3. Die Lehren der Heiligen

[138] Dsï Dschang fragte, wodurch der Heilige das Volk belehre.

Meister Kung sprach: »Schï8, ich sage dir, der Heilige erkennt, was die Sitte und was die Musik bedeuten. Er hebt sie hervor und stellt sie dar, das ist alles.«

Dsï Dschang fragte abermals.

Meister Kung sprach: »Du denkst wohl, zur Durchführung der Sitte gehören notwendig Tische und Matten, Verneigungen und Vortritt lassen, Emporsteigen der Treppen und[138] wieder Hinabsteigen, Weineinschenken, Aufwarten, Erwidern und abermals Anbieten? Du denkst wohl, zur Darstellung der Musik gehören notwendig die Stellungen der Pantomimen, Federn und Flöten, das Spiel von Glocken und Pauken?

Der Geist der Sitte besteht darin, daß man seinen Worten entsprechend zu handeln vermag. Der Geist der Musik besteht darin, daß man bei seinen Handlungen Freude zu wahren versteht. Der Heilige tut nichts anderes, als daß er auf dem Throne sitzend diesen beiden Stücken seine ganze Kraft zuwendet. Dadurch kommt der Erdkreis in Ordnung, das Volk unterwirft sich in Gehorsam, die Beamten tun ihre Pflicht, und hoch und niedrig verkehren höflich. Die Gründe, die der Sitte zur Herrschaft verhelfen, sind zugleich die Gründe, die die Massen zur Ordnung bringen. Die Gründe, die die Sitte in Verfall bringen, sind zugleich die Gründe, die zu allgemeiner Unordnung führen. Selbst ein Zimmer, das nur nach dem Augenmaß gebaut ist, hat seinen Ehrenplatz und seine Eingangsstufen. Jede Matte hat einen oberen und einen unteren Sitz. Jeder Wagen hat eine rechte und eine linke Seite9. Beim Gehen auf der Straße gibt's ein Nebeneinander und ein Hintereinander. Beim Stehen gibt es eine Rangordnung der Plätze. So wollte es im Altertum die Gerechtigkeit.

Hat ein Zimmer keinen Ehrenplatz und keine Eingangsstufen, so kommt das Benehmen im Innern des Hauses in Verwirrung. Hat eine Matte kein oben und unten, so kommt die Sitzordnung in Verwirrung. Hat ein Wagen kein rechts und links, so kommt das Sitzen im Wagen in Verwirrung. Gibt's beim Gehen kein Neben- und Hintereinander, so kommt der Verkehr auf der Straße in Unordnung. Gibt's beim Stehen keine Rangordnung, so kommt der Aufenthalt im Hofe in Unordnung.

Die Art, wie weise Könige und berufene Heilige vornehm und gering, alt und jung scheiden, wie sie das Verhältnis[139] des männlichen und weiblichen Geschlechts im Inneren und Äußeren regeln, wie sie Näherstehende und Fernerstehende, entfernte und nahe Ahnen in die rechte Reihenfolge bringen, daß niemand sich vor seinen Vordermann vorzudrängen wagt: das alles sind Folgerungen aus diesen Grundsätzen.«

8

Der Rufname des Dsï Dschang.

9

Der Ehrenplatz im Frieden ist rechts, im Kriege links.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 138-140.
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