9. Die Gefahren eines großartigen Auftretens

[50] Dsï Lu trat in prächtigem Gewand vor den Meister Kung. Der Meister sprach: »Yu, was bist du denn so großartig? Wo der Giangfluß entspringt, am Berge Min, da ist seine Quelle so klein, daß man sie mit einem Becher auffangen kann; wo er aber die Stromfurt erreicht, da braucht man ein wohlgezimmertes Schiff und windstilles Wetter, um hinüberfahren[50] zu können. Ist's nicht also, daß sein Wasser deshalb so groß ist, weil er nach unten fließt? Wenn du nun in deiner Kleidung so prächtig und in deinem Auftreten so selbstbewußt vor die Welt trittst, wer sollte da gewillt sein, dich auf deine Fehler aufmerksam zu machen?«

Dsï Lu eilte hinaus, zog sich um und kam wieder herein, nicht ohne sich etwas darauf zugute zu tun. Der Meister sprach: »Yu, merke dir's, ich sage dir: Wer prahlt in seinen Reden, der ist eitel, wer prahlt in seinem Auftreten, der ist eingebildet, wer seine Weisheit und sein Können zur Schau trägt, der ist ein kleiner Mensch. Darum macht es der Edle so, daß er nur dann, wenn er etwas wirklich weiß, sagt, daß er es weiß: Das ist Beschränkung im Reden7. Und wenn er etwas nicht kann, sagt er, daß er es nicht kann: Das ist Vollendung im Handeln. Wer Beschränkung kennt im Reden, der ist weise. Wer Vollendung zeigt im Handeln, der ist gütig. Güte und Weisheit: was willst du noch mehr?«

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vgl. Lun Yü 2, 17, Wilhelm S. 13–14.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 50-51.
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