Vorwort zur zweiten Auflage

[3] Die veränderte Form, in welcher die Geschichte des Materialismus in dieser zweiten Auflage erscheint, ist teils eine notwendige Folge der ursprünglichen Anlage des Buches, teils dagegen eine Rückwirkung der Aufnahme, welche dasselbe gefunden hat.

Wie ich in der ersten Auflage (S. 241) beiläufig erklärt habe, war meine Absicht auf eine unmittelbare Wirkung gerichtet, und ich wollte mich trösten, wenn mein Buch nach fünf Jahren schon wieder vergessen wäre. Statt dessen bedurfte es trotz einer Reihe sehr wohlwollender Rezensionen fast fünf Jahre, um erst recht bekannt zu werden, und es wurde nie stärker begehrt, als in dem Augenblick, da es vergriffen und, nach meinem Gefühl, auch in manchen Teilen schon veraltet war. Letzteres gilt namentlich vom zweiten Teil des Werkes, der eine mindestens ebenso durchgreifende Umarbeitung erfahren wird, als der vorliegende erste. Die Bücher, die Personen und die speziellen Fragen, um welche der Kampf der Meinungen sich dreht, sind zum Teil andre geworden. Der schnelle Fortschritt der Naturwissenschaften namentlich forderte eine totale Erneuerung des Stoffes einzelner Abschnitte, wenn auch der Gedankengang und die Resultate im wesentlichen unverändert bleiben konnten.

Die erste Auflage war zwar eine Frucht langjähriger Studien, aber der Form nach fast extemporisiert. Manche Mängel dieser Entstehungsweise sind jetzt beseitigt; dafür dürften aber auch einige Vorzüge der ersten Arbeit mit geschwunden sein. Dem höheren Maßstabe, welchen die Leser, gegen meine ursprüngliche Absicht, an das Buch angelegt haben, wollte ich einerseits möglichst gerecht werden, andrerseits konnte doch der ursprüngliche Charakter des Werkes nicht ganz aufgehoben werden. So bin ich denn auch weit entfernt, dem ersten Teile in seiner neuen Form den Charakter einer normalen historischen Monographie zu vindizieren. Ich konnte und wollte das Vorwalten der didaktischen und aufklärenden Tendenz nicht beseitigen, welche von Anfang an auf das Endergebnis des zweiten Teiles hinstrebt und vorbereitet und diesem Streben die ruhige Gleichmäßigkeit einer rein objektiven Behandlung[3] zum Opfer bringt. Allein indem ich allenthalben auf die Quellen zurückging und in den Anmerkungen reichliche Nachweise gab, hoffe ich doch den Mangel einer eigentlichen Monographie zu einem großen Teile ersetzen zu können, ohne den wesentlichen Zweck des Buches aufzuopfern. Derselbe liegt nach meiner Auffassung nach wie vor in der Aufklärung über die Prinzipien, und ich verteidige mich nicht stark, wenn man deshalb den Titel dieses Buches nicht ganz angemessen findet. Dieser hat jetzt ein historisches Recht und mag bleiben. Um aber auch denjenigen Lesern zu genügen, welchen die historische Darstellung, wie mangelhaft sie auch sein mag, die Hauptsache ist, hat der erste Teil seinen besonderen Index erhalten, und beide Teile werden gesondert zu haben sein. Für mich bilden sie nach wie vor eine untrennbare Einheit; aber mein Recht hört auf, wenn ich die Feder absetze, und ich muß zufrieden sein, wenn alle Leser, auch diejenigen, welche für ihren Zweck nur einzelne Teile des Ganzen brauchen können, eine billige Rücksicht auf die Schwierigkeit meiner Aufgabe walten lassen.


Marburg, im Juni 1873.

A. Lange[4]

Quelle:
Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Frankfurt am Main 1974, S. 3-5.
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Geschichte des Materialismus
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