1. Kapitel
Abhandlung über die Wahrung eines würdigen Benehmens / Bu Gou Lun

[417] Der Weise ist in seinen Handlungen so, daß wenn es sich um Ehre handelt, er nicht auf unwürdige Weise sie erstrebt, auch wenn der Fürst auf ihn hört, sich nie zum Schmeichler erniedrigt. Nur wenn es der Vernunft entspricht, unternimmt er etwas; nur wenn es der Pflicht entspricht, tut er etwas. Das ist der Wandel eines treuen Beamten. Ein weiser Fürst findet daran Wohlgefallen, aber ein unweiser Fürst findet kein Wohlgefallen daran. Nicht daß er diesen Ruf hassen würde, auch wenn ein Herrscher unwürdig ist, so stimmt er in seiner Liebe zu dem Ruf eines treuen Beamten mit einem tüchtigen Herrscher überein. Aber wenn es sich um die praktische Durchführung handelt, dann unterscheidet er sich von einem weisen Herrscher. Auf diesem Unterschied beruht der Unterschied in den geleisteten Werken, Ruhm, Glück und Unglück. Auf diesem Unterschied beruht es, daß Wu Dsï Sü das Wohlgefallen des Königs Ho Lü und die Abneigung von dessen Sohn Fu Tschai sich zuzog, daß Bi Gan zu Lebzeiten sich die Abneigung des Herrschers von Schang zuzog, während er noch nach seinem Tode das Wohlgefallen des Herrschers von Dschou fand.

Als der König Wu auf den Anger von Yin kam, fiel ihm sein Strumpfband herunter. Fünf Männer fuhren heran, aber weigerten sich, ihm das Strumpfband aufzuheben. Sie sprachen: »Wir dienen dem Fürsten nicht um des Strumpfbandes willen.« Da legte der König Wu links die weiße Federflagge und rechts das goldene Beil nieder und ordnete sein Strumpfband selbst.

Meister Kung sprach, als er es hörte: »Diese fünf Männer waren von der Art, wie die Gehilfen eines Mannes, der die Weltherrschaft erringt, sein müssen, die sich ein unwürdiger Herr nicht gefallen[417] lassen würde. So gibt es Dinge, zu denen selbst der Weltherrscher nicht den einfachsten Bürger zwingen kann, noch ein Weltreich einen einzelnen Staat.«

Der Herzog Mu von Tsin empfing den Beamten von Jung namens Yu Yü. Er fand Wohlgefallen an ihm und wollte ihn bei sich behalten. Aber Yu Yü weigerte sich. Da sagte es der Herzog Mu dem Tsiän Schu an. Tsiän Schu sprach: »Eure Hoheit mögen es dem Palastaufseher Liau sagen.« Der Palastaufseher Liau erwiderte: »Der Herrscher von Jung versteht nichts von Musik und Kochkunst. Es würde sich empfehlen ihm diese Dinge zu schenken.« Darauf übersandte der Herzog von Mu jenem zwei Kapellen von Musikantinnen und einen guten Koch. Der König von Jung freute sich darüber und wurde dadurch zu Ausschweifungen verführt, er trank Tag und Nacht ohne Unterbrechung Wein. Yu Yü erhob ernstlich Warnungen, aber der König hörte nicht auf ihn. Deshalb wurde jener böse und ging zum Herzog Mu über. Dem Tsiän Schu fehlte nicht die Befähigung zu der Tat des Palastaufsehers Liau. Seine Grundsätze verboten ihm also zu handeln. Der Herzog Mu hatte die Fähigkeit, solche Beamte bei sich zu haben, die imstande waren, nach rechten Grundsätzen zu handeln, darum gelang es ihm, die Scharte von Hiau wieder auszuwetzen und sein Gebiet im Westen bis Ho Jung zu erweitern.

Der Herzog Mu von Tsin hatte den Bai Li Hi als Kanzler. Dsin sandte den Schu Hu, Tsi den Dung Go Kiän nach Tsin zu Hofe. Der Rat Gung Sun Dschï bat sie zu empfangen. Der Herzog Mu sprach: »Gäste zu empfangen, ist das deine Sache?« Jener erwiderte: »Nein.« Der Herzog fragte: »Hat der Kanzler dich geschickt?« Jener erwiderte: »Nein.« Der Herzog sprach: »Dann ist diese Sache nicht deine Sache. Unser Staat Tsin ist abgelegen und unkultiviert und es dienen uns die Barbaren. Selbst wenn jeder seine Sachen besorgt, so fürchte ich noch immer, daß die andern Fürsten sich über uns lustig machen. Nun tust du etwas, das nicht deine Sache ist. Geh heim, ich werde eine Strafe über dich verhängen.« Gung Sun Dschï ging weg und teilte die Sache dem Bai Li Hi mit. Bai Li Hi legte Fürbitte für ihn ein. Der Herzog sprach: »Diese Angelegenheit[418] untersteht dir als Kanzler. Wenn Dschï unschuldig ist, was legst du Fürbitte für ihn ein; wenn er aber schuldig ist, dann gilt erst recht: was legst du Fürbitte für ihn ein?« Bai Li Hi ging hinaus und lehnte dem Gung Sun Dschï gegenüber die Vermittlung ab. Da zog sich Gung Sun Dschï zurück und gestand sein Vergehen vor der Öffentlichkeit ein. Bai Li Hi ließ durch den zuständigen Beamten ihn entsprechend bestrafen. Die Festsetzung der Pflichten der Beamten ist es, worin die Alten als Vorbilder dienen können. Weil der Herzog Mu von Tsin also gesinnt war, war es nur in der Ordnung, daß er die Obmacht über die Westbarbaren erlangte.

Herzog Wen von Dsin war im Begriff, den Staat Yü anzugreifen. Der Beamte Dschau Tsui legte ihm die Pläne zur Besiegung von Yü dar. Der Herzog Wen nahm seine Pläne an und siegte tatsächlich. Nach der Rückkehr machte sich der Herzog an die Verteilung der Belohnungen. Dschau Tsui sprach: »Wollt Ihr den Urheber belohnen oder den, der die Sache ausgeführt? Wenn Ihr die Ausführenden belohnen wollt, so sind hier die Reiter und Wagenlenker. Wenn Ihr den Urheber belohnen wollt, so habe ich den Plan von Hi Dsï Hu (Schu Hu) gehört.« Der Herzog Wen berief den Hi Dsï Hu und sprach: »Dschau Tsui hat mir einen Plan zur Besiegung Yü's vorgelegt, durch den Yü auch tatsächlich besiegt wurde. Als ich ihn belohnen wollte, sagte er, er habe es von dir gehört und ich solle dich belohnen.« Dsï Hu sprach: »Reden ist leicht, handeln schwer, ich habe nur davon geredet.«

Der Herzog sprach: »Du brauchst nicht abzulehnen.« Hi Dsï Hu wagte nicht, sich durchaus ablehnend zu verhalten, so nahm er denn die Belohnung an.

Wenn man Belohnungen austeilt, so muß man es reichlich machen, dann findet man viele Gehilfen. Nun hatte Hu nicht selbst den Plan vorgelegt und dennoch wurde ihm Belohnung zuteil. Das war der Grund, warum auch untergeordnete Beamte ihre Fähigkeiten alle aufwandten und ihren ganzen Scharfsinn erschöpften. Herzog Wen von Dsin war lange vertrieben, als er zurückkam, lagen schwere Unruhen hinter dem Staate und dennoch vermochte er es, die Hegemonie zu erringen; daran ist ein solches Benehmen schuld.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 417-419.
Lizenz: