Kapitel XXIII.

Von den zusammengesetzten Vorstellungen der Substanzen

[204] § 1. Philalethes. Der Geist bemerkt, daß eine gewisse Anzahl von einfachen Vorstellungen beständig zusammengeht, welche, da sie als einem einzigen Dinge[204] angehörig betrachtet werden, wenn sie so in einem Subjekt vereinigt sind, mit einem einzigen Namen bezeichnet werden... Daher kommt es, daß, wenn dies auch in Wahrheit eine Zusammenhäufung mehrerer miteinander verbundener Vorstellungen ist, wir in der Folge aus Unachtsamkeit davon als von einer einfachen Vorstellung zu reden geneigt sind.

Theophilus. In den gangbaren Ausdrücken sehe ich nichts, was als Unachtsamkeit getadelt zu werden verdient, und obschon man nur ein Subjekt und eine Vorstellung annimmt, so nimmt man doch damit noch nicht eine einfache Vorstellung an.

Philalethes. Da wir uns nicht vorstellen können, wie diese einfachen Vorstellungen durch sich selbst bestehen können, so gewöhnen wir uns daran, etwas vorauszusetzen, was sie trägt (substratum), auf dem sie ruhen und woher sie stammen, dem man zu diesem Zweck den Namen Substanz gibt.

Theophilus. Ich glaube, daß man so zu denken recht hat, und wir uns nur daran zu gewöhnen oder es so vorauszusetzen haben, da wir von vornherein mehrere Prädikate desselben Subjektes denken und jene metaphorischen Worte von Träger oder Substrat nur dies bedeuten. Ich sehe also nicht, warum man hierbei Schwierigkeit erhebt. Im Gegenteil ist es eher das Konkrete, wie gelehrt, warm, leuchtend, welches uns in den Sinn kommt, als die Abstraktionen oder Eigenschaften (denn diese sind es, welche in dem Objekt substantiell sind und nicht die Vorstellungen), wie Gelehrsamkeit, Wärme, Licht usw., die viel schwerer zu begreifen sind. Man kann sogar bezweifeln, ob diese Akzidenzien wirkliche Wesen sind, wie sie in Wirklichkeit sehr oft nur Beziehungen sind. Auch weiß man, daß gerade diese Abstraktionen am meisten Schwierigkeiten machen, wenn man sie auflösen will. Das wissen diejenigen, welche mit den Spitzfindigkeiten der Scholastiker bekannt sind, deren dornigste Bedenklichkeiten auf einmal wegfallen, wenn man die abstrakten Wesen verbannt und sich entschließt, in der Regel nur in Concreto zu reden und in der Darlegung der Wissenschaften keine anderen Ausdrücke zuzulassen als diejenigen, welche substantielle Subjekte bezeichnen. So heißt dies dann ein nodum quaerere in scirpo, wenn ich es zu[205] sagen wage, und die Sache umkehren, wenn man die Eigenschaften und andere abstrakte Ausdrücke für das Leichteste und die konkreten Wesen für etwas sehr Schweres nimmt.

§ 2. Philalethes. Es gibt keinen anderen Begriff von der bloßen Substanz im allgemeinen, als von einem gänzlich unbekannten Subjekt, von dem man voraussetzt, daß es der Träger der Eigenschaften sei. Wir drücken uns dabei wie Kinder aus, welche man nicht sobald gefragt hat, was eine gewisse, ihnen unbekannte Sache sei, als sie die ihrer Meinung nach sehr befriedigende Antwort geben, es sei etwas, was aber in dieser Weise angewendet, besagt, daß sie nicht wissen, was es sei.

Theophilus. Wenn man in der Substanz zweierlei unterscheidet, die Attribute oder Prädikate und das gemeinsame Subjekt dieser Prädikate, so ist kein Wunder, daß man bei diesem Subjekt sich nichts Besonderes denken kann. Es muß wohl so sein, weil man ja alle Attribute davon getrennt hat, durch die man etwas Besonderes dabei denken könnte. In diesem bloßen Subjekt überhaupt etwas mehr verlangen, als nötig ist, um zu denken, daß es dasselbige sei (d.h. welches vorstellt und will, Phantasie und Denkkraft ausübt) heißt Unmögliches verlangen und seiner eigenen Voraussetzung widersprechen, der gemäß man abstrahiert und das Subjekt von seinen eigenen Eigenschaften oder Akzidenzien gesondert aufgefaßt hat. Diese vorgebliche Schwierigkeit könnte man ebenso beim Begriff des Seins geltend machen und überhaupt bei allen ganz klaren ursprünglichen Begriffen, denn man könnte die Philosophen fragen, was sie sich denken, indem sie das bloße Ding überhaupt denken, da man auch davon, nachdem dadurch jede Besonderheit ausgeschlossen ist, ebensowenig zu sagen wissen wird als auf jene Frage, was die reine Substanz überhaupt sei. Ich glaube also, daß die Philosophen nicht verspottet zu werden verdienen, wie hiebei geschieht, indem man sie mit jenem indischen Weisen vergleicht, welcher auf die Frage, wodurch die Erde gehalten würde, antwortete, durch einem großen Elefanten, und dann auf die Frage, was den Elefanten halte, antwortete, es wäre eine große Schildkröte und endlich, als man ihn zu sagen drängte, worauf die Schildkröte sich stütze, zu erklären gezwungen war,[206] es sei etwas, was er nicht wisse. Indessen ist diese Betrachtung von der Substanz, so unwichtig sie auch scheinen mag, nicht so leer und unfruchtbar, wie man denkt. Es gehen daraus für die Philosophie die bedeutendsten Folgerungen hervor, die ihr ein neues Aussehen zu geben fähig sind.

§ 4. Philalethes. Von der Substanz überhaupt haben wir keine klare Vorstellung, und § 5 vom Geiste haben wir eine ebenso klare Vorstellung wie vom Körper, denn die Vorstellung einer körperlichen Substanz in der Materie ist unseren Begriffen ebenso fern wie die einer geistigen Substanz. Es geht uns damit beinahe so wie jenem jungen Doktor der Rechte, dem der Promovent, als er ihm bei der Feierlichkeit zurief zu sagen, utriusque (»beider«), antwortete: Sie haben recht, denn Sie wissen von dem einen ebensoviel wie von dem anderen.

Theophilus. Was mich angeht, so glaube ich, daß diese Meinung von unserer Unwissenheit daher kommt, daß man eine Art der Erkenntnis fordert, welche der Gegenstand nicht zuläßt. Das sichere Merkmal eines klaren und deutlichen Begriffes von einem Dinge ist, daß man daraus durch Beweise a priori viel Wahrheiten erkennen kann, wie ich in einer Abhandlung über die Wahrheiten und die Vorstellungen, welche in die Acta Lipsiensia des Jahres 1684 eingerückt ist, gezeigt habe.

§ 12. Philalethes. Wären unsere Sinne scharf genug, so würden die sinnlichen Eigenschaften, z.B. die gelbe Farbe des Goldes, verschwinden, und wir statt deren eine gewisse bewunderungswürdige Fügung der Teile sehen. Das zeigt sich ganz augenscheinlich durch die Vergrößerungsgläser. Diese unsere gegenwärtige Erkenntnis entspricht dem Zustande, in welchem wir uns befinden. Eine vollkommene Erkenntnis dessen, was uns umgibt, übersteigt vielleicht die Fähigkeit eines jeden endlichen Wesens. Unsere Geistesvermögen genügen, uns den Schöpfer erkennen zu lassen und uns über unsere Pflichten zu unterrichten. Wenn unsere Sinne sehr viel lebhafter würden, so würde eine solche Veränderung mit unserer Natur unverträglich sein.

Theophilus. Das alles ist wahr, und ich habe darüber schon etwas gesagt. Indessen hört die gelbe Farbe darum nicht auf, eine Wirklichkeit zu sein, wie der Regenbogen,[207] und augenscheinlich sind wir zu einem über den jetzigen weit erhabenen Zustande bestimmt und werden selbst bis ins Unendliche fortschreiten, denn es gibt in der körperlichen Natur keine eigentlichen Elemente. Gäbe es Atome, wie der Verfasser an einer anderen Stelle anzunehmen schien, so würde die vollkommene Erkenntnis der Körper nicht für jedes endliche Wesen zu hoch sein. Wenn übrigens manche Farben oder Eigenschaften unseren besser bewaffneten oder schärfer gewordenen Augen verschwinden würden, so würden offenbar andere entstehen, und ein neues Wachstum unserer Erkenntnisschärfe würde nötig sein, auch sie verschwinden zu machen, und das würde bis ins Unendliche so fortgehen, wie die Teilung der Materie tatsächlich so fortgeht.

§ 13. Philalethes. Vielleicht besteht einer der großen Vorteile gewisser Geister über uns darin, daß sie sich selbst Sinnesorgane bilden können, welche ihrem Zwecke in der Gegenwart entsprechen.

Theophilus. Wir tun es auch, indem wir uns Vergrößerungsgläser machen, aber andere Geschöpfe werden vielleicht noch weiter gehen können. Wenn wir unsere Augen selbst verwandeln könnten, wie wir in gewisser Weise tatsächlich tun, je nachdem wir in der Nähe oder aus der Ferne sehen wollen, so müßten wir, da der Geist nicht unmittelbar auf die Körper wirken kann, und alles auf mechanische Art sich zutragen muß, etwas uns noch Eigentümlicheres als sie besitzen, um sie durch dies Mittel zu bilden. Übrigens bin auch ich der Meinung, daß die Geister die Dinge auf eine der unserigen einigermaßen ähnliche Weise bemerken, selbst wenn sie den angenehmen Vorteil hätten, den der phantasiereiche Cyrano gewissen beseelten Naturen in der Sonne zuschreibt, die aus einer unendlichen Menge von kleinen fliegenden Wesen bestehen und durch deren nach dem Gebote der herrschenden Seele geschehenden Wechsel alle Arten von Körpern bilden. Es gibt nichts so Wunderbares, was der Mechanismus der Natur nicht imstande ist hervorzubringen, und ich glaube, daß die gelehrten Kirchenväter recht gehabt haben, den Engeln Leiber zuzuschreiben.

§ 15. Philalethes. Die Vorstellungen des Denkens und der Körperbewegung, welche wir in der des Geistes finden,[208] können ebenso klar und deutlich verstanden werden wie die der Ausdehnung, der Dichtheit und der Beweglichkeit, welche wir in der Materie vorfinden.

Theophilus. Was die Vorstellung des Denkens anbetrifft, so stimme ich bei. Aber ich bin nicht dieser Ansicht hinsichtlich der Vorstellung der Körperbewegung, denn meinem System der vorherbestimmten Übereinstimmung zufolge sind die Körper so eingerichtet, daß sie, einmal in Bewegung gesetzt, von selbst darin verharren, je nachdem die Tätigkeiten des Geistes es fordern. Diese Hypothese ist verständlich, die andere nicht.

Philalethes. Jeder Empfindungsakt gibt uns in gleicher Weise Erkenntnis des Körperlichen und des Geistigen, denn während das Gesicht und das Gehör mich erkennen läßt, daß es ein körperliches Sein außer mir gibt, weiß ich auf noch gewissere Art, daß es in mir ein geistiges Wesen gibt, welches sieht und hört.

Theophilus. Sehr richtig; es ist ganz wahr, daß das Dasein des Geistes sicherer ist als das der sinnlichen Gegenstände.

§ 19. Philalethes. Die Geister können wie die Körper nur wirken, wo sie sind und in verschiedener Zeit und an verschiedenen Orten; daher muß ich auch die Ortsveränderung allen endlichen Geistern zuschreiben.

Theophilus. Das geschieht, glaube ich, mit Recht, da der Ort nur die Ordnung der zusammen existierenden Dinge ist.

Philalethes. Man braucht nur die Trennung von Seele und Körper im Tode zu erwägen, um von der Bewegung der Seele überzeugt zu werden.

Theophilus. Die Seele könnte aufhören in einem sichtbaren Körper zu wirken, und wenn sie zu denken gänzlich aufhören könnte, wie der Verfasser oben behauptet hat, so könnte sie sich von einem Körper trennen, ohne mit einem anderen vereinigt zu werden, so daß ihre Trennung ohne Bewegung sein würde. Was mich aber anbetrifft, so glaube ich, daß sie immer denkt und empfindet, daß sie immer mit einem Körper verbunden ist und selbst, daß sie niemals gänzlich und mit einem Mal den Körper verläßt, mit dem sie verbunden ist.

§ 21. Philalethes. Wenn jemand sagt, daß die Geister nicht in loco, sed in aliquo ubi (d.h. nicht an einem Orte,[209] sondern in irgend einem Wo) sind, so glaube ich nicht, daß man heutzutage auf eine solche Redensart viel Gewicht legen wird. Wenn sich aber jemand einbildet, daß sie einen vernünftigen Sinn annehmen kann, so bitte ich ihn, in gewöhnlicher, verständlicher Sprache denselben auszudrücken und dann einen Grund herauszuziehen, welcher dartut, daß die Geister zur Bewegung nicht fähig sind.

Theophilus. Die Schulen haben drei Arten von Ubietät (Woheit) oder Arten, irgendwo zu sein, angenommen. Die erste wird circumscriptive (umschließend beschreibende) genannt, welche man denjenigen im Raume befindlichen Körpern zuschreibt, welche punctatim (Punkt für Punkt) darin sind, dergestalt, daß sie durch Bezeichnung der Grenzpunkte der im Raum befindlichen Sache, die den Punkten des Raumes entsprechen, gemessen werden können. Die zweite Art ist die definitive (bezeichnende), nach der man bezeichnen d.h. bestimmen kann, daß die örtlich vorhandene Sache sich in einem solchen Raume befindet, ohne die genauen Punkte oder die Stellen angehen zu können, welche dem daselbst Befindlichen ausschließlich eigen sind. Auf diese Weise hat man geurteilt, daß die Seele im Körper ist, indem man nicht an die Möglichkeit glaubte, einen bestimmten Punkt anzugeben, wo die Seele oder ein Teil der Seele sei, ohne daß sie auch an irgend einem anderen Punkte ist. Viele gescheite Leute denken darüber noch so. Allerdings hat Descartes der Seele engere Schranken geben wollen, indem er ihr die Zirbeldrüse als eigentlichen Sitz anwies, aber er hat gleichwohl nicht zu sagen gewagt, daß sie ausschließlich in einem Punkt dieser Drüse sich befinde; er hat damit also gar nichts gewonnen, und es ist gerade ebenso, als wenn man ihr den ganzen Körper zum Kerker oder Aufenthaltsorte anwiese. Ich glaube, daß das, was man von den Seelen sagt, sich ungefähr auch von den Engeln behaupten läßt, von denen der große Lehrer von Aquino an nahm, daß sie nur der Wirksamkeit nach an einem Orte wären, welche Wirksamkeit meiner Ansicht nach keine unmittelbare ist und sich auf die vorherbestimmte Übereinstimmung zurückführen läßt. Die dritte Woheit ist die repletive (erfüllende), welche man Gott zuschreibt, der das ganze Universum in noch eminenterem Sinne erfüllt als die Geister ihre Körper, denn er wirkt[210] unmittelbar auf alle Geschöpfe, indem er sie fortwährend hervorbringt, während die endlichen Geister einen unmittelbaren Einfluß oder eine unmittelbare Wirksamkeit nicht ausüben können. Ob diese Lehre der Schulen ins Lächerliche gezogen zu werden verdient, wie man sich, so scheint es, zu tun bestrebt, weiß ich nicht, immer wird man indessen den Seelen eine gewisse Art von Bewegung, wenigstens in Beziehung auf die mit ihnen verbundenen Körper oder hinsichtlich ihrer Weise wahrzunehmen, zuschreiben können.

§ 23. Philalethes. Wenn jemand sagte, er wisse nicht, wie er denkt, so würde ich antworten, daß er auch nicht wisse, wie die festen Körperteile aneinandergefügt sind, um ein ausgedehntes Ganzes zu bilden.

Theophilus. Die Erklärung der Kohäsion hat ihre große Schwierigkeit, aber diese Kohäsion der Teile scheint doch nicht nötig zu sein, um ein ausgedehntes Ganzes zu bilden, da man sagen kann, daß die voll kommen feine und flüssige Materie sich zu einem Ausgedehnten zusammensetzt, ohne daß die Teile dabei aneinander haften. Um aber die Wahrheit zu sagen, glaube ich, daß die vollkommene Flüssigkeit nur der ersten Materie zukommt, d.h. in der Abstraktion und als eine ursprüngliche Eigenschaft, ebenso wie die Ruhe, nicht aber der zweiten Materie, so wie sie sich in der Wirklichkeit findet, mit ihren abgeleiteten Eigenschaften bekleidet. Ich glaube nämlich nicht, daß es eine Masse von äußerster Feinheit gibt, und daß überall mehr oder weniger Zusammenhang vorkommt, der aus denjenigen Bewegungen stammt, welche miteinander übereinstimmen und behufs der Trennung gestört werden müssen, was ohne Gewaltsamkeit und Widerstand nicht abgehen kann. Übrigens liefert das Wesen der Wahrnehmung und weiter des Denkens einen der ursprünglichsten Begriffe. Wie ich glaube, wird indessen die Lehre von den substantiellen Einheiten oder Monaden ihn bedeutend aufklären.

Philalethes. Was die Kohäsion betrifft, so erklären manche sie durch die Oberflächen, an denen zwei Körper, die durch eine Umhüllung, z.B. die Luft, gegeneinander gepreßt werden, sich berühren. Allerdings kann der Druck (§ 24) einer Umhüllung verhindern, daß man zwei[211] glatte Oberflächen voneinander in perpendikulärer Richtung entfernt, er kann aber nicht hindern, daß man sie durch eine diesen Oberflächen parallele Bewegung trennt.

Gäbe es keine andere Ursache der Kohäsion der Körper, so würde es darum leicht sein, alle Teile derselben dadurch voneinander zu sondern, daß man sie so zur Seite gleiten ließe, indem man irgend eine Fläche, welche einen Teil der Materie schneidet, dazu nimmt.

Theophilus. Ohne Zweifel ja, wenn alle die flachen, aufeinanderliegenden Teile sich in derselben Fläche oder in parallelen Flächen befänden; da dies aber nicht stattfindet und nicht stattfinden kann, so ist offenbar, daß, indem man versucht, die einen gleiten zu machen, man auf eine unendliche Menge anderer ganz anders wirkt, deren Fläche mit der ersten einen Winkel bildet; denn man muß wissen, daß man, um zwei aneinanderpassende Oberflächen zu trennen, Mühe anwenden muß, nicht allein, wenn die Richtung der Bewegung behufs der Trennung perpendikulär ist, sondern auch, wenn sie gegen die Oberfläche schräg ist. So muß man in den vielseitigen Körpern, welche die Natur in den Bergwerken und sonst bildet, auf blätterartige Schichten schließen, die in jeder Hinsicht aneinander haften. Ich gebe indessen zu, daß der Druck der Umhüllung auf die glatten, aneinanderhaftenden Oberflächen nicht genügt, um den Grund der Kohäsion überhaupt zu erklären, denn man setzt stillschweigend dabei voraus, daß diese aneinanderschließenden Tafeln schon Kohäsion haben.

§ 27. Philalethes. Ich hatte angenommen, daß die Ausdehnung des Körpers nichts anderes als die Kohäsion der festen Teile ist.

Theophilus. Dies scheint mir mit Ihren eigenen vorhergegangenen Erklärungen nicht übereinzukommen. Mir scheint, daß ein Körper, welcher innerliche Bewegungen hat, oder dessen Teile in der Tätigkeit, sich voneinander zu lösen, begriffen sind (wie meiner Überzeugung nach dies immer der Fall ist), darum nicht aufhört, ausgedehnt zu sein. Somit scheint mir der Begriff der Ausdehnung von dem der Kohäsion gänzlich verschieden.

§ 28. Philalethes. Eine andere Vorstellung, die wir vom Körper haben, ist das Vermögen, die Bewegung durch Anstoß mitzuteilen, und eine andere, welche[212] wir von der Seele haben, ist das Vermögen, durch das Denken Bewegung hervorzubringen. Die Erfahrung liefert uns tagtäglich diese beiden Vorstellungen auf eine überzeugende Art; wenn wir aber tiefer nachforschen wollen, wie dies geschieht, so finden wir uns gleichfalls im Dunkeln. Denn in Hinsicht der Mitteilung der Bewegung, wodurch ein Körper so viel Bewegung verliert, als ein anderer empfängt, welches der gewöhnlichste Fall ist, verstehen wir darunter weiter nichts, als eine aus einem Körper in den anderen übergehende Bewegung; was ich für ebenso dunkel und unbegreiflich halte, als die Art, wie unser Geist durch das Denken unseren Körper bewegt oder anhält. Noch schwieriger ist es, die Zunahme der Bewegung mittels des Anstoßes zu erklären, wie man sie beobachtet oder in gewissen Fällen geschehen zu sehen glaubt.

Theophilus. Ich wundere mich nicht, wenn man da unübersteigliche Hindernisse findet, wo man etwas so Unbegreifliches vorauszusetzen scheint, wie den Übergang eines Akzidenz von einem Subjekt ins andere; ich sehe aber keinen Grund, welcher uns zu einer Voraussetzung nötigt, die nicht weniger befremdend ist, als die der Scholastiker von Akzidenzien ohne Subjekt, welche sie gleichwohl sich hüten, nur der wunderbaren Tätigkeit der göttlichen Allmacht zuzuschreiben, während jener Übergang hier nur ein gewöhnlicher sein würde. Ich habe darüber oben schon etwas gesagt (Kap. 21, § 4), wo ich auch bemerkt habe, daß der Körper keineswegs soviel Bewegung verliert, wie er einem anderen gibt, was man anzunehmen scheint, als ob die Bewegung etwas Substantielles wäre und im Wasser aufgelöstem Salze gliche, was, wenn ich nicht irre, die Vergleichung ist, deren Rohaut sich bedient hat. Ich füge hier hinzu, daß dies nicht einmal der gewöhnlichste Fall ist, denn ich habe anderswo gezeigt, daß dieselbe Quantität der Bewegung sich nur dann erhält, wenn die bei den aufeinander treffenden Körper vor dem Zusammenstoße nach derselben Richtung gehen wie nach demselben. Allerdings werden die wahren Gesetze der Bewegung von etwas Höherem, als die Materie ist, abgeleitet. Was das Vermögen, durch das Denken Bewegung hervorzubringen, betrifft so haben wir meiner Überzeugung[213] nach davon so wenig eine Vorstellung, als wir eine Erfahrung davon haben. Die Kartesianer selbst gestehen zu, daß die Seelen der Materie keine neue Kraft verleihen können; sie behaupten aber, daß sie derselben eine neue Bestimmung oder Richtung der von ihr schon besessenen Kraft geben. Ich für meinen Teil behaupte, daß die Seelen weder in der Kraft, noch in der Richtung der Körper etwas ändern, daß das eine so unbegreiflich und widersinnig ist wie das andere, und daß man sich der vorherbestimmten Übereinstimmung bedienen muß, um die Einheit von Seele und Leib zu erklären.

Philalethes. Es ist allerdings nichts unserer Untersuchung Unwürdiges, zuzusehen, ob die tätige Kraft das eigentliche Attribut der Geister und die leidende Kraft das der Körper ist. Daraus ließe sich die Vermutung gewinnen, daß die geschaffenen Geister, da sie sowohl tätig als leidend sind, nicht gänzlich von der nur leidenden Materie getrennt sind, und daß diejenigen anderen Wesen, welche zugleich tätig und leidend sind, an beiden teilnehmen.

Theophilus. Diese Gedanken sagen mir ungemein zu und drücken ganz meine Meinung aus, wenn man nur das Wort Geist so allgemein versteht, daß es alle Seelen umfaßt oder vielmehr (um noch allgemeiner sich auszudrücken) alle diejenigen substantiellen Entelechien oder Einleiten, welche mit den Geistern Analogie haben.

§ 31. Philalethes. Ich wünschte wohl, daß man mir in unserem Begriff von Geist etwas Verworrenes oder dem Widerspruch Näherliegendes zeigte, als was der Begriff selbst des Körpers, ich meine die Teilbarkeit ins Unendliche, in sich schließt.

Theophilus. Was Sie da sagen, um zu zeigen, daß wir die Natur des Geistes ebenso oder besser als die des Körpers verstehen, ist sehr wahr, und Fromond, der eigens ein Buch: De compositione continui (Über die Bildung des Zusammenhangenden) geschrieben hat, hat dasselbe mit Recht Labyrinth betitelt. Das kommt aber von einer falschen Vorstellung her, welche man, wie vom Raume, so von der körperlichen Natur hat.

§ 33. Philalethes. Selbst die Vorstellung von Gott entsteht uns ebenso wie die anderen, indem diese unsere zusammengesetzte Vorstellung von Gott aus den einfachen[214] Vorstellungen gebildet wird, die wir durch die Region empfangen und durch unsere Vorstellung von der Unendlichkeit erweitern.

Theophilus. In Hinsicht dessen beziehe ich mich auf das, was ich schon mehrmals gesagt habe, um zu zeigen, daß alle diese Vorstellungen und besonders die von Gott ursprünglich in uns sind, und wir nur auf sie zu achten haben, sowie vor allem, daß die der Unendlichkeit sich nicht durch eine Erweiterung der endlichen Vorstellungen bilden läßt.

§ 37. Philalethes. Die meisten einfachen Vorstellungen, welche unsere zusammengesetzten Vorstellungen von den Substanzen bilden, sind recht betrachtet nur Kräfte, wenn wir auch noch so geneigt sind, sie für positive Eigenschaften zu halten.

Theophilus. Ich denke, daß die Kräfte, welche der Substanz nicht wesentlich sind und nicht bloß eine Fertigkeit, sondern auch eine gewisse Strebung in sich schließen, gerade das sind, was man unter realen Eigenschaften versteht oder verstehen muß.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 204-215.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand
Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand: Ins Deutsche übersetzt, mit Einleitung, Lebensbeschreibung des Verfassers und erläuternden Anmerkungen versehen von C. Schaarschmidt
Philosophische Schriften.: Band 3 in 2 Teilbänden: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Philosophische Schriften. Französisch und deutsch (suhrkamp taschenbuch wissenschaft)
Neue Abhandlung über den menschlichen Verstand

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon