7. Kapitel
Zusammentreffen / Yü Ho

[197] Wenn immer ein großer Mann den ihm entsprechenden Herrscher gefunden hat, so war es, weil die Zeit erfüllt war. Wenn die Zeit nicht erfüllt ist, so muß er warten, bis es sich trifft, ehe er Erfolg hat. Es gibt Vögel, die nur leben können, wenn sie mit ihren Gesellen zusammen kommen und die sterben, wenn sie einsam im Walde sind63. Es gibt Fische64, die nur mit anderen zusammen einen völligen Fisch ausmachen und die sterben, wenn sie einsam im Meere sind. Meister Kung wanderte überall auf Erden umher und ging oftmals die Fürsten seiner Zeit an. Von Tsi bis We war er im ganzen an über 80 Fürstenhöfen. Die Schüler, die seinen Unterricht genossen, waren 3000. Solche, die ihn verstanden 70. Diese 70 Jünger waren alle so, daß der Herr eines Großstaates, wenn er auch nur einen von ihnen bekommen hätte, ihn als Lehrer hätte gebrauchen können. So kann man nicht sagen, daß er ohne geeignete Männer gewesen wäre, und doch hat er es nur eben zum Justizminister in Lu gebracht. Das war der Grund, warum der Kaiserthron zeitweilig leer stand und die Landesfürsten in große Verwirrung kamen.

Herrscht eine solche Verwirrung, so sind die Menschen, die fürstliche Gunst erlangen, meist Glücksritter. Sind sie nur durch einen Zufall angestellt worden, so werden sie sicher nicht ihrem Amt gewachsen sein. Wenn sie aber lange im Amt sind, ohne ihm gewachsen zu sein, so wird ihr Glück sicher in Unglück umschlagen. Und die, die viel Glück gehabt, werden sicher auch auf großes Unglück stoßen und zwar wird das Unglück nicht sie allein treffen.[197] Darum verläßt sich der Edle nicht auf das Glück und wirft sich nicht weg. Er prüft sich sicher erst gründlich, ehe er sein Amt übernimmt Und erst wenn er den Beruf dazu hat, ist er zu Unternehmungen bereit. Fürsten, die einen Rat hören können, müssen notwendig imstande sein, ein zusammenhängendes Gespräch zu verstehen. Fürsten aber, die ein solches höheres Gespräch verstehen, sind selten. Darum begegnen sie natürlich keinen anderen Menschen als solchen, die bereit sind sich wegzuwerfen. Wer sich auf das Hören von Tönen verstehen will, muß die fünf Noten kennen. Menschen aber, die die fünf Noten kennen, sind selten. Daher ist es nicht anders möglich, als daß das, was den Leuten gefällt, oberflächlich ist.

Es kam einst ein Fremder zu dem König von Yüo, um sich vor ihm im Doppelflötenspiel hören zu lassen. Alle Noten, Yü, Güo, Gung, Dschï, Schang, waren vollkommen rein, aber der König von Yüo fand es nicht schön, während er an leichter Bauernmusik Gefallen fand. Beim Verkündigen der Wahrheit geht es auch manchmal so.

Es war einmal eine junge Frau65, die geheiratet hatte. Da sagte jemand zu ihren Eltern: die Ehe sichert keineswegs ihren Lebensunterhalt. Sie würde besser tun, Kleider und andere Dinge heimlich beiseite zu schaffen, um für die Zeit zu sorgen, da sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr findet. Die Eltern waren damit einverstanden, darum hießen sie ihre Tochter immer Dinge beiseite zu schaffen. Die Schwiegereltern merkten es und sprachen: Eine Ehefrau, die mit ihrer Gesinnung wo anders ist, darf man nicht im Haus haben. Darum verstießen sie sie. Die Eltern der verstoßenen Frau aber waren der Meinung, daß der, der ihnen den Rat gegeben, ein zuverlässiger Mann gewesen sei, und hielten ihn zeitlebens für gut. Das kam daher, daß sie die Ursache der Verstoßung nicht ahnten.

Mit dem Erlöschen von Dynastien und dem Verlust der Weltherrschaft verhält es sich auch so. Darum heißt es mit Recht: daß das Zusammengehörige sich trifft, darüber gibt es keine festen Regeln.[198]

Es verhält sich wie mit der Schönheit. Jedermann liebt die Schönheit, aber nicht jeder findet sie. So hat eine Mu Mu66 von Huang Di den Rat erhalten: »Halte streng an den weiblichen Tugenden und vergiß sie nicht, bleibe fest bei der weiblichen Korrektheit und lasse nicht nach, dann schadet deine Häßlichkeit nichts.«

Es verhält sich wie mit den Leckerbissen. Jedermann liebt köstliche Speisen, aber nicht jeder findet sie. König Wen liebte Kalmussuppe. Meister Kung hörte es und versuchte sie. Er mußte das Gesicht verziehen, als er sie aß; drei Jahre brauchte er, ehe er sich daran gewöhnt hatte.

Es war einmal ein Mann, der hatte einen solch üblen Geruch, daß alle seine Verwandten, Brüder, Frauen und Bekannten es nicht in seiner Nähe aushielten. Er war darüber selber so traurig, daß er sich an das Ufer des Meeres zurückzog. Die Uferbewohner aber hatten seinen Geruch gern und folgten ihm Tag und Nacht, daß er sie gar nicht los werden konnte. Mit den Reden verhält es sich ebenso.

In Tschen lebte ein häßlicher Mensch mit dem seltsamen Namen Dun Hia Tschou Mi. Seine Stirn war eckig wie ein Hammer, seine Schläfen breit, seine Gesichtsfarbe war schwarz wie Pech. Seine Augen hingen bis auf die Nase heraus. Er hatte lange Arme und krumme Beine.

Der Fürst von Tschen hatte eine große Freude an ihm, als er ihn sah. Er übertrug ihm die Regierung und die Ordnung seiner persönlichen Angelegenheiten. Als einst der König von Tschu die Lehensfürsten versammelte, war der Fürst von Tschen krank, so daß er nicht hin konnte. Er sandte den Dun Hia Tschou Mi hin um sich zu entschuldigen. Der König von Tschu wunderte sich über seinen Namen und empfing ihn zunächst. Als aber der Fremde eintrat, war er nicht nur häßlich anzusehen, sondern auch seine Reden waren unangenehm67. Da wurde der König von Tschu zornig, versammelte seine Räte und sprach: »Wenn der Fürst von Tschen nicht gewußt hat, daß er den nicht schicken durfte, so ist er unwissend, hat er es aber gewußt und ihn doch geschickt, so ist er frech. Einen frechen und unwissenden Menschen aber muß man[199] bekämpfen.« Darauf rüstete er ein Heer, griff Tschen an, und nach drei Monaten war es erledigt. Die Häßlichkeit jenes Menschen war so groß, daß er die Leute erschreckte, seine Reden waren so, daß sie den Staat zugrunde richteten. Aber die Liebe des Fürsten von Tschen zu ihm war so groß, daß ihm nichts über ihn ging. Bis zu seinem Untergang ließ er nicht von ihm ab.

Wenn ein Fürst einen Menschen trifft, den er nicht treffen sollte, so geht er sicher zugrunde. Daß aber Fürsten solche Männer, die sie treffen sollten, nicht ausfindig zu machen wissen, das ist der Grund, warum Staaten in Verwirrung kommen und ganze Zeitalter zugrunde gehen, und alles bittere, traurige und mühselige Schicksal der Menschen auf Erden entsteht aus dieser Ursache. Die Gründe, warum man einen Mann auszeichnen soll, sind in erster Linie sein Charakter, in zweiter Linie seine Art zu handeln, in dritter Linie einzelne Taten. Wenn einer in diesen drei Beziehungen unfähig ist, so geht das Reich sicher zugrunde. Alle Arten von schlimmen Vorzeichen stellen sich ein und man sinkt in ein vorzeitiges Grab. Wer es auf 70–90 Jahre bringt, muß viel Glück haben. Wenn der Nachkomme eines Heiligen68 so sein Volk zugrunde richtet und sich selber ins Unglück stürzt, wie wird es da erst anderen gehen!

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 197-200.
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