3. Der Wunderbecher

[47] Meister Kung betrachtete den Tempel des Herzogs Huan von Lu3. Da war ein schräg hängendes Gefäß. Der Meister[47] fragte den Tempelhüter: »Was ist das für ein Gefäß?« Der erwiderte: »Das ist wohl ein Wunderbecher.« Meister Kung sprach: »Ich habe gehört, daß der Wunderbecher, wenn er leer ist, schräg hängt; ist er bis zur Mitte voll, so hängt er gerade; ist er ganz voll, so kippt er um. Die weisen Fürsten sahen darin eine stetige Warnung, darum hatten sie ihn stets zur Seite ihres Sitzes.« Dann wandte er sich an die Jünger und sprach: »Versucht es einmal und gießt Wasser hinein.« Sie gossen Wasser hinein bis zur Mitte, da wurde er gerade, sie machten ihn ganz voll, da kippte er um.

Der Meister seufzte tief und sprach: »Ach, wo gibt es unter allen Dingen etwas Volles, das nicht umschlägt!«

Dsï Lu trat vor und sprach: »Darf ich fragen: Gibt es einen Weg, Volles festzuhalten?«

Der Meister sprach: »Wer klug und weise ist und vermag sich in Torheit zu halten, wessen Verdienst die Welt erfüllt und er vermag sich nachgiebig zu halten, wessen Mut und Kraft sein ganzes Geschlecht erschüttert und er vermag sich schüchtern zu halten, wessen Besitz alle vier Meere umspannt und er vermag sich bescheiden zu halten: das ist der Weg der Minderung und abermaligen Minderung4

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Herzog Huan von Lu regierte 710–692.

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Der Gedanke, durch Minderung festzuhalten, entspricht sowohl dem Buch der Wandlungen, siehe Hexagramm 41, als auch dem Taoteking, siehe Abschnitt 48, Wilhelm S. 53.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 47-48.
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