1. Kurze Beschreibung der Reise

[60] Meister Kung sagte zu Nan-gung Ging-schu: »Ich habe gehört, daß Lau Dan bewandert im Alten und kundig des Neuen sei, daß er den Ursprung der Sitte und der Musik[60] verstehe und überschaue, wohin Sinn und Leben führen. Er ist mein Meister. Ich möchte zu ihm.«

Jener erwiderte: »Euer Wunsch ist mir Befehl.«

Darauf redete er mit dem Fürsten von Lu und sprach: »Ich habe meines verstorbenen Vaters Befehl empfangen, er sagte: Meister Kung ist der Nachkomme eines Heiligen. Sein Geschlecht ist im Staate Sung, seiner Heimat, erloschen1. Sein Ahn Fu Fu Ho war ursprünglich im Besitz des Thrones und überließ ihn seinem jüngeren Bruder, dem Herzog Li. Weiterhin diente Dscheng Kau Fu, ein andrer Vorfahr von ihm, den Herzögen Dai, Wu und Süan2. Dreimal erhielt er eine fürstliche Berufung, und jedesmal wurde er noch demütiger. Darum lautete die Inschrift auf seinem Dreifuß:


Nach der ersten Berufung krümmte ich mich wie ein Buckliger.

Nach der zweiten Berufung krümmte ich mich wie ein Verwachsener.

Nach der dritten Berufung beugte ich mich,

Ich schlich der Wand entlang, und niemand wagte mich zu schmähen.

Ich esse meinen Brei aus diesem Kessel,

Ich esse meine Suppe daraus,

Um mich zu sättigen.


So demütig und anspruchslos war er.

Dsang-Sun Ho hat einmal gesagt: Der Nachkomme eines Heiligen, wenn er seine Zeit nicht trifft, so gibt es doch wenigstens sicher einen klaren Fürsten, der ihn versteht. Meister Kung nun war von Kind auf den Sitten zugetan. Auf ihn wird dieses Wort zutreffen. Und er ermahnte mich, ihn unter allen Umständen zum Lehrer zu nehmen.

Jetzt ist Meister Kung im Begriff, nach der Hauptstadt von Dschou zu reisen, um die hinterlassenen Einrichtungen der Könige des Altertums zu schauen und die höchsten Äußerungen[61] von Sitte und Musik zu untersuchen. Das ist eine große Sache, wollt Ihr ihn nicht mit einem Wagen beschenken, Fürst? Und ich bitte, mit ihm zu dürfen.«

Der Fürst stimmte zu. Er gab dem Meister Kung einen Wagen und zwei Pferde und einen Knecht zur Bedienung und zum Wagenlenken. Und Ging-schu reiste mit ihm zusammen in die Hauptstadt von Dschou. Dort fragte er nach den heiligen Bräuchen bei Lau Dan3 und erkundigte sich nach der Musik bei Tschang Hung4. Er besuchte die Stätte des Angeraltars und des Altars des Ackerbodens5. Er erforschte die Regeln des Lichtschlosses6 und untersuchte die Zeremonien des Ahnentempels und der Hofhaltung.

Da sprach er mit einem tiefen Atemzuge: »Nun erkenne ich die Heiligkeit des Herzogs von Dschou7 und den Grund, warum das Haus Dschou die Weltherrschaft erlangte.«

Als er die Hauptstadt wieder verließ, da sprach Lau Dsï zum Abschied zu ihm: »Es heißt, die Reichen und Vornehmen machen Abschiedsgeschenke von kostbaren Dingen, die Gütigen schenken zum Abschied ein gutes Wort. Wohl bin ich nicht reich noch vornehm, doch nennt man mich gütig, darf ich Euch also ein Wort mit auf den Weg geben? Die Gelehrten von heutzutage sind gescheit und tief in ihren Untersuchungen. Und doch bringen sie sich dem Tode nahe, weil sie es lieben, andre zu verspotten und zu verurteilen. Sie sind universal in ihren Disputen und sehen den Dingen auf den Grund, und doch kommen sie in Lebensgefahr, weil sie es lieben, die Schlechtigkeit der andern aufzudecken. Die guten Söhne sind es, die sich um alle Freiheit bringen, die Fürstendiener sind es, die sich für nichts zu gut sein dürfen8

Meister Kung sprach: »Ich danke Euch von Herzen für Eure Belehrung.«

Als er von Dschou nach Lu zurückkehrte, da wurde seine Lehre immer berühmter. Von weither strömten die Jünger herbei, wohl dreitausend an der Zahl.

1

Die Vorfahren Kungs waren von Sung nach Lu ausgewandert. Die Kung leiteten ihre Familie von dem Fürstengeschlecht von Sung her.

2

Herzog Dai von Sung regierte seit 799 v.Chr., Herzog Wu seit 765 und Herzog Hüan seit 747. Dscheng Kau Fus Demut und die Inschrift ist auch in Dschuangdsï 27,16, Wilhelm S. 212 erwähnt.

3

Lau Dan ist Laotse, der damals Archivar am königlichen Hofe gewesen sein soll.

4

Tschang Hung, auch Tschang Schu (Onkel Tschang) genannt, ist in der älteren Literatur mehrfach als Großbeamter von Dschou erwähnt. Er spielt auch in der späteren taoistischen Legende eine Rolle.

5

die Stätten, an denen den höchsten Gottheiten vom Dschoukönig geopfert wurde.

6

vgl. den 2. Abschnitt.

7

Die Ritenordnung in sakralen und profanen Dingen wurde dem Herzog von Dschou, dem jüngeren Bruder des Begründers der Dschoudynastie, zugeschrieben.

8

Der letzte Satz fehlt in einigen Ausgaben. Die Abschiedsworte von Laotse finden sich fast wörtlich in der Konfuziusbiographie im Schï Gi, siehe Wilhelm 1928, S. 7. In der taoistischen Literatur sind Unterhaltungen zwischen Kung und Laotse, in denen Kung oft den kürzeren zieht, ein vielangewandtes Propagandamittel. Mehrere solche Unterredungen finden sich im Buch Dschuangdsï. Vgl. auch die Laotsebiographie im Schï Gi, übersetzt von R. Wilhelm in Sinica 1928, S. 26–27.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 60-62.
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