1. Der Wert des Nephrits

[135] Dsï Gung fragte den Meister Kung: »Darf ich fragen, warum ein Edler den Nephrit für kostbar hält und den Marmor[135] für gering? Ist's weil der Nephrit selten ist und der Marmor häufig?«

Meister Kung sprach: »Der Nephrit ist geschätzter als der Marmor nicht deshalb, weil er seltener ist, sondern weil seit alters der Edle im Nephrit ein Abbild aller Tugenden sieht. Er gleicht der Güte in seinem milden, weichen Glanz. Er gleicht der Weisheit in der Dichtigkeit seiner Masse und seiner Festigkeit. Er gleicht der Gerechtigkeit, weil er scharfkantig ist, ohne zu verletzen. Er gleicht der Sitte, weil er senkrecht nach unten hängt1. Er ist der Musik verwandt, denn geschlagen gibt er einen klaren langen Ton, der deutlich und bestimmt endet. Er gleicht der Treue, indem seine Flecken seinen Vorzügen keinen Eintrag tun und seine Vorzüge seine Fehler nicht verdecken. Er gleicht der Zuverlässigkeit, weil er von innen heraus klar und durchscheinend ist. Er gleicht dem Himmel, weil seine Kraft einen weißen Regenbogenglanz entsendet2. Er gleicht der Erde, weil er machtvoll hervorblickt aus Bergen und Flüssen. Er gleicht der Tugend, weil die Szepter und Halbszepter aus Nephrit einen selbständigen Wert haben3. Er gleicht dem Sinn, weil es niemand auf Erden gibt, der ihn nicht schätzte. Im Buch der Lieder heißt es:


Ich denke meines Herrn,

Der milde ist wie ein Nephrit4.


Das ist der Grund, warum ein Mann von Geschmack den Nephrit schätzt.«

1

Nephritanhänger werden als Schmuck am Gürtel getragen.

2

Die Sage erzählt, daß sich über den Stellen im Kunlun-Gebirge, wo sich Nephrit findet, ein weißer, regenbogenförmiger Nebel zeigt.

3

Aus Nephrit wurden Szepter, gui, in zwei Hälften hergestellt, die als Symbole der Herrschaft an die Fürsten verliehen wurden. Die eine Hälfte, dschang, wurde zur Beglaubigung am Königshof aufbewahrt.

4

Schï Ging 128, 1; Strauß S. 210.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 135-136.
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