1. Ungerechter Feldzug

[164] Das (Haupt des) Geschlechts Gi war im Begriff, einen Strafzug gegen (die kleine Herrschaft) Dschuan Yü zu unternehmen. Jan Yu und Gi Lu erschienen vor Meister Kung und sprachen: »Das (Haupt des) Geschlechtes Gi wird eine Unternehmung gegen Dschuan Yü ausführen.« Meister Kung sprach: »Kiu, bist nicht du es, der diesen Fehler macht? Dieses Dschuan Yü ist vor alters von den früheren Königen als Herr (der Opfer für den) Mongberg im Osten ernannt, es gehört also zu den Lehnsgebieten und hat priesterliche Funktionen; was habt ihr damit zu tun, es zu bestrafen?« Jan Yu sprach: »Unser Herr wünscht es! Wir zwei, die wir (seine) Diener sind, wünschen es beide nicht.« Meister Kung sprach: »Kiu, es gibt ein Wort von Dschou Jen, das heißt: ›Wenn man seine Kraft entfalten kann, so trete man in die Reihen; wenn man es nicht kann, so halte man ein.‹ Wer den Gefährdeten nicht stützen kann und dem Gefallenen nicht aufhelfen: wie kann man den als Führer brauchen? Also sind deine Worte falsch. Wenn ein Tiger oder ein Nashorn aus dem Käfig bricht, wenn eine Schildkrötenschale oder ein Nephrit in dem Schrein beschädigt wird: wessen Fehler ist das?« Jan Yu sprach: »Nun ist aber Dschuan Yü stark und nahe bei Bi; wenn man es heute nicht nimmt, so wird es in künftigen Zeiten sicher den Söhnen und Enkeln Schmerzen bereiten.« Meister Kung sprach: »Kiu, der Edle haßt das, wenn man unterläßt zu sagen: ›ich wünsche das‹ und durchaus andere Worte gebraucht. Ich habe gehört, wer ein Reich oder ein Haus hat, braucht nicht besorgt zu sein, wenn es menschenleer ist, sondern er muß besorgt sein, wenn es nicht in Ordnung ist. Er[164] braucht nicht besorgt zu sein, wenn es arm ist, sondern er muß besorgt sein, wenn es nicht in Ruhe ist. Denn wo Ordnung ist, da ist keine Armut, wo Eintracht ist, da ist keine Menschenleere, wo Ruhe ist, da ist kein Umsturz. Da nun dies so ist, so muß man, wenn die Menschen aus fernen Gegenden nicht gefügig sind, Kunst und Moral pflegen, um sie zum Kommen zu bewegen. Wenn man sie zum Kommen bewogen hat, so muß man ihnen Ruhe geben. Nun, Yu und Kiu, unterstützt ihr euren Herrn, aber die Menschen aus fernen Gegenden sind nicht gefügig, und er kann sie nicht zum Kommen bewegen. Im (eigenen) Land herrscht Zwiespalt, Ruin, Entfremdung und Unfrieden, und er kann es nicht bewahren. Dazuhin plant er, Schild und Speer zu erheben innerhalb des Staates. Ich fürchte, die Schmerzen der Enkel Gis werden nicht in Dschuan Yü sein, sondern in seinen eignen Mauern.«

Quelle:
Kungfutse: Lun Yu. Gespräche. Düsseldorf/Köln 1975, S. 164-165.
Lizenz: