9. Guan Dschung

[37] Dsï Lu fragte den Meister Kung: »Was war Guan Dschung für ein Mensch?« Der Meister sprach: »Er war menschlich.« Dsï Lu sprach: »Erst hat Guan Dschung dem Herzog Siang Rat erteilt, aber der Herzog nahm ihn nicht an. Er war also nicht beredt. Er wollte den Prinzen Giu als Fürsten einsetzen, aber es gelang ihm nicht. Er war also nicht weise.[37] Seine Familie wurde in Tsi ausgerottet, und er zeigte keine Trauer darüber. Er war also nicht liebevoll. Er saß gefesselt an Händen und Füßen in einem vergitterten Wagen und schämte sich nicht. Er hatte also kein Ehrgefühl. Er diente einem Fürsten, nach dem er vorher geschossen hatte. Er war also nicht charakterfest. Schau Hu folgte seinem Herrn in den Tod, Guan Dschung tat es nicht. Er war also nicht treu. Ist die Handlungsweise eines menschlichen Mannes wirklich dieser Art?«

Meister Kung sprach: »Daß der Herzog Siang nicht auf die Ratschläge des Guan Dschung hörte, daran war die Torheit des Herzogs schuld. Daß es ihm nicht gelang, den Prinzen Giu auf den Thron zu bringen, das war, weil er nicht die rechte Zeit getroffen hatte. Daß er keine Trauer zeigte, als seine Familie in Tsi ausgerottet wurde, das war, weil er sich in sein Schicksal zu finden wußte. Daß er sich nicht schämte, als er gefesselt an Händen und Füßen in einem vergitterten Wagen saß, das war, weil er seine Lage zu beurteilen vermochte. Daß er einem Fürsten diente, nachdem er erst auf ihn geschossen hatte, das war, weil er die veränderte Lage verstand. Daß er dem Prinzen Giu nicht in den Tod folgte, das war, weil er erkannt hatte, was wichtig war und was unwichtig war. Der Prinz Giu war noch nicht Fürst, folglich war Guan Dschung auch nicht sein Beamter. Guan Dschung hatte die Fähigkeit, zu ermessen, was seine Pflicht gebot. So starb Guan Dschung nicht, er gürtete die Lenden und stand aufrecht da, so daß der Ruhm seines Namens noch immer ungetrübt ist. Schau Hu starb freilich, aber er tat nichts, als daß er seine Menschlichkeit zuweit trieb. Das will noch nichts heißen.«7

7

Zur Geschichte Guan Dschungs vergl. Hsü Daoling, Der Herzog Huan von Tsi, Guan Dschung und die Vorherrschaft des Staates Tsi, in Sinica 1928, 134–141; ferner Lië Dsï 6, 3, Wilhelm S. 66–69. Kungs hohe Meinung über Guan Dschung ist auch in Lun Yü 14, 17 und 18 belegt, siehe Wilhelm S. 157–158.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 37-38.
Lizenz: