1. Das Schützenfest

[117] Meister Kung sah einst bei einem Gauschießen zu. Da sprach er seufzend: »Beim Schießen nach der Musik kommt es darauf an, wie man schießt und wie man zuhört. Wer den Klängen der Musik folgend den Pfeil abschießen kann und nicht das Ziel verfehlt, der muß ein tüchtiger Mann sein. Ein untauglicher Mensch ist einfach nicht imstande, dem anderen den Becher zuzudiktieren. Im Buch der Lieder heißt es:


Nun lasset eure Schießkunst sehn

Und trefft das weiße Mittelmal

Zu fordern euren Strafpokal1.


Fordern heißt, nach etwas trachten. Man trachtet danach, etwas zu treffen, damit man den Becher abweisen kann. Der Wein dient, um das Alter zu stärken oder einen Kranken zu stärken. Wenn man daher zu treffen trachtet, um den Becher abweisen zu können, weist man es ab, der Stärkung zu bedürfen. Denn ein rechter Mann muß schießen können, wenn man es ihn heißt. Kann er's nicht, so kann man zu seiner Entschuldigung nur annehmen, daß er schwach und krank ist. Das ist schon in dem Brauch ausgedrückt, daß man bei der Geburt eines Knaben einen Bogen vor die Türe hängt.«

Darauf zog er sich zurück und veranstaltete mit seinen Jüngern zusammen ein Wettschießen in einem Garten zu Guo Siang. Dabei standen die Zuschauer dicht gedrängt wie eine Mauer. Als das Schießen soweit vorgeschritten war, daß man einen Schießmeister ernannte, da ließ er den Dsï Lu mit Bogen und Pfeil in der Hand hinaustreten unter die Reihen und zu den Schützen also sprechen: »Führer[117] geschlagener Heere, Beamte vernichteter Staaten und solche, die sich anderen als Adoptivsöhne angeboten haben, haben keinen Zutritt. Die anderen mögen alle eintreten.« Da verzog sich wohl die Hälfte. Darauf ließ er den Gung-Wang Dschï-Kiu und den Sü Diën den Becher schwingen und reden. Gung-Wang Kiu sprach: »Wer unter den Jungen und Kräftigen seine Eltern und älteren Brüder ehrt, wer unter den Alten und Greisen die Sitte liebt, wer nicht schlechten Bräuchen folgt, wer seinen Wandel pflegt bis in den Tod, der trete vor.«

Da verzog sich abermals die Hälfte.

Da schwang Sü Diën den Becher und rief: »Wer unermüdlich das Lernen liebt, wer unabänderlich der Sitte zugetan ist, wer unter den Neunzig- und Hundertjährigen über die Wahrheit (Tao) zu reden vermag ohne Verwirrung, der trete vor.«

Da blieben kaum noch ein paar da.

Als das Schießen zu Ende war, da trat Dsï Lu vor den Meister und sprach: »Warum bin ich und die beiden zu Schützenmeistern gemacht worden?«

Meister Kung sprach: »Weil ihr eurer Aufgabe gewachsen wart.«

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Schï Ging 220, 1; Strauß S. 365.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 117-118.
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