht, daß die Pflicht gerade die wahre Liebe liebt und die falsche auf Tod und Leben haßt, ja sie tötet. Wenn die Individuen aus der Wahrheit sind, werden sie in der Pflicht nur den ewigen Ausdruck dafür sehen, daß der Weg ihnen in Ewigkeit bereitet ist, und der Weg, den sie so gern gehen möchten, er ist ihnen nicht nur erlaubt, nein befohlen; und über diesen Weg wacht eine göttliche Vorsehung, die vor Gefahren warnt und immer wieder auf das ferne Ziel hinweist. Und warum sollte der, der in Wahrheit liebt, nicht gern eine göttliche Autorisation annehmen, und[451] sich von ihr den Weg zeigen lassen, den er zu feinem eignen Heil gehen muß?
* * *
Dixi et animam meam salvavi. Und wenn Du nun meinen freundlichen Gruß empfängst, so nimm auch einen Gruß von ihr an, von ihr, für die ich noch beständig mit dem Feuer einer ersten Liebe schwärme: er ist herzlich und aufrichtig wie immer.
Es ist lange her, seitdem ich Dich bei uns gesehen habe. Das kann ich im eigentlichen und uneigentlichen Sinn sagen; denn obgleich ich Dich ja während der vierzehn Tage, deren Abendstunden ich instar omnium zu diesem Briefe verwandt habe, gewissermaßen immer bei mir gesehen habe. So habe ich Dich doch im uneigentlichen Sinn nicht eigentlich bei mir gesehen, nicht in meinem Häufe, in meinem Zimmer, Sondern vor der Thür, von welcher ich Dich beinahe wegzujagen gesucht habe. Es ist mir das eine recht angenehme Arbeit gewesen, und ich weiß, daß Du es mir nicht übelnehmen wirst. Indessen soll es mir doch zu jeder Zeit noch angenehmer sein, Dich sowohl im eigentlichen wie im uneigentlichen Sinn bei uns zu sehen; ich sage das mit dem ganzen Stolz eines Ehemanns, der sich berechtigt fühlt die Formel: »bei uns« zu gebrauchen; ich sage das mit dem ganzen humanen Respekt, dem jede Individualität »bei uns« immer sicher begegnen wird. Du empfängst also zum nächsten Sonntag keine Familien-Invitation für ewig, d.h. für einen ganzen Tag; komm, wann Du willst – immer willkommen; bleib, solange Du willst – ein stets angenehmer Gast; geh, wann Du willst – stets wohlempfohlen.[452]
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