[87] 2. Verschiedene Heiligkeit

Der Kanzler von Tschen weilte als Gast im Staate Lu. Er besuchte den Freiherrn Schu Sun. Der sprach: »Wir haben einen Heiligen im Land.« Der andre fragte: »Doch nicht etwa Kung Kiu?« »Gewiß!« war die Antwort. »Und woher weiß man, daß er ein Heiliger ist?« Schu Sun sprach: »Ich habe schon oft den Yän Hui sagen hören, daß Kung Kiu es über sich bringt, die Stimmungen auszutilgen, um des Leibes Meister zu werden.«

Der Kanzler von Tschen sprach: »Wir haben auch einen Heiligen im Land. Wißt ihr das nicht?« »Und wie heißt denn dieser Heilige?« »Unter den Schülern Lau Dan's gibt es einen namens Geng Sang Dsï, der den SINN des Lau Dsï erlangt hat. Der kann mit den Ohren sehen und mit den Augen hören.« Der Fürst von Lu hörte davon und wunderte sich sehr. Er sandte einen vornehmen Boten mit reichen Geschenken, um ihn holen zu lassen. Geng Sang Dsï folgte der Einladung und kam. Der Fürst von Lu befragte ihn mit höflichen Worten. Geng Sang Dsï sprach: »Diese Berichte sind falsch. Ich kann sehen und hören, ohne Augen und Ohren zu gebrauchen, aber ich kann nicht den Gebrauch von Aug' und Ohr vertauschen.« Der Fürst von Lu sprach: »Das ist ja noch merkwürdiger. Ich wünschte gerne zu hören, wie das zugeht.« Geng Sang Dsï sprach: »Mein Leib ist eins mit dem Gefühl, das Gefühl ist eins mit der Kraft, die Kraft ist eins mit dem Geist, der Geist ist eins mit dem Jenseits. Das winzigste Wesen, der leiseste Ton, mögen sie ferne sein außerhalb der acht Wüsten oder nahe innerhalb der Augenwimpern, sie haben Einfluß auf mich und ich erkenne sie mit[87] Notwendigkeit. Aber ich weiß nicht, ob es eine sinnliche Empfindung und eine seelische Erkenntnis ist. Ich habe nur die Erkenntnis an sich, nichts weiter.« Der Fürst von Lu war sehr befriedigt und erzählte es Tags darauf dem Dschung Ni (Konfuzius). Dschung Ni lächelte und erwiderte nichts.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 87-88.
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