5. Kunst und Natur: das Maulbeerblatt

[160] Ein Mann aus Sung machte für seinen Fürsten ein Maulbeerblatt aus Nephrit. Drei Jahre brauchte er, bis es fertig war. Mit spitzem Messer war es geschnitzt, und Rippen, Stiel und alle feinsten Äderchen waren sorgfältig und dabei doch glatt ausgeführt, so daß, wenn es unter wirkliche Maulbeerblätter gemischt wurde, man es nicht herausfinden konnte. Dieser Mann wurde daraufhin wegen seiner Geschicklichkeit in Sung auf Staatskosten unterhalten.

Der Meister Liä Dsï hörte davon und sprach: »Wenn die Natur bei der Erzeugung der Geschöpfe alle drei Jahre nur Ein Blatt fertigbringen würde, so gäbe es wohl wenig Dinge mit Blättern. Darum vertraut der Berufene auf die Gestaltungskraft des SINNS und nicht auf Weisheit und Geschicklichkeit.«

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Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 160.
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