1. Dreifache Wechselseitigkeit1 und drei Warnungen

[45] Meister Kung sprach: »Der Edle kennt drei Wechselseitigkeiten. Wer einen Herrn hat, dem er nicht dienen kann, und einen Diener hat, von dem er dennoch Dienste verlangt, der fehlt gegen die Wechselseitigkeit. Wer Eltern hat, die er nicht ehrfurchtsvoll behandeln kann, und Söhne hat, von denen er dennoch Anerkennung verlangt, der fehlt gegen die Wechselseitigkeit. Wer einen älteren Bruder hat, den er nicht ehren kann, und einen jüngeren Bruder hat, von dem er dennoch Gehorsam verlangt, der fehlt gegen die Wechselseitigkeit. Wer klar zu sein vermag über die Wurzeln dieser dreifachen Wechselseitigkeit, den kann man eine aufrechte Person nennen.«

Meister Kung sprach: »Der Edle kennt drei Gedanken, die man nicht außer acht lassen darf. Wer in der Jugend nicht lernt, hat im Alter keine Kenntnisse. Wer im Alter nicht lehrt, hinterläßt nach dem Tode kein Andenken. Wer im Wohlstand nicht spendet, findet in der Armut niemand, der ihm beisteht. Darum denkt der Edle in der Jugend an die Zeit, da er erwachsen sein wird, und verlegt sich deshalb aufs Lernen. Im Alter denkt er an die Zeit, da er gestorben sein wird, und verlegt sich deshalb aufs Lehren. Im Wohlstand denkt er an die Zeit, da er arm sein wird, und verlegt sich deshalb aufs Wohltun.«

1

Der Begriff schu, hier übersetzt mit Wechselseitigkeit, gehört zu den schwer übertragbaren Worten. In Lun Yü 15, 23, Wilhelm S. 176, ist er definiert: »Was du selbst nicht wünschst, tu nicht an anderen.« In Wilhelm 1925, S. 89ff. hat mein Vater ihn im Anschluß an Lun Yü 4,15 als »das Bewußtsein der Gleichheit« übersetzt und des näheren erklärt. Inhaltlich deckt sich der folgende Abschnitt mit dem 6. Abschnitt des Kapitels Dschung Yung im Li Gi, Wilhelm S. 6–7.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 45-46.
Lizenz: