2. Kapitel
Lob der Tüchtigen / Dsan Nong

[419] Ein Weiser versteht es, die Menschen nach ihrer Menschlichkeit zu schätzen, ein Mittlerer schätzt sie nach ihren Taten und ein Untüchtiger schätzt sie nach ihren Geschenken. Zehn gute Pferde zu bekommen ist nicht soviel wie einen Pferdekenner wie Bo Lo zu bekommen. Zehn gute Schwerter zu bekommen ist nicht so viel wie einen Schwertfeger wie Ou Yä zu bekommen, tausend Geviertmeilen Land zu bekommen ist nicht so viel wie einen Heiligen zu bekommen. Schun bekam Gau Yau, und er bekam es in die Hand (der Welt den Frieden zu geben). Tang bekam den I Yin, und er bekam durch ihn die Untertanen von Hia. König Wen bekam den Lü Wang und unterwarf durch ihn die Yindynastie. Einen Heiligen zu bekommen, was das wert ist, kann man nicht nach Geviertmeilen abmessen.

Als Guan Dsï von dem Staate Lu in Fesseln gehalten war, wollte Herzog Huan (von Tsi) den Bau Schu zum Kanzler machen. Bau Schu sprach: »Wenn Eure Hoheit die Hegemonie zu erhalten wünschen, so ist dort Guan I Wu, dem ich nicht gleichkomme.« Herzog Huan sprach: »Guan I Wu ist mein Feind, er hat nach mir geschossen, das geht nicht.« Bau Schu sprach: »Guan I Wu hat im Dienst seines Fürsten geschossen. Wenn Ihr ihn zum Beamten bekommt, so wird er auch in Eurem Dienst nach andern schießen.« Herzog Huan hörte nicht auf ihn und wollte Bau Schu zwingen, den Kanzlerposten anzunehmen. Bau Schu weigerte sich hartnäckig, das Amt des Kanzlers anzunehmen. Da gab der Herzog Huan schließlich nach und hörte auf ihn. Darauf schickte er jemand nach Lu und ließ sagen: »Guan I Wu ist mein Feind, ich möchte ihn bekommen, um selbst Hand an ihn legen zu können.« Der Fürst von Lu willigte ein. Er ließ durch einen Diener seine Hände in Leder nähen und seine Augen mit Leim zustreichen, steckte ihn in einen Ledersack und lud ihn auf einen Wagen.

Als er das Gebiet von Tsi erreicht hatte, sandte Herzog Huan einen Boten, der ihn in einem Hofwagen abholte, er ließ ihn reinigen mit kostbarem Feuer, er ließ ihn mit Opferblut bestreichen. So[420] wurde er lebend ins Land gebracht. Darauf gab er den Befehl den Ahnentempel zu reinigen, er ließ ein Opfermahl und Sitze aufstellen und brachte ihn so vor das Angesicht der Ahnen. Er sprach: »Seit ich Guan I Wus Worte hörte, wird mein Auge immer klarer und mein Ohr verständiger. Ich wage nicht eigenmächtig vorzugehen, darum wage ich es, Euch, meinem verewigten Ahn, Mitteilung davon zu machen.« Darauf sah er sich um und sprach zu Guan Dsï: »Guan I Wu, sei du mein Gehilfe.« Guan I Wu trat zurück und verneigte sich zweimal bis zur Erde. Damit nahm er den Befehl entgegen und ging zum Tempel hinaus.

Guan Dsï regierte den Staat Tsi. Was er angriff, das gelang. Herzog Huan belohnte stets zuerst den Bau Schu, indem er sprach: »Bau Schu ist es, der dem Staate Tsi den Guan I Wu verschafft hat.«

Herzog Huan verstand es in der rechten Weise zu belohnen. Alle Belohnung muß bis zum Urheber gehen. Wenn der Urheber belohnt wird, so kann sich kein Fehler einschleichen.

Sun Schu Au und Schen Yin Hong hatten Freundschaft miteinander geschlossen. Sun Schu Au weilte drei Jahre in Ying1, ohne daß sein Ruf bis zum König von Tschu gedrungen wäre. Seine Tugenden wurden (in der Hauptstadt) nicht bekannt. Da sprach Schen Yin Hong zu Sun Schu Au: »Darin, das Rechte zu raten, so daß der Fürst darauf hört, die Pläne so darzustellen, daß der Fürst ihnen Vertrauen schenkt und danach tut, seinen Fürsten so zu fördern, daß er im günstigsten Fall es bis zum Weltherrscher, mindestens aber bis zur Vormacht im Reiche bringt, darin komme ich dir nicht gleich. Der Welt es gleich zu tun, den Sitten der gewöhnlichen Menschen sich anzupassen, zum Rechten zu raten, und alles ins Klare und in Harmonie zu bringen, um dadurch das Wohlgefallen des Fürsten zu erlangen: in diesem Falle bin ich dir über. Willst du nicht wieder nach Hause an die Feldarbeit gehen. Ich will für dich Bahn machen.«

Schen Yin Hong reiste nach Ying und wohnte fünf Jahre dort, da wollte ihn der König von Tschu zum Kanzler machen. Schen Yin Hong lehnte ab und sprach: »In Ki Sï lebt ein gewöhnlicher Bauer, namens Sun Schu Au, das ist ein Heiliger. Eure Hoheit[421] müssen ihn unter allen Umständen anstellen. Ich komme ihm nicht gleich.« Darauf sandte der König von Tschu einen Boten, der den Sun Schu Au in einem königlichen Wagen abholen mußte und ernannte ihn zum Kanzler. Nach zwölf Jahren hatte darauf der König Dschuang von Tschu die Vorherrschaft auf Erden erlangt: das war das Verdienst des Schen Yin Hong. Es gibt kein größeres Verdienst, als Weise zu empfehlen.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 419-422.
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