7. Diplomatische Mahnung eines Fürsten

[164] Der König Ling von Tschu war hochmütig und verschwenderisch. Der Meister der Rechten, Dsï Go, saß bei ihm. Da ging der Geschichtsschreiber der Linken, I Siang, mit ehrerbietigen Schritten am König vorüber.

Der König sprach: »Das ist ein vorzüglicher Geschichtsschreiber, seht ihn Euch ordentlich an, der kann die drei Urgeschichten, fünf Urkunden, acht Wahrsageregeln und neun Abschnitte der Erdkunde alle auswendig.«

Jener erwiderte: »Ein guter Geschichtsschreiber vermerkt die Fehler seines Fürsten und bringt die guten Taten seines[164] Fürsten auf die Nachwelt. Dieser Herr, der sein Amt nur im Flunkern sieht, kann nicht ein guter Geschichtsschreiber genannt werden. Auch habe ich ihn kürzlich gefragt: Als einst der König Mu von Dschou seinen Gelüsten freien Lauf ließ und die ganze Welt durchreiste, so daß Wagengeleise und Pferdespuren allenthalben zu finden waren, da machte der Herzog von Tsai, Mou Fu, das Lied von Dschau, durch das des Königs Herz zurecht gebracht wurde, so daß es ihm vergönnt war, eines natürlichen Todes in seinen Gemächern zu sterben. Ich fragte, wie dieses Lied heiße, aber er wußte es nicht. Wenn man ihn nun erst nach noch weiter zurückliegenden Dingen fragen wollte, wie wäre er imstande, die zu wissen?«

Der König sprach: »Kennt Ihr das Lied?«

Jener erwiderte: »Ja, ich kenne es, es lautet folgendermaßen:


Ich flehe, daß die sänftigenden Töne

Edler Musik des Königs Seele läutern,

Damit das Vorbild unseres Königs leuchte

Als wie Nephrit und gleich wie edles Gold,

Daß er des Volkes Kraft gestalten möge,

Und daß er Trinkgelagen werd' abhold.«


König Ling verneigte sich und zog sich zurück. Man brachte ihm Speise, aber er aß nichts. Man brachte ihn zur Ruhe, aber er schlief nicht. So ging es mehrere Tage lang. Schließlich konnte er seine Natur aber doch nicht bemeistern, und so kam er zu einem üblen Ende.

Meister Kung las seine Geschichte und sprach: »Die Alten hatten ein Wort: Sich selbst verleugnen und sich der Sitte zuwenden, ist wahre Güte. Das ist gewißlich wahr. Wenn König Ling von Tschu es über sich vermocht hätte, also zu handeln, dann hätte ihn nicht die Schmach von Gan Hi erwartet. Die Art, wie Dsï Go die Flunkerei des Geschichtsschreibers verurteilte und das Lied zitierte, um den König zu warnen, war wirklich geschickt.«

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 164-165.
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