Kapitel II.

Von den einfachen Vorstellungen

[88] Philalethes. Ich hoffe also, Sie werden mir darin beistimmen daß es einfache und zusammengesetzte Vorstellungen gibt; so liefern uns Warme und Weichheit im Wachs und. Kälte im Eise einfache Vorstellungen, denn die Seele hat davon einen einförmigen Begriff, der nicht verschiedene Vorstellungen zerlegt werden kann.

Theophilus. Man kann, glaube ich, sagen, daß diese empfindbaren Vorstellungen dem Anscheins nach einfach sind weil sie dem Geiste nicht das Mittel bieten, das Verworrene zu unterscheiden, was sie enthalten. Das[88] verhält sich so, wie wenn uns das Entfernte rund erscheint, weil man die Ecken daran nicht unterscheiden kann, da man einen verworrenen Eindruck davon empfängt. Es ist z.B. offenbar, daß das Grüne aus der Mischung des Blauen und Gelben entsteht, so kann man also auch glauben, daß die Vorstellung des Grünen aus diesen beiden Vorstellungen zusammengesetzt ist. Und doch erscheint uns die Vorstellung des Grünen ebenso einfach als die des Blauen oder die des Warmen. Also ist zu glauben, daß diese Vorstellungen des Blauen oder des Warmen auch nur dem Anscheine nach einfach sind. Gleichwohl will ich gern dem zustimmen, daß man diese Vorstellungen als einfache behandelt, weil unser Bewußtsein wenigstens sie nicht teilte man muß aber in dem Maße, als man sie verständlicher machen kann, aus anderen Erfahrungen und Gründen zu ihrer Analyse schreiten. Und daraus sieht man auch, daß es Wahrnehmungen gibt, deren man sich nicht bewußt ist. Denn die Wahrnehmungen der scheinbar einfachen Vorstellungen sind zusammengesetzt aus den Vorstellungen der Teile, aus denen jene Wahrnehmungen bestehen, ohne daß der Geist sich dessen bewußt ist, denn jene verworrenen Vorstellungen erscheinen ihm als einfache.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 88-89.
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