4. Kapitel
Benützung der Erde / Jen Di

[455] Hou Dsi sprach: »Kannst Du aus Tiefland Hochland machen? Kannst Du die Fehler eines Grundstückes ausgleichen und es fruchtbar machen? Kannst Du für Feuchtigkeit sorgen und das Land in Sicherheit bringen? Kannst Du das Wachstum beschützen und das Land in Ruhe bringen auf die Dauer? Kannst Du machen, daß das Unkraut nicht gedeiht? Kannst Du machen, daß Deine Felder alle ein gutes Klima bekommen? Kannst Du machen, daß die Halme mehrere Knoten lang werden und doch festbleiben? Kannst Du machen, daß die Ähren groß und gleichmäßig befruchtet sind? Kannst Du machen, daß die Körner rund werden und nur die Spreu dünn? Kannst Du machen, daß der Reis sättigend und nahrhaft wird? Wenn nicht, was hilft dann alles andere?«

Beim Pflügen kommt es vor allem darauf an, daß die Starken zart und die Zarten stärker werden, daß die Müßigen geschäftig werden und die Geschäftigen sich Muße gönnen, daß das magere Land fetter und das fette magerer wird, daß die Eiligen langsamer und die Langsamen eiliger werden, daß das feuchte Land trockener werde und das trockene Land feuchter. Vom besten Land läßt man einen Morgen brach, vom geringen Land einen Drittelmorgen. Man pflügt fünfmal und jätet fünfmal, man muß sorgfältig erwägen, wie tief und in welchem Abstand man pflanzen muß.

Fettes Land hat einen Vorteil: großes Gras wächst nicht darauf, auch gibt es keine Heuschrecken darauf.

Wenn es heuer guten Reis gibt, so nächstes Jahr guten Weizen. Darum hat man einen sechs Fuß großen Pflug, um die Morgen damit zu ermessen, die Pflugschar ist acht Zoll breit, die Furchen damit zu machen. Die Maße der Hacke sind die folgenden: Die Hacke ist sechs Zoll breit, um das Korn zu teilen. Der Hackenstiel ist einen Fuß lang, das ist sein Maßstab.[455]

Die Erde kann man je nach Bedarf fetter oder magerer machen. Will man sie fetter machen, so hält man sie feucht, dadurch werden die Saaten fester und die Erde locker. Man jätet zur trockenen Zeit, dadurch wird die Erde fett und die Krume weich.

Das Gras gibt seinen Ertrag im ersten Herbstmonat. Siebenundfünfzig Tage nach der Wintersonnenwende beginnt das Schilf zu wachsen. Das Schilf wächst am frühesten von allen Grasarten. Zu dieser Zeit beginnt man zu pflügen. Am Ende des ersten Sommermonats verlieren drei Pflanzen3 die Blätter, und die Gerste wird geerntet. Zur Sommersonnenwende welkt der Lattich4 und das Zwillingsblatt5 wächst, da pflanzt man Hanf und Bohnen. Nun muß man die Leute benachrichtigen, daß die Früchte der Erde alle zu Ende sind. Alles Gras wächst von der Frühlingstagundnachtgleiche an. Wenn das Hi Schou-Gras wächst, verliert der Weizen die Blätter. Dann muß man sich an die Ernte machen. Nun muß man die Leute benachrichtigen, daß alles zu Ende ist.

Zu allen fünf Zeiten muß man jeweils das pflanzen, was jeweils gedeiht und das, was abstirbt, einernten. Der Himmel schickt die Zeiten, die Erde läßt alles wachsen, ohne daß sie mit den Menschen zu Rate gingen. Gibt es Ertrag, so opfert man der Erde, gibt es keinen Ertrag, so opfert man ihr auch. Man lasse das Volk nicht die Zeit versäumen, man lasse es nicht unwichtige Dinge besorgen und nichts von Armut und Reichtum wissen. Die nützlichen Geräte treten alle in Tätigkeit, wenn die Zeit gekommen ist und verschwinden wieder, wenn die Zeit vorbei ist. Auf diese Weise kann man alt und jung dazu bringen, alle ihre Kräfte aufzubieten. Auf diese Weise wird in der halben Zeit das Doppelte geleistet. Wer die Verhältnisse nicht kennt, der arbeitet der Zeit entgegen, ehe sie gekommen ist und nimmt sie wichtig, wenn sie schon vorüber ist. Wenn sie aber da ist, dann läßt er sie ungenützt verstreichen. Er läßt seine Leute Unzeitgemäßes treiben. Wenn dann die Leute die Zeit verderben und dann noch um die guten Zeiten jammern, das ist das Schlechteste, was man tun kann. Wenn das, was man angreift, Mühe macht, wenn man nicht weiß, was wichtig und unwichtig ist, so wandern die Leute aus. Wer spät sät und[456] früh erntet, wer früh sät und spät erntet, dessen Korn ist wenig und die Mühe bleibt vergeblich.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 455-457.
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